10

»Wie hübsch er sich an deinem Steigbügel ausmacht, Lady Florence«, sagte die verschleierte Frau, die in der Sänfte lag.

»Wenn erst sein Haar länger ist und von einem weißen Band zusammengehalten wird und wenn er dann noch eine Seidentunika trägt, wird er sich noch wesentlich besser ausmachen, Lady Melpomene«, erwiderte Lady Florence.

»Wie ich sehe, hast du ihn nicht mehr angekettet«, bemerkte Lady Melpomene.

»Ich habe schnell gemerkt, daß das nicht erforderlich ist«, erwiderte Lady Florence.

Ich hielt den Kopf gesenkt.

»Ich beneide dich um einen so hübschen Sklaven«, sagte Lady Melpomene.

»Nett von dir, daß du nicht verbittert bist«, bemerkte Lady Florence mit scharfer Stimme. Ich hielt die Zügel ihres Tharlarion. Es war kein großes Tier. Der Steigbügel befand sich neben meiner rechten Schulter.

»Hast du ihn schon branden lassen?« erkundigte sich Lady Melpomene.

»Nein. Ich ziehe bei meinen Sklaven einen blanken Schenkel vor.«

»Interessant«, stellte Lady Melpomene fest. »Taugt er etwas auf der Liege?« setzte sie hinzu.

»Ich benutze ihn, wenn es mir gefällt«, sagte Lady Florence.

»Natürlich«, erwiderte Lady Melpomene.

»Nur schade, daß deine Mittel in letzter Zeit so begrenzt zu sein scheinen«, fuhr Lady Florence fort, »sonst hättest du mich überbieten können.«

»Meine finanziellen Verhältnisse sind bestens geordnet«, erwiderte Lady Melpomene.

»Es geht das Gerücht, daß du dem Bankrott nahe bist.«

»Solche Gerüchte sind bösartig und falsch!« fauchte Lady Melpomene.

»Das dachte ich mir doch gleich«, erwiderte Lady Florence freundlich. »Bedauerlich, daß sie überall zu hören sind.«

»Der Sklave hat mich nicht genügend interessiert, um sechzehn Tarsks zu bieten«, sagte Lady Melpomene.

»Natürlich«, bemerkte Lady Florence.

»Warst du längere Zeit in Ar zum Einkaufen?« fragte Lady Melpomene.

»Etwa vier Tage«, erwiderte die andere. »Wir verließen unser Haus in Vonda vor einem Monat und zogen in meine Villa.«

Die Villa der Lady Florence aus Vonda lag etwa vierzig Pasangs südwestlich von Vonda. Vonda war eine der vier Städte der Salerianischen Konföderation. Die anderen Städte dieses Bundes waren Ti, Port Olni und Lara. Diese Städte haben eine gemeinsame Lage – nämlich am Olni-Fluß, der in den Vosk mündet. Ti liegt von diesem Zusammenfluß am weitesten entfernt, weiter flußabwärts stößt man auf Olni; diese beiden Städte fanden sich als erste zu dem Bündnis zusammen, das ursprünglich der Abwehr von Flußpiraten und dem Schutz der Bootsverbindung ins Binnenland diente; später kamen Vonda und Lara hinzu, wobei Lara am Zusammenfluß von Olni und Vosk liegt. Auf dem Olni-Fluß gibt es praktisch keine Flußpiraten mehr. Der Bündnisschwur und die Festlegung der einfachen Regeln, die damit zusammenhängen, wurden auf der Wiese von Salerius geleistet und unterschrieben – am Nordufer des Olni gelegen, zwischen Port Olni und Vonda. Aus diesem Umstand leitet das Bündnis seinen Namen als Salerianische Konföderation her. Die wichtigste Stadt im Bündnis ist Ti – es ist die Gemeinde mit der zahlreichsten Bevölkerung; hier konzentriert sich auch die Leitung des Bündnisses. Der Verwalter der Konföderation ist ein Mann namens Ebullius Gaius Cassius aus der Kriegerkaste. Er ist zugleich Administrator der Stadt und des Staates Ti. Die Salerianische Konföderation kennt man auch unter der Bezeichnung ›Die vier Städte von Saleria‹. Der Begriff ›Saleria‹ wird übrigens im weitesten Sinne so verstanden, daß er das von der Konföderation beherrschte Gebiet betrifft. Ti, Port Olni und Vonda liegen am Nordufer des Olni – Lara befindet sich zwischen dem Olni und dem Vosk am Zusammenfluß. Es gilt strategisch als ungemein wichtig. Wenn es wollte, könnte es verhindern, daß Schiffe aus dem Olni zu den Voskhäfen durchkommen. Der Überlandtransport ist wie beinahe überall auf Gor zeitaufwendig und teuer, außerdem oft sehr gefährlich. Interessanterweise war die Veränderung der Piraten des Olni weitgehend auf den Beitritt Laras in den Bund zurückzuführen – diese Stadt vermochte den Übeltätern den Fluchtweg in den Vosk abzuschneiden. Was als Abwehrbund gegen die Piraten begonnen hatte, entwickelte sich allmählich zu einer spürbaren politischen Kraft im östlichen Teil des bekannten Gor. Dabei waren auf diesem Planeten Eifersüchteleien und Streitereien zwischen Städten eher die Regel. So bildete diese Liga, aus einem gemeinsamen Grundinteresse geboren, die Grundlage für die später sehr mächtige Salerianische Konföderation. Es hieß, viele goreanischen Städte schauten voller Unbehagen auf die vier Riesen am Olni. Angeblich machte man sich sogar in Ar Gedanken über die Salerianische Konföderation.

»Von meiner Villa reisten wir in mein Haus in Venna weiter«, sagte Lady Florence leichthin.

»Ich besitze ebenfalls ein Haus in Venna«, äußerte Lady Melpomene.

»Angesichts des Zustands deiner Finanzen hatte ich nicht angenommen, daß du es halten konntest«, bemerkte Lady Florence. Venna ist ein kleiner, exklusiver Erholungsort zweihundert Pasangs nördlich von Ar. Bekannt ist er für seine Bäder und Tharlarion-Rennen.

»Reist du oft nach Ar, um einzukaufen?« fragte Lady Melpomene.

»Zweimal im Jahr«, erwiderte Lady Florence.

»Ich komme viermal im Jahr«, sagte Lady Melpomene.

»Ich verstehe«, äußerte Lady Florence liebenswürdig.

»Ich kann es mir leisten.«

»Dann möchte ich dich nicht vom Einkaufen abhalten.«

»Ich würde nicht zu lange in Ar bleiben«, meinte Lady Melpomene.

»Ich glaube nicht, daß es Ärger gibt.«

»In den Bädern von Vonda wurde gemunkelt, daß Ar angreifen wird«, sagte Lady Melpomene. »Südlich des Olni hat es bereits erste Scharmützel gegeben.«

»Männer sind Barbaren«, stellte Lady Florence fest. »Immer müssen sie kämpfen.«

»Wenn es zu Feindseligkeiten kommt«, sagte Lady Melpomene, »ist es nicht angebracht, wenn eine Frau aus Vonda in dieser Stadt erwischt wird.«

»Ich glaube nicht, daß es Ärger gibt.«

»Meinetwegen kannst du den Stahlkragen riskieren – ich verlasse Ar heute abend noch.«

»Wir reisen morgen früh ab.«

»Ausgezeichnet!« sagte Lady Melpomene. »Vielleicht sehen wir uns dann in Venna.«

»Vielleicht.«

»Und vielleicht wirst du mir gestatten, deinen Sklaven zu genießen.«

»Vielleicht – für eine Gebühr«, erwiderte Lady Florence mit eisiger Stimme.

»Eine Gebühr?« fragte Lady Melpomene.

»Sechzehn Tarsks!« sagte Lady Florence. »Der jämmerliche Preis für den Sklaven, den du dir nicht leisten konntest.«

Sechzehn Tarsks waren tatsächlich ein hoher Preis für einen männlichen Seidensklaven. Im allgemeinen wurden vier bis sechs Silber-Tarsks bezahlt.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte Lady Melpomene.

»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte Lady Florence.

Dann klatschte Lady Melpomene in die Hände. »Weiter!« rief sie den Sklaven zu, die die Stangen der Sänfte auf den Schultern trugen. Gleich darauf war der kleine Trupp verschwunden.

»Was für eine abscheuliche Frau!« sagte Lady Florence. »Wie falsch sie ist! Wie sehr ich sie verachte! Ihr Vermögen ist dahin. Sie besitzt kaum noch einen Tarsk. Wenn sie wirklich noch ein Haus in Venna unterhält, verliert sie es bestimmt bald. Wie kühn von ihr, überhaupt mit mir zu sprechen! Vermutlich ist sie in Ar, um das Haus in Venna zu beleihen oder zu verkaufen, wenn es ihr wirklich noch gehört. Sogar die Sklaven und die Sänfte waren gemietet! Mich täuscht sie nicht! Wie sehr ich sie hasse! Hast du gesehen, wie reizend sie getan hat? Dabei haßt sie mich ebenfalls. Unsere Familien sind seit Generationen verfeindet.«

»Ja, Herrin«, sagte ich.

»Sie hat sogar gegen mich geboten«, fuhr Lady Florence fort. »Hätte eine Freundin das getan?«

»Ich weiß es nicht, Herrin.«

»Und sie hatte die Nerven, dich ausleihen zu wollen! Dich teile ich nur mit Frauen, die mir gefallen.«

»Ja, Herrin«, sagte ich.

»Hier entlang, Jason«, sagte sie. »Ich will im Laden des Publius Schleiernadeln kaufen. Dann möchte ich in die Straße des Zentral-Zylinders, um mir bei Philebus Seide vorlegen zu lassen.«

»Ja, Herrin.« Ich setzte mich in der angegebenen Richtung in Bewegung und führte dabei den Sattel-Tharlarion an den Zügeln. Solche kleinen Tiere werden allgemein mit Zügeln gelenkt, die riesigen Kampf-Tharlarions dagegen mit Rufen und Speerhieben gegen Kopf und Hals. Zug-Tharlarions stehen im Geschirr und werden durch Männer oder Jungen gelenkt, die neben ihnen hergehen, oder mit Zügeln und Peitschen.

Wir kamen an einer Frau von Ar vorbei, die von ihrem Seidensklaven gefolgt wurde. Er musterte mich. Vermutlich fragte er sich, wieviel ich gekostet hatte.

Dann begegnete uns eine Sklavin, eine kurzbeinige Schönheit in einem grauen Fetzen. Im Vorbeigehen spuckte sie die Kerne einer Larmafrucht gegen die Wand.

»Beachte sie nicht, Jason«, befahl Lady Florence.

»Ja, Herrin«, sagte ich. Aber ich wünschte, ich hätte das Mädchen in die Finger bekommen können.

Die Sonne stand hoch, und die Mittagsstunde war bereits vorbei. Wir standen vor dem Laden des Philebus, der sich auf turische Seide spezialisiert hatte. Das Geschäft liegt an der großen Straße des Zentralzylinders, die gut vierhundert Fuß breit ist, eine Auffahrtsstraße für Triumphzüge, überschattet vom Zentralzylinder Ars, der das Ende bildet. Zu beiden Seiten der Prachtstraße erheben sich reihenweise Bäume, und zahlreiche Brunnen plätschern. Es ist eine sehr schöne und eindrucksvolle Straße. Sie erfreute meinen Blick. Wegen der hohen Mieten haben die Läden an dieser Straße natürlich ungemein hohe Preise.

Vorn am Laden des Philebus befanden sich Sklavenringe; an einem dieser Ringe war eine Sklavin festgemacht. Neben ihr ein Stück weiter, hockte ein Seidensklave, ebenfalls gefesselt.

Meine Herrin betrat den schattigen Laden.

»Sie hat dich nicht angekettet«, sagte der Seidensklave zu mir.

»Nein.«

»Was hast du gekostet?« wollte er wissen.

»Sechzehn Tarsks.«

»Das ist nicht viel.«

»Silber.«

»Lügner!«

Ich zuckte die Achseln.

Ich führte den Tharlarion an eine sandgedeckte, sonnige Stelle in der Nähe des Ladens und wickelte die Zügel zweimal um einen Ring.

Dann betrachtete ich den Tharlarion. Eine durchsichtige Membrane schob sich von unten vor das Auge, als ein breitflügeliges Insekt über das Lid kroch. Lady Florence besaß zahlreiche Tharlarions; ihre Ställe gehörten zu den größten und besten in Vonda.

Ich kehrte vor den Laden des Philebus zurück.

»Lügner!« wiederholte der männliche Sklave, der an der Mauer hockte. Vermutlich ärgerte es ihn, daß ich nicht angekettet worden war.

Vor dem Laden lehnte ich mich an die Wand. Die meisten goreanischen Läden haben keine Schaufenster. Viele sind zur Straße hin offen oder besitzen Verkaufstheken ins Freie hinaus. Nachts werden die Verkaufsräume vergittert oder mit Läden verschlossen. Läden, in denen kostbare Dinge verkauft werden, betritt man durch eine schmale Tür, woraufhin man dann nicht selten auf einen offenen Innenhof stößt, gesäumt von Baldachinen, unter denen die Waren zum Verkauf stehen. Auch Philebus besaß einen solchen Innenhof.

Gelassen betrachtete ich die Passanten. Es herrschte kein lebhafter Verkehr, doch gab es genügend zu sehen. Ab und zu wurden Sänften vorbeigetragen. Leichte, zweirädrige Wagen fuhren über die breite Straße, gezogen von Tharlarions. Ich bemerkte auch mehr als einen Boskwagen, gezogen von den riesigen, zottigen Bosks mit ihren gefährlich aussehenden Hörnern. Ihre Hufe waren poliert, Perlenschnüre hingen von den Hörnern herab. Einer dieser Wagen besaß eine blaugelbe Leinenabdeckung und war mit breiten Ledergurten zugeschnallt. Aus dem Inneren hörte ich das Lachen von Sklavinnen. Ein Mann schritt hinter dem Wagen her; unter dem Arm trug er eine Peitsche.

Mein Blick fiel auf die Sklavin am Laden; sie schaute mich an. Sie trug eine leichte graue Tunika. Ich betrachtete ihre hübschen Beine.

»Ich bin für freie Männer da!« sagte sie ärgerlich. »Nicht für deinesgleichen!«

»Und gibst du dich deinen Herren wonnig hin, Sklavin?« fragte ich.

Sie wandte den Kopf ab und biß sich auf die Unterlippe.

Ich betrachtete sie. Es hätte mich nicht gestört, ihr Sklavenherr zu sein.

Ich begab mich zum Brunnen, der nur wenige Meter entfernt war, stützte mich auf Hände und Knie und trank aus der unteren Schale, die für Sklaven und Tiere bestimmt war. Dann kehrte ich zum Laden des Philebus zurück, um weiter auf meine Herrin zu warten.

Vom Himmel tönten Trommeln herab, und ich hob den Kopf. Eine Schwadron der Tarnkavallerie Ars rauschte vorüber, die Flügelschläge entsprachen dem Trommelrhythmus. Es mußten etwa vierzig Vögel und Reiter sein. Für eine Patrouille kam mir die Formation ziemlich groß vor.

Ich betrachtete die Roben der freien Frauen, die auf der Straße vorbeikamen, die Wagen, die Scharen der Passanten, die immer dichter wurden, die Sänften der reichen Männer, zuweilen gefolgt von hübschen Sklavinnen in kurzen Tuniken.

Meine Herrin ließ sich Zeit. Vermutlich würde ich einige Pakete zu tragen haben.

Dann sah ich eine Kaiila vorbeigaloppieren. Es war ein hochmütiges, vornehm aussehendes, seidiges Tier mit langen Hauern. Ich hatte von diesen Geschöpfen schon gehört, doch hier sah ich eine Kaiila zum erstenmal: sie war gelb und hatte langes, fließendes Haar. Der Reiter saß in einem hohen purpurnen Sattel, in dessen zahlreichen Scheiden Messer steckten. Er trug eine lange schwarze Lanze. Neben seinem Helm baumelte ein zur Seite geschlagenes Metallnetz. Er war schlitzäugig. Vermutlich gehörte er zu den Wagenvölkern, wahrscheinlich zu den Tuchuks. Die bunten Narben seines Gesichts formten die primitiven Symbole dieses fernen, wilden Reitervolkes.

»Sklave«, ertönte eine Frauenstimme.

Ich kniete sofort nieder und senkte den Kopf. Vor mir erblickte ich die Sandalen und das Gewand einer freien Frau.

»Wo befindet sich der Laden des Silberschmieds Tabron?« fragte sie.

»Das ist mir nicht bekannt, Herrin«, erwiderte ich. »Ich stamme nicht aus dieser Stadt. Verzeih, Herrin.«

»Dummes Untier«, sagte sie.

»Ja, Herrin.« Doch schon war sie weitergegangen.

Ich stand auf und lehnte mich wieder an die Wand des Ladens von Philebus. Ich spürte den harten Stahlkragen an der Kehle. Er war weiß emailliert, und in der weißen Fläche befanden sich winzige kursive Buchstaben, die – so hatte man mir übersetzt – auf goreanisch verkündeten: »Ich bin Eigentum der Lady Florence aus Vonda.« Das Schloß im Nacken besaß eine doppelte Verriegelung, die allerdings mit einem Schlüssel zu öffnen war. Ich trug keine Sandalen. Die Tunika, die meine Herrin mir gegeben hatte, war aus weißer Seide.

Unwillkürlich richtete ich mich etwas auf, als ich einen prasselnden Rhythmus vernahm. Und schon marschierte in Viererreihe eine Soldatenkolonne an mir vorbei; ich zählte mit und kam auf zweihundert Mann. Sie trugen scharlachrote Tuniken und rote Kappen mit gelben Quasten. Über runden Schildern hingen auf der linken Schulter Stahlhelme, darunter Kurzschwerter in der Scheide. An der rechten Schulter trugen die Soldaten einen Speer mit langer Bronzespitze; am Schaft waren leichte Bündel befestigt. Die Füße steckten in schweren Sandalen mit dicken Sohlen, Fußwerk, das sich ähnlich wie Stiefel bis zu den Waden hochzog. Diese Sandalen erzeugten scharfe, knallende Laute auf dem Kopfsteinpflaster. Ich vermutete, daß die Männer die Stadt verließen. Der goreanische Infanterist marschiert meistens mit leichtem Gepäck. An den Hauptstraßen gibt es in regelmäßigen Abständen befestigte Militärdepots. In der Tat gehörte es zu den scheinbaren Ungereimtheiten auf Gor, wie gut erhalten und schnurgerade manche Straßen verlaufen, auch wenn sie paradoxerweise durch wenig bevölkerte Landstriche führen. Eine Erklärung dafür bekommt man erst, wenn man sich anhand einer Karte vergegenwärtigt, daß die meisten dieser Straßen unmittelbar zu Grenzen führen, daß es sich somit, genau genommen, um Transportwege für das Militär handelt. Noch klarer wird das Bild, wenn man erkennt, daß die Versorgungsdepots in der Regel vierzig Pasangs voneinander entfernt sind. Vierzig Pasangs – das ist der durchschnittliche Tagesmarsch eines goreanischen Infanteristen. Ich fragte mich, warum die Truppen die Stadt verließen. Normalerweise hätte man erwarten können, daß die Soldaten am frühen Morgen aufbrachen, um noch einen vollen Tagesmarsch absolvieren zu können. Ich schaute den Kämpfern nach. Sie wurden von zwei Offizieren geführt, ebenfalls zu Fuß. Zwei weitere Offiziere, vermutlich Subalterne, bewegten sich links und rechts von der Kolonne. Die Männer waren im Gleichschritt marschiert, und das verfehlte seine dramatische Wirkung nicht. Man spürte, daß es sich nicht um eine beliebige Ansammlung von Männern handelte, sondern um eine Einheit. Hinter den beiden Offizieren, einen oder zwei Schritte vor dem rechten Mann der ersten Reihe, schritt der Standartenträger aus – die Fahne zeigte die Abbildung eines silbernen Tarn. Solche Standarten sind zuweilen mehr als hundert Jahre alt. Der goreanische Kämpfer ist vorwiegend Berufssoldat und gehört der Kriegerkaste an. In Anbetracht der grausamen Auslese, die bei seinen Vorfahren geherrscht hat, war er gewissermaßen für seinen Beruf geboren. Speer und Krieg liegen ihm im Blut.

Die Kolonne war verschwunden. Sobald Soldaten die Hauptstraße verlassen, kann man sie mit Bosk- oder Tharlarion-Wagen versorgen. Außerdem ist ein Nachschub durch die Luft, mit Tarns, möglich. Man sollte vielleicht noch erwähnen, daß sich solche Einheiten, die in der Regel ziemlich klein sind, durchaus auch vom wildreichen goreanischen Land ernähren können. Außerdem lassen sich in bestimmten Gebieten die Dörfer zu Abgaben zwingen, um die Versorgung sicherzustellen. Beweglichkeit und Überraschungsschläge bestimmen die goreanischen Strategien – sie ziehen den Überfall der langen Belagerung oder dem offenen Konflikt größerer Truppenverbände in weiträumigen Gebieten vor. So wäre es sehr ungewöhnlich, wenn eine goreanische Stadt mehr als fünftausend Kämpfer gleichzeitig im Sold hätte.

Unbehaglich faßte ich mir an den Sklavenkragen. Ich hatte dem Gespräch zwischen meiner Herrin und Melpomene entnommen, daß es zwischen Ar und der Salerianischen Konföderation gewisse Unstimmigkeiten gab. Lady Melpomene wollte Ar noch heute abend verlassen. Lady Florence hätte beispielsweise durch die Aufschrift meines Kragens als Bürgerin Vondas identifiziert werden können, eine der Städte der Konföderation. Sollte es zu offenen Feindseligkeiten kommen, mochte sich das sehr nachteilig für sie auswirken – vielleicht würde man uns beide von ein und derselben Plattform verkaufen. Ich fragte mich, wie sie sich in einem Sklavenkragen machen würde. Wie sie nackt aussah, wußte ich natürlich, denn ich war ihr Seidensklave. Jedenfalls mochte meiner Herrin zu raten sein, Ar so schnell wie möglich zu verlassen und sich in ihr Haus im Urlaubsort Venna zu begeben. Meine Unruhe nahm zu. Je eher wir die Mauern Ars hinter uns ließen, desto besser schien es mir. Meine Sorge galt natürlich nicht nur meiner Herrin, sondern auch mir selbst. Goreanische Männer haben wenig Geduld mit Seidensklaven.

Etwa fünfzig Meter entfernt wurde eine weitere Sänfte vorbeigetragen, gefolgt von etlichen hübschen Sklavinnen, die daran festgekettet waren.

Mein Blick fiel auf das Mädchen, das vor dem Laden des Philebus am Boden festgemacht war. Zu meiner Überraschung, die ich mir natürlich nicht anmerken ließ, hatte sie mich angeschaut. Sie wandte den Kopf ab. Sie schien meinen Blick zu spüren, denn sie setzte sich unwillkürlich aufrecht hin, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Mein Gedanke wanderte von den Mädchen hinter der Sänfte zu der Sklavin vor mir. Was für eine herrliche Welt, auf der den Männern solche Frauen zur Verfügung standen!

»Ich bin durstig«, sagte sie.

»Dann knie nieder.«

»Niemals!«

Ich wandte mich ab.

»Ich knie ja schon«, sagte sie.

Ich schaute sie an. Sie kniete.

»Sklavin!« sagte der männliche Seidensklave, der am nächsten Ring festgemacht war.

Irgendwie hatte ich gewußt, daß das Mädchen mir gehorchen würde. Sie kniete vor mir. Sie hatte mir gehorcht.

Dennoch bemerkte ich ein wütendes Funkeln in ihren Augen. »Ich bin sehr durstig«, sagte sie.

»Na und?«

»Ich habe Durst und bin angekettet. Würdest du mir bitte Wasser vom Brunnen holen?«

»Dafür mußt du mich bezahlen.«

Der Sklave neben ihr stieß einen empörten Schrei aus.

»Du mußt mich bezahlen, verstehst du?«

»Ja«, antwortete sie.

Ich ging zum Brunnen und schöpfte mit zusammengelegten Händen Wasser aus der unteren Schale. Ich brachte ihr den Trank. Kniend, die Hände vor dem Körper gefesselt, trank sie in tiefen Zügen. Anschließend legte ich ihr die Hände um den Kopf. Erschrocken blickte sie zu mir auf. »Ich kenne den Griff solcher Hände«, sagte sie leise. »Du bist kein Seidensklave.«

»Ich«, sagte der Seidensklave am nächsten Ring, »hätte dir das Wasser umsonst geholt, wenn ich frei gewesen wäre.«

»Ich kenne deine Sorte«, sagte das Mädchen. »Ihr verlangt nichts, erwartet aber viel.« Ich drängte das Mädchen gegen die Mauer zurück und küßte ihr den Hals. »Da ist mir ein Mann lieber«, japste das Mädchen, »der das Kommando übernimmt und sich von einem Mädchen holt, was er will.« Keuchend drehte sie den Kopf zur Seite. »Nimm mich – Herr!«

»Halt!« rief der Seidensklave. »Ich werde alles erzählen!«

»Oh!« stöhnte das Mädchen in meinen Armen. »O Herr! Wie rücksichtslos du bist, Herr!« Und sie küßte mich immer wieder.

Schließlich stand ich auf und ließ sie zu meinen Füßen liegen. Ich atmete schwer.

»Warte nur, bis deine Herrin kommt«, sagte der Seidensklave. »Ich werde ihr alles verraten.«

Das Mädchen kniete halb und lehnte selig den Kopf an die Mauer.

Ich drehte mich um. Etwa zwanzig Meter entfernt hatten zwei Sänften nebeneinander angehalten, die in entgegengesetzte Richtungen unterwegs waren. Die Männer darin unterhielten sich. Auch diesen Sänften folgten mehrere angebundene Mädchen in kurzen Tuniken und hübschen Schmuckbändern.

»Ja, ich werde alles erzählen!« wiederholte der Sklave.

Eines der Mädchen schaute mich an. Sie war klein und exquisit und hatte schlanke Beine. Das kurze, weite Seidengewand war an der linken Hüfte hochgerutscht.

Ihr Anblick ging mir durch und durch, und ich erschauderte. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, daß sie so wunderschön sein konnte!

Sie blickte mich an.

Langsam, zitternd, mit klopfendem Herzen ging ich zu ihr.

»Komm zurück!« rief der Seidensklave. »Bleib an der Mauer. Ich werde alles verraten! Alles!«

Ich näherte mich dem Mädchen. Die Herren bemerkten mich nicht, denn sie unterhielten sich angeregt. Auch Bedienstete sprachen miteinander in der Nähe der Sänfte. Sie beachteten mich nicht.

Dann stand ich vor ihr. Ihre Augen musterten mich entsetzt. Sie wich zurück, so weit es ihre Fesseln erlaubten.

»Ich hatte nie gedacht, daß ich dich wiedersehen würde«, sagte ich.

Sie schwieg.

Ich betrachtete ihren schlanken Hals mit dem Sklavenkragen, die Rundungen ihres entzückenden Körpers in der weiten, kurzen Seide, die Anmut und Ebenmäßigkeit ihrer Züge, die Lieblichkeit ihrer empfindlichen, verwundbaren Augen, die Pracht des dunklen Haars, das länger gewachsen war und von einem Seidenband zusammengehalten wurde.

Objektiv gesehen war sie nicht schöner als viele tausend andere Mädchen – für mich aber war sie die aufregendste Frau, die ich je gesehen hatte.

»Freust du dich nicht, mich zu sehen?« fragte ich erstaunt.

»Du hast das Mädchen vergewaltigt«, sagte sie zornig.

»Genau genommen nicht«, gab ich zurück. »Sie bezahlte für einen Schluck Wasser, den ich ihr gebracht habe.«

»Ungeheuer!« rief sie.

»Du bist sehr schön«, sagte ich und trat dicht vor sie hin. Und ich log nicht. Dabei war sie hilflos gefesselt. Die Sklaverei ist dazu angetan, einer Frau ihre Verkrampfungen zu nehmen.

»Wenn du mir gehörtest, würde ich dich ebenfalls hinter meiner Sänfte zur Schau stellen«, sagte ich.

»Ungeheuer!« sagte sie lächelnd.

»Du trägst ein weißes Band.«

»Du auch.«

»Ich bin aber kein weißer Seidensklave«, sagte ich.

»Das Band soll nur zu meiner Tunika passen«, erwiderte sie. »Ich bin im Grunde auch keine weiße Sklavin.«

»Möchtest du lieber Englisch sprechen? Wäre das leichter für dich?«

Sie sah sich nervös um. Die anderen Mädchen beachteten uns nicht. »Nein«, antwortete sie auf goreanisch. Wie selbstverständlich hatten wir uns in der Sprache unserer Herren verständigt.

»Was ist mit dir geschehen?« fragte ich.

»Ich wurde im Haus des Andronicus ausgebildet«, sagte sie, »und in Vonda verkauft.«

»Ich ebenfalls«, sagte ich. »Mich erwarb die Sklavenhändlerin Tima, Inhaberin des Hauses von Tima. Ich wurde weiterverkauft – ebenfalls in Vonda.«

»Wir sind Sklaven, weiter nichts«, sagte sie.

Ich erkannte, daß man sie dazu ausgebildet hatte, Männern Wonnen zu bereiten. Sie war wunderschön. Sie würde ihre Aufgabe gut erfüllen, und das freute mich. Ich beneidete den faulen Kerl in der Sänfte, der sie besaß.

»Du da!« rief eine Stimme. »Was machst du?«

Hastig trat ich von dem Mädchen zurück und drehte mich um. Einer der Diener winkte mich ärgerlich mit seiner Peitsche fort. Dann wandte er sich wieder seinen Kollegen zu.

»Wer ist dein Herr?« rief ich dem Mädchen zu.

Sie schaute mich angstvoll an. Starr stand sie da und richtete den Blick auf die Rückseite der Sänfte.

»Ängstliche Sklavin!« sagte ich zornig. Sie hatte Angst zu sprechen.

»Wem gehörst du?« fragte ein blondes Mädchen, das an der Fessel die letzte Position einnahm.

»Meine Herrin ist Lady Florence aus Vonda«, antwortete ich.

»Du gehörst einer Frau? Du bist Seidensklave?«

»Ja. Wer ist dein Herr?« fragte ich.

»Vorsicht!« sagte sie. »Strabar kommt!«

»Stehenbleiben!« rief eine Stimme.

Ich drehte mich um. Der Diener mit der Peitsche blieb ein Dutzend Fuß von mir entfernt stehen. »Keine Bewegung!« befahl er.

Ich rührte mich nicht.

Er wandte sich an die Mädchen. »Wer von euch Dirnen hat es gewagt, mit dem Sklaven zu sprechen?«

Die Mädchen schwiegen.

»Die hier, nicht wahr?« fragte er grinsend und berührte mit der Peitsche das kleinwüchsige, exquisite dunkelhaarige Mädchen, mit dem ich gesprochen hatte. Sie erschauderte.

»Ja, sie habe ich belästigt«, sagte ich. »Wenn jemand daran Schuld trägt, dann ich, nicht sie.«

»Kühner Sklave!« sagte er lächelnd.

»Wir sind beide von der Welt, die Erde heißt«, sagte ich. »Wir kannten uns dort.«

»Sie durfte nicht mit dir sprechen.«

»Das wußte ich nicht. Es tut mir leid, Herr.«

Er musterte mich. Ich bemerkte, daß die beiden Männer in den Sänften auf mich aufmerksam geworden waren, und das machte mich nervös. Schon drehten sich die Sklaven und trugen ihre Sänften näher heran. Auf eine Geste der Herren wurden die Lasten abgesetzt; die Tragsklaven, die nicht angekettet waren, stellten sich seitlich auf. Einige Passanten blieben stehen, um die Szene zu verfolgen.

»Wer ist dein Herr?« fragte der Mann aus der Sänfte, hinter der das dunkelhaarige Mädchen angebunden war.

Ich kniete nieder. Er war eindeutig Sklavenherr. »Lady Florence aus Vonda ist meine Herrin, Herr«, sagte ich.

Er bedeutete mir mit einer Handbewegung aufzustehen. Aus einem winzigen Kasten, der am Inneren der Sänfte festgemacht war, zog er ein rundes Glas mit einem perlenbesetzten Haltestab. Durch das Glas musterte er das Mädchen, mit dem ich gesprochen hatte. »Kanntest du das Mädchen aus deiner Heimat?« fragte er.

»Ja, Herr.«

»War sie dort frei?«

»Ja, Herr.«

»Na, dann schau sie dir jetzt an – sie ist eine Sklavin.«

»Ja, Herr.«

Plötzlich schnappte das Mädchen nach Luft und wich in ihrer Kette zurück. Angstvoll sah sie mich an. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und schüttelte den Kopf, um die Vision zu vertreiben, die mich plötzlich befallen hatte. In einem Sekundenbruchteil hatte ich sie nicht voller Bewunderung und Vergnügen angesehen, sondern wie ein absoluter Herrscher, der seine Sklavin mustert.

»Hast du diesen Blick gesehen?« fragte der Mann aus der Sänfte, dem das dunkelhaarige Mädchen gehörte, seinen Freund.

»Ja«, sagte der andere.

Ich errötete vor Scham. Nur einen Moment lang hatte ich das Mädchen als Sklavin gesehen. Wie beschämt und gekränkt mußte sie sein! Aber natürlich war sie Sklavin, nichts anderes als Sklavin!

»Granus, Turus«, sagte der Mann in der Sänfte, dem die Dunkelhaarige zu gehören schien.

Ich schaute auf das Mädchen, doch sie wollte sich meinem Blick nicht stellen.

Ich hörte neben mir ein Ächzen und fuhr herum. Eine Faust traf mich an der Schläfe. Und schon empfing ich Tritte und weitere Hiebe in die Seite. Keuchend wich ich zurück. Zwei Tragsklaven stürzten sich schlagend und tretend auf mich. Ich rollte mich unter einem hervor und sprang blutüberströmt auf die Füße.

»Granus hat ihm einen kräftigen Schlag versetzt«, sagte jemand.

»Habe ich gesehen«, antwortete ein anderer.

»Und er ist schon wieder auf den Beinen«, bemerkte ein dritter.

»Interessant.«

»Ein kräftiger Bursche.«

Ich wischte mir Blut von der Schläfe. Unsicher stand ich da.

Der Mann in der Sänfte zeigte mit seinem runden Glas auf mich.

Der erste der beiden Tragsklaven rückte wieder vor; er hatte die mächtigen Fäuste zu hammerähnlichen Waffen geballt. »Wenn ich dich das nächstemal treffe«, sagte er, »bleib unten. Das genügt dann für die Herren.«

Ich schnappte nach Luft.

Und wieder stürzte er sich auf mich. Ich versuchte mich zu wehren. Seine linke Faust traf meinen Magen und ließ mich zusammenklappen, woraufhin dann die rechte Faust gegen meine linke Gesichtshälfte schmetterte. Ich kippte zur Seite, verlor den Halt, glitt zu Boden. Halb kniete, halb hockte ich auf dem Pflaster.

Der Sklave wandte sich von mir ab.

»Seht!« rief jemand. »Er ist schon wieder aufgestanden!«

Torkelnd stand ich da.

Der Tragsklave, von dem ich vermutete, daß er Granus hieß, drehte sich überrascht zu mir um. Er wechselte einen Blick mit dem anderen Sklaven.

»Lauf!« sagte der Diener, der Mann mit der Peitsche, der dicht neben mir stand. »Flieh!«

Niemand versperrte meinen Fluchtweg. »Nein«, sagte ich. »Nein.«

»Ein Kampf ist im Gange!« rief eine aufgeregte Stimme.

Wieder deutete der Mann in der Sänfte auf mich.

Und wieder stapfte der großgewachsene Sklave auf mich zu. Noch zweimal schlug er brutal zu, dann hatte ich ihn zurückstolpernd gepackt, hielt ihn fest und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, versuchte zu verhindern, daß er für seine vernichtenden Schläge wieder Raum bekam. Ich hörte ihn ächzen. Meine Arme verkrampften sich um ihn. Ich begann ihn nach hinten zu biegen. Mein Blut färbte auf ihn und seine Tunika ab. »Nein!« stöhnte er. Plötzlich sah ich, daß er Angst hatte. Immer weiter zwängte ich ihn zurück – bis mir plötzlich entsetzt aufging, was ich da machte.

»Halt!« rief der Mann mit der Peitsche.

Ich ließ den Sklaven fallen. Sein Rückgrat war nicht gebrochen. Ich kannte mich mit dem Kämpfen nicht aus, doch hatte ich zu meinem eigenen Entsetzen Kräfte in mir entdecken müssen, die ich nicht verstand. Ich mußte daran zurückdenken, wie ich im Hause des Andronicus die Zellenbank angehoben hatte. Die Übungen, die ich dort hatte absolvieren müssen, waren von mir fortgesetzt worden, ohne daß ich damit eine Absicht verband.

»Bist du Kampfsklave?« fragte jemand.

»Nein«, sagte ich.

Der Mann mit der Peitsche wandte sich dem Mann in der Sänfte zu. »Interessant«, sagte dieser.

»Genug?« fragte der Mann mit der Peitsche.

»Ja«, antwortete der vornehme Herr. Ich erkannte, daß er das Leben seines Sklaven nicht riskieren wollte.

Der Mann in der Sänfte hob erneut den perlenbesetzten Stab mit dem runden Glas – und schon nahmen die Sklaven wieder ihre Plätze ein. Der Mann mit der Peitsche kehrte zu den anderen Dienstboten neben der Sänfte zurück. Gleich darauf setzten sich beide Sänften in unterschiedlichen Richtungen in Bewegung. Blutüberströmt stand ich auf der Straße.

Die Menschenmenge verlief sich.

In aufwallendem Zorn lief ich plötzlich los, schob mich hinter die blonde Sklavin, die mit mir gesprochen hatte, und legte ihr die Hand in den Nacken.

Erschrocken japste sie auf.

»Wer ist dein Herr?« fragte ich.

»Wir dürfen nicht sprechen«, erwiderte sie. »Oh!« schrie sie auf, als ich den Griff verstärkte.

»Wer ist dein Herr?« fragte ich und hielt mit ihr Schritt.

»Oneander aus Ar«, sagte sie, »aus der Kaste der Kaufleute. Er hat in Vonda Geschäfte.«

»Oneander aus Ar?« wiederholte ich.

»Ja.«

»Ja – was?« Meine Hand verkrampfte sich.

»Ja – Herr.« Ich ließ sie los, und sie stolperte weiter, wobei sie mir noch einen erschrockenen Blick zuwarf.

Ich lächelte vor mich hin. Nun wußte ich, wem das dunkelhaarige Mädchen gehörte, das aufregendste, schönste, begehrenswerteste Geschöpf, das ich jemals gesehen hatte. Oneander aus Ar war ihr Herr, ein Kaufmann, der offenbar in Vonda Geschäfte hatte. Vermutlich hatte er sie dort erstanden.

Meine Gedanken verweilten bei dem exquisiten dunkelhaarigen Mädchen. Ich hatte nicht erwartet, sie jemals wiederzusehen. Welche Veränderung war mit ihr vorgegangen! Ihre Schönheit war überwältigend.

Die Sänfte entfernte sich immer weiter. Ich wandte mich um und kehrte zum Laden des Philebus zurück. »Jason! Jason!« rief Florence zornig. »Wo hast du gesteckt?«

Hastig kniete ich vor ihr nieder und senkte den Kopf.

»Ein Stück die Straße runter, Herrin«, erwiderte ich.

»Schau dich an!« rief sie. »Du hast gerauft!«

Ich warf einen kurzen Blick auf den Seidensklaven, der mich angrinste. Er mußte Lady Florence alles erzählt haben.

»Keinen Moment kann ich dich allein lassen!« fuhr meine Herrin fort. »Ich weiß nicht, was ich mit dir machen soll. Du hast nicht auf mich gewartet. Du hast dich an diesem armen Mädchen vergangen. Du hast eine fremde Sklavin bedrängt, die an einer Sänfte angebunden war. Du hast gekämpft. Deine Tunika ist befleckt und zerrissen. Das geht wirklich zu weit!«

»Ja, Herrin.«

»Glaubst du etwa, du bist eine Arbeits- oder Tragsklave?« fragte sie.

»Nein, Herrin.«

»Ich bin eine Lady«, betonte sie. »Und du bist der Seidensklave einer Lady. Glaube nur nicht, daß du nicht bestraft wirst. Ich werde dich zwei Tage lang in Strafketten legen lassen.«

»Ja, Herrin.«

Mein Blick war auf den anderen Seidensklaven gerichtet, der mich anlächelte. Ich hätte ihn windelweich schlagen mögen.

»Jetzt bring den Tharlarion, Jason«, befahl Lady Florence.

»Ja, Herrin.«

Kurze Zeit später hatte ich den Tharlarion losgebunden und vor den Laden geführt. Ich half meiner Herrin in den Sitz, der sich an der Seite des Tharlarionrückens befand. Obwohl das Gebilde Steigbügel hat, ist es kein Sattel, wie man ihn von der Erde kennt, auch nicht für den Damensitz. Der Tharlarionsattel ähnelt mehr einem Sitz mit Fußbügeln. Von Gurten festgehalten, befindet er sich auf Höhe des Rückens und ist gepolstert.

»Philebus!« rief meine Herrin.

Begleitet von einem Diener, erschien ein Mann im Eingang des Ladens. Er hatte eine Halbglatze und wirkte gutmütig. Ich reichte der Lady Florence die Tharlarionzügel.

Philebus schien nervös zu sein. Sein Diener trat vor mich hin und reichte mir mehrere Pakete. Gereizt schaute er mich an. »Danke, Herr«, sagte ich.

»Ich wünsche dir alles Gute, Lady Florence«, sagte der Ladenbesitzer.

»Und ich dir, Philebus«, antwortete sie. Philebus stammte aus Turia und lebte und arbeitete seit Jahren in Ar.

Lady Florence trieb den Tharlarion an und lenkte ihn auf die Straße hinaus. Ich folgte ihr mit den Paketen.

»Jason«, sagte sie.

»Ja, Herrin?«

»Wir verlassen Ar nicht erst morgen, sondern heute abend schon.«

»Warum, Herrin?«

»Ich habe mit Philebus gesprochen. Er rät mir, der Stadt bald den Rücken zu kehren. Ich fürchte, es könnte zwischen Ar und der Salerianischen Konföderation Ärger geben.«

Ich nickte. Solche Gerüchte waren mir auch zu Ohren gekommen. Und ich hatte Truppenbewegungen beobachtet.

»Wir verlassen die Stadt innerhalb der nächsten Ahn. Durch das große Tor.«

»Ja, Herrin.«

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