12

»Herr?« fragte ich.

Ich kniete vor ihm und hielt ihm die Platte mit Fleischstücken entgegen. Mit einer turischen Gabel nahm er sich einige Brocken und tat sie auf seinen Teller.

Ich stand auf und kniete vor dem nächsten nieder, um ihm ebenfalls Fleisch darzureichen.

Gefühlvolle turische Musik füllte die Luft. Ein Mädchen in gelber Seide tanzte zwischen den Tischen.

Ich befand mich seit gut einem Monat in der Festung Turmussteine.

Oft mußte ich bis spät in die Nacht aufbleiben, um die Männer zu bedienen. In den letzten Wochen hatte ich viel von Sucha gelernt. Ich war nicht mehr das Mädchen, das für sechs Kupfertarsks an Borchoff verkauft worden war, Hauptmann der Feste Turmussteine. Er konnte sich zu seinem Kauf beglückwünschen.

»Was hat sie dich gekostet?« fragte einmal ein Leutnant.

»Sechs Kupfertarsks«, lautete die Antwort.

»Du hast ein gutes Auge für Sklavinnen«, meinte der Leutnant neidisch, woraufhin Borchoff nur grinste.

»Ja, sie ist von Natur aus Sklavin.«

Manchmal lag ich nachts in meiner Nische und weinte vor Scham.

Inzwischen waren wir neunundzwanzig Mädchen in Turmussteine. Fünf Mädchen waren an durchreisende turische Händler verkauft worden, doch zugleich waren nach und nach sechs andere Mädchen hinzugekommen. Auf diese Weise blieb der Bestand erhalten, und die Männer hatten Abwechslung.

Sucha hatte mir versichert, daß ich nicht verkauft werden würde, denn ich sei etwas Besonderes.

Wir Mädchen arbeiteten als Vergnügungssklavinnen, da wir aber zugleich die einzigen Mädchen in der Festung waren, wurden wir auch für sonstige Arbeiten herangezogen, zum Saubermachen, Kochen und Nähen. Alles in allem konnten wir uns aber nicht bekla gen. Wir durften lange schlafen und am frühen Nachmittag mit der schweren Arbeit aufhören, damit wir für den Abend ausgeruht waren.

Ich war längst nicht mehr das jüngste Mädchen in den Sklavenquartieren. Wer neu zu uns kam, wurde automatisch am unteren Ende der Rangordnung eingereiht; wenn es darüber Diskussionen gab, ging Sucha mit ihrer Peitsche dazwischen. Wir übrigen gehorchten Sucha, die in unserem Kreis für Ordnung sorgte, was mir gefiel. Ohne Suchas strenge Hand wäre es mir bei meinen Leidensgenossinnen viel schlimmer ergangen.

»Fleisch, Dina« rief ein anderer Mann, und ich eilte zu ihm, um ihn zu bedienen. Ich trug rote Seide, ein goldenes Halsband, das sich um meinen Sklavenkragen zog, und Glöckchen.

Ich sah Sucha in den Armen eines Leutnants liegen, der sie begierig küßte.

Ich kniete vor dem Mann, der mich gerufen hatte.

»Bist du taub?« fragte er. Offenbar hatte ich erst auf seinen zweiten Ruf reagiert.

»Gib mir Fleisch«, forderte er.

Ich hielt ihm die Platte hin, und er spießte sich ein scharf gewürztes Stück auf; es war das letzte auf der Platte.

»Holt den Gefangenen!« rief Borchoff in diesem Augenblick. Er war der Anführer der Soldaten in Turmussteine.

Am Nachmittag dieses Tages hatte ich mich oben auf den Mauern der Festung aufgehalten. Mir war aufgetragen worden, die Wächter mit Wasser zu versorgen. Ich war einen Augenblick lang stehengeblieben und hatte auf die weiten Felder hinausgeschaut. Bis zum Boden waren es gut achtzig Fuß.

»Hast du etwa die Absicht, in den Tod zu springen?« fragte ein Soldat, der hinter mir stehenblieb. Ich kannte ihn von den abendlichen Festen.

»Nein, Herr«, erwiderte ich. »Ich bin ja keine freie Frau.« Dann reichte ich ihm einen Becher Wasser aus der Verrhaut, die über meiner Schulter hing.

Es war heiß auf den Mauern. Die Steine waren heiß unter meinen bloßen Füßen. Ich trug eine schlichte braune Arbeitstunika.

Mit den Blicken suchte ich die Pfosten ab, die sich auf den Mauern erhoben. Zwischen ihnen waren feine Drähte gespannt, die sich in der lauen Brise des heißen Nachmittags sanft bewegten. Es handelte sich um Tarndrähte, die verhindern sollten, daß Tarns in den Hof einer Festung einflogen. Tarndrähte und Tarnnetze gehören zu den goreanischen Verteidigungsanlagen.

»Herr«, sagte ich.

»Ja?«

»Was ist das für eine Staubwolke?« fragte ich und deutete auf die Straße.

»Sie haben ihn«, sagte der Soldat neben mir.

Zwei behäbige Tharlarion näherten sich der Burg. Auf ihren Rücken saßen zwei Krieger mit Lanzen. Weitere Krieger, acht Mann aus der Burg, folgten dem Zug. Zwischen den Tharlarion taumelte ein Mann an einer Kette, die zwischen den Steigbügeln der beiden mächtigen Reittiere gespannt worden war. Sein Haar schimmerte dunkel. Man hatte ihm die Handgelenke auf dem Rücken zusammengebunden.

»Wer ist das, Herr?« fragte ich.

»Das wissen wir nicht«, antwortete der Soldat. »Wir haben aber erfahren, daß er sich über die Burg erkundigt hat – über unsere Verteidigungsanlagen und so weiter.«

»Was soll mit ihm geschehen?« wollte ich wissen.

»Zweifellos wird er bald das Brandzeichen tragen und in die Sklaverei verkauft. Ich beneide ihn nicht.«

Ich beobachtete den Mann, der einen stolzen Gang hatte. Mir war bekannt, daß es auf Gor auch männliche Sklaven gab, doch ich hatte noch keinen gesehen.

»Bring den Männern Wasser, Sklavin«, sagte der Soldat in diesem Augenblick.

»Ja, Herr.« Ich nahm von dem Soldaten den Becher zurück und eilte auf der Mauerkrone entlang, um auch die anderen zu bedienen.

Als ich später die Treppe hinunterstieg und den Hof zwischen den Mauern erreichte, öffnete sich gerade das mächtige Tor, und die Gruppe mit dem Gefangenen ritt in die Burg. Die Torflügel schlossen sich wie der. Borchoff, Hauptmann der Festung, sah sich den Gefangenen an. Neugierig hielt ich mich im Hintergrund und verfolgte die Szene; der leere Wasserbeutel hing schlaff auf meiner Schulter.

Der Mann war sonnengebräunt.

Er hatte kräftige Muskeln. Stolz stand er zwischen den beiden großen Reittieren und schien keine Mühe zu haben mit der Last der Ketten.

Es machte mir Freude, zur Abwechslung einmal einen Mann als Gefangenen zu sehen. Um die Handgelenke trug er schwere Armreifen. Ich trat näher heran. Die Wächter scheuchten mich nicht fort.

»Wie heißt du?« wandte sich Borchoff an den Mann.

»Daran erinnere ich mich nicht«, lautete die Antwort.

Daraufhin wurde er von einem der Wächter geschla gen.

»Mit welcher Absicht«, fragte Borchoff weiter, »hast du dich nach unseren Verteidigungsvorkehrungen erkundigt?«

»Das ist mir entfallen.«

Wieder ein Schlag. Die Hiebe waren grausam; trotzdem zuckte er kaum zusammen.

Borchoff wandte dem Mann den Rücken zu, um sich von einem der Tharlarionreiter berichten zu lassen, wie der Mann gefangen worden war.

Ich näherte mich dem Mann noch mehr. Niemand störte sich daran.

Als er mich ansah, errötete ich. Meine kurze Sklaventunika verdeckte mich kaum, und ich trug einen Kragen. Goreanische Männer haben eine Art, Frauen anzusehen, die wahrhaft erniedrigend ist. Ich kam mir splitternackt vor. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück.

Borchoff wandte sich um. »Dina, du darfst ihn ein wenig necken«, sagte er.

»Ich warne dich«, sagte der Gefangene. »Beleidige mich nicht dadurch, daß du mich von einer Sklavin verhöhnen läßt.«

»Tu’s!« befahl Borchoff und wandte sich ab.

In stummem Zorn richtete sich der Gefangene auf. Plötzlich kam ich mir sehr mächtig vor. Er war hilflos. Auf einmal war ich wütend auf alle Männer wegen der Dinge, die sie mir angetan hatten. Dieser Mann nun war Goreaner, und noch eben hatte er mich gemustert, als wäre er mein Herr und ich seine Sklavin.

»Ja, Herr«, sagte ich zu Borchoff, dem Hauptmann der Festung.

Dann näherte ich mich dem Gefangenen, der den Blick abwandte. »Hat der Herr Angst vor einer Skla vin?« fragte ich und fuhr ihm sanft mit den Fingerspitzen über die Schulter. »Du bist doch so groß und stark«, fuhr ich fort. »Und siehst gut aus. Warum nimmst du mich nicht in die Arme und küßt mich, wie eine Sklavin geküßt werden muß? Findest du mich nicht attraktiv?«

Er schwieg.

»Oh«, machte ich, »du trägst ja Ketten!« Ich küßte seinen Arm. Der Fremde war gut zehn Zoll größer als ich und sicher doppelt so schwer.

»Dina möchte dich erfreuen, Herr«, flüsterte ich. Mit den Zähnen zerrte ich an seiner Tunika und legte seine Brust frei. Dann strich ich ihm mit den Fingern darüber. »Du solltest dich von Dina verwöhnen lassen«, sagte ich. »Vielleicht trägst du bald ein Brandzeichen, dann bist du nichts weiter als ein Sklave.«

»Ich werde nie Sklave sein«, sagte er, und ich sah ihn verwirrt an. Doch er würdigte mich keines Blickes.

Ich nahm das Mittelteil seiner Tunika zwischen die Zähne.

»Nein, Sklavin«, sagte er streng.

Erschrocken zuckte ich zurück.

»Geh, Dina«, sagte Borchoff und drehte sich wieder um.

Ich kehrte in das Quartier der Sklavinnen zurück, um mich dort auf die Pflichten des Abends vorzubereiten. »Holt den Gefangenen!« rief Borchoff nun und stand hinter seinem Tisch auf.

Ich kniete neben dem Mann, dem ich Fleisch serviert hatte. Das Mädchen hatte zu tanzen aufgehört, die Musiker senkten ihre Instrumente.

Etwa fünfzig Männer hielten sich im Saal auf.

»Willkommen!« rief Borchoff, als der Fremde hereingebracht worden war. Er trug Ketten an den Beinen, und die Hände waren mit eisernen Schellen auf dem Rücken zusammengeschlossen. Er schien verprügelt worden zu sein.

Der Gefangene wurde vor Borchoff auf die Knie gedrückt.

»Du bist unser Gast«, sagte der Anführer der Festung. »Heute abend sollst du mitfeiern.«

»Du bist großzügig, Hauptmann«, sagte der Mann.

»Morgen«, fuhr Borchoff fort, »wirst du unseren Überredungskünsten erliegen und den Mund aufmachen.«

»Das glaube ich nicht.«

»Unsere Methoden sind wirksam.«

»Sie haben aber noch nicht zum Ziel geführt.«

Borchoff schien wütend zu sein.

»Aber ich werde sprechen, wenn es mir gefällt«, fuhr der Mann fort.

»Dafür sind wir dir wirklich dankbar«, meinte Borchoff.

Der Gefangene neigte den Kopf.

»Du stammst aus der Kriegerkaste«, stellte Borchoff fest.

»Mag sein.«

»Du gefällst mir«, sagte Borchoff und rief: »Sulda, Tupa, Fina, Melpomene, Dina – versorgt unseren geheimnisvollen Gast, der nicht mehr weiß, wie er heißt, aus welcher Stadt er kommt oder welcher Kaste er angehört.«

Gehorsam näherten wir uns dem knienden Mann.

»Morgen abend, so hoffen wir, hat er sein Erinnerungsvermögen wiedergefunden«, sagte Borchoff.

»Haben wir schon die neunzehnte Stunde?« wollte der Gefangene wissen.

»Nein.«

»Zur neunzehnten Stunde werde ich sprechen.«

»Fürchtest du die Verlockungen des morgigen Tages?«

»Nein«, antwortete der Gefangene, »aber es gibt eine Zeit und einen Ort für offene Worte, wie auch eine Zeit und einen Ort für den blanken Stahl.«

»Das ist ein Sprichwort der Krieger«, meinte Borchoff.

»Ach, wirklich?«

Borchoff prostete seinem Gefangenen zu. Er gehörte ebenfalls der Kriegerkaste an.

»Dein Pech, daß du uns lebendig in die Hände gefallen bist«, fuhr er fort. »Die Tharlariongehege Turias brauchen Sklaven für ihre Reinigungskolonnen.«

Über diese Bemerkung wurde an den Tischen laut gelacht, ein Lachen, in das auch wir Mädchen einfie len. So manche beleidigende Bemerkung hatte sich der Gefangene anhören müssen, um so schlimmer, wenn er ein Krieger war! Es war ein amüsanter Gedanke, sich den Burschen als Sklaven beim Stallreinigen vorzustellen. Er hatte mich im Hof trotz seiner Ketten eingeschüchtert.

Der Gefangene antwortete nicht. Borchoff nickte uns zu und trank aus seinem Kelch.

»Armer Herr«, sagte ich zu dem angeketteten Fremden, kniete vor ihm nieder, nahm seinen Kopf zwischen die Hände und küßte ihn.

Er sah mich an. »Du bist die Dirne aus dem Hof«, stellte er fest.

»Ja, Herr.«

»Es wird mir eine Freude sein, dir meine Spange anzuhängen.« Ich verstand nicht, was er meinte.

Zusammen mit den anderen Mädchen machte ich mich daran, ihn zu küssen und zu streicheln, ihm Wein einzuflößen und kleine Leckerbissen in den Mund zu stopfen.

»Jeder soll sich vergnügen, wie es ihm gefällt!« rief Borchoff lauthals.

Die Männer stimmten ein Freudengeheul an. »Dina!« rief ein Soldat, den ich zuvor bedient hatte.

Ich küßte den Gefangenen auf die Wange. »Verzeih mir, Herr«, sagte ich spöttisch. »Ich muß mich jetzt um einen anderen kümmern.«

Gleich darauf hörte ich, wie sich der Gefangene bei Borchoff nach der Zeit erkundigte.

»Wir haben die achtzehnte Stunde«, sagte der Hauptmann. Ich lag in den Armen des turischen Soldaten und drängte mich an ihn. Ich hatte etwas Wein getrunken und fühlte mich warm und beschwingt.

Plötzlich sprang die Tür zum Saal auf und knallte laut gegen die Wand. Bewaffnete Soldaten, die Helme aufgesetzt hatten, eilten herein.

»Die Tarndrähte sind durchschnitten!« rief ein Mann. Im nächsten Augenblick sank er blutüberströmt zusammen. Eine Klinge hatte ihn durchbohrt.

Betrunken taumelte Borchoff zwischen den Tischen hoch. Die turischen Soldaten blickten sich verzweifelt um. Die Musik hatte aufgehört. Aus den Korridoren außerhalb des Saals drang Kampflärm herein.

»Zu den Waffen!« brüllte Borchoff. »Läutet die Alarmglocke! Weitere Männer hasteten in den Raum. Turische Soldaten eilten zu den Mauern, versuchten ihre Waffen an sich zu bringen. Sklavinnen schrien.

Gleich darauf hatten die Fremden den Saal in ihrer Gewalt. Es handelte sich um entschlossen und umsichtig kämpfende Männer. Sie trugen graue Helme mit Larl- und Sleenhaarbüscheln. Ihre Lederkleidung machte deutlich, daß sie Tarnkämpfer waren.

»Den Schlüssel zu den Ketten!« verlangte der Gefangene und richtete sich auf.

Klingen näherten sich Borchoffs Hals. Seine Männer warfen die Waffen hin. Die Überraschung war gelungen. Im Lärm der Musik hatten wir nichts gehört.

Die Tarndrähte waren mit geschärften Haken durchtrennt worden, die an langen Seilen unter riesigen Tarnvögeln hingen – durchtrennt und fortgerissen. Die Tarnkämpfer hatten sich von der mondlosen Seite des Himmels her genähert, nur wenige Fuß über dem Boden fliegend, verhüllt von den nächtlichen Schatten. Erst knapp einen Viertel-Pasang vor der Festung waren sie emporgeflattert, die erste Angriffswelle hatte die Tarndrähte zerstört, die nachfolgenden Wellen waren durch die Öffnung eingedrungen und auf Dächern, Vorsprüngen und Hofflächen gelandet. Soldaten hatten sich unverzüglich in den großen Saal vorgekämpft. Der Plan der Festung schien ihnen bekannt zu sein, da sie ohne Zögern vorrückten.

Zornig gab Borchoff den Schlüssel zu den Ketten des Gefangenen heraus. Eilends wurden die Schlösser geöffnet. Der Mann richtete sich gelassen auf und rieb seine Handgelenke.

»Bist du der Anführer dieser Männer?« fragte Borchoff.

»Ja.«

»Man hat dich gefangen, als du dich nach dem Grundriß und den Verteidigungsanlagen dieser Festung erkundigtest.«

»Diese Informationen hatten wir längst«, antwortete der Mann. »Unser Plan stand fest. Ich brauchte mich nur noch von euch fangen zu lassen.«

»Dann war deine Gefangenschaft also beabsichtigt?« fragte Borchoff.

»Ja«, erwiderte der Mann. »So kam ic h in die Festung, wo ich weitere Feststellungen treffen und damit das Vorgehen meiner Männer beschleunigen konnte.« Er wandte sich an einige seiner Leutnants und gab Befehle. Männer eilten davon.

»Du hast gut aufgepaßt«, stellte Borchoff fest.

»Ich wollte die Zeit nutzbringend verwenden«, sagte der Mann und grinste Borchoff an. »Wie erhofft, waren mir deine Männer sehr behilflich; sie äußerten sich offen vor einem Mann, von dem sie annahmen, daß er in Sklavenketten enden würde.«

Borchoff starrte aufgebracht in die Runde.

Dem Anführer der Eindringlinge wurden ein Beutel und ein Schwert gereicht. Beides gürtete er um.

»Ich würde unser Gespräch ja gern fortsetzen, Hauptmann«, sagte er. »Aber du verstehst sicher, daß wir uns jetzt beeilen müssen.«

»Natürlich, Hauptmann«, sagte Borchoff. »Wir lie gen innerhalb des Gebietes, das von den Tarnkämpfern von Ar bewacht wird.«

»Die Abendpatrouille wird leider aufgehalten. Wie man hört, hat es eine Ablenkung gegeben, ein brennendes Feld im Süden. Darum müssen sich die Männer kümmern, damit sie einen vollständigen Bericht machen können.«

Borchoff ballte die Fäuste.

»Fesselt ihn«, sagte der Mann und deutete auf die Ketten, die er eben selbst noch getragen hatte. Der Befehl wurde sogleich ausgeführt.

»Wer bist du?« fragte Borchoff zornig.

»Haben wir die neunzehnte Stunde?« fragte der Mann.

»Ja«, sagte Borchoff.

»Ich bin Rask«, lautete die Antwort, »aus der Kaste der Krieger, Rask aus Treve.«

Die Sklavinnen schrien auf, und ich floh in ihrer Mitte aus dem Saal. Hinter uns wurden Befehle gegeben. Die Festung sollte geplündert werden. Ich hastete durch einen dunklen Korridor. Hinter mir ertönten die Schritte eines Mannes, der dann aber abbog, um einem anderen Mädchen nachzujagen.

Vergeblich versuchte ich die Sklavenglöckchen von meinem Bein zu entfernen. Ein Mädchen hastete an mir vorbei und bog in einen anderen Flur ein. Ich sah mich um und entdeckte eine Stahltür. Ich glitt durch die Öffnung, die nicht bewacht war. Hinter der Tür lag ein Gang. Keuchend lief ich weiter, wobei die Glocken an meinem Bein laut klirrten. Schließlich öffnete ich eine Tür und erblickte einen weiteren Gang; hier brannte eine Lampe, die an einer Kette hing. Diesen Gang hatte ich schon einmal gesehen. Hier war ich an meinem ersten Tag in der Festung entlanggeführt worden. Der Gang war gesäumt von Gittertüren. Ich zerrte an den Türen, hielt dann aber inne. Es war sicher nicht ratsam, sich hier zu verstecken. Hier lagen die Schätze der Festung, die sich die Räuber nicht entgehen lassen würden. Ich mußte mich nach einem Versteck zwischen weniger wertvollen Gütern um sehen. Ich erinnerte mich, daß sich diese Lager weiter unten am Korridor befanden, hinter einer Gittertür. Ich hastete den Gang entlang und erreichte die Tür, an der kein Wächter mehr stand. Doch auch weiter unten im Gang waren alle Türen verschlossen. Verzweifelt zerrte ich an den Gitterstäben. Erschrocken sah ich mich um. Schaute zufällig jemand in den Gang, mußte er mich sofort sehen, ein halbnacktes, verängstigtes Sklavenmädchen. Es mußte doch ein Versteck geben!

Ich lief weiter und erreichte schließlich die Tür zu Borchoffs Büro. Vorsichtig blickte ich in den Raum und machte die Tür hinter mir zu. Gleich darauf hörte ich laute Schritte auf dem Korridor, der an der anderen Tür des Zimmers vorbeiführte. Schwerter rasselten, ein Mädchen schrie auf. »Fessle sie und bring sie zum Startplatz!« sagte ein Mann.

»Du kannst ihr deine Spange anlegen«, erwiderte ein anderer. »Ich nehme die nächste.«

Stimmen schwirrten durcheinander.

Plötzlich versuchte jemand die Tür zu öffnen, hinter der ich stand; sie verschloß den zweiten Zugang zu Borchoffs Büro – zum Glück war der Schlüssel umgedreht. Tritte dröhnten; der Fremde versuchte die Tür einzutreten. Ich sah Holz splittern und eine Hand durch die Öffnung greifen, um den Riegel zu öffnen. Ich machte kehrt und floh auf dem Wege, auf dem ich gekommen war.

Hinter einer Ecke hielt ich keuchend inne. Am meisten störten mich die Glöckchen an meinem Fußgelenk, die jede meiner Bewegungen hörbar machten. Mit einem Werkzeug hätte ich den Ring vielleicht aufbrechen können, doch mit bloßen Händen konnte ich mir keine Hoffnungen machen.

Da kam mir der Gedanke, daß sich im Vorbereitungszimmer der Sklavinnen ja vielleicht der Schlüssel zum Glockenring finden ließ. Dieser Schlüssel wurde in einem flachen Holzkasten aufbewahrt, zu dem nur Sucha einen Schlüssel hatte. Wenn dieser Kasten verschlossen war, ließ er sich jedenfalls leichter öffnen, als der Reif um meinen Fuß.

Ich eilte weiter und erreichte nach wenigen Sekunden die kleine Eisentür, durch die ich zum erstenmal die Quartiere der Sklavinnen betreten hatte.

Vorsichtig drückte ich die Klinke nieder.

Ich spähte durch den Türspalt. Auf der anderen Seite des Raums wurde ein Mädchen an den Haaren fortgezerrt. Ein Mann hob sie sich auf die Schulter und verschwand damit um eine Ecke.

Ich riß ein Stück von meiner Seidentunika ab und stopfte es in den Türspalt, damit die Eisentür nicht hinter mir ins Schloß fiel. Dann eilte ich in den kle inen Raum, in dem sich die Sklavinnen schön machten. Hier war alles durcheinander. Offenbar waren hier mehrere Mädchen gefangengenommen worden. Der Schlüsselkasten war zerbrochen; vermutlich hatten Fremde darin nach Schmuck gesucht. Überall lagen Schlüssel herum, die ich hastig an dem Glockenring ausprobierte.

Draußen wurde Geschrei laut. Sulda rannte vorbei. Ich duckte mich in eine Ecke.

Das Mädchen wurde auf der anderen Seite des Schwimmbeckens gestellt. »Gebt mir keine Spange!« rief sie und schrie auf. Gleich darauf wurde sie von einem Krieger hinausgetragen. Endlich fand ich den richtigen Schlüssel. Der Glockenreif fiel zu Boden.

Erleichtert verließ ich das Zimmer, huschte um das Schwimmbecken und lauschte an der niedrigen Tür, durch die ich hereingekommen war. Doch hier ging es nicht weiter. Auf der anderen Seite näherten sich Schritte. Ich machte kehrt und floh zu den Gittertüren, die den Haupteingang zu den Sklavinnenquartieren bildeten.

Ich mußte ein Versteck finden! Leichtfüßig eilte ich durch den Gang.

Plötzlich kamen vor mir zwei Männer aus einem Seitengang. Sie führten Tupa in ihrer Mitte.

Ich machte kehrt und floh in die andere Richtung. Aber dort waren zwei weitere Männer aufgetaucht, vermutlich die beiden, die ich durch die kleine Eisentür gehört hatte.

Ich saß in der Falle! Verängstigt drückte ich mich gegen die Wand.

Sie kamen näher. »Es ist Dina«, sagte einer von ihnen.

»Laß sie gehen«, meinte der andere.

Dann trafen die vier Männer zusammen und gingen gemeinsam weiter, Tupa mitnehmend.

Schweratmend stand ich an der Wand, ratlos, erschrocken. Sie hatten sich gar nicht um mich gekümmert!

Das verstand ich nicht. Wollten sie mich nicht? War ich für sie nicht geeignet? Sollte ich als freie Frau zurückgelassen werden?

Am anderen Ende des Korridors erblickte ich plötzlich die Gestalt eines großen, gutaussehenden Mannes, der von der Aura des Befehlshabers umgeben war.

Es war Rask aus Treve. Ich machte kehrt und floh. Verängstigt hockte ich in der dunklen Ecke. Ich sah keinen Ausweg mehr. Eine Lampe näherte sich. Ich hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen.

Vor mir befand sich ein verschlossenes Gittertor. Ich konnte nicht weiter.

Er hob die Lampe und leuchtete in die Ecke, in der ich kauerte.

»Sei gnädig zu einer armen Sklavin, Herr«, flüsterte ich.

Er stellte die Lampe auf den Boden und fesselte mir die Hände auf dem Rücken.

Ich hatte ihn gereizt und verspottet, ich hatte mir auf seine Kosten einen Spaß gemacht. Jetzt trug ich seine Fesseln, jetzt war ich allein mit ihm in einem dunklen Korridor tief unter der Festung.

Ich blinzelte ins Licht.

Er nahm einen Gegenstand aus seinem Beutel und hielt ihn mir hin. »Weißt du, was das ist?« fragte er.

Es erinnerte an ein winziges ovales Blatt aus Metall. Am breiteren Ende befand sich eine kleine Öffnung, in der ein kurzer Draht steckte. Auf dem Blatt machte ich ein Zeichen und kleine Buchstaben aus.

»Kennst du dieses Zeichen?«

»Nein, Herr.«

»Es ist das Zeichen von Treve – und hier steht mein Name. Mit diesen Spangen kennzeichnen wir bei unseren Überfällen die Beute.«

Ich kauerte vor ihm an der Wand. Er ergriff mein linkes Ohrläppchen, durchstach es mit dem Draht, drehte die Enden zusammen und schuf auf diese Weise eine winzige Schleife, in der das Silberblatt baumelte.

»Es wird mir eine Freude sein, dir meine Spange anzuhängen«, hatte er gesagt. Jetzt endlich verstand ich, was damit gemeint war.

»Du kommst mir nicht mehr ganz so unverschämt vor wie am Anfang«, sagte er.

»Nein, Herr«, erwiderte ich schluchzend.

Er hatte mir das Ohrläppchen durchstochen! Im Gegensatz zur Erde, wo so etwas nur eine Mode ist, bedeutete ein durchstochenes Ohrläppchen für eine goreanische Sklavin höchste Erniedrigung – sie zählte damit zu den gemeinsten aller Sklavinnen.

Ich blickte Rask aus Treve entsetzt an. Er lachte, wußte er doch genau, was er mir angetan hatte.

»Macht dir deine Rache Spaß, Herr?« fragte ich.

»Du hast meine Rache noch gar nicht zu spüren bekommen, hübsche kleine Sklavin«, sagte er und beugte sich über mich.

Doch gleich darauf hob er den Kopf. »Rauch«, sagte er.

Auch ich spürte das Beißen in der Nase.

»Die Festung brennt«, sagte er. »Hoch mit dir, Skla vin!«

Ich kämpfte mich mühsam hoch.

Unsere Flucht führte durch bereits brennende Säle. Wir erstiegen steile Treppen, erreichten nach wenigen Ehn das Dach eines Gebäudes und gingen von dort über eine schmale Brücke auf eine der Mauerbrüstungen. Hier warteten mehrere Tarns, die großen wilden Sattelvögel Gors. Ich sah Flammen durch eines der Dächer züngeln. Es war eng auf der Mauer. Beute wurde auf den Sätteln der Vögel festgebunden. An den Sattelknöpfen baumelten kostbare Gefäße. Mädchen standen neben den geflügelten Ungeheuern. Sie waren mit Handfesseln an den Steigbügeln festgemacht. Hinter einigen Tieren lagen Tarnkörbe an langen Seilen. In ihnen wurden weitere Schätze und auch Mädchen verstaut. Männer stiegen hastig in die Sättel. Unten im Hof sah ich Borchoff und die Besatzung der Festung. Man hatte die Soldaten gefesselt. Freigelassene Tharla rion liefen nervös zwischen den Gebäuden herum, und die Männer mußten sehen, daß sie nicht zertrampelt wurden. Ich wurde am Arm fortgezerrt. »Wir müssen uns beeilen, Hauptmann«, rief einer der Männer.

»Wir müssen die Dunkelheit ausnutzen«, sagte ein Leutnant, »und vor Morgengrauen am Treffpunkt sein.«

»In den Sattel, Leutnant«, befahl Rask aus Treve grinsend.

Der Mann lächelte und bestieg die Leiter, die zu dem hohen Sattel des Riesentiers führte.

Tief unter uns war das große Burgtor aufgestoßen worden. Tharlarion stürmten ins Freie.

Ein Soldat packte mich an den Armen und führte mich zu einem der Tarnkörbe.

Unten im Hof hob Borchoff den Kopf. Rask aus Treve hob die Hand und grüßte ihn – ein Gruß zwischen Kriegern. Das Tor war offen. Borchoff und seine Männer waren zwar gefesselt, doch sie konnten sich in Sicherheit bringen.

Dann blickte Rask aus Treve in die Runde und vergewisserte sich mit schnellem Blick, daß bei den Männern und Tieren alles in Ordnung war.

Der Soldat hob mich in die Höhe und schob mich mit den Füßen voran durch eine lukenähnliche Öffnung in den Tarnkorb. Zuletzt drückte er meinen Kopf nach unten und zwängte mich auf diese Weise zwischen die anderen Mädchen. Ich hockte mich hin, konnte mich kaum bewegen. Ich blickte hoch und sah, daß die Tür geschlossen und zugeschnürt wurde. Ich kniete. Aufrecht stehen konnten wir in dem Korb nicht. Acht Mädchen waren in dem Korb gefangen, außerdem hatte man darin Seidenballen und Gold verstaut.

»Ho!« rief Rask von Treve.

Ich legte den Kopf an die Außenwand des Korbes.

»Ho!« antworteten die Männer aus Treve.

Der Mann, der mich in den Korb gesteckt hatte, stieg mit schnellen Bewegungen in den Sattel seines Tarn; die Leinen des Korbes führten zu den Steigbügeln des Vogels. Schwang sich der Vogel in die Luft, wurde der Korb ebenfalls mit angehoben. Der Tarnkämpfer wartete nur noch auf das Signal zum Abflug.

»Ho!« rief Rask aus Treve und zog am ersten Zügel seines Tarn.

»Ho!« antworteten seine Männer.

Der Tarn breitete die mächtigen Flügel aus und begann sie heftig zu bewegen. Die Spannweite dieser Flügel mochte dreißig Fuß und mehr betragen. Der rie sige Tarn verließ mit einem lauten Schrei die Mauern von Turmussteine. Die anderen Tiere folgten. Obwohl uns das Geflecht des Korbes schützte, spürten wir den Luftzug. Wäre jemand auf der Mauerbrüstung zurückgeblieben, hätten ihn die Windstöße vermutlich in die Tiefe geschleudert.

Einen Augenblick lang passierte gar nichts, dann strafften sich die Korbseile. Unser Tarnflieger zerrte den Korb über den Rand, gewann an Höhe, übersprang die Mauern der Burg und folgte den anderen. Als der Korb von der Mauer herab in den Hof zu stürzen schien, schrien wir alle auf, aber schon pendelten wir unter dem Tarn und fühlten uns in die Höhe geschwungen, als sollten wir zu den Monden Gors geschleudert werden.

Turmussteine blieb brennend unter uns zurück.

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