Ich stand in der absoluten Dunkelheit des Tunnels. Es war der Haupttunnel jenes Gewirrs von Gängen unter dem Besitz der Herrin, durch das die verschiedenen Gebäude wie Vorratsschuppen, Nistschuppen, Jungtierraum und gewisse Ställe miteinander verbunden sind.
Mein Rücken schmerzte. Zweimal war ich in dieser Woche gründlich durchgepeitscht worden.
Gestern abend, angekettet in meiner Box liegend, hatte ich zwei Besucher empfangen – Taphris und später Kenneth.
»Erkennst du endlich die Macht, die ich über dich habe?« hatte die Sklavin gefragt.
»Ja«, hatte ich geantwortet.
»Ich stehe bei meiner Herrin nach wie vor in hohem Ansehen«, fuhr Taphris fort. »Ich kann dich auspeitschen lassen, wann ich will.«
»Stimmt.«
»Bist du nun bereit, mich im Tunnel zu treffen?« hatte sie gefragt.
»Nein.«
Sie stand am offenen Ende der Box. »Interessiert dich gar nicht, was ich mit dir vorhabe?«
»Was denn?«
»Ich trage einen Kragen. Ich bin eine Sklavin und muß gehorchen. Aber ich möchte gern Herrin sein.«
»Herrin?«
»Ich möchte dich besitzen, in der Abgeschiedenheit des Tunnels, als meinen eigenen Seidensklaven«, sagte sie. »Dort wirst du mir gehorchen.«
Ich schwieg.
»Ich finde deinen Körper nicht unattraktiv, Jason«, sagte sie.
»Aha.«
»Außerdem bist du ein kräftiger Mann. Ich hasse solche Männer. Du gehörst zu den Männern, in deren Armen sich eine Frau weinend wie eine Sklavin fühlen kann. Ich hasse solche Männer! Es wird mir ganz besonders gefallen, dich zu brechen und zu erniedrigen. Wir treffen uns im Tunnel.«
»Nein.«
»Na schön, du wirst es ja sehen.« Sie wandte sich ab und ging. Wartend stand ich in der Dunkelheit des Tunnels.
Ich hörte nichts.
»Ich habe Taphris aus der Scheune schleichen sehen«, hatte Kenneth gesagt, als er mich gestern abend in meiner Box besuchte.
»Ja, Herr«, hatte ich erwidert und mich in eine kniende Stellung hochgestemmt.
»Was macht dein Rücken?« fragte Kenneth.
»Tut weh«, antwortete ich. »Barus hat ganze Arbeit geleistet.«
»Wir hatten keine andere Wahl«, sagte Kenneth. »Taphris hat genau aufgepaßt.« Kenneth warf mir einen Seitenblick zu. »Taphris war eben bei dir. Was wollte sie?«
»Nichts.«
»Sprich!«
»Sie will, daß ich mich mit ihr im Tunnel treffe«, antwortete ich. »Sie möchte mich mit Gewalt zu ihrem Seidensklaven machen.«
»Dieser Sleen!« sagte Kenneth lachend. »Und was hast du geantwortet?«
»Ich habe mich geweigert.«
»Zweifellos wird sie wieder einen Vorwand finden, dich mit der Peitsche bestrafen zu lassen.«
»Zweifellos«, antwortete ich achselzuckend.
»Solche Dinge können dich für die Stallkämpfe untauglich machen«, sagte er. »Überhaupt ist das völlig überflüssig und unsinnig. Es stört die Disziplin.« Kenneth löste eine Flasche von seinem Gürtel und reichte sie mir. »Wein.«
»Danke, Herr«, sagte ich und nahm einige Schlucke zu mir. Es war Ta-Wein aus den Ta-Trauben des hügeligen Cos. Ein solches Detail zeugte von den engen Handelsbeziehungen zwischen Vonda und Cos. Im letzten Jahr waren vom Hohen Rat Vondas hohe Importzölle für die Weine bestimmter anderer Städte beschlossen worden, insbesondere für Ka-la-na-Weine aus Ar.
Ich gab Kenneth die Flasche zurück.
»Ich bin kaum noch mein eigener Herr in den Ställen«, murrte Kenneth. »Dabei geht es nicht nur um dich. Taphris mischt sich in viele Dinge ein. Die Männer trainieren durchwegs nicht mehr lange oder intensiv genug für die Kämpfe. Die Stalldirnen haben eine Todesangst vor ihr und ihren falschen Berichten an die Herrin. Selbst Barus und ich müssen aufpassen.« Kenneth legte den Kopf in den Nacken und leerte die Flasche, die er wieder an seinem Gürtel befestigte. Dann stand er auf. »Von Tag zu Tag wird die stolzer, kühner und unverschämter.«
»Sie ist entschlossen, sich durchzusetzen«, bemerkte ich.
»Dabei ist sie Sklavin«, stellte er fest.
Ich zuckte die Achseln.
»Ich finde, wir müssen eine Methode finden, unsere kleine Taphris an das zu erinnern, was sie ist.«
Ich musterte Kenneth.
»Morgen wirst du dich mit ihr im Tunnel treffen«, sagte er. »Unweit der Einmündung des Seitentunnels von Lagerschuppen vier in den Haupttunnel, zur fünfzehnten Ahn.«
»Herr?« fragte ich.
»Ich habe einen Plan.«
»Ja, Herr.« Wartend stand ich in der absoluten Dunkelheit des Tunnels. Ich vernahm nichts. Die fünfzehnte Ahn war beinahe erreicht. Die Einmündung des Nebentunnels, der vom vierten Lagerschuppen herbeiführte, lag rechts von mir, verborgen in pechschwarzer Nacht.
Plötzlich hörte ich die sanften Bewegungen kleiner Füße auf dem Bodenbrett des Tunnels.
»Jason?« fragte jemand. Es war Taphris’ Stimme.
»Herrin?« fragte ich.
»Ah, du nennst mich ›Herrin‹«, erwiderte sie. »Ausgezeichnet.«
Vorsichtig kam sie näher. Ihre kleine Hand berührte mich an der Brust. »Du stehst«, sagte sie. »Knie nieder, Sklave!«
»Verzeih mir, Herrin«, sagte ich und kniete vor ihr nieder. Ich hörte, wie sie sich die Sklaventunika über den Kopf zog und fortwarf.
»Ich gehöre natürlich der Lady Florence aus Vonda«, sagte ich zu ihr.
»Hier im Tunnel«, erwiderte sie, »gehörst du mir.«
»Ich glaube nicht, daß Lady Florence das gern hört.«
»Wen schert es, was sie gern hört oder nicht!« rief Taphris lachend. »Ich hasse sie! Sie ist eine hartherzige, arrogante Frau. Sie müßte hier Sklavin sein, nicht ich! Der Gedanke, daß du einmal ihr Seidensklave warst, wird mir ein besonderes Vergnügen sein! Indem ich dich erniedrige, treffe ich damit auch sie!«
»Die Taten, wegen derer du mich diese Woche angeschwärzt hast, zum Beispiel, Tuka heimlich zu küssen, habe ich nicht begangen.«
Sie lachte. »Und doch wurdest du deswegen ausgepeitscht.«
»Warum hast du gelogen?«
»Es war mir ein Vergnügen. Und es hat dazu geführt, daß du jetzt hier im Tunnel vor mir kniest.«
»Es sieht so aus«, erwiderte ich. »Hast du denn die Herrin schon oft angelogen?«
»Hundertfach!« sagte Taphris. »Die dumme Närrin glaubt mir immer wieder. Es wird die Zeit kommen, da ich die Herrin der Ställe sein werde, obwohl ich den Kragen trage.«
»Aha«, sagte ich.
»Und jetzt, Sklave!« forderte sie hochmütig. »Jetzt dienst du meinem Vergnügen!«
»Genug, genug!« rief Lady Florence in diesem Augenblick. »Licht! Licht!«
Ich hörte einen Feuermacher in der Dunkelheit anschlagen. Funken sprühten, dann entstanden winzige Flammen.
Taphris stieß einen Entsetzensschrei aus und versuchte sich meinem Griff zu entziehen.
»Ihr seid ertappt, Sklaven!« rief die Herrin.
»Verzeih mir, Herrin!« rief Taphris.
»Oft treffen sich Sklaven hier in den Tunneln«, sagte Kenneth.
»Das ist ja unerträglich!« rief die Herrin.
»Verzeih mir, Herrin«, flehte Taphris. »Verzeih mir.« Sie sank auf die Knie und legte den Kopf an die Füße ihrer Herrin.
»Man sollte dich zur Strafe kopfunter in einen TurBaum hängen!« fauchte Lady Florence.
»Hast du alles gehört, Herrin?« fragt Taphris.
»Alles!« rief die Herrin heftig.
Aufstöhnend warf sich die Sklavin vor ihrer Herrin in den Dreck. »Gnade! Bitte erbarme dich meiner!«
»Verkauf sie!« kreischte die Herrin. »Verkauf sie! Als Topfsklavin! Oder noch besser: als Freudenmädchen!«
»Ja, Lady Florence«, sagte Kenneth, packte die Weinende und führte sie fort; mit einer Hand hielt er das Mädchen, mit der anderen die Fackel.
Lady Florence blickte sich im Tunnel um und musterte schließlich mich. Mit untergeschlagenen Armen stand ich da und erwiderte ihren Blick. Sie machte kehrt und lief hinter Kenneth und dem schwächer werdenden Fackelschein her.