»Gieß ein, Jason«, sagte Lady Gina.
»Ja, Herrin«, erwiderte ich. Ich verließ die Reihe der knienden Sklaven und näherte mich mit dem Weingefäß, das Tela mir gegeben hatte, dem Tisch. Hinter dem Tisch saß Lola und spielte die freie Frau. Seitlich hatte sich Lady Gina niedergelassen, die Peitsche in der Hand.
Unterwürfig näherte ich mich dem Tisch und kniete vor Lola nieder.
»Wein, Herrin?« fragte ich.
»Ja, Sklave«, erwiderte sie.
»Du siehst hübsch aus heute abend, Jason«, sagte Lady Gina.
»Vielen Dank, Herrin.«
Meiner Schätzung nach befand ich mich seit fünf oder sechs Wochen in den Sklavengehegen. Der schwere Eisenkragen, den ich am Anfang getragen hatte, war durch ein leichteres Metallband mit weißem Emaillebesatz ersetzt worden. Darauf befand sich eine Inschrift, die ich nicht lesen konnte, die man mir aber vorgelesen hatte: »Bringt mich zur Bestrafung zurück ins Haus des Andronicus.« Ich wußte nicht, wo sich das Haus des Andronicus befand. Einmal hatte man mich geschlagen, weil ich danach zu fragen wagte, was einem Kragen nicht zustand.
Hinter mir gab es Bewegung unter den anderen männlichen Sklaven, die wie ich kurze Seidentuniken trugen. Es gefiel ihnen nicht, daß die Herrin sich lobend über mich ausgesprochen hatte.
»Schenk ein«, sagte Lady Gina jetzt.
»Du gießt zu schnell, Sklave«, bemerkte Lola.
Ich schaute zu Lady Gina hinüber. Auf keinen Fall goß ich den Wein zu schnell.
»Der Wille der Herrin ist allesentscheidend«, sagte Lady Gina.
»Verzeih mir, Herrin«, sagte ich zu Lola, die mich hochmütig musterte.
»Einen Hieb für den ungeschickten Sklaven!« rief Lola. Tela nahm eine Sklavenpeitsche von der Wand und versetzte mir von hinten einen Hieb über den Rücken.
Mein Blick fiel auf Lola. Wie hochmütig wirkte sie doch in ihrer Rolle als freie Frau! Sie war ein aufregendes Mädchen, doch hatte sie mich stets boshaft behandelt. Oft hatte ich nächtelang Schmerzen verspürt vom Schlag ihrer Gerte. Im Gegensatz zu ihr war Tela stets sehr gelassen und sachlich geblieben; sie behandelte mich mit derselben Strenge und Verachtung, die sie allen anderen Sklaven entgegenbrachte. Ich wußte nicht, warum Lola mich so haßte. Sie schien mich auf das Höchste zu verachten und ließ keine Gelegenheit verstreichen, mich zu erniedrigen oder zu schlagen. Ich war allerdings nicht der einzige Sklave, den sie rücksichtslos und boshaft behandelte. Sie war im Gehege nicht beliebt, weder bei den Sklaven noch bei den Wächtern.
»Er hat mich angeschaut!« rief Lola triumphierend und wandte sich an Lady Gina.
Sie hatte recht. Ich hatte sie angeschaut. Nach den Wochen im Sklavengehege fühlte ich ein gewisses Aufblühen meiner Sexualität. Vielleicht lag es am einfachen Essen, an der ständigen Körperbewegung und der Ausbildung. Natürlich versuchte ich dagegen anzugehen. Aber manchmal fand ich es doch recht sinnlos, immer wieder selbstquälerisch zu verharren. Was sollte das wirklich für einen Sinn haben. Was war so falsch daran, ein Mann zu sein?
»Zwanzig Streiche!« rief Lola.
Tela blickte zu Lady Gina hinüber.
»Einer genügt«, sagte Lady Gina.
Lola erbleichte.
»Vergiß nicht, Lola«, fuhr Lady Gina fort, »daß du nicht wirklich frei bist. Nimm dir nicht zu viel heraus!«
»Ja, Herrin«, antwortete Lola angstvoll. Es machte mir Freude, sie verängstigt zu sehen.
»Du kannst die Strafe vollstrecken!« befahl Lady Gina.
Tela schlug von hinten zu, und ich zuckte zusammen. Eine Frau vermochte die Peitsche allerdings nicht so energisch zu führen wie ein Mann.
»Nun gieß den Wein wieder in das Gefäß«, befahl Lady Gina, »und beginne die Übung von vorn.«
»Ja, Herrin.«
Und wieder goß ich Wein in den Kelch, der vor Lola stand.
»Du gießt zu langsam, Sklave«, sagte Lola.
»Verzeih mir, Herrin«, sagte ich. Aber sie forderte keinen neuen Peitschenhieb.
Als ich mich zurücklehnte, streckte Lola die Hand aus und stieß den Kelch um. »Ungeschickter Sklave!« rief sie entsetzt.
Ich war erschrocken.
Lola blickte zu Lady Gina hinüber. »Sieh doch, was er gemacht hat!« rief sie.
Ich musterte Lola in aufflackernder Wut.
»Verzeih mir, Herrin«, sagte ich hastig. »Ich wische das sofort auf.«
»Beeil dich, Sklave«, sagte Lola triumphierend. »Unterdessen will ich mir überlegen, wie deine Strafe aussehen soll.«
Zornbebend begab ich mich in eine Ecke und stellte dort das Weingefäß ab. Mit einigen Tüchern und Wasser kehrte ich zurück und wischte Tisch und Fußboden sauber. Anschließend kniete ich wieder vor Lola nieder.
»Welche Strafe soll ich dir zumessen?« sagte sie vor sich hin. »Ach ja! Du kehrst in deine Zelle zurück und ziehst dich aus. Laß dich in Zuchtketten legen. Abendessen und Nachtdecke fallen aus. Und sag den Wachen, sie sollen dir zwanzig Hiebe geben.« Sie machte eine Pause. »Mit der Schlange«, fügte sie hinzu.
Ich blickte sie ungläubig an. Die Hiebe der Schlange konnten tödlich sein. Verächtlich lächelte sie mich an.
»Fünf genügen«, sagte Lady Gina.
»Na schön, fünf«, sagte Lola. Nackt und blutend lag ich in meiner Zelle. Ich konnte kaum einen Muskel rühren. Ich hatte fünf Hiebe der Schlange erhalten, geführt von einem Mann.
»Jason«, sagte jemand.
Ich arbeitete mich auf die Knie hoch und blickte nach links. Vor der Gitterwand meiner Zelle stand Lady Gina.
»Warum hast du nicht darauf hingewiesen, daß Lola den Wein verschüttet hat?« fragte sie.
»Du wußtest, daß sie es war?«
»Natürlich«, gab sie zurück. »Ihre kleine Hand war zwar schnell, aber für mein Auge nicht schnell genug. Außerdem hattest du deine Hände am Weingefäß und hättest den Kelch gar nicht berühren können.«
»Ich wollte nicht, daß du sie strafst«, sagte ich.
»Gut!« rief sie. »Wie ich sehe, lernst du dazu. Du wolltest sie für dich haben, die Chance, sie vielleicht später einmal selbst zu bestrafen! Gut! Du lernst allmählich, was es bedeutet, ein Mann zu sein.«
»Warum haßt Lola mich so?« fragte ich.
»Du unterscheidest dich sehr von den anderen Männern, die sie kennt. Sie findet dich abscheulich. Du weißt die Sklavin in ihr nicht zu beherrschen.«
»Sie ist eine Person, ein Mensch«, sagte ich. »Sie hat Gefühle.«
»Natürlich hat sie das«, bestätigte Lady Gina. »Sie hat die allesdurchdringenden, erregenden, umfassenden Gefühle einer Frau, die Sklavin ist. Hast du auf diese Gefühle in ihr reagiert?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Du bist eben ein Mann von der Erde«, sagte sie lächelnd.
»Ja! Solche Gefühle stehen ihr nicht zu! Sie sollte eine selbständige Person sein!«
»Frauen sind Sklaven«, sagte Lady Gina. »Sie sehnen sich nach ihren Herren. Das geht tiefer als deine Mythen und politischen Lügengespinste, so gut sie auch in die dir bekannten Gesellschaftsformen passen mögen.«
»Wie kannst du so sprechen?« fragte ich. »Du bist doch selbst eine Frau!«
»Sieh mich an, Jason«, erwiderte sie. »Bedenke meine Größe, meine Stärke, meine Strenge. Ich bin nicht so wie andere Frauen. Ich bin praktisch ein Mann, den eine Laune der Natur in einen Frauenkörper gesperrt hat. Das ist sehr schmerzhaft, Jason. Vielleicht liegt da der Grund, warum ich Männer wie Frauen so sehr hasse.«
»Ich glaube eigentlich nicht, Herrin«, sagte ich, »daß du beide wirklich haßt.«
Sie musterte mich verwirrt. »Hüte deine Zunge!«
»Ja, Herrin«, gab ich zurück. »Und doch finde ich, daß du seltsamerweise eine Frau voller Weitsicht und Güte bist.«
»Vorsicht, Sklave!« warnte sie mich. »Ich scheine dich wieder einmal verwirrt zu haben, Jason – das war nicht meine Absicht. Ich sollte wohl nicht so frei mit dir reden, wie ich es manchmal tue. Aus irgendeinem Grund scheine ich zuweilen zu vergessen, daß du nichts anderes bist als ein Erdenmann – und Sklave.«
Ich schwieg.
»Als Sklave bist du groß und kräftig, Jason«, fuhr sie fort. »Vielleicht vergesse ich deshalb manchmal, daß du als Erdenmann innerlich klein und schwach bist.«
»Es erfordert Mut, klein und schwach zu sein«, sagte ich zornig.
»Vielleicht. Ich weiß nichts davon. Ich bin weder klein noch schwach.«
Aufgebracht senkte ich den Kopf.
»Allerdings ist das ein interessanter Blickwinkel«, fuhr sie fort. »Vielleicht hat der Tor die Kraft, töricht zu handeln. Vielleicht bringt der Feigling den Mut auf, feige zu reagieren. Aber es ist schon traurig genug, Narr und Feigling zu sein, ohne aus diesen negativen Charakterzügen auch noch eine Tugend zu machen. Begreifst du nicht, daß du auf eine Moral der Schwäche getrimmt worden bist, auf eine Erfindung der Schwachen, die die Starken behindern und untergraben soll? Ach, ruh dich jetzt aus. Morgen wirst du von Sklavenhändlerinnen des Markts von Tima beschaut.«
»Was ist das – der Markt von Tima?« fragte ich.
»Das wirst du bald erfahren«, gab sie zurück. »Übrigens möchte ich dir zu deinen Goreanisch-Kenntnissen gratulieren. Du hast Sprachgefühl.«
»Danke, Herrin.«
»Und auch körperlich entwickelst du dich gut«, fuhr sie fort. »Die Übungen und die Ernährung schlagen an. Du hast zugenommen, wirst aber schlanker, denn wo du früher Fett hattest, sind jetzt Muskeln entstanden.«
»Danke, Herrin«, wiederholte ich. Sie hatte recht – Muskelgewebe war schwerer und kompakter als Fett.
»Du bist so groß wie viele Goreaner, Jason«, sagte sie. »Sogar größer als viele Männer dieser Welt. Wirklich schade, daß du dich nur zum Sklaven eignest.«
»Ja, Herrin.«
»Leg dich jetzt schlafen, Jason.«
»Ja, Herrin.«