18

»Ich weiß nicht, wie ich dir jemals danken soll, Lady Florence«, sagte Lady Melpomene atemlos.

»Ach, keine Ursache«, erwiderte Lady Florence. »Immerhin haben wir einen gemeinsamen Heimstein und sind schnell wieder Freundinnen geworden.«

»Wie sehr ich unsere früheren Differenzen bedauere!« fuhr Lady Melpomene fort und umfaßte die Hände ihres Gegenübers.

Lady Florence nickte. Ihr Gesicht war deutlich zu sehen hinter dem dünnen Hausschleier, der gut zu einem weniger formellen Abendessen unter Freunden paßte. Lady Melpomene trug einen ähnlichen Schleier. Beide Frauen waren vornehm gewandet.

Ich stand mit Kenneth hinter einem Vorhang. Durch den Vorhangstoff konnten wir verfolgen, was sich im großen Saal des Hauses der Lady Florence aus Vonda abspielte. Es war nicht nur ein großer, sondern auch ein prachtvoll ausgestatteter Saal, mit Mosaiken und kunstvollen Kachelmustern, mit Wandbehängen und schlanken Säulen. In der Mitte war ein Kreis kleiner Tische errichtet, daran saß auf Kissen und Matten eine Handvoll Gäste. Außer der Gastgeberin und ihrem besonderen Hausgast, der Lady Melpomene, waren es vier Männer und zwei Frauen. Schimmernde weiße Decken hüllten die Tische ein, darauf lag goldenes Geschirr. Jedem Gast waren winzige Tospit- und Larma-Scheiben aufgetragen worden, außerdem kleine Gebäckstücke und in einer winzigen goldenen Schale mit einem kleinen Goldlöffel die winzigen schwarzen Eier des weißen Grunt. Der erste Wein, ein leichter Weißwein, wurde von Pamela und Bonnie dargereicht. Beide Sklavinnen sahen in ihren weiten, klassisch-weißen Gewändern prächtig aus. Ihre Arme waren natürlich nackt, wie es bei Sklavinnen üblich ist, ebenso wie die Füße. Schmale Silberkragen zierten ihre Hälse.

»Wenn diese Papiere unterzeichnet sind«, sagte Lady Melpomene und hob lachend einige Dokumente hoch, die vor ihr auf dem Tisch lagen, »werde ich meine Schulden los sein.«

Es gab höflichen Applaus, Fäuste wurden gegen die linke Schulter geschlagen.

»Und all dies verdanke ich meiner lieben Freundin, Lady Florence!«

Wieder gab es Beifall, in den Lady Florence aber nicht einfiel; vielmehr verbeugte sie sich leicht.

»Ich hebe meinen Wein zum Wohl der Lady Florence aus Vonda!« sagte Lady Melpomene.

»Wir heben unseren Wein zum Wohl der Lady Florence aus Vonda«, wiederholten die Gäste.

Daraufhin tranken alle – nur Lady Florence blieb regungslos sitzen und lächelte vor sich hin. Dann blickte sie in die Runde. »Ich danke euch, ihr Bürger Vondas und ihr anderen, meine Freunde. Nun möchte ich meinerseits einen Trinkspruch ausbringen.«

Bis auf Lady Melpomene hoben alle die Becher.

»Ich trinke«, fuhr Lady Florence fort, »auf das Wohl der Lady Melpomene aus Vonda, die schön genug ist, um sogar einen Sklavenkragen tragen zu können!«

Dieser kühne Spruch wurde mit Gelächter beantwortet. Lady Melpomene errötete und senkte lächelnd den Blick. »Bitte, Lady Florence«, sagte sie, »es sind Gäste anwesend, die nicht aus Vonda stammen. Was werden sie denken?« Ihr Blick wanderte zu drei Männern, von denen einer aus Venna und zwei aus Ar kamen.

»Sei unbesorgt, Lady Melpomene«, sagte ein Gast aus Ar und hob den Becher. »Ich bin sicher, der Trinkspruch der Lady Florence ist in jeder Beziehung zutreffend.«

Wieder gab es Gelächter, und alle tranken bis auf Lady Melpomene, die verlegen lächelte.

Pamela und Bonnie machten erneut die Runde und schenkten Wein nach; es war noch der erste Wein. In reichem Hause werden auf Gor zum Abendessen bis zu zehn verschiedene Weine gereicht, die im Geschmack nicht nur zueinander passen müssen, sondern auch zu den jeweiligen Gängen der Mahlzeit.

Durch den Vorhang schaute ich mir die Gäste der Lady Florence ein wenig genauer an. Der Mann aus Venna, der eine weiße, mit Gold abgesetzte Tunika trug, hieß Philebus und war Schuldenaufkäufer, bei den Kaufleuten mehrerer Städte gut bekannt. Es war sein Geschäft, Forderungen mit Abschlag zu erwerben und dann die Papiere zum Nennwert zu kassieren, wenn er konnte. Ein harter Beruf. Was die beiden Männer aus Ar beruflich machten, wußte ich nicht. Tenalion hatte seinen Helfer Ronald mitgebracht. Der vierte Mann hieß Brandon. Er stammte aus Vonda und bekleidete dort das Amt des Präfekten. Gewisse Dokumente wurden nur durch seine Beurkundung gültig. Die beiden Ladies, Leta und Perimene, beide aus Vonda stammend, waren mit den Ladies Florence und Melpomene befreundet. Als freie Bürgerinnen Vondas konnten sie geschäftliche Abmachungen bezeugen.

»Lady Melpomene trägt ein kostbares Gewand«, sagte ich leise zu Kenneth, der neben mir stand.

»Es gehört Lady Florence«, erwiderte er.

»Aha.«

»Selbst das Parfum, das sie trägt, stammt aus dem Besitz unserer Herrin.«

»Ich verstehe.«

Unterdessen hatten fünf Musiker den Raum betreten und nahmen in einer Ecke Platz. Es waren ein Czeharspieler, zwei Flötenspieler, ein Kalikaspieler und ein Mann mit einer Kaska, einer kleinen Handtrommel.

Zwischen den Tischen erstreckte sich ein runder Kreis von etwa zwölf Fuß Durchmesser mit einem Eisenring in der Mitte.

»Was für ein Schauspiel hast du vorbereitet, Lady Florence?« erkundigte sich Lady Melpomene.

»Das soll eine Überraschung sein«, erwiderte die Angesprochene.

»Ich kann es kaum noch erwarten«, sagte Lady Melpomene.

»Du tust ja so geheimnisvoll, Florence!« sagte Lady Leta lachend, als wolle sie die Freundin tadeln. Doch glaubte ich an ihrem Lachen zu erkennen, daß sie wußte, was uns erwartete.

Auf der anderen Seite des freien Mittelbereichs räusperte sich Philebus. »Kommen wir zum Geschäftlichen«, sagte er. »Dann erst können wir uns den Vergnügungen des Abends zuwenden.«

»Ein ausgezeichneter Gedanke!« sagte Lady Florence.

»Ein ausgezeichneter Gedanke!« wiederholte Lady Melpomene.

»Lady Melpomene aus Vonda«, begann Philebus, »vor dir liegen mehrere Papiere, die die Zusammenfassung deiner Schulden betreffen. Diese Papiere tragen die Bestätigung der Bank des Bemus aus Venna und die zweier Bürger jener Stadt als Zeugen. Bestätigst du, daß die Endsummen stimmen und die Schulden die deinen sind?«

»Ja«, sagte Lady Melpomene.

»Infolge der von mir erworbenen Rechte erhebe ich hiermit Anspruch auf diese Forderungen und verlange Zahlung.«

»Und dank meiner Freundin, der Lady Florence aus Vonda«, antwortete Lady Melpomene, »wirst du die Zahlung augenblicklich erhalten. Lady Florence hat sich großzügig bereiterklärt, mir den fälligen Betrag zinslos zu leihen.«

Dies kam mir unglaublich großzügig vor. Kenneth, der mit mir hinter dem Vorhang stand, lächelte.

»Ich unterschreibe hiermit unter Zeugen«, fuhr Lady Melpomene fort, »diese Schuldurkunde, ausgestellt auf Lady Florence aus Vonda, über die volle Summe von eintausendvierhundertundzwanzig Gold-Tarsks.«

»Und ich«, sagte Lady Florence, »unterschreibe hiermit unter Zeugen diese Zahlungsanweisung über denselben Betrag, gezogen auf die Bank des Reginald in Vonda, ordnungsgemäß bestätigt, ausgestellt auf Philebus aus Venna.«

Sie reichte Lady Melpomene die Verfügung. Lady Melpomene überreichte ihr den Schuldschein. Philebus aus Venna begab sich an den Tisch der Lady Melpomene und nahm die Geldanweisung an sich. Er betrachtete sie, erklärte sich zufriedengestellt und verstaute sie in seiner Gürteltasche. Lady Florence brachte den Schuldschein persönlich zum Präfekten, zur Lady Leta und Lady Perimene. Mit Unterschrift und seitens des Präfekten auch durch Stempel wurde der Schuldschein bestätigt und beurkundet.

»Du bist jetzt meine einzige Gläubigerin, Lady Florence«, sagte Lady Melpomene. »Ich hoffe, du wirst mich gnädig und freundlich behandeln.«

»Du wirst so behandelt, wie du es verdienst«, versicherte ihr Lady Florence.

»Dann wollen wir jetzt zusammen feiern!« rief Lady Melpomene. »Wir wollen unsere Becher erheben zum Wohl unserer hübschen und großzügigen Gastgeberin, mit der ich den Heimstein teile, meine liebste Freundin, Lady Florence aus Vonda!« Lady Melpomene griff nach ihrem Weinbecher.

»Daß du mir nicht den Becher berührst, Dirne!« fauchte Lady Florence.

»Florence!« rief Lady Melpomene.

»Hast du für den Wein bezahlt?« fragte Lady Florence. »Kannst du dafür bezahlen?«

»Ich verstehe nicht, was das soll!«

Lady Florence griff nach ihren winzigen Weinkelch und schleuderte den Inhalt gegen den Gesichtsschleier der anderen.

»Was machst du?« fragte Lady Melpomene ärgerlich.

»Welches Parfum trägst du?« wollte Lady Florence zornig wissen.

»Natürlich das deine – und das weißt du auch«, erwiderte Lady Melpomene in eisigem Ton. »Es stammt aus dem Laden des Turbus Veminius in Venna.« Ich mußte an das Parfum denken, das ich für meine Herrin abgeholt hatte, ehe ich von den Häschern der Lady Melpomene entführt wurde. Vermutlich war es dasselbe Parfum – aus einer anderen Bestellung.

»Mir gehört es nicht!« sagte Lady Florence. »Ich gebrauche es lediglich als Sklavenparfum. Ich überschütte damit meine Stalldirnen, ehe ich sie den Männern überlasse.« Das stimmte nicht. Lady Florence gestattete ihren Stallmädchen kein Parfum, nicht einmal Sklavenparfum.

»Wem gehören die Sachen, die du trägst?« fragte Lady Florence.

Lady Melpomene sprang auf. »Ich dulde es nicht, daß man mich beleidigt!« tobte sie. Sie raffte die Röcke zusammen und wandte sich schluchzend ab, um zur Tür zu eilen. Doch schon stellten sich ihr zwei stämmige Männer in den Weg. »Durbar! Hesius!« rief sie. »Bringt mich heim!« Es waren die beiden Männer, die mir vor langer Zeit in Venna aufgelauert und mich zu Lady Melpomene gebracht hatten, damit ich ihrem Vergnügen diente.

Die beiden Männer hatten Lady Melpomene an den Armen gefaßt. »Bringt mich nach Hause!« rief sie.

»Wir stehen jetzt in den Diensten der Lady Florence«, sagte einer der Männer.

Dann drehten sie Lady Melpomene herum und führten sie in den freien Raum zwischen den Tischen. Dort stand sie Lady Florence gegenüber.

»Was soll das alles?« rief Lady Melpomene.

»Wessen Kleidung trägst du?« beharrte diese.

Lady Melpomene versuchte sich aus dem Griff der Männer zu befreien, schaffte es aber nicht. »Die deinen!« rief sie.

»Dir gehört nichts mehr! Bin ich nicht deine einzige Gläubigerin?« fragte Lady Florence leise.

»Ja«, flüsterte Lady Melpomene.

Mit großer Geste hob Lady Florence den Schuldschein, der vor ihr auf dem Tisch gelegen hatte.

»Ich verlange Zahlung«, sagte sie. »Ich verlange, daß du mir augenblicklich die Summe von eintausendvierhundertundzwanzig Gold-Tarsks zahlst.«

»Ich kann nicht sofort zahlen«, erwiderte Lady Melpomene. »Das weißt du.«

Lady Florence wandte sich an Brandon, Präfekt in Vonda. Der Mann war damit beschäftigt, sich auf einem Zettel eine Notiz zu machen.

»Das kannst du nicht tun!« rief Lady Melpomene.

»Ein solcher Schuldschein ist auf Verlangen zahlbar!« rief Lady Florence. »Das weißt du sehr wohl.«

»Ja, ja!« rief die andere und ballte die kleinen Fäuste. »Aber ich hätte nicht gedacht, daß du die Forderung so bald stellen würdest.«

»Das ist mein gutes Recht.«

»Du mußt mir Gelegenheit geben, mein Vermögen zurückzugewinnen.«

»Das gedenke ich nicht zu tun.«

»Willst du mich denn völlig ruinieren?«

»Meine Absicht geht weit darüber hinaus!« rief Lady Florence.

»Das verstehe ich nicht.«

»Das Zahlungsverlangen ist gestellt worden, Lady Melpomene«, schaltete sich Präfekt Brandon ein. »Kannst du zahlen?«

»Du hast mich hergelockt!« rief Lady Melpomene. »Du hast mich aus dem Schutz der Mauern Vondas gelockt!«

»Die Mauern Vondas würden dir keinen Schutz mehr bieten«, widersprach der Präfekt streng, »denn deine Schulden gehören nun zur Gänze einer Bürgerin dieser Stadt.«

Lady Melpomene erschauderte. »Man hat mich hereingelegt«, sagte sie.

»Kannst du bezahlen?« fragte der Präfekt.

»Nein!« jammerte Lady Melpomene. »Nein!«

»Dann knie nieder, Lady Melpomene, freie Frau aus Vonda«, sagte der Präfekt.

»Bitte nein!« schluchzte sie.

»Ist dir lieber, daß wir dies in aller Öffentlichkeit tun, auf dem großen Platz von Vonda, wo du deinem Heimstein Schande machen würdest?« fragte der Präfekt.

»Nein, nein!«

»Knie nieder!«

Furchtsam zitternd gehorchte Lady Melpomene.

»Ich erkläre dich hiermit zur Sklavin«, sagte er.

»Nein!« rief sie. »Nein!« Aber es war bereits geschehen.

»Sie soll den Kragen tragen.«

Schluchzend senkte die Frau den Kopf.

Lady Florence stieß einen Freudenschrei aus und schlug triumphierend in die Hände. Lady Leta und Lady Perimene machten es ihr nach und lachten. Sie schlugen sich applaudierend mit der Faust gegen die Schultern und beglückwünschten damit Lady Florence zu ihrem Sieg über die langgehaßte Feindin.

»Auf Hände und Knie, Sklavin!« befahl Tenalion aus Ar, der in diesem Moment aufgestanden war. Aus einem Kasten neben sich hatte er einen Kragen mit Kette genommen.

»Dürfte ich dir unseren Freund Tenalion in neuem Lichte vorstellen?« wandte sich Lady Florence an die zitternde Sklavin am Ring. »Er ist natürlich Sklavenhändler – wie auch sein Helfer Ronald. Aber ehe ich dich an ihn verkaufe, damit du in Ar an den Meistbietenden abgegeben werden kannst, sollst du erfahren, was es bedeutet, Sklavin zu sein.«

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