23

»Glaubst du, sie sind fort?« fragte sie.

»Ja«, gab ich zurück. »Wir haben lange genug gewartet. Solche Männer müssen ebenfalls für ihr Entkommen sorgen. Sie dürfen sich am Ort ihres schändlichen Tuns nicht zu lange aufhalten.«

»Dann sind wir ja auf meinen Besitzungen allein«, sagte sie, »gänzlich allein.«

»Auf den Überresten deiner Besitzungen«, stellte ich richtig. »Das Haus und etliche Nebengebäude sind abgebrannt.«

Sie begann zu schluchzen.

»Du bist ein kluger Mann, Jason«, sagte sie schließlich. »Ich hatte gedacht, man würde uns gefangennehmen. Doch du hast uns gerettet.«

»Nein!« hatte sie geschrien. »Es ist Wahnsinn! Nein!« Aber ich hatte sie im Nistschuppen auf den Boden geworfen und auf die geschwärzte Asche des Flammengrabens gerollt. Anschließend hatte ich vom Rand der Vertiefung Sand über sie getreten, bis nur noch Augen, Mund und Nase frei waren. Schon hatten Männer von unten gegen die Falltür des Nistschuppens gehämmert, aber der Riegel hatte zunächst gehalten. Ich hastete quer durch den Schuppen, öffnete die Außentür des Schuppens und verwischte die Spuren, die ich auf dem Rückweg zum Flammengraben machte. Laut dröhnten die Schläge gegen die Falltür. Mein Blick fiel auf Lady Florence, die mich entsetzt ansah. Dann schleuderte ich eine Tharlarion-Decke über sie. Im nächsten Augenblick grub ich mich selbst in den Sand dicht neben ihr und zog die Tharlarion-Decke über mich, als die Tür sich eben splitternd öffnete. Meine linke Hand war mahnend in Lady Florences Haar verkrampft. Wenn sie auch nur einen Muskel rührte, würde ich es merken.

Wir hörten mehrere Männer die Rampe heraufkommen und herumgehen. »Hier entlang«, sagte einer der Verfolger, die sodann durch die Außentür verschwanden.

Mehrere Ahn lang waren wir im Sand liegengeblieben, wahrscheinlich noch lange nachdem die Räuber abgeflogen waren. Etwa um die siebzehnte Ahn hatte ich mich aus dem Sand gegraben und umgesehen. Und wirklich – die Fremden hatten sich abgesetzt – mit gefüllten Tarnsatteltaschen und hilflosen Sklavinnen in den Tarnringen. Daraufhin hatte ich Lady Florence aus dem Sand geholt.

Und jetzt legte sie meine Box mit frischem Stroh aus.

»Amüsiert es dich, Jason, daß ich für dich saubermache?« fragte sie.

»Bist du fertig?« fragte ich zurück.

»Ja«, antwortete sie. Im Schein der kleinen Laterne, die an einem Metallarm hing, bot sie einen prächtigen Anblick.

»Schütte das Wasser aus«, befahl ich. »Dann spülst du den Eimer und trocknest ihn und die Bürste.«

Ich beobachtete sie, wie sie meinen Anordnungen nachkam. Gleich darauf stand sie wieder vor mir. »Ich habe getan, was du befohlen hast«, sagte sie. »Was willst du jetzt von mir?«

»Ich habe viele Stallkämpfe gewonnen, für die ich nicht ausreichend entlohnt wurde«, sagte ich und brachte die Hände hinter dem Rücken hervor.

»Nicht den Kragen!« flehte sie. »Bitte nicht!«

Sie war zurückgewichen und stand mit dem Rücken an der Querwand der Box. Ich legte ihr den Sklavenkragen um.

»Erinnerst du dich an Telitsia?« fragte ich.

»Bitte mach mich nicht zur Sklavin!« jammerte sie.

»Erinnerst du dich an Telitsia?«

»Ja, Jason.«

»Sie hat mir gefallen«, sagte ich. »Du aber hast sie verkauft!«

»Nein!« schluchzte sie, als der Kragen um ihren Hals zuschnappte.

»Ich habe viele Stallkämpfe gewonnen – ohne angemessene Belohnung«, sagte ich. »Außerdem war ich Telitsia zugetan, die du verkauft hast.«

»Was hast du mit mir vor?«

»Ich werde dafür sorgen, daß du mir die Wonnen bereitest, die du mir von anderen vorenthalten hast.« »Berühre mich erneut«, sagte sie leise.

»Als freie Frau?«

»Nein, als deine Sklavin.«

»Erflehst du es?«

»Ja.«

»Ja – was?«

»Ja – Herr«, flüsterte sie. »Ho da!« rief eine Stimme. »Keine Bewegung!«

Wir lösten uns voneinander.

»Keine Bewegung!« wiederholte die Stimme. Eine offene Laterne wurde angehoben. In ihrem Lichtschein lagen wir im Stroh. Das Mädchen japste und zog die Beine an. »Ein hübsches Ding«, sagte eine Stimme. Ich spannte die Muskeln an. »Keine Bewegung!« rief eine andere Stimme warnend. Vage erkannte ich, daß fünf Männer vor der offenen Box standen. Drei hielten Armbrüste im Anschlag. Die Bolzen waren auf mich gerichtet.

»Bist du ein Räuber?« fragte eine Stimme.

»Nein«, antwortete ich und fügte hinzu: »Ihr gehört also auch nicht zu der Bande?«

»Ruf Miles«, sagte eine Stimme, und einer der Männer verließ das Gebäude. Als er durch das große Tor ins Freie trat, sah ich, daß es draußen noch dunkel war. Das Licht der goreanischen Monde lag auf der Landschaft. Die Sterne standen strahlend am Himmel.

»Ihr gehört nicht zu den Räubern?« wiederholte ich.

»Nein«, antwortete der Mann.

»Und seid ihr Wächter?« fragte ich. Ich nahm es nicht an; die Wächter konnten nicht vor dem Morgen hier sein. Außerdem war anzunehmen, daß die Räuber über mehrere benachbarte Besitzungen hergefallen waren.

»Nein«, antwortete der Mann.

In diesem Moment betrat eine hochgewachsene Gestalt die Scheune. In ihrer Begleitung waren fünf Männer, von denen zwei Laternen trugen. Der Großgewachsene war bestimmt jener Miles, den der andere holen sollte. Ich vermutete in ihm den Anführer der Gruppe.

»Diese beiden sind die einzigen Lebewesen auf dem Besitz«, sagte einer der Männer. »Sogar die Tharlarion sind freigelassen worden und in alle Winde verstreut.«

»Die Räuber sind grausam und gründlich vorgegangen«, sagte ein anderer Mann.

Zwei weitere Laternen wurden in die Höhe gehoben. Ich blinzelte in das Licht. Ich vermochte das Gesicht des großen Mannes nicht auszumachen. In einer Hand hielt er ein blankes Schwert, in der anderen schimmernde Sklavenketten.

»Wer bist du?« fragte der Mann.

»Ich bin Jason«, antwortete ich.

»Der Kampfsklave?«

»Ich wurde freigelassen«, stellte ich fest.

Der Blick des großen Mannes richtete sich auf das Mädchen, das den Sklavenkragen trug. Sie erschauderte.

»Heb den Kopf, Jason«, forderte der Mann. »Halte die Laterne näher heran«, sagte er zu einem seiner Begleiter.

Ich kam dem Befehl nach.

»In der Tat«, sagte der Mann. »Dein Hals weist keinen Kragen mehr auf.«

»Meine Herrin ließ mich frei, noch ehe die Räuber das Anwesen verließen.«

»Ob das wohl stimmt?« fragte der Mann.

»Es ist die Wahrheit«, sagte ich. »Als Sklave wäre es mir doch sicher um meine Flucht gegangen, dann hätte ich mich auf keinen Fall hier länger aufgehalten.«

»Das stimmt«, sagte einer der Männer. »Er ist in dieser Gegend bekannt.«

»Du hast heute gut gekämpft, Jason«, sagte der Mann. »Du hast mich viele Tarsk-Münzen gekostet.«

»Du bist Miles aus Vonda, nicht wahr?« fragte ich.

»Ja.«

»Er hat mich zwanzig Kupfer-Tarsks gekostet«, sagte ein Mann.

»Und mich fünfzehn!« rief ein anderer.

»Es war ein großartiger Kampf«, meinte ein dritter bewundernd.

»Ja«, stimmte man ihm zu.

»Vielen Dank«, sagte ich mit einer gewissen Erleichterung. Ich hatte nicht das Gefühl, daß mir diese Männer sonderlich feindselig gesonnen waren. Wenn ich mich in acht nahm, hatte ich sicher nichts von ihnen zu befürchten.

»Warum bist du hier?« fragte ich Miles aus Vonda.

Er lächelte. »Das geht dich nichts an«, antwortete er. »Wo ist die Frau, die deine Herrin war?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich. Das Mädchen neben mir zitterte. Miles aus Vonda erkannte sie natürlich nicht, hatte er sie doch bisher nur in den Roben einer freien Frau gesehen, dazu unter dichten, züchtigen Schleiern. Ich nahm nicht an, daß er die hochmütige Lady Florence aus Vonda, eine reiche hochwohlgeborene Frau aus Vonda, mit diesem kaum bekleideten, aufregenden Mädchen gleichsetzen würde.

»Ist sie geflohen?« fragte er.

»Ich glaube, sie konnte den Räubern entkommen«, sagte ich.

»Wo ist sie jetzt?«

»Vielleicht wohlbehütet in Vonda oder in der Nähe der Stadt«, äußerte ich. »Warum suchst du sie?«

»Wir haben schwere Zeiten«, sagte Miles aus Vonda. »Die alten Werte von Gesetz und Ordnung gelten nicht mehr.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Aber warum solltest du in solcher Zeit nach der Frau suchen, die bisher meine Herrin war?«

»Wer vermag zu sagen, was in solchen Zeiten einer Frau alles zustoßen kann?« fragte er und hielt mir die dünnen Sklavenketten hin. Sie rasselten in seiner Hand.

»Aha«, sagte ich.

»Sie ist nicht hier«, sagte Miles aus Vonda zu seinen Leuten. »Wir werden also anderswo suchen, in der näheren Umgebung, im Unterholz links und rechts der Straße nach Vonda.« Wieder wandte er sich in meine Richtung. »Viel Spaß mit deiner Dirne, Jason«, sagte er lächelnd. »Du hast sie dir verdient.«

»Vielen Dank«, antwortete ich, »Miles aus Vonda.«

Die Männer verließen die Scheune. Ich hielt das Mädchen mit einer Hand am Kragen fest und legte ihr die andere über den Mund. Sie sollte erst weitersprechen, wenn ich sicher war, daß die Männer fort waren. Mehrere Ehn später ließ ich sie los.

»Hast du das gesehen?« flüsterte sie. »Er hat mich gesucht und hatte Sklavenketten in der Hand!«

»Ja«, sagte ich und lächelte. Miles aus Vonda gehörte zum Kreis der bedauernswerten Freier, die von der hochmütigen Lady Florence aus Vonda abgewiesen worden waren. Er wie seine Mitbewerber hatte es nicht geschafft, sie für eine freie Gefährtenschaft zu gewinnen. Sie war der Meinung gewesen, zu gut für ihn zu sein – und jetzt wollte er sie zu seiner Sklavin machen.

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