»Könnte ich mal allein mit Ihnen sprechen, Jason?« fragte sie.
»Selbstverständlich, Beverly«, gab ich zurück.
Wir saßen an einem kleinen Tisch in einer Ecknische. Das Restaurant befindet sich an der 128. Straße. Auf dem Tisch brannte eine kleine Kerze. Das Tischtuch war weiß, das Besteck schimmerte angenehm im Kerzenschein.
Sie wirkte ziemlich zerstreut.
Nie zuvor hatte ich sie so erlebt. Normalerweise gab sie sich intellektuell, zurückhaltend, gefaßt, abweisend.
Jetzt sah sie mich an.
Wir waren eigentlich nicht befreundet, eher nur miteinander bekannt. Ich wußte nicht, warum sie um die Zusammenkunft gebeten hatte.
»Nett, daß Sie gekommen sind«, sagte sie.
»Gern geschehen.«
Beverly Henderson war zweiundzwanzig Jahre alt und studierte an einer der größten Universitäten im Stadtbereich New York englische Literatur. Ich war an derselben Universität eingeschrieben, allerdings bereitete ich meine Doktorarbeit in Klassik vor, wobei griechische Historiker meine Spezialität waren. Beverly war ein nicht sehr großes Mädchen mit hübschen Brüsten, schmalen Fußgelenken und reizenden Kurven. Darin paßte sie recht wenig zu den großen formenlosen Frauen, die an ihrer Fakultät den Ton angaben. Allerdings gab sie sich große Mühe, dem allgemeinen Standard zu entsprechen. So hatte sie zwar das strenge Äußere ihrer Lehrer angenommen, ohne allerdings wirklich von ihnen akzeptiert zu werden. Dazu paßte sie zu wenig zu ihnen. Sie hatte sehr dunkles, beinahe schwarzes Haar, das zu einem engen Knoten zusammengebunden war. Ihre Haut zeigte sich hell, ihre Augen dunkelbraun. Ich heiße Jason Marshall. Ich habe braunes Haar und braune Augen, eine helle Haut, bin gut ein Meter achtzig groß und wiege etwa hundertundsiebzig Pfund. Zur Zeit des Treffens war ich fünfundzwanzig Jahre alt.
Ich versuchte zwar, ruhig zu erscheinen, doch schlug mein Herz auf das heftigste. Ahnte sie etwas von den Gefühlen, die in mir erblüht waren, seit ich sie vor einigen Monaten zum erstenmal gesehen hatte? Für mich war sie eine der aufregendsten Frauen, die ich je gesehen hatte. Es fällt schwer, solche Dinge zu erklären. Nicht daß sie ausgesprochen attraktiv war. Vielmehr hatte es wohl eher mit den in ihr schlummernden Kräften zu tun, die ich nicht gänzlich zu ergründen vermochte. Oft schon hatte ich davon geträumt, ihren nackten Körper in den Armen zu halten. Es kostete mich Mühe, mir solche Gedanken aus dem Kopf zu schlagen. Natürlich hatte ich sie mehrfach gebeten, mich ins Theater oder in ein Restaurant zu begleiten, aber sie hatte stets abgelehnt. Doch solche Enttäuschungen bereitete sie anscheinend nicht nur mir. Offenbar gelang es auch keinem anderen, die Gunst der reizenden Miß Henderson zu erringen. Soweit ich es beurteilen konnte, ging sie nur selten aus. Einoder zweimal hatte ich sie in männlicher Begleitung gesehen – Erscheinungen, die wenig aufregend und gänzlich harmlos wirkten. Ihre Ansichten entsprachen vermutlich der erwarteten Norm. Von ihnen hatte sie wenig zu fürchten – außer vielleicht Langeweile. Heute abend aber hatte sie mich überraschend angerufen und vorgeschlagen, sie hier im Restaurant zu treffen. Ohne weitere Erklärung. Sie wolle mit mir reden. Verwirrt hatte ich die U-Bahn genommen und gedachte sie später mit dem Taxi nach Hause zu bringen.
Sie hatte mich allein sprechen wollen. Ich legte die Hand auf die ihre.
»Nicht«, sagte sie. »Ich mag das nicht. Versuchen Sie mir nicht männlich zu kommen. Ich mag die Männer nicht. Und ich gefalle mir nicht einmal selbst.«
»Dann verstehe ich nicht, was dieses Gespräch soll.« Ich machte Anstalten aufzustehen.
»Nein«, sagte sie. »Gehen Sie nicht. Ich muß dringend mit Ihnen sprechen, Jason.«
Ich setzte mich. Wir kannten uns kaum, dennoch war ich irgendwie besänftigt. Und neugierig. Sie war hübsch.
»Warum wollen Sie mich sprechen?« fragte ich. »Bisher haben Sie mich doch kaum gegrüßt.«
»Es gibt Gründe.«
»Sie haben nicht einmal mit mir gesprochen.«
»Ich hatte Angst vor Ihnen, Jason.«
»Inwiefern?«
»Sie haben so etwas an sich«, gab sie zurück. »Ich weiß eigentlich nicht, was es ist. Eine Art Ausstrahlung, eine Männlichkeit.« Sie hob hastig den Blick. »Verstehen Sie das richtig, ich finde so etwas abstoßend.«
»Schon gut.«
»Aber ich fühle mich weiblich dabei, irgendwie schwach. Ich möchte aber nicht weiblich sein, nicht schwach.«
»Tut mir leid, wenn ich vielleicht etwas gesagt oder getan habe, das Sie beunruhigt.«
»Das war es nicht. Es ging eher um etwas, das nur zu ahnen war. Daß Sie nämlich anders sind als die anderen.«
»Inwiefern?«
»Na, eben ein Mann.«
»Das ist doch Unsinn!« erwiderte ich. »Sie müssen Hunderte von Männern kennen.«
»Keine wie Sie.«
»Wovor hatten Sie Angst?« wollte ich wissen. »Daß ich Ihnen befehlen würde, in die Küche zu gehen und zu kochen?«
»Nein«, erwiderte sie lächelnd.
»Oder daß ich Sie ins Schlafzimmer schicken würde, sich auszuziehen?«
»Bitte, Jason«, sagte sie und senkte errötend den Blick.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. Innerlich aber mußte ich lächeln. Es war sicher recht angenehm, der niedlichen Miß Henderson zu befehlen, das Schlafzimmer meiner kleinen Studentenwohnung zu betreten und sich dort ihrer Kleidung zu entledigen.
»Es gibt verschiedene Gründe, warum ich mit Ihnen sprechen wollte«, sagte sie.
»Ich höre.«
»Sie müssen wissen, ich mag Sie nicht.«
»Na schön.«
»Und wir Frauen haben vor Männern Ihres Schlages keine Angst mehr.«
»Gut.«
Aber sie sprach nicht weiter, sondern senkte den Kopf.
Heute abend trug sie Sachen, die ich an ihr noch nie gesehen hatte. Normalerweise hielt sie sich an die Uniform, die in ihren intellektuellen Studentenkreisen stillschweigend vorgeschrieben war – Hosen verschiedener Art, Blusen und Jacken, manchmal sogar Krawatten. Solche Imitation männlicher Kleidung wird interessanterweise oft gerade von solchen Individuen getragen, die am lautesten darauf bestehen, daß sie Frauen sind. Natürlich ist es möglich, daß diese Personen die am allerwenigsten weiblichen sind. Aber solche Erörterungen überläßt man am besten den Psychologen.
»Sie sehen heute abend sehr hübsch aus«, bemerkte ich.
Beverly trug ein schulterfreies weißes Satinkleid und dazu eine kleine silberbestickte Handtasche. Handgelenke und Hals lagen frei. Sie hatte hübsch geformte Arme und zarte, schmale Hände. An den Füßen trug sie goldene Pumps mit schmalen goldenen Riemchen.
»Vielen Dank«, bemerkte sie.
Ich musterte sie. Sie hatte aufregende Schultern. Ihre Brüste waren bestimmt sehr weiß.
»Das ist an Ihrer Fakultät aber bestimmt nicht der übliche Aufzug«, fuhr ich fort.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, erwiderte sie niedergeschlagen und schüttelte den Kopf. »Ich mußte mit jemandem sprechen.«
»Warum aber mit mir?«
»Dafür gibt es Gründe. Zum Beispiel sind Sie anders als die anderen. Was die anderen sagen und denken, weiß ich. Ich aber brauche jemanden, der in seinem Denken auf eigenen Beinen steht, der objektiv sein kann. In unserem kurzen Gespräch ist mir bereits klar geworden, daß Sie nicht in Worten denken, sondern in greifbaren, realitätsbezogenen Begriffen.«
»Es gibt viele tausend Menschen, die in realistischen Kategorien denken – fest verwurzelt mit der Welt, ihrer Natur und ihren Versprechungen«, sagte ich. »Sie verabscheuen Schlagworte und Sprüche jeder Art. Und wer die Welt beherrscht, kann gar nicht anders denken. Er mag zwar leere Worte verwenden, um die Massen zu lenken, doch innerlich kann er sich nicht dermaßen einengen lassen, sonst wäre er gar nicht erst in seine Machtposition aufgestiegen.«
»Ich bin den Umgang mit Menschen gewöhnt, die nur in Schlagworten denken«, sagte sie.
»Die akademische Welt ist oft Refugium und Tummelplatz für Leute, die nicht anders können. In den Kreisen gelten nicht dieselben Erfolgs- und Versagenskriterien wie beim praktischen Denken. Macht der Flugzeugkonstrukteur einen Fehler, stürzt die Maschine ab. Veröffentlicht der Historiker aber ein dummes Buch, wird er womöglich in den Himmel gehoben.«
Sie senkte den Blick. »Wir wollen bestellen«, sagte sie.
»Ich dachte, Sie wollten mit mir sprechen.«
»Bestellen wir!«
»Na schön. Etwas zu trinken vorweg?«
»Ja.«
Wir bestellten Getränke und später das Essen. Der Ober war aufmerksam, aber nicht aufdringlich. Wir tranken und aßen stumm. Zum Schluß wurde Kaffee aufgetragen.
»Jason«, brach sie schließlich das Schweigen. »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nicht weiß, was mit mir ist. Und das stimmt wirklich. Und ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.«
Ich trank meinen Kaffee. Es hatte sicher keinen Sinn, sie zur Eile anzutreiben. Ich war neugierig.
»Vor einigen Monaten fing es an«, sagte sie und warf mir einen schnellen Blick zu. »Mich überkamen ungewöhnliche Gefühle und Sehnsüchte.«
»Welcher Art?«
»Na, es waren Gefühle, die früher als feminin galten, als die Menschen noch an das Weibliche glaubten.«
»Das tun die meisten auch heute noch«, gab ich zurück. »Ihre offizielle Einordnung, welchen politischen Wert sie auch haben mag, ist eine Perversion, nicht nur der Realität, sondern auch der Biologie.«
»Glauben Sie das wirklich?«
»Und ob«, erwiderte ich. »Ich an Ihrer Stelle würde mir aber keine großen Sorgen machen über die Dinge, die die Leute für wahr halten, sondern mehr über das, was wirklich die Wahrheit darstellt. Wenn Sie tiefverwurzelte weibliche Begierden haben, dann haben Sie sie eben. So einfach ist das. Sollen sich doch die, die so etwas nie selbst erfahren haben, darüber streiten, ob es so etwas wie eine Weiblichkeit überhaupt gibt. Und jene, die die Frage eindeutig beantworten können, weil sie sie nämlich an sich erfahren haben, sollten sich lieber anderen Problemen zuwenden.«
»Aber ich habe Angst vor meiner Weiblichkeit«, wandte sie ein. »Ich erlebe schlimme Träume.«
»Was für Träume?«
»Ich traue mich kaum, sie einem Mann zu offenbaren, so schrecklich sind sie.«
Ich schwieg, denn ich wollte sie nicht unter Druck setzen.
»Ich habe oft geträumt, ich wäre Sklavin und müßte einen metallenen Kragen tragen, ich müßte einem Manne dienen.«
»Ich verstehe«, sagte ich. Meine Hände umklammerten die Tischkanten. Einen Augenblick lang sah ich alles nur verschwommen. Ich hatte nicht geahnt, daß man eine so plötzliche Lust empfinden konnte, eine solche erstaunliche, verrücktmachende Begierde nach einer Frau. Ich wagte nicht mich zu bewegen.
»Ich besuchte einen Psychiater«, fuhr sie fort, »aber der reagierte als Mann. Er sagte mir, solche Gedanken wären ganz normal und natürlich.«
»Aha.«
»Daraufhin wandte ich mich an eine Psychologin – und die reagierte sogar zornig. Sie nannte mich eine lüsterne Hexe.«
»Das war ja psychologisch nun wirklich nicht geboten«, sagte ich lächelnd. »Aber anscheinend berührte ihre Geschichte eine empfindliche Stelle in ihr. Oder sie fühlte sich irgendwie bedroht – von etwas, das mit gewissen theoretischen Standpunkten wohl nicht vereinbar war.« Ich musterte mein Gegenüber. »Es gibt auf diesen Gebieten eine große Bandbreite von Auffassungen, besonders in der Psychologie. Wenn man sich gründlich umsieht, findet man bestimmt jemanden, der einem genau das sagt, was man hören will.«
»Aber ich möchte die Wahrheit wissen«, sagte sie. »Egal wie sie aussieht.«
»Vielleicht ist die Wahrheit gerade das letzte, was Sie hören wollen.«
»Wie das?«
»Nun ja, nehmen wir einmal an, die Wahrheit liefe darauf hinaus, daß Sie tief im Innern wirklich eine Sklavin wären.«
»Nein!« rief sie und senkte verlegen die Stimme. »Sie sind abscheulich!«
»Daß Sie tief im Innern Sklavensehnsüchte haben, käme wohl gar nicht in Frage?«
»Natürlich nicht.«
»Es paßt politisch nicht ins Bild.«
»Ja!« sagte sie. »Aber abgesehen davon kann es nicht stimmen. Es darf nicht stimmen! Ich darf nicht einmal an die Möglichkeit denken!«
»Aber Sie sind sehr schön und sehr weiblich.«
»Ich glaube nicht einmal an die Weiblichkeit«, sagte sie.
»Haben Sie das schon den Hormonen gesagt, die in Ihrem wunderhübschen kleinen Körper so überreichlich vorhanden sind?«
»Ich weiß, daß ich feminin wirke«, sagte sie abrupt. »Ich kann nicht über meinen Schatten springen. Das müssen Sie mir glauben. Ich weiß, es ist falsch und abscheulich, aber ich kann nicht anders. Ich schäme mich ja so. Ich möchte eine richtige Frau sein, aber ich bin zu schwach, zu feminin.«
»Es ist nicht falsch, man selbst zu sein.«
»Außerdem habe ich Angst«, fuhr sie fort. »Letzten Sommer habe ich sogar auf eine Rundfahrt durch die Karibik verzichtet.«
»Sie hatten Angst vor dem berüchtigten BermudaDreieck?«
»Ja«, gab sie zu. »Ich wollte nicht verschwinden. Ich wollte nicht entführt und auf einem anderen Planeten versklavt werden.«
»Jedes Jahr durchqueren viele tausend Flugzeuge und Schiffe unbehindert das Bermuda-Dreieck.«
»Ich weiß.«
»Sie sehen also selbst, wie dumm Ihr Einwand ist.«
»Ja«, räumte sie ein. »Haben Sie schon einmal von dem Planeten Gor gehört?«
»Ja«, sagte ich. »Eine ziemlich gut bekannte Romanwelt.« Plötzlich mußte ich lachen. »Soweit ich weiß, haben das Bermuda-Dreieck und Gor nicht das geringste miteinander zu tun.« Ich lächelte sie an. »Wenn die goreanischen Sklavenhändler es auf Sie abgesehen haben, meine Liebe, dann warten sie bestimmt nicht ab, bis Sie eine Reise in die Karibik antreten.«
»Ihre Worte sind ausgesprochen tröstlich, Jason«, sagte sie dankbar.
»Außerdem – sollten wirklich die Sklavenhändler über Sie herfallen, würden Sie bestimmt irgendwann einen Herrn finden, der Sie freundlich behandelt.«
»Die Goreaner behandeln ihre Sklaven sehr streng«, bemerkte sie erschaudernd.
»Das habe ich auch schon gehört.«
»Ich habe Angst. Glauben Sie, daß es Gor gibt?«
»Natürlich nicht«, gab ich zurück. »Es ist eine interessante Fiktion. Niemand glaubt, daß es diese Welt wirklich gibt.«
»Ich habe mich ein wenig damit beschäftigt«, sagte sie. »Es gibt einfach zu viele unerklärte Dinge. Mir scheint da eine Art Plan sichtbar zu werden. Wäre es nicht denkbar, daß die Gor-Romane auf eine Weise dazu bestimmt sind, die Erde und ihre Völker auf die Enthüllung vorzubereiten, daß es wahrhaft eine Gegen-Erde gibt, sollte es eines Tages angebracht sein, die Existenz zu offenbaren?«
»Reden Sie keinen Unsinn!«
»Es gibt aber so viele Einzelheiten«, fuhr sie fort. »Kleinigkeiten, die einem Romanautor nicht einfallen würden, sinnlose Dinge wie die Konstruktion eines Sattels und die Art und Weise, wie Münzen geprägt werden.«
»Ach, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Gor ist eine erfundene Welt.«
»Ich glaube nicht, daß John Norman der Autor der Gor-Bücher ist«, fuhr sie fort.
»Warum nicht?«
»Ich habe ihn kennengelernt, und mir scheint, daß seine Art zu sprechen und zu schreiben so gar nicht zu den Büchern paßt.«
»Er hat sich stets nur als Herausgeber der Bücher bezeichnet. Soweit ich weiß, handelt es sich dabei um die Arbeiten anderer, in der Regel eines Mannes namens Tarl Cabot.«
»Es gab da einmal einen Cabot, der verschwunden ist.«
»Norman erhält die Manuskripte von einem gewissen Harrison Smith, nicht wahr? Vermutlich dem eigentlichen Autor.«
»Harrison Smith ist nicht der richtige Name«, widersprach sie. »Auch hier handelt es sich nur um ein Pseudonym, das den Freund schützen soll. Aber ich habe mit diesem ›Harrison Smith‹ gesprochen. Er erhält die Manuskripte, scheint über ihre Herkunft aber nicht mehr zu wissen als alle anderen.«
»Ich finde, Sie nehmen die Sache zu ernst«, meinte ich.
»Kann ich Ihnen erzählen, was mir widerfahren ist, Jason?« fragte sie.
Plötzlich war mir unwohl zumute. »Aber ja doch«, sagte ich lächelnd. »Haben Sie etwa einen goreanischen Sklavenhäscher gesehen?«
»Möglich.«
Ich musterte sie.
»Ich wußte ja gleich, daß Sie mich für verrückt halten würden!«
»Erzählen Sie«, forderte ich.
»Vielleicht war es dumm von mir, aber ich machte kein Geheimnis aus meinen Nachforschungen in dieser Angelegenheit«, begann sie. »Auf die eine oder andere Weise müssen Dutzende von Leuten von meinem Interesse erfahren haben. Damit erklärt sich auch der Anruf, den ich erhielt«, sagte sie. »Es war eine Männerstimme. Sie forderte mich auf, eine bestimmte Anschrift aufzusuchen, wenn ich mich für goreanische Dinge interessiere. Ich habe die Anschrift hier.« Sie öffnete die Tasche und zeigte mir eine Adresse an der 55. Straße Ost.
»Haben Sie die Anschrift aufgesucht?« fragte ich.
»Ja.«
»Das war dumm von Ihnen. Was geschah?«
»Ich klopfte an die Wohnungstür.«
»Die Wohnung lag im fünften Stock«, bemerkte ich nach einem Blick auf die Nummer.
»Ja«, bestätigte sie. »Man hieß mich eintreten. Es war eine hübsch eingerichtete Wohnung. Auf einem Sofa hinter einem Couchtisch saß ein großer Mann. ›Treten Sie ein‹, sagte er. ›Seien Sie unbesorgt. Sie sind im Augenblick nicht in Gefahr.‹«
»›Im Augenblick?‹« fragte ich.
»Genau so hat er sich ausgedrückt.«
»Hatten Sie Angst?«
»Ja.«
»Was geschah dann?«
»Er sagte: ›Treten Sie näher. Stellen Sie sich hier vor den Tisch.‹ Ich gehorchte. ›Du bist wirklich hübsch‹, fuhr er fort. ›Vielleicht kann man etwas mit dir anfangen.‹«
»Was meinte er damit?« wollte ich wissen.
»Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Ich wollte ihm meinen Namen sagen, aber er hob die Hand und sagte, er wisse, wie ich heiße. Verängstigt musterte ich ihn. Auf dem Couchtisch standen eine Weinkaraffe und ein schwerer, verzierter Metallkelch, wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Irgendwie primitiv und barbarisch. ›Ich glaube zu wissen‹, sagte ich, ›daß Sie mir Informationen über Gor geben können.‹ ›Knie nieder, meine Liebe‹, erwiderte er.«
»Und was taten Sie?« fragte ich.
»Ich kniete nieder«, entgegnete sie und errötete. Plötzlich beneidete ich den Mann auf das heftigste um seine Macht über die wunderschöne Miß Henderson.
»Dann fuhr er fort: ›Gieß Wein in den Kelch, genau bis zum zweiten Ring.‹ An der Außenseite befanden sich fünf Ringe. Ich goß den Wein ein und stellte den Kelch auf den Tisch.«
»Warum taten Sie das alles?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte sie zornig. »Nie zuvor war mir ein Mann wie er begegnet. Eine besondere Stärke schien von ihm auszugehen, wie ich sie zuvor bei keinem anderen gespürt hatte. Es ist schwer zu erklären. Ich hatte aber das Gefühl, daß ich ihm gehorchen müßte, daß daran kein Weg vorbeiführte.«
»Interessant«, bemerkte ich.
»Als er ausgetrunken hatte«, berichtete sie weiter, »stellte er den Kelch auf den Tisch und sagte: ›Dir fehlt es noch an Ausbildung, aber du bist hübsch und kannst vielleicht noch lernen. Du darfst aufstehen und gehen.‹«
»Und?«
»Na, ich gehorchte wieder. Dann sagte ich: ›Ich bin Beverly Henderson.‹ Vermutlich wollte ich damit meine Identität bestätigen. ›Dein Name ist mir bekannt‹, sagte er. ›Gefällt dir dein Name?‹ ›Ja‹, antwortete ich. ›Dann erfreue dich des Namens, solange du noch kannst‹, sagte er. ›Vielleicht besitzt du ihn nicht mehr lange.‹«
»Wie war denn das gemeint?« fragte ich.
»Keine Ahnung. Ich stellte ihm diese Frage. Aber er wiederholte nur, daß ich gehen könne. ›Was können Sie mir von Gor erzählen?‹ fragte ich zornig. ›In den letzten Minuten hast du doch bestimmt schon einiges über Gor gelernt‹, antwortete er. ›Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen‹, erwiderte ich. ›Schade, daß du so dumm bist, sonst könnte man mit dir einen höheren Preis erzielen.‹ ›Preis!‹ rief ich. ›Ja, Preis‹, erwiderte er lächelnd. ›Du weißt doch sicher, daß es Männer gibt, die für deine Schönheit bezahlen werden.‹«
»Und weiter?«
»Ich war sehr aufgebracht«, fuhr Beverly fort. »›Noch nie bin ich so beleidigt worden!‹ rief ich. ›Ich hasse Sie!‹ Aber er lächelte nur. ›Bei einer freien Frau spielt es keine Rolle, wenn sie sich widerborstig und starrsinnig anstellt‹, sagte er. ›Genieße das, solange es noch geht. Später wird es dir nicht mehr gestattet sein.‹ Er grinste mich an. ›Bei richtigem Training und entsprechender Ernährung und Bewegung wirst du ein lohnendes Objekt sein. Du kannst jetzt gehen.‹ Weinend eilte ich davon.«
»Und wann geschah das alles?«
»Vorgestern. Was mag das wohl bedeuten?«
»Ich halte es für einen schlimmen Scherz.«
»Aber warum sollte sich jemand solche Mühe damit machen? Glauben Sie, ich habe etwas zu fürchten?« wollte sie wissen.
»Nein, bestimmt nicht.« Dann hob ich die Hand, um den Ober herbeizurufen.
»Ich übernehme die Hälfte«, sagte sie.
»Ich erledige das schon«, widersprach ich.
»Nein!« brauste sie auf. »Ich will in nichts von einem Mann abhängig sein!«
»Na schön«, sagte ich. Miß Henderson würde sich auf Gor, wenn es diese Welt wirklich gab, sehr schnell umstellen müssen.
»Um eins kommt man bei allem Diskutieren nicht herum: Sie sind eine sehr reizvolle, aufregende junge Frau.«
»Sie sind schrecklich!« erwiderte sie und senkte lächelnd den Blick.
»Ich kann die Sklavenhändler Gors verstehen, wenn sie sich für Sie interessieren.«
»Was für ein Ungeheuer Sie sind!« lachte sie.
Es freute mich zu sehen, daß ich sie wenigstens in dieser Beziehung von ihren Sorgen abgebracht hatte.
»Und Ihre Aufmachung heute abend«, fuhr ich fort, »ist wie Sie selbst entzückend weiblich, ob es Ihnen gefällt oder nicht.«
Sie blickte an sich herab und streifte unbewußt das Kleid glatt. Es war eine sehr natürliche Geste. Ich fand mein Gegenüber sehr aufregend. Unwillkürlich fragte ich mich, ob es so etwas wie natürliche Sklaven gab. Wenn ja, dann gehörte die liebliche Miß Henderson bestimmt in diese Kategorie.
»Bisher habe ich Sie nie in wirklich weiblicher Kleidung gesehen«, fuhr ich fort. »Wie kam es zu diesem plötzlichen Sinneswandel? Hat es mit dem Erlebnis in jener Wohnung zu tun?«
»Ja«, antwortete sie nickend. »Es ist seltsam. Ich war mir noch nie so feminin vorgekommen wie in dem Augenblick, als er mich ganz selbstverständlich zu seiner Dienerin machte.«
»In dem Augenblick wurde Ihre Weiblichkeit geboren?« fragte ich.
»Ja«, sagte sie. »Es ist seltsam. Ich habe keine Erklärung dafür.«
»Sie wurden unter die männliche Vorherrschaft gestellt«, sagte ich. »Wahrscheinlich geschah es zum erstenmal in Ihrem Leben, daß Sie sich in einer ganz natürlichen biologischen Beziehung sahen.«
»Diese Analyse kann ich nicht anerkennen«, sagte sie.
»Außerdem waren Sie sexuell erregt.«
»Woher wollen Sie das wissen?« fragte sie. »Ich habe nichts davon gesagt.«
»Das brauchten Sie auch nicht. Ihr Gesicht, ihre Stimmlage, die Art und Weise, wie Sie den Vorfall schilderten, verriet mir alles.«
»Ich hasse Sie!« rief sie.
Kurze Zeit später standen wir vor dem Lokal auf dem Bürgersteig und warteten auf ein Taxi. Ich beobachtete sie und stellte mir vor, wie sie als Sklavin aussehen mochte, im Sklavenkragen auf den Fliesen eines Palastes. Wie seltsam erschien es mir in diesem Augenblick, daß die Gesellschaft solchen entzückenden, begehrenswerten Geschöpfen jemals die Freiheit gegeben hatte. Ihr Platz war zu den Füßen eines Mannes.
Beverly spürte meinen Blick, sah mich aber nicht offen an. Vielmehr warf sie den Kopf in den Nacken. Es war eine hübsche Geste, die Bewegung eines Mädchens, das sich dem Blick des Mannes ausgesetzt weiß, die Geste einer Sklavin.
»Woran denken Sie?« fragte sie schließlich.
»Ich habe mir eben vorgestellt, wie Sie sich auf einem Sklavenblock machen würden.«
»Wie können Sie es wagen, so etwas zu sagen!« rief sie.
»Wäre Ihnen eine unehrliche Antwort lieber gewesen?«
»Sie sind der schlimmste Mensch, den ich kenne!«
»Tut mir leid.«
Zornig trat sie an den Bordstein. »Kein Taxi!« sagte sie.
»Nein.«
Sie fuhr zu mir herum. »War ich hübsch?« fragte sie.
»Wann?«
»Na, in Ihrer Phantasie.«
»Sensationell!«
Sie lächelte. »Wie war ich gekleidet?«
»Sie wurden nackt zum Verkauf gestellt, wie alle Frauen.«
»Oh«, hauchte sie. »Und ich war schön?«
»Sehr aufregend und schön«, bestätigte ich ihr.
Sie errötete und lächelte. »Jason, hätten Sie mich gekauft?«
»Was gab es denn noch zu kaufen?« fragte ich lächelnd.
In einem Aufwallen des Zorns schlug sie mich ins Gesicht. »Ungeheuer!« fauchte sie und wandte sich zornig ab. »Ich bin keine Sklavin!« rief sie. »Ich bin keine Sklavin!«
In diesem Augenblick gingen die Scheinwerfer eines Wagens an. Er parkte etwa eine Querstraße entfernt am Straßenrand.
»He!« rief ich und hob den Arm, denn im Näherkommen sah ich, daß es sich um ein Taxi handelte.
Der Wagen hielt am Straßenrand.
»Ich begleite Sie nach Hause.«
»Nicht nötig«, antwortete sie. Sie war zornig, verängstigt, beunruhigt.
Der Fahrer kam um den Wagen herum und öffnete die rechte hintere Tür.
»Ich war grob zu Ihnen«, sagte ich. »Das tut mir wirklich leid. Ich wollte Sie nicht aufregen.«
Sie würdigte den Fahrer keines Blicks. »Ich gehöre nicht zu den Frauen, um die Sie herumschwänzeln müssen«, sagte sie. »Ich bin eine echte Frau.«
Wütend stieg sie in den Wagen. Dabei erhaschte ich einen aufregenden Blick auf ihre zarten Knöchel.
»Bitte geben Sie mir Gelegenheit, mich zu entschuldigen«, flehte ich und war nun meinerseits bekümmert. Der Gedanke, daß ich sie vielleicht nicht wiedersehen würde, gefiel mir nicht. Seit Monaten hatte ich sie aus der Ferne bewundert und begehrt. Heute abend nun hatten wir uns näher kennengelernt und ausführlich miteinander gesprochen. »Ich möchte mich entschuldigen«, sagte ich. »Ich habe mich gedankenlos und grob geäußert.«
»Sparen Sie sich die Mühe.«
»Bitte, bitte!« flehte ich.
»Nicht nötig.« Ihr Ton war eisig.
Ich fühlte mich elend. Sie war eine intelligente Frau. Wie sehr mußte meine törichte Frechheit sie beleidigt haben! Wie schockiert mußte sie sein von meiner Zurschaustellung großsprecherischer Männlichkeit. Kannte ich denn keine Rücksicht auf ihre Gefühle? Lag mir nicht an ihrem Verstand? Wie aufdringlich und ermüdend mußte sie meine unangebrachten und unorthodoxen Ansichten gefunden haben! Ich wünschte mir die Chance, sie zu ändern, ihr Freude zu machen. Hoffentlich hatte ich nicht alles zunichte gemacht, das sich zwischen uns entwickeln mochte. War ich nicht stark genug, um auch rücksichtsvoll, liebevoll, sanft, zärtlich und feminin zu sein? Ich konnte nur hoffen, daß sie mich noch mochte, daß sie mir noch Gelegenheit geben würde, ihr zu gefallen. Und plötzlich ging mir mit ungeahnter Heftigkeit auf – vermutlich weil ich bisher noch keine so aufregende Frau gefunden hatte –, daß in unserer Gesellschaft der Mann einer Frau zu Gefallen sein muß, daß er, um in Kontakt mit ihr zu treten, zu sein und zu tun hat, was die Frau sich wünscht, weil sie sonst unnahbar bleibt. Die Frauen der heutigen Zeit waren eine völlig neue Spezies und unterschieden sich auf magische Weise von den Frauen der Vergangenheit, so frei und unabhängig waren sie. Sie diktierten die Bedingungen, und der Mann mußte darauf eingehen, wenn er sich der Frau nähern wollte. Aber war das nicht recht so? Gewiß hatten doch die Frauen das Recht zu fordern, daß die Männer ihre Wünsche erfüllten. Anderenfalls brauchten sie sich nicht mit ihnen einzulassen. In unserer Gesellschaft waren es die Frauen, die den Ton angaben, und die Männer, die nach der Pfeife tanzten. Wenn die Frauen sich aus irgendeinem Grund wünschten, daß wir wie Freunde waren, dann mußten wir uns eben große Mühe geben, so aufzutreten. Die Entscheidung fiel durch sie, indem sie ihre Gunst gewährten – oder eben nicht.
»Bitte!« flehte ich.
»Sie sind verachtenswert«, gab sie zurück.
Der Fahrer trat vor, um die Tür zu schließen. »Moment noch«, sagte ich zu ihm und hielt die Tür offen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß er mich nicht in seinem Taxi haben wollte. Er fragte nicht, ob ich einsteigen und die Dame begleiten wolle. Am liebsten wäre er wohl losgefahren und hätte mich allein zurückgelassen. Ich verstand das nicht, beschäftigte mich aber nicht weiter mit der Beobachtung.
»Bitte, Miß Henderson«, sagte ich. »Ich weiß, daß ich Sie gekränkt habe. Und das tut mir ehrlich leid.« Meine Gedanken überschlugen sich. »Aber es ist schon spät, und vielleicht finde ich kein anderes Taxi. Wenn Sie schon nicht zulassen wollen, daß ich Sie nach Hause bringe, dann möchte ich wenigstens den Wagen mit Ihnen teilen, damit ich mit dem Nachhausekommen keine Probleme habe.«
Der Fahrer reagierte gereizt. Ich verstand das nicht. Es mußte doch in seinem Interesse sein, einen zusätzlichen Fahrgast zu haben.
»Na schön«, sagte sie und blickte starr geradeaus. »Steigen Sie ein.«
Ich kam der Aufforderung nach. Der Fahrer schloß die Tür, und es kam mir vor, als wäre er wütend auf mich.
Miß Henderson und ich saßen nebeneinander im Taxi und wechselten kein Wort.
Der Fahrer ging um den Wagen herum. Gleich darauf war er hinter das Steuer geglitten.
Wir nannten ihm die Adressen. Miß Henderson wohnte näher am Restaurant als ich. Obwohl er nach vorn schaute, wußte ich, daß der Fahrer zornig war, als ich ihm meine Anschrift nannte. Seine Reaktion gab mir Rätsel auf. Was machte es für einen Unterschied, welcher Fahrgast als erster ausstieg? Ein mürrischer Bursche. Ziemlich großgewachsen.
»Tut mir leid, Miß Henderson«, sagte ich.
»Schon gut«, erwiderte sie, ohne mich anzusehen.
In den Lehnen der Vordersitze gab es lange Schlitze. Oben am Taxidach zeigte sich interessanterweise ein ähnlicher Schlitz. Etwa einen Zoll breit.
Das Taxi fuhr los und fädelte sich in den Verkehr auf der 128. Straße ein.
»Ich bin eine Frau«, sagte Miß Henderson betont. »Ich bin frei und unabhängig.«
»Ob ich Sie wohl eines Tages wiedersehen darf?« fragte ich.
»Nein«, erwiderte sie und musterte mich aufgebracht. »Ich finde Sie verabscheuungswürdig!«
Ich ließ den Kopf hängen. Mein primitives, rücksichtsloses Benehmen, meine törichten Ansichten hatten eine gute Beziehung unmöglich gemacht. Ich war niedergeschlagen. Ich gefiel ihr nicht.
»Ich werde mich in nichts von einem Mann abhängig machen, niemals«, sagte sie.
»Ja, Miß Henderson«, erwiderte ich mit gesenktem Kopf.
»Fahrer!« rief sie plötzlich. »Sie fahren falsch!«
»Tut mir leid«, sagte er.
Gleichzeitig griff er unter das Armaturenbrett und bewegte zwei Hebel. In der Tür neben mir knackte etwas. Als der zweite Hebel einrastete, wiederholte sich das Geräusch in der Tür auf Miß Hendersons Seite.
Der Fahrer bog nicht erneut ab, sondern behielt die Richtung bei.
»Fahrer!« sagte Miß Henderson. »Sie nehmen den falschen Weg!«
Er schien nichts zu hören.
»Biegen Sie hier ab!« forderte sie an der nächsten Kreuzung. Aber er fuhr geradeaus weiter.
»Hören Sie nicht?« rief sie und beugte sich vor.
»Halt den Mund, Sklavin!« sagte er.
»Sklavin!« rief sie aus.
Verblüfft beobachtete ich, wie er einen Hebel bewegte, der sich neben ihm befinden mußte. Eine dicke Glasscheibe stieg aus der Lehne des Vordersitzes empor und versenkte sich in dem Dachschlitz. Gleichzeitig vernahm ich ein zweimaliges Zischen, das ebenfalls aus der vor uns liegenden Lehne kam. Ich begann zu husten. Unter Druck entwich ein Gas in den hinteren Teil des Taxis.
»Anhalten!« forderte ich hustend und schlug mit der flachen Hand gegen die Glasbarriere. Es gab kaum ein Geräusch, denn das Glas war dick. Ich glaube nicht, daß der Fahrer meine Stimme hören konnte.
»Was geht hier vor?« rief das Mädchen.
Der Wagen fuhr schneller. Plötzlich fiel mir auf, daß es keine Hebel gab, mit denen man die Fensterscheiben herunterkurbeln konnte!
»Anhalten!« schrie ich würgend.
»Ich kann nicht atmen!« rief das Mädchen. »Ich kann nicht atmen!«
Ich hämmerte auf die Türgriffe neben mir, die sich aber nicht bewegten. Ich versuchte, nicht zu atmen. Die Augen taten mir weh. Ich warf mich zur anderen Seite des Wagens hinüber, quer über das Mädchen, und versuchte den anderen Türgriff zu bewegen – umsonst. Nun begriff ich, was es mit dem metallischen Klicken auf sich hatte, das ich zuvor in den Türen gehört hatte. Eine Verriegelung war eingerastet.
Ich kehrte auf meine Seite des Wagens zurück, wo ich mit mehr Kraft den Türgriff bearbeiten konnte.
Das Mädchen weinte und hustete.
Ich bin stark, vermochte den Stahl aber nicht zu bewegen. Daraufhin hämmerte ich wieder gegen die dicke Glasplatte, diesmal aber mit der geballten Faust. Es tat sich nichts.
»Anhalten, Fahrer!« rief das Mädchen.
Meine Lungen schmerzten zum Platzen. Ich riß mir Mantel und Jacke herunter und preßte den Stoff gegen eine der etwa zehn Zentimeter durchmessenden Öffnungen in den Sitzlehnen vor uns. Durch diese Öffnung drang das Gas herein. Vor der Öffnung saß ein Stahlgitter und verhinderte, daß ich einen Pfropfen in die Öffnung stopfen konnte. Das Betäubungsmittel sickerte durch den Stoff und strömte auch erbarmungslos durch die zweite Öffnung in das Wageninnere.
Ich versuchte das Stahlgitter von der Gasöffnung zu reißen. Aber ich fand keinen Ansatzpunkt.
Das Mädchen beugte sich vor und preßte Hände und Gesicht gegen die dicke Glasscheibe. »Bitte, bitte!« schluchzte sie. »Halten Sie an! Ich bezahle Sie!« Sie kratzte am Glas herum.
Ich hämmerte auf meiner Seite gegen die Türscheibe. Aber sie war ebenfalls sehr dick; die Tür, die äußerlich ganz normal ausgesehen hatte, mußte eine Spezialkonstruktion sein.
Plötzlich konnte ich nicht länger; krampfhaft ließ meine Lunge die Luft aus. In dem Maße, wie ich neu Luft einatmete, nahm das Gefühl der Übelkeit und des Erstickens zu. Wie immer die Moleküle des Gases auch aussehen mochten, bald würden sie sich in großer Zahl in meinem Blute tummeln. Ich schüttelte den Kopf. Meine Augen tränten.
Hustend fiel das Mädchen zurück. Sie zog die Beine an und blickte mich bedrückt an. »Was will man von mir, Jason?« fragte sie. »Was will man mir antun?«
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht.« Die einzige Lösung, die mir einfallen wollte, war so schrecklich und phantastisch, daß ich es nicht über mich brachte, dem entsetzten Mädchen davon zu erzählen. Ich musterte sie, wie sie erschreckt auf dem Rücksitz hockte, die Füße unter sich geschlagen. Sie war eine attraktive junge Frau, die das Begehren der Männer erwecken konnte. Ich schlug mir den Gedanken aus dem Kopf. Nein, das konnte nicht sein! Man wollte sie bestimmt nicht deswegen haben! Aber welchem Manne würde es anders ergehen? Nein, redete ich mir ein, nein! Unmöglich!
»Jason!« flehte sie, »helfen Sie mir!«
Ich wandte mich ab und versuchte mit den Fingern irgendeinen Halt zu finden, einen Spalt zwischen Glas und Stahl vor mir und seitlich vor mir, irgend etwas, das sich ausnutzen ließ. Aber vergeblich.
Beverly Henderson kniete inzwischen auf dem Sitz und hatte sich dem gegenüberliegenden Seitenfenster zugewandt. »Bitte lassen Sie mich aussteigen!« rief sie dem Fahrer verzweifelt zu. »Sie können alles von mir haben, wenn Sie mich freilassen.«
Ich weiß nicht, woher meine nächsten Worte kamen. Aus irgendeinem Grund war ich plötzlich sehr wütend auf sie.
»Halt den Mund, du dumme kleine Sklavin!« fauchte ich.
Sie warf mir einen entsetzten Blick zu.
»Wie kommst du nur darauf, daß du mit den Herrn schachern kannst, die dich besitzen?«
Begriff sie denn nicht, daß sie ihren Häschern gänzlich gehörte?
Warum war ich so wütend auf sie? Warum kamen aus bisher unergründeten Tiefen in mir urplötzlich solch schlimme Worte hervor?
Ich betrachtete sie und erkannte abrupt in höchstem Entzücken ihre Schönheit als die einer Sklavin. In jeder Frau steckt eine Sklavin, in jedem Mann ein Sklavenherr.
Sie senkte den Kopf, denn mein Blick war ihr in diesem Moment unerträglich.
Warum war ich so wütend auf sie? Weil andere sie besaßen – und nicht ich?
Mit gesenktem Kopf kniete sie auf dem Rücksitz. Verflogen war jeder Gedanke an politische Überzeugungen. Verflogen war die Illusion von Freiheit und Unabhängigkeit wie auch von Arroganz und Stolz. Sie war nichts anderes als ein verängstigtes Mädchen und – wie ich befürchtete – wohl auch eine gefangene Sklavin.
Und abrupt verwandelte ich mich wieder in den Mann der Erde, unterwürfig, niedergedrückt, voller Selbstzweifel, von Sorge überkommen. Wie grausam hatte ich sie doch behandelt! Wie sehr hatte ich sie herabgewürdigt. Wußte ich denn nicht, daß sie eine Person war?
»Verzeihen Sie, Miß Henderson!« schluchzte ich. »Ich wußte ja nicht, was ich sagte.«
Sie sank auf dem Sitz zusammen, während ich auf dem Boden des Taxis kniete.
»Es tut mir leid«, sagte ich. Und das stimmte auch. Ich wußte wirklich nicht, warum ich mich so heftig geäußert hatte. In der Aufregung jener Minuten war es tief aus mir hervorgebrochen, grausam, unaufhaltsam, explosiv.
Selbstverständlich war sie keine Sklavin! Doch als ich sie so anschaute, wie sie da bewußtlos vor mir hockte, kam ich nicht um die Feststellung herum, wie aufreizend hübsch ihre kompakten Rundungen waren. Ich konnte nicht anders, ich mußte mir vorstellen, wie sie sich in Seide und Stahl der Sklavin machen würde. Lautlos raste das Taxi dahin. Mir war schon klar, warum es die Männer auf Miß Henderson abgesehen hatten. Sie war eine Zierde für jeden Kragen. Auf mich hatte man es vermutlich nicht abgesehen; hier lag auch der Grund für das Verhalten des Fahrers, der nicht damit gerechnet hatte, daß ich die Fahrt mitmachte. Nicht auf mich kam es den Leuten an, sondern auf die wunderschöne Miß Henderson. Reiner Zufall, daß man mich mitgefangen hatte. Es wurde dunkel ringsum. Ich kämpfte darum, bei Bewußtsein zu bleiben. Ich weiß noch, wie ich ein letztesmal Miß Henderson anschaute, ich erinnere mich, daß ich zuletzt ihre hübsche Fessel betrachtete, die sich in einer Schlinge oder in einem Sklavenring recht hübsch ausmachen würde. Ich fragte mich, was aus mir werden würde. Dann verlor ich das Bewußtsein.