» Was ist deine Aufgabe?« fragte mein Herr.
»Absoluter Gehorsam«, erwiderte ich auf Goreanisch.
Er hielt mir die Peitsche vor den Mund. Ich küßte sie. »Absoluter Gehorsam«, wiederholte ich.
Von hinten legte mir Eta den ersten der fünf Schleier vor das Gesicht. Er bestand aus schimmernder weißer Seide, die fast durchsichtig war. Nacheinander fügte sie dann den Freiheitsschleier oder Bürgerschleier an, den Schleier des Stolzes, den Hausschleier und den Straßenschleier. Diese Schleier bestehen aus zunehmend schwerem Stoff; der undurchsichtigste befindet sich ganz außen. Der in der Öffentlichkeit getragene Straßenschleier ist am unförmigsten und ziemlich schwer. Er läßt nicht einmal mehr die Umrisse von Nase oder Wangenknochen erkennen. Der Hausschleier dagegen wird drinnen getragen, in der Gegenwart von Personen, die nicht zum Haushalt gehören, extra im Gespräch oder bei Feiern mit Freunden des Gefährten einer freien Frau. Die freien Frauen Gors tragen ihre Schleier in unterschiedlicher Zahl und Kombination – Sitten, die sich von Stadt zu Stadt, von Kaste zu Kaste sehr unterscheiden. Viele Angehörige niedriger Kasten begnügen sich mit einem Schleier, der für alle Gelegenheiten ausreichen muß. Andererseits tragen nicht alle hochgestellten Frauen viele Schleier; auf der Straße nehmen sie oft mit einem oder zwei Schleiern vorlieb. Eitle Frauen hohen Standes prunken manchmal mit bis zu neun oder zehn Schleiern, die beispielsweise im Verlaufe der Feier einer Freien Gefährtenschaft zeremoniell entfernt werden, bis es zwischen den beiden Gefährten, später, zur letzten Vereinigung kommt. Es gibt aber auch freie Frauen, die sich ganz ohne Schleier zeigen, ist er doch kein gesetzlich vorgeschriebenes Standeszeichen. Allerdings wird der Verzicht auf einen Schleier oft für kühn und skandalös gehalten. Alles in allem sieht die goreanische Kultur vor, daß sich eine freie Frau in der Öffentlichkeit verschleiert zeigt, während Sklavinnen dieses Schutzes entbehren müssen. In diesem Augenblick befestigte Eta den vierten von fünf Schleiern vor meinem Gesicht, den Hausschleier. Sie trug zwar nur ihre skandalös kurze Ta-Teera, doch verstand sie sich auf das Anbringen von Schleiern. Sie, eine hübsch anzuschauende, aufreizende Sklavenschönheit, war auch einmal frei gewesen.
Ich spürte, wie der Straßenschleier festgemacht wurde. Nun war ich gekleidet wie eine reiche goreanische freie Frau von hohem Stande, die etwa unterwegs war zu den Liederdramen von En-Kara.
»Wie schön du bist!« sagte Eta, trat einige Schritte zurück und musterte mich. Mein Herr taxierte mich ebenfalls.
Hoch aufgerichtet stand ich vor den beiden, in dem Bewußtsein, wie schön ich aussah. Schon einmal war ich so angekleidet worden, vor einigen Tagen im Lager. Bei dieser Gelegenheit hatte ich mich im Spiegel betrachten dürfen.
Die sorgfältig gerafften Roben waren überwiegend weiß gehalten und schimmerten kostbar; über den Schleiern wirkten meine Augen sehr dunkel. Meine Hände steckten in Handschuhen, meine Füße in scharlachroten Pantoffeln. Ich bot einen prunkvollen Anblick.
Mein Herr sah mich an und legte mir die Hand auf die Schultern.
»Du wagst es, eine freie Frau anzufassen?« fragte ich und fügte unterwürfig hinzu: »Herr?«
Er trat zurück und betrachtete mich nachdenklich.
»Unverschämt«, sagte er leise, wie zu sich selbst. »Eine Sklavin hat in solchen Roben nichts zu suchen.«
»Ja, Herr«, sagte ich.
»Es würde uns aber nicht weiterbringen, sie in ihrer Ta-Teera auftreten zu lassen«, meinte einer der Männer, die im Hintergrund warteten.
»Das ist richtig«, stellte mein Herr fest.
»Sie ist wunderschön«, sagte Eta.
»Es muß genügen«, sagte mein Herr.
»Das Lager befindet sich kaum zwei Pasang von hier«, bemerkte ein anderer.«
Ein schwarzer Mantel wurde gebracht und mir um die Schultern gelegt.
»Komm, Sklavin!« befahl mein Herr.
»Ja, Herr.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ mit großen Schritten das Lager. Er trug seine Waffen bei sich. Ich folgte ihm in gebührendem Abstand, wie es einer Sklavin geziemte. Eta blieb im Lager. Die anderen Krie ger marschierten hinter uns. »Still«, forderte mein Herr.
Ich blieb reglos stehen. Umgeben von den anderen Männern, beobachteten wir das Lager. Der Zug war inzwischen um mehrere Wagen erweitert worden. Als ich die Gruppe vor mehreren Tagen zum erstenmal sah, waren die Plattformen nur von einem Vorratsfahrzeug begleitet gewesen. Der größte der drei goreanischen Monde zeigte uns sein volles Gesicht.
Das Lager schmiegte sich in eine Waldlichtung. An einem Ende des Lagers führte ein Bach vorbei; zweihundert Meter weiter mündete ein zweiter Wasserlauf in den kleinen Fluß. Wächter waren unterwegs.
»Alles ruhig!« rief einer dem anderen zu und erhielt eine ähnliche Antwort.
Ich kannte mich in der goreanischen Sprache inzwischen ein wenig besser aus und verstand die Männer. Eta hatte sich große Mühe mit mir gegeben. Auf manche Befehle konnte ich schon ohne zu zögern reagieren. Ich kannte die Bezeichnungen für viele Gegenstände und hatte Grundbegriffe von der Grammatik. Ich vermochte einfache Sätze zu bilden. Meine Herren konnten mir jetzt in der eigenen Sprache Befehle geben und erwarten, daß ich auch das Richtige tat. Das Goreanische ist eine schöne, melodische, ausdrucksvolle Sprache. Zugleich eine starke, kompromißlose Sprache, wenn sie über die Lippen von Männern kommt.
Ich beobachtete, wie die Wächter zwischen den Bäumen ihre Runden drehten. Im eigentlichen Lager waren mehrere Zelte aufgestellt – in der Mitte ein gestreifter Zeltbau, fast schon ein Pavillon, der von zehn Masten gehalten wurde. Aus diesem Zelt kam nun ein Mädchen; sie trug ein ärmelloses weißes Gewand, das geradezu klassisch wirkte. Sie ging zum Bach, füllte dort einen Krug und brachte ihn zurück. Um ihren Hals lag ein goldenes Band, ein zweites um ihren linken Arm. Im Zelt brannte ein Feuer, dessen Rauch durch ein Loch an der Zeltspitze abzog. Über die Zeltwände huschten die Schatten weiterer Mädchen, die sich zwischen Feuer und Plane bewegten. In der Nähe des prunkvollen Zelts stand ein zweites, fast ebenso großes Zelt, an dessen Mittelmast ein Wimpel flatterte. Vermutlich handelte es sich hier um die Unterkunft des Lagerführers. Vor Tagen hatte ich siebzig bis achtzig Männer gezählt; ich sah nun etwa zwei Dutzend an offenen Feuern im Freien sitzen. Andere hielten sich vermutlich in den Zelten auf.
Die beiden Plattformen, die von je zehn Mann getragen worden waren, lagen umgestürzt mitten im Lager; vermutlich waren sie so besser vor Tau und Regen geschützt. Unter einer befanden sich mehrere Kisten und Truhen, in denen ich die kostbare Mitgift der Braut vermutete. Vier Wagen waren neu zu dem Brautzug gestoßen. Sie schienen ebenfalls von jenen ochsenähnlichen Geschöpfen gezogen zu werden, die man Bosk nannte. Mehrere Bosk, an den Beinen gefesselt, grasten auf der anderen Seite des Lagers zwischen den Bäumen.
Eta hatte etwas getan, das sich eigentlich nicht gehörte – sie hatte die Gespräche der Männer belauscht und mir, als mein Goreanisch besser wurde, gewisse Informationen übermittelt.
Bei dem Zug handelte es sich um die Braut- und Mitgiftprozession von Lady Sabina aus der kleinen Handelsfeste von Saphronicus. Das Ziel war Ti, eine der Vier Städte von Saleria, Angehörige der Sale rischen Konföderation. Ti liegt am Olni, einem Zulauf des Vosk, nördlich von Tharna. Die Stadt Tharna, zuweilen auch Stadt des Silbers genannt, ist bekannt für den Reichtum ihrer Silberbergwerke. Sie steht unter der Herrschaft Laras, einer Tatrix; und doch ist die Stellung der Frau gerade in Tharna im Vergleich zu den vielen hundert bekannten goreanischen Städten besonders unsicher.
Ich betrachtete die vier neuen Wagen. Der fünfte Wagen, den ich schon vor einigen Tagen gesehen hatte, war inzwischen fast geleert; möglicherweise hatte es die Prozession nicht mehr weit bis zu ihrem Ziel: die Vorräte waren zusammengeschmolzen, und das Zeltbaumaterial war aufgestellt. Die anderen vier Wagen jedoch waren voll beladen und enthielten vorwiegend landwirtschaftliche Erzeugnisse und andere Waren.
Eta erzählte mir, daß Lady Sabina von ihrem Vater Kleomenes, einem hochmütigen, doch mächtigen neureichen Kaufmann aus der Handelsfeste von Saphronicus, an Thandar von Ti versprochen worden war, einem Angehörigen der Kriegerkaste, dem jüngsten der fünf Söhne Ebullius’ Gaius Cassius, Krieger und Administrator von Ti. Die Bedingungen dieser Heirat waren in einem zwischen Ebullius Gaius Cassius und Kleomenes geschlossenen Gefährtenvertrag festgelegt, der inzwischen durch die Siegel von Ti und der Festung von Saphronicus zum offiziellen Dokument erhoben worden war. Die einander versprochenen Gefährten – Lady Sabina aus der Festung von Saphronicus und Thandar von Ti aus den Vier Städten von Sale ria – hatten sich nach Etas Worten bisher noch nicht einmal gesehen; ihre Ehe war ausschließlich von den Vätern vereinbart worden, wie es auf Gor durchaus üblich ist. Die Angelegenheit war auf Anregung von Kleomenes zustandegekommen, der daran interessiert war, mit der Salerischen Konföderation eine politische und ökonomische Allianz einzugehen. Solche Bündnisse waren von Vorteil für die Salerische Konföderation und wurden durchaus begrüßt, konnten sie doch ein erster Schritt zu einer vollen Aufnahme der Festung von Saphronicus in die Konföderation sein, deren Macht im Norden immer größer wurde. Es erschien durchaus denkbar, daß die Ehe sich in letzter Konsequenz für die Festung von Saphronicus und die Salerische Konföderation als vorteilhaft erweisen mochte. Beide Seiten konnten davon profitieren. Der Gefährtenvertrag war also offiziell ausgehandelt worden, unter Hinzuziehung von Rechtsgelehrten beider Länder. Und nun war die Gefährtenreise angetreten worden – sicher nicht ohne Prüfung der himmlischen Gunst, die in der Regel aus dem Zustand der Leber eines geopferten Verr abgelesen wird, gedeutet durch Mitglieder der Kaste der Wissenden. Die eigentliche Reise, die über Land führte, dauerte mehrere Tage, wurde aber durch zeremonielle Besuche bei den vier zu der Festung von Saphronicus gehörigen Lehnsdörfern verlängert.
Es ist in der Regel so, daß die Dörfer in der Nähe goreanischer Städte ihr Vieh und ihre landwirtschaftlichen Produkte an die Städter liefern. Diese Dörfer sind der Stadt in den meisten Fällen nicht Untertan. Dennoch obliegt es vorwiegend der Stadt, diese Dörfer zu beschützen, ob sie nun den Treueeid geschworen haben oder nicht – ein Umstand, der zum Vorteil beider Seiten ist. Die Versorgung der Stadt ist nur solange gesichert, wie die Dörfer vor fremden Übergriffen geschützt werden. Daß die Festung von Saphronicus die benachbarten Dörfer voll in ihre politische Einflußsphäre einbezog und sogar einen gewissen Tribut eintrieb, ist auf Gor nicht ungewöhnlich, aber relativ selten. Die meisten Dörfer sind frei. Der goreanische Bauer ist ein entschlossener, halsstarriger Bursche, der stolz ist auf sein Land und seine Selbständigkeit. Außerdem versteht er sich meistens ausgezeichnet auf den Umgang mit dem goreanischen Langbogen, der eine vorzügliche Kampfwaffe darstellt. Wer den Langbogen zu spannen versteht, so lautet ein Bauernsprichwort, kann niemals Sklave sein. Jedenfalls war der Langbogen in den Dörfern der Festung von Saphronicus verboten.
Die Brautreise schloß die Dörfer der Festung von Saphronicus .mit ein, und in jedem Ort fand ein großes Fest statt, und jedes Dorf stiftete einen Wagen mit landwirtschaftlichen Produkten, die der Mitgift zugeschlagen werden sollten. Ich hatte vier solcher Wagen im Lager gesehen und wußte daher, daß die vier Lehnsdörfer besucht worden waren. Die Ladung war nicht sonderlich wertvoll, aber ein Symbol für die Bindung der Dörfer an die Festung von Saphronicus. Zugleich brachte der Besuch auf den Dörfern die Gele genheit, die bevorstehende Heirat bekannt zu machen und während des Fests die Reaktionen und die allgemeine Stimmung bei den Bauern zu prüfen. Waren sie zufrieden? Stand Ärger bevor? Mußte ein Dorfältester abgelöst oder ins Gefängnis geworfen werden? War es ratsam, eine der Bauerntöchter als Geisel in die Stadt zu entführen? Informationen über Unterdrückte sind wertvoll für die Unterdrücker.
Aus dem gestreiften Zelt in der Mitte des Lagers trat ein zweites Mädchen. Es bewegte sich mit gemessenen Schritten, solange es durch die Zeltöffnung noch zu sehen war. Dann aber warf es den Kopf zurück, schüttelte sein Haar aus und huschte wie ein weiblicher Sleen zu den Wagen. Ich hielt den Atem an. Die weiß gekleideten Mädchen, die Lady Sabina begleiteten, konnten nur Sklavinnen sein, aber offensichtlich von hohem Stande, was auch durch ihre vornehme Kleidung dokumentiert wurde. Sie waren Sklavenzofen der Lady Sabina, zweifellos ihr persönliches Eigentum. Ich fragte mich, wie lange dieses Mädchen schon die Berührung eines Mannes hatte entbehren müssen.
»Alles ruhig und friedlich!« rief einer der Wächter.
»Alles ruhig und friedlich!« wiederholten andere Wächter außerhalb des Lagers.
Ich blickte zum größten goreanischen Mond empor. Es war Vollmond.
Morgen sollte die Gruppe weiter nach Ti ziehen, vor deren Mauern in zwei Tagen eine Begrüßungsprozession warten würde. Jedenfalls war dies der Plan.
Ich spürte die Hand meines Herrn am Arm. Er griff nicht fest zu, doch ich wußte, daß ich seiner Macht unterlag.
Ich begriff meine Rolle bei den Ereignissen nicht, die sich hier abspielen sollten. Mir war nicht klar, warum mein Herr, seine Männer und ich dieses Lager beschlichen hatten und uns jetzt in der Nähe aufhielten.
Einen Mondmonat von heute, gerechnet nach dem größten Mond, sollte die Zeremonie der Gefährtenschaft zwischen Thandar aus Ti und Lady Sabina stattfinden. Natürlich hoffte ich, daß sie miteinander glücklich sein würden. Ich war zwar nur eine Sklavin, doch hielt ich mich nicht für weniger frei als Lady Sabina, deren Schönheit ökonomischer und politischer Macht geopfert wurde. Ich mochte halbnackt in der Ta-Teera einer Leibeigenen herumlaufen müssen, doch vermutete ich, daß sie trotz der Kostbarkeit ihrer Kleidung, trotz ihres Schmucks auf ihre Weise ebenso versklavt war wie ich. Dennoch tat sie mir nicht leid, hatte ich doch von Eta erfahren, daß sie ein hochmütiges Frauenzimmer war, das kühne Reden führte und seine Zofen grausam behandelte. So manche Kaufmannstochter erliegt ihrem Stolz, denn auch die Kaufleute neigen angesichts ihrer Macht zu Eitelkeit und Überheblichkeit und kämpfen – ob nun berechtigt oder nicht – für die Erhebung ihres Standes in den Rang einer hohen Kaste.
Ihre verhätschelten Töchter, die nie arbeiten mußten und nur über die Belanglosigkeiten der Kastenrituale gut unterrichtet waren, zeigten sich oft verdorben und schwach. Trotzdem wünschte ich Lady Sabina kein Pech. Ich hoffte, daß sie mit Thandar aus Ti eine großartige Gefährtenschaft verleben würde. Sie hatte zwar in der Auswahl ihres Partners nicht mitreden können, freute sich aber nach Etas Worten dennoch über die getroffene Entscheidung. Durch die Gefährtenschaft mit einem Angehörigen der Kriegerkaste stieg sie in der Kastenhierarchie empor, denn die Krie ger Gors zählen zu den höchsten goreanischen Kasten.
Es gibt fünf hohe Kasten auf dieser Welt – die Wissenden, die Schriftgelehrten, die Ärzte, die Hausbauer und die Krieger. In viele n Städten setzte sich der Hohe Rat ausschließlich aus Mitgliedern dieser Kasten zusammen. Die meisten goreanischen Städte werden von einem einzigen Mann regiert, dem Administrator, der sich aber auf den hohen Rat stützen muß. Einige Städte stehen unter der Führung eines Ubar, eines Militärdiktators, der zuweilen in tyrannischer Form regiert und sein Wort zum Gesetz erhebt. Die Macht des Ubar ist vom Gesetz her nur durch seine Fähigkeit beschränkt, jene Kämpfer zu beeinflussen und zu kontrollieren, deren Waffen ihm den Thron erhalten.
Jedenfalls sollte Lady Sabina durch ihre Gefährtenschaft zu einer der wichtigsten Frauen in der Salerischen Konföderation werden, die im Norden immer mächtiger wurde. Von Thandar aus Ti hielten alle nicht viel – das lag wohl daran, daß er ein wenig imponie render Mann war. Wahrscheinlich freute es ihn nicht besonders, mit einer Frau aus niederer Kaste zusammengeführt zu werden; andererseits wußte er sicher um die kommerzielle und politische Bedeutung der Gefährtenschaft und war seiner Stadt bestimmt gern zu Diensten. Vom Standpunkt seines Vaters aus war der Handel sehr von Vorteil, denn Thandar war der jüngste und am wenigsten wichtige von fünf Söhnen; es ging nicht um den ersten oder zweiten Sohn.
In diesem Augenblick griff die weißgekleidete Skla vin in einen Sack auf dem Vorratswagen und nahm eine Larmafrucht heraus. Ich beobachtete sie im Zwie licht. Sie schien nicht zu bemerken, daß hinter ihr die verschleierte Lady Sabina aus dem Zelt gekommen war, begleitet von zwei weiteren Sklavinnen. Einer der Krieger aus dem Lager näherte sich dem Mädchen am Wagen. Es mußte seine Gegenwart spüren, ließ sich aber nichts anmerken. Er stützte die Hände gegen den Wagen, so daß sie zwischen seinen Armen gefangen war. Sie wandte sich um und sah ihn an. Dann hob sie die Larmafrucht und biß hinein. Sie kaute. Er beugte sich vor. Ich sah ihren goldenen Halsreif schimmern.
Plötzlich legten sich ihre Arme um ihn, und er küßte sie. Ich sah ihre Hand mit der angebissenen Larmafrucht auf seiner Schulter.
»Schamlose Sklavin!« rief Lady Sabina, die so etwas offenbar schon vermutet hatte. Die beiden fuhren erschrocken auseinander. Das Mädchen stieß einen erstickten Schrei aus und warf sich ihrer Herrin zu Füßen. Der Mann wich zornig zurück.
»Schamlose Sklavendirne!« zischte Lady Sabina unter ihren Schleiern hervor.
»Was geht hier vor?« fragte ein Mann, der in diesem Augenblick aus dem beflaggten Zelt trat. Er trug ein Schwert über der Schulter, war ansonsten aber nur in Tunika und Soldatenhalbstiefel gekleidet.
»Sieh!« rief Lady Sabina. »Eine mannstolle Sklavin!«
Der Soldat, den ich für den Lagerkommandanten hielt, war nicht erfreut über die Störung.
»Ich bin ihr gefolgt«, sagte Lady Sabina, »und fand sie in den Armen eines Soldaten!«
»Hab Mitleid, Herrin!« flehte das Mädchen.
»Habe ich dir nicht anständiges Benehmen beigebracht, Lehna?« fragte Lady Sabina streng. »Habe ich dir nicht gezeigt, was Würde ist? Und so entlohnst du mein Vertrauen! So zeigst du mir deine Dankbarkeit!«
Das Mädchen wagte nicht zu antworten, sondern starrte zitternd zu Boden.
»Habe ich dich nicht seit deinem zwölften Lebensjahr gut behandelt?«
»O ja, Herrin!«
»Und doch finde ich dich wie eine Tavernendirne in den Armen eines Söldners! Ich habe dich noch nie ausgepeitscht – hältst du mich etwa für schwach?«
»Nein, Herrin!« versicherte das Mädchen. »Du bist freundlich, aber nicht schwach.«
Lady Sabina machte eine Handbewegung. Der Soldatenführer wandte sich an den Mann, in dessen Armen das Mädchen gefunden worden war. »Zieh sie aus und fessele sie!« befahl er.
In unterdrücktem Zorn riß der Mann dem Mädchen das weiße Gewand vom Leib und band sie in knieender Stellung an einem Rad des Vorratswagens fest.
»Du bist ein wertloses Geschöpf«, sagte Lady Sabina zu ihrer Sklavin. »Eigentlich müßtest du in einer Taverna Paga servieren.«
Lady Sabina ließ sich eine Peitsche geben und näherte sich der Gefesselten.
»Ungehorsame, mannstolle Sklavin!« rief sie und schlug heftig zu.
Das Mädchen schrie auf. Ihre Herrin sparte nicht mit Schlägen. Erschöpft warf Lady Sabina die Peitsche schließlich fort, machte kehrt und verschwand, gefolgt von zwei Sklavinnen, in ihrem Zelt.
Das Mädchen blieb gefesselt und blutüberströmt am Wagen zurück.
Mein Herr blickte zu den Monden empor. Von der anderen Seite des Lagers schallte der Ruf des krummschnäbeligen Fliehers herüber, der sich in der Nacht von Wald-Urts ernährt. Der Ruf wurde dreimal wie derholt.
Mein Herr trat hinter mich. Sein Messer fuhr aus der Scheide und legte sich mir an die Kehle.
»Was ist die Pflicht einer Sklavin?« fragte er.
»Absoluter Gehorsam, Herr«, flüsterte ich. Ich wagte mich nicht zu rühren. Im nächsten Augenblick wurde mir der große schwarze Mantel abgenommen, der meine kostbare, helle Kleidung bisher verdeckt hatte.
»Lauf!« sagte mein Herr und deutete auf einen Weg zwischen den Bäumen, der am Lager vorbeiführte. »Und laß dich nicht fangen!«
Er stieß mich von sich. Verwirrt begann ich zu laufen.
Ich hatte kaum zwölf Schritte zurückgelegt, als ich einen der Wächter des Lagers rufen hörte: »Halt! Stehenbleiben! Gib Losung! Stehenbleiben!« Ich gehorchte natürlich nicht, sondern hastete weiter.
»Wer ist denn das?« rief ein Mann. »Eine freie Frau!« wurde geantwortet. »Ist es nicht Lady Sabina?« – »Haltet sie!« – »Ihr nach!«
Ich rannte, so schnell ich konnte.
Die Männer waren vermutlich ebenso verwirrt wie ich. Ich wußte nur, daß ich Angst vor ihnen hatte und laufen mußte, wie es mir mein Herr befohlen hatte. Außerdem hatte er mir aufgetragen, mich nicht fangen zu lassen.
Ich stolperte und stürzte, rappelte mich wieder auf und lief weiter. Ich hörte Männer rufen, von denen mehrere das Lager verließen. Sie kamen durch den Bach gewatet, brachen hinter mir durch das Unterholz. Ich befand mich nun zwischen den Bäumen und war vom Lager aus nicht mehr zu sehen, doch man verfolgte mich. Wie viele Männer mir auf den Fersen waren, wußte ich nicht.
Ich floh voller Entsetzen.
»Lady Sabina!« rief jemand. »Halt! Halt!«
Plötzlich ging mir auf, wie gering die Wahrscheinlichkeit sein mußte, daß eine andere verhüllte freie Frau in der Nähe des Lagers erscheinen würde. Vielleicht war Lady Sabina aus dem Lager geflohen? Vielleicht wollte sie aus irgendeinem Grunde der Gefährtenschaft mit Thandar von Ti aus dem Wege gehen, den sie immerhin noch nie gesehen hatte. Sicher gab es im Lager Männer, die sich auf der Stelle davon hätten überzeugen können, daß sich Lady Sabina noch in ihrem Zelt aufhielt – doch viele andere, die in Sekundenschnelle handeln mußten, konnten sich diese Gewißheit nicht verschaffen. Wenn die Fliehende Lady Sabina war, mußte sie wieder eingefangen werden, denn ihre Flucht hätte die bevorstehende Allianz zwischen der Salerischen Konföderation und der Festung von Saphronicus vereitelt. Außerdem mußte sie schnell wieder ins Lager geschafft werden, denn der Wald war in der Nacht sehr gefährlich. Sie mochte von Sleen angefallen werden oder herumstreichenden Gesetzlosen zum Opfer fallen. Je eher man sie wieder einfing, desto besser. Eine freie Frau rannte durch den nächtlichen Wald – das war ein Rätsel, das schleunigst aufgeklärt werden mußte. Vor wem floh diese Frau? War sie allein?
Ich hatte keine Zeit für lange Überlegungen, warum ich dies zu tun hatte. Ich rannte, so schnell ich konnte.
Die Männer im Lager hatten ebenfalls keine Gele genheit, ihr Vorgehen zu planen. Verständlich, daß viele mir gedankenlos folgten.
Ich eilte durch das Dickicht, hörte Männer hinter mir – wie viele es waren, wußte ich nicht. Ich vermutete, daß von den siebzig bis achtzig Männern im Lager zwanzig oder mehr sofort hinter mir hergestürzt waren. Zugleich war die Aufmerksamkeit aller auf die Seite des Lagers gerichtet, wo man mich zuerst entdeckt hatte.
Stolpernd drängte ich mich zwischen Büschen und Bäumen hindurch. Äste und Dornen zerrissen meine kostbaren Gewänder. Das Knacken im Dickicht hinter mir wurde lauter.
Ich konnte nicht schneller laufen. Das lag nicht nur an den Gewändern. Mir war klar, daß ich den Männern auf keinen Fall entkommen konnte. Sie waren kräftiger und schneller als ich. Die Natur hatte mich nicht dafür vorgesehen, Männern zu entkommen.
Und schon packten rauhe Hände zu. »Halt, Lady!« sagte der Mann.
Keuchend und zitternd stand ich vor ihm.
»Warum bist du geflohen, Lady Sabina?« fragte er. »So etwas ist gefährlich.« Dann rief er: »Ich habe sie!«
Ich versuchte mich loszureißen, vergeblich.
Wenige Sekunden später war ich von weiteren Männern umgeben. Mein Häscher ließ mich los. Ich stand im Kreis der Krieger und sagte kein Wort. Ich neigte den Kopf.
»Ist das Lady Sabina?« wollte eine Stimme wissen.
»Sieh mich an«, forderte ein anderer.
Ich gehorchte ihm nicht sogleich, sondern hielt das Gesicht abgewandt. Da spürte ich Hände auf den Schultern. Finger ergriffen mein Kinn, drehten mir den Kopf herum, drehten ihn ins Mondlicht.
Ich erkannte den Anführer der Soldaten im Lager. Im gleichen Augenblick ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß dieser Mann mir nicht hätte folgen dürfen. Eigentlich hätte er im Lager bleiben müssen.
Er starrte mich im schwachen Mondlicht an, versuchte meine Augen zu erkennen. Dann trat er zurück und betrachtete meine Gewänder. »Wer bist du?« fragte er schließlich.
Ich antwortete nicht. Hätte ich den Mund aufgemacht, wäre ihm sofort mein Akzent aufgefallen, meine mangelnde Beherrschung der goreanischen Sprache. Er hätte sofort gewußt, daß ich ein Barbarenmädchen war.
»Du bist nicht Lady Sabina«, stellte er fest. »Wer bist du?«
Ich schwieg.
»Bist du auf der Flucht vor Sklavenhäschern?« wollte er wissen. »Wir sind ehrliche Männer«, fügte er hinzu. »Wir sind keine Sklavenjäger. Du bist bei uns in Sicherheit.«
Mondlicht sickerte durch das Laub.
Mein Schweigen schien ihn zu verärgern. »Möchtest du, daß man dir die Schleier abreißt?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
Seine Hände lagen an meinem ersten Schleier, dem Straßenschleier. »Nun?« fragte er.
Ich antwortete nicht.
Da wurde der Schleier emporgehoben.
»Zieh die Handschuhe aus«, forderte er.
Ich gehorchte. Er entriß mir die Handschuhe und warf sie zu Boden.
»Sprich!« verlangte er.
Als ich nichts sagte, zog er den Hausschleier fort. Die übrigen Männer drängten näher heran. Hier ging etwas Unerhörtes vor sich – wenn ich wirklich eine freie Frau gewesen wäre. Die Tat des Mannes kam einer Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte gleich. Es war, als wäre er in mein Heim eingedrungen und wollte mir Gewalt antun.
»Wer bist du?« fragte der Mann von neuem. Wie konnte ich ihm sagen, wer ich war? Mein Herr hatte mir noch nicht einmal einen Namen gegeben!
»Der Schleier des Stolzes ist der nächste, wenn du nicht antwortest«, sagte der Mann.
Ich fragte mich, was die Soldaten mit mir anstellen würden, wenn sie entdeckten, daß ich nicht einmal eine freie Frau war. Ich schlug mir den Gedanken aus dem Kopf. Freie Männer reagieren nicht gerade gelassen, wenn eine Kajira sich als freie Frau verkleidet. Sie würden mein Tun wahrscheinlich als ernsten Verstoß ansehen, der fürchterliche Strafen nach sich ziehen konnte.
Der Schleier des Stolzes wurde fortgerissen.
»Vielleicht bist du nun bereit zu sprechen, liebe Lady«, sagte der Anführer der Soldaten, »und uns deinen Namen und deine Heimatstadt zu nennen und uns zu offenbaren, was du hier so spät in der Nacht verloren hast.«
Ich wagte es nicht zu antworten, sondern wandte den Kopf ab, als mir schließlich auch der letzte Schleier abgenommen wurde.
»Sie ist hübsch«, sagte einer der Männer.
»Hoffen wir um deinetwillen«, sagte der Anführer zu mir, »daß du wirklich eine freie Frau bist.«
Ich senkte den Kopf.
»Betrachte dich als meine Gefangene, Lady«, fuhr der Mann fort, packte mich am Handgelenk und zerrte mich mit sich fort.
Minuten später näherten wir uns dem Lager. Ich wurde über den Bach getragen. Zahlreiche Fackeln flackerten. Zwischen den Zelten herrschte große Verwirrung.
Der Soldat, der mich getragen hatte, setzte mich ab.
Ein Mann rannte mit erhobener Fackel herbei. »Die Lady Sabina!« rief er. »Sie ist fort! Man hat sie entführt!«
Mit einem Wutschrei lief der Anführer der Soldaten auf die Zelte zu, gefolgt von seinen Leuten. Ich wurde mitgezerrt und versuchte verzweifelt Schritt zu halten. Wir begaben uns auf direktem Wege zum Zelt der Lady Sabina. Ich wurde hineingeschoben. Ein Mann drehte sich mit bleichem Gesicht zu uns um. »Sie sind einfach hier eingedrungen«, sagte er, »und haben sie entführt!«
Links von uns lagen zwei verwundete Soldaten. Die Sklavenzofen der Lady Sabina kauerten erschrocken im Hintergrund. Eine hielt sich die Schulter, an der sie offenbar eine Prellung erlitten hatte.
»Sie waren dabei«, sagte der Soldat und deutete auf die zitternden Sklavinnen.
»Was war los?« wollte der Anführer wissen.
Eines der Mädchen, die Sklavin mit der verletzten Schulter, ergriff das Wort. Die Rückwand des Zelts war zerschnitten worden. »Ein ganzer Trupp stürmte herein«, sagte sie. »Viele Krieger. Wir versuchten die Herrin zu verteidigen, wurden aber zurückgedrängt. Wir konnten nichts tun!« Sie deutete auf die Rückwand des Zelts. »Sie kamen von dort und sind auch dorthin wieder verschwunden – mit der Herrin!«
Ein Meisterwerk der Strategie. Die Männer meines Herrn waren zahlenmäßig weit unterlegen gewesen – doch am Punkt des Angriffs hatten sie eine überwältigende Übermacht gehabt. Zwanzig Mann können eine Mauer erobern, die von hundert Mann verteidigt wird, wenn die zwanzig an einer Stelle vorgehen, wo nur zwei Verteidiger stehen. In dem großen Durcheinander, das die Aufmerksamkeit der Männer auf etwas ganz anderes lenkte, hatte die Streitmacht meines Herrn zielstrebig und erfolgreich zugeschlagen.
Ich schluckte trocken, als mir bewußt wurde, daß ich nur als Köder zur Ablenkung gedient hatte. Bitterkeit erfüllte mich.
»Aus welcher Stadt kamen die Burschen?« wandte sich der Anführer an einen der verwundeten Männer.
»Keine Ahnung«, antwortete dieser.
Ich hatte gesehen, wie die Kämpfer meines Herrn vor dem Kampf alle Insignien von ihren Tuniken entfernten.
»Wir kennen aber die Fluchtrichtung«, meldete ein Soldat. »Wenn wir schnell handeln, können wir sie vielleicht verfolgen.«
Der Anführer schlug mit der Faust gegen den mächtigen Zeltmast.
»Bewaffnet die Leute!« befahl er. »Gebt Bögen, genug Pfeile und leichte Rationen aus. Alle sind in zehn Ehn marschfertig. Los!«
»Jawohl, Herr«, sagte ein Mann. Soldaten verließen das Zelt. Die beiden Verwundeten wurden fortgetragen.
Dann wandte sich der Anführer in meine Richtung. Ich zuckte zurück. In der Begleitung des Soldaten waren vier Kämpfer, von denen einer mein Handgelenk eisern festhielt.
»Ich möchte zu gern wissen, ob du frei bist, mein schönes Kind«, sagte er und ging um mich herum. Ich hatte das Gefühl, daß er mich unter den Roben nackt sah.
»Bist du frei, schönes Mädchen?« fragte er. Er zog sein Schwert. Ich erschauderte. »Bist du frei?« wiederholte er. Er legte die Schwertspitze an mein linkes Fußgelenk und begann neugierig die Roben der Verhüllung anzuheben. »Ich hoffe um deinetwillen, daß du frei bist. Bist du es nicht, dann mach dich auf einiges gefaßt.«
Ich spürte die Klinge an meinem Bein; langsam wurde der Saum immer höher gehoben. Der Mann konnte bereits mein Knie sehen.
»Zieh dir die Schuhe aus«, sagte er.
Zitternd gehorchte ich ihm.
»Herr«, sagte eine Stimme von draußen. »Die Männer sind bereit.«
»Sofort!« rief der Anführer und hob das Schwert. Ich spürte den Stahl an meiner Hüfte.
Die im Zelt versammelten Männer stießen einen Wutschrei aus. Die Sklavinnen hielten hörbar den Atem an.
»Hab ich’s mir doch gedacht!« sagte der Anführer der Soldaten und trat zurück. Sein Schwert steckte er nicht fort.
»Ich gebe dir zwanzig Ehn Zeit, die Kleidung einer freien Frau auszuziehen!«
Schluchzend zerrte ich mir die schweren Gewänder vom Leib und warf mich nackt vor ihm zu Füßen. Hob er schon das Schwert, um mir den Kopf abzuschlagen? Meine Kehle schnürte sich zusammen.
Der Soldat wechselte hastige Worte mit zwei anderen Männern. Dann wandte er sich mit einem Befehl an eine Sklavin, die gleich darauf das Zelt verließ.
Ich hörte die Männer draußen herumlaufen. Waffen rasselten.
Das Mädchen, das vorhin ausgepeitscht und am Wagenrad festgebunden worden war, wurde ins Zelt geführt. Sie warf mir einen kurzen Blick zu und hockte sich niedergeschlagen in eine Ecke. Das andere Mädchen kehrte ebenfalls ins Zelt zurück.
Der Anführer machte Anstalten, uns zu verlassen, um das Kommando über seine Männer zu übernehmen. Er warf mir einen letzten Blick zu. »Mit dir rede ich später, hübsche Kajira«, sagte er drohend. »Fesselt sie«, fügte er hinzu, setzte den Helm auf und verließ das Zelt.
Der Befehl wurde befolgt. Die anderen Sklavinnen sahen mich zornig an. Eine rieb sich die Prellung an ihrer Schulter. »Kajira!« fauchte sie.
Ich wandte mich zur Seite und begann zu weinen.
Verschwunden war die Romantik des Sklavendaseins. Man hatte mich als Köder benutzt, um die Feinde abzulenken. Ich war ein einfacher, unwichtiger Spielstein gewesen. Man hatte mich der Gefahr ausgesetzt – wie es jeder gewöhnlichen Sklavin passieren konnte. Soviel also war ich meinem Herrn wert. Er erwiderte die Gefühle nicht, die ich für ihn hegte. Ich schluchzte laut.
Kurze Zeit später war zu hören, wie die Männer das Lager verließen.
Nur die Verwundeten und die Sklavinnen blieben zurück.
»Dina«, sagte das verwundete Mädchen zu mir – nach meinem Brandzeichen. Aber so wie sie den Namen verwendete, war er als Beleidigung gedacht. Sie kam näher und versetzte mir einen Tritt. Dann kehrte sie zu den anderen Mädchen zurück. »Unsere arme Herrin!« rief sie.
Außerhalb des Zelts waren die Geräusche der Nacht zu hören, Insekten, die Rufe von Fliehern. Unauffällig versuchte ich Handgelenke und Füße zu bewegen, aber die Fesseln waren zu eng. Ein goreanischer Krie ger hatte mich gebunden.
Wieder ertönten die Schreie von Flieher-Vögeln. Im nächsten Augenblick schrien die Mädchen auf. Ich fuhr hoch.
Schwerter lagen an den Hälsen der Sklavinnen. Mein Herr stand im Zelt, seinen Männern durch die zerrissene Seidenplane folgend.
»Herr!« rief ich erfreut und versuchte mich aufzurichten. Er ging neben mir in die Hocke und durchtrennte meine Lederfesseln mit dem Schwert. Ich warf mich ihm zu Füßen. »Herr!« schluchzte ich voller Freude. Er war zurückgekehrt! Er hatte mich nicht im Stich gelassen! Doch er wich vor mir zurück und gab seinen Männern Befehle. Die vier Sklavinnen duckten sich verängstigt zusammen. Einige Männer verließen das Zelt.
»Niederknien! Ihr kommt an die Kette«, sagte einer der Männer. Die Mädchen gehorchten; sie knieten hintereinander nieder. An der Kette, die ins Zelt gebracht wurde, befanden sich sechs Armreifen. Das Mädchen, das von Lady Sabina ausgepeitscht worden war, wurde als erste angeschlossen – nicht aber an die erste Armschelle, sondern an die zweite; auf diese Weise blieb, als die vier Mädchen gesichert worden waren, vorn und hinten je ein Armreif unbenutzt.
Die Geräusche von draußen verrieten mir, daß Bosk vor die Wagen gespannt wurden. Den anderen Bosk wurden die Fesseln zerschnitten, dann wurden sie in den Wald getrieben.
Ich fragte mich, ob mein Herr das Lager in Brand stecken würde. Vermutlich nicht; der Schein der brennenden Planen und Wagen mochte die Soldaten des Lagers zu früh zurückrufen. Eine deutliche Spur war für sie hinterlassen worden; die Männer meines Herrn waren dann in großem Bogen zum Lager zurückgekehrt. Sicher wurde ihre Spur mit der Zeit immer undeutlicher, um zuletzt ganz zu verschwinden. Die Soldaten aus dem Lager harten keine gezähmten Sleen als Fährtensucher bei sich. Während die Fremden der falschen Spur folgten, waren unsere Kämpfer ins Lager zurückgekehrt, von wo aus sie nun in eine andere Richtung endgültig verschwinden würden. Mein Herr machte Anstalten, das Zelt zu verlassen. Ich wäre am liebsten an seine Seite geeilt, doch er wollte mir das nicht gestatten und schob mich zurück. Ich blieb im Zelt.
Der Mann, der die Mädchen angekettet hatte, trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk.
»Darf ich sprechen?« fragte das erste Mädchen an der Kette, das von Lady Sabina ausgepeitscht worden war. Der Mann nickte. »Ich hasse meine Herrin!« rief die Sklavin. »Ich bin bereit, dich zu lieben, Herr!«
»Hast du keine Freude daran, im Eigentum einer Frau zu stehen?« fragte er.
»Ich möchte einen Mann lieben!« schluchzte sie.
»Schamlose Sklavin!« rief das letzte Mädchen an der Kette, das mich ›Dina‹ gerufen und mich getreten hatte.
»Ich bin eine Frau!« rief die erste.
»Keine Angst, Sklavin«, sagte der Mann, der sie angekettet hatte grinsend. »Man wird dich nicht übergehen. Du sollst dein Vergnügen haben. Ich versprech’s dir.«
»Danke, Herr«, sagte sie.
»Freche Sklavin!« schimpfte die andere.
»Du kannst ruhig das Haar einer verzogenen Kaufmannstochter kämmen – ich tanze lieber nackt vor einem Mann!«
»Lehna!« rief die Sklavin von hinten.
Ich hörte, wie ein Wagen aus dem Lager gefahren wurde. Auf seiner Ladefläche lag vermutlich die kostbare Mitgift der Lady Sabina aus der Festung von Saphronicus. Den Aufenthaltsort der hohen Dame kannte ich nicht; zweifellos befand sie sich an einem sicheren Ort, mit verbundenen Augen, geknebelt und gefesselt. Ich fragte mich, ob man ihr wohl die Kleidung gelassen hatte.
Der Mann ging an der Reihe der Sklavinnen entlang, bis er neben dem letzten Mädchen stand. Er berührte sie an Hals und Kinn. »Hast du dich nie gefragt, wie es ist, wenn ein Mann dich berührt?« fragte er.
»Komm zu mir«, sagte das erste Mädchen. »Ich mache es dir, wie’s dir noch keine gemacht hat!«
»Er berührt mich!« klagte das letzte Mädchen.
»Blödes Ding!« lachte die erste.
Der Mann kehrte zu dem ersten Mädchen zurück und nahm sie in die Arme. Es stieß einen Freudenschrei aus und drückte sich an ihn. Er küßte es mit einer Leidenschaft, die mich ahnen ließ, daß es beileibe nicht bei dem Kuß bleiben würde.
»Küssen kann ich auch!« rief das aufsässige Mädchen zornig. »Herr!«
»Nein!« stöhnte die andere, während sie sich an den Mann drängte. »Sie ist ein Niemand. Bleib bei mir! Du weißt nicht, wie es mit einem Mädchen wirklich ist, solange du mich nicht kennst!«
In diesem Augenblick rollte ein zweites Fahrzeug aus dem Lager. Ich stellte mir vor, daß es sich um einen der Wagen mit landwirtschaftlichen Gütern handelte; später sollte ich erfahren, daß die kostbare Mitgift auf zwei Fahrzeuge verteilt worden war, nachdem man Korn und Gemüse abgeladen hatte.
Mein Herr kehrte ins Zelt zurück. »Du kannst sie später haben«, sagte er zu dem Soldaten, der schon drauf und dran war, vor aller Augen von der Einla dung Gebrauch zu machen. Widerstrebend ließ er von ihr ab.
»Vergiß Lehna nicht!« sagte das Mädchen mit schmachtendem Blick.
»Und Donna auch nicht«, rief die zweite.
»Und Chanda!« rief die dritte.
»Auf keinen Fall Maria!« rief die vierte.
Der Soldat musterte das vierte Mädchen, das sich unter seinem Blick aufrichtete. »Maria möchte nicht übergangen werden?« fragte er.
»Nein«, sagte sie.
»Bist du nicht die Sklavin einer Frau?«
»Gib mir einen Platz zu deinen Füßen«, forderte sie.
Mein Herr ging um die angeketteten Mädchen herum. »Vier Schönheiten«, sagte er. »Ein guter Fang. Wir werden unseren Spaß mit ihnen haben – und wenn wir sie verkaufen, bekommen wir bestimmt einen guten Preis.« Dann wandte er sich zu mir um. »Kette sie auch an.«
Ich erstarrte. Das war doch nicht möglich! Ich war seine Sklavin, keine Gefangene. Ich hatte ihm gut gedient! Der Soldat pfiff, als riefe er einen gezähmten Sleen zu sich, und hob einen offenen Armreif auffordernd in die Höhe, den letzten an der Kette. Zornig nahm ich meinen Platz hinter dem vierten Mädchen ein.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte mein Herr.
Es ärgerte mich ungemein, daß mein Herr mich zusammen mit den neuen Mädchen ankettete. Ich spürte das Gewicht des Metalls an meinem linken Arm.
Mein Herr blickte auf mich herab. Ich schloß die Augen.
Er machte kehrt, verließ das Zelt und verschwand in der Dunkelheit.
»Ich war gemein zu dir, Sklavin«, sagte das Mädchen vor mir in diesem Augenblick. »Das tut mir leid. Bitte verzeih mir.«
»Was?« fragte ich.
»Es tut Maria schrecklich leid, Herrin«, sagte sie. »Bitte verzeih mir.«
Es kam mir seltsam vor, daß sie mich als ›Herrin‹ anredete. Aber dann erkannte ich, was sie meinte. Sie hatte mich ›Dina‹ genannt und getreten. Jetzt stand sie im Eigentum meines Herrn, sie war seine neueste Skla vin. Sie kannte die Machtverhältnisse im Kreis seiner Leibeigenen noch nicht. War ich womöglich sein Erstes Mädchen? Stand ich über ihr?
»Ich verzeihe dir«, sagte ich gedankenlos.
Augenblicklich richtete sich das Mädchen hochmütig auf und wandte sich ab. Sie schien anzunehmen, daß sie von mir nichts zu befürchten habe, und wollte mich von oben herab ignorieren. Das ärgerte mich. Wahrscheinlich meinte sie, daß sie besser aussah als ich – was durchaus stimmen mochte – und daß sie sich damit in die Gunst meines Herrn schleichen könnte. Ich war erbost und fragte mich, warum ich ihr verziehen hatte. Ich hatte gar nicht weiter über meine Worte nachgedacht, die mir selbstverständlich vorkamen.
Dennoch war ich zornig. Sie hatte ein wenig zu leicht gesiegt. In plötzlichem Zorn versetzte ich ihr einen Tritt von hinten.
Verblüfft schrie sie auf. Ich stand starr da, als hätte ich gar nichts getan. Der Soldat, der damit beschäftigt war, aus den Truhen im Zelt Schmuck einzusammeln und in ein Halstuch zu knoten, tat, als habe er meine Bewegung nicht gesehen. Männer mischen sich selten in die Auseinandersetzungen zwischen Sklaven ein. Natürlich ließen sie es nicht zu, daß etwa eine Sklavin die andere verletzte oder entstellte und damit ihren Marktwert schmälerte.
Das Mädchen vor mir hatte seine stolze Haltung sofort wieder eingebüßt. Sie wußte nicht mehr, woran sie war. »Wenn ich es mir genau überlege«, sagte ich, »verzeihe ich dir vielleicht doch nicht.«
»Maria erfleht deine Vergebung!« sagte sie leise.
»Vielleicht – vielleicht aber auch nicht«, sagte ich.
»Ja, Herrin«, flüsterte das Mädchen eingeschüchtert.
Ich freute mich über ihre Reaktion. Wenn sie Angst vor mir hatte, konnte ich sie vielleicht eine Zeitlang von meinem Herrn fernhalten. Sie war wunderhübsch. In mir regte sich Eifersucht.
Der Soldat band das mit Schmuck gefüllte Halstuch zusammen und warf es sich über die Schulter. Er grinste mich an. Ich senkte den Kopf und lächelte.
»Sklavinnen, wir müssen uns beeilen«, sagte er und gab das Zeichen zum Abmarsch. »Har-ta!« befahl er, und Lehna, die als erste ging, setzte sich in Trab.
Minuten später wateten wir bereits durch das kalte Wasser des Bachs.
»Har-ta!« befahl der Soldat, der uns kommandierte.
Ich spürte die Kiesel des Bachufers unter meinen nackten Füßen. Die Kette zerrte mein Handgelenk nach vorn. Ich blickte zu den leuchtenden Monden empor. Stolpernd folgte ich den anderen. Ich wußte nicht, welches Schic ksal mich erwartete – mir war nur klar, daß es ein Schicksal absoluter Unterwerfung sein würde.