Ich wanderte auf dem Deck der Juwel von Jad umher. Die Sonne brannte vom Himmel. Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, das inzwischen wieder anderthalb Zoll lang war, und schloß die Augen. Dann blickte ich zum Himmel empor, der in einem tiefen Blau erstrahlte, mit Wolken, die so weiß waren, daß meine Augen zu schmerzen begannen. Das gewaltige Lateinersegel war prall gefüllt. Links und rechts von uns waren andere Schiffe zu sehen, Rammschiffe und Rundschiffe. Der Konvoi bestand aus etwa zwanzig Einheiten. Unser Ziel war Schendi.
Unsere Abfahrt aus Telnus lag zwei Tage zurück; wir schrieben die zehnte Stunde. Ich hatte großen Spaß daran, über das Deck zu wandern und den Wind und die Gischt auf der Haut zu spüren. Das Wasser begann nur etwa einen Meter unter der Reling, so tief lag das voll beladene Schiff.
Ich betastete meinen Schiffskragen mit dem Emblem, das mich als Eigentum der Lady Elicia Nevins auswies. Es war nicht angenehm, Sklavin einer Frau zu sein. Sie würde sicher von mir verlangen, daß ich mich ihrer Disziplin fügte, daß ich ein Beispiel an Gehorsam, Bescheidenheit und Unterwürfigkeit gab. Wenn ich einen Mann nur ansah, dessen war ich sicher, würde sie mich rücksichtslos strafen.
Ich schlug mir meine Herrin aus dem Kopf und beschloß, den Augenblick zu genießen.
Ich eilte zum Heck, wo einige Seeleute mit Fischen beschäftigt waren. An der Leine entdeckte ich einen großen fleckigen Grünt, der sich loszureißen versuchte. Vier Männer hielten die Leine. Auf Seereisen wird viel gefischt, um den Speisezettel anzureichern; ein Teil der Beute wird allerdings gleich wieder als Köder für den nächsten Versuch ausgeworfen.
Angstvoll schrie ich auf. Einer der Männer brüllte zornig los. Unter dem Grünt erschien plötzlich ein langer weißer Hai, der den Grünt von der Angelleine zerrte und davonschleppte. In der Nähe huschten andere Dreiecksflossen dahin; zweifellos hatte der Konvoi viele Raubfische angelockt. Tags zuvor hatte ich sogar den Kopf eines Meeressauriers aus dem Wasser ragen sehen – ein kleiner Kopf mit langen Reihen winziger Zähne. Seine Gliedmaßen erinnerten an breite Paddel. Ungeheuer dieser Art bieten zwar einen furchteinflößenden Anblick, sind aber in Wirklichkeit ziemlich harmlos. Mehr als Abfall und kleine Fische vermögen sie nicht zu schlucken. Außerdem sind sie selten; manche Seeleute haben in ihrem ganzen Leben noch keinen Meeressaurier gesehen. Weitaus öfter anzutreffen ist der Meeressleen; er ist das schnellste und gefährlichste Raubtier des Thassa, das allerdings vorwiegend in nördlichen Gewässern
jagt.
Ich kehrte zum Bug des Schiffes zurück. Dort griff
ich in einen Holzeimer und nahm mir eine Tospit heraus. Niemand hinderte mich daran.
Ich war zwar die einzige Sklavin an Bord, doch führte ich ein relativ angenehmes Leben. Ich durfte mich frei bewegen und wurde nachts nicht einmal angekettet. Die Männer behandelten mich mit der rauhen Kameradschaft, wie sie sich an Bord eines Schiffes sogar auf Sklavinnen erstrecken kann.
»Segel Backbord voraus!« rief in diesem Augenblick ein Mann. Ich hob den Kopf. Der Ausguck stand hoch über dem Deck auf seiner Plattform, fast am Ende des großen Schiffsmasts, weit über dem Segelbaum; diese Plattform zog sich kreisförmig um den Mast. Der Ausguck hielt sich an einem Ring fest, der ebenfalls den Mast umschloß.
Der Offizier auf dem Achterdeck nahm ein Fernrohr zur Hand.
Der Kapitän der Juwel von Jad eilte aufs Achterdeck. Der wachhabende Offizier reichte ihm das Fernrohr.
»Zwei Masten, zwei Segel«, sagte er, »zehn Ruder auf jeder Seite. Es muß sich um ein Rundschiff handeln.«
»Es zeigt die Flagge von Port Kar«, sagte der Kapitän erfreut.
»Sieh!«, sagte der Offizier und hob den Arm.
»Ja, ich seh’s«, meinte der Kapitän. »Das Schiff macht kehrt.«
Der Zweite Offizier erstieg das Achterdeck. Er hatte ebenfalls ein Fernglas bei sich.
»Ein Rundschiff«, sagte der Erste Offizier.
»Es liegt tief im Wasser«, stellte der Neuankömmling fest.
»Es führt schwere Fracht«, meinte der Erste Offizier.
Der Kapitän setzte das Glas ab und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
Die Juwel von Jad fuhr zwar zur Zeit im Frachtdienst, war aber ein Kriegsschiff, ein Rammschiff.
»Der Bursche flieht«, sagte der erste Offizier. »Hinterher!«
Der Zweite Offizier starrte durch sein Glas über das Meer. »Sieht ziemlich lang aus für nur zehn Ruder pro Seite«, sagte er.
»Es führt die Flagge von Port Kar«, drängte der Erste Offizier. »Wir sollten angreifen!«
»Das tun wir auch!« entschied der Kapitän. »Gib dem Flaggschiff unsere Absicht bekannt. Der Konvoi soll beidrehen.«
»Ja, Kapitän!« rief der Erste Offizier und gab seine Anweisungen.
Der Kapitän wandte sich an den Rudergänger. Die Juwel von Jad scherte aus, um das Schiff aus Port Kar zu verfolgen. Männer sprangen zu den Bänken. Ruder wurden hinausgeschoben. Der Rudermeister nahm seinen Platz auf den Stufen unterhalb des Achterdecks ein. Waffen lagen zu Füßen der Ruderer bereit. Es herrschten Feierstimmung und Spannung zugleich. Die Decks wurden nicht freigeräumt. Niemand kümmerte sich um mich. Die Katapulte wurden nicht zum Kampf fertiggemacht, es gab keinen Löschsand an Deck. Man nahm sich nicht einmal die Zeit, die Segel einzuholen und den Mast umzulegen, wie es auf solchen Schiffen vor einem Angriff gewöhnlich geschieht. Das andere Schiff war leichte Beute. Müheloser Gewinn für jedermann.
Der Kapitän grinste.
»Zieht durch!« rief der Rudermeister. Wie von Leben erfüllt, schoß die Juwel von Jad los, hinter dem fliehenden Schiff her.
Als einziger schien sich der Zweite Offizier Sorgen zu machen. Er starrte durch das Glas zu dem fliehenden Schiff hinüber, bis er auf seinen Posten befohlen wurde.
Ich hockte in der Nähe der Reling, unterhalb der Treppe, die zum Achterdeck hinaufführte.
Unsere Signalflaggen flatterten im Wind. Hinter uns, weit entfernt, hatte der Konvoi beigedreht.
Wir würden bald zurückkehren. Ich war aufgeregt. Zum erstenmal sollte ich eine Seeschlacht miterleben! Als die Wolke von Telnus erobert wurde, war ich mit anderen Sklavinnen unter Deck angekettet gewesen. Wir hatten nicht gewußt, wem wir gehörten, bis die Luken geöffnet wurden und wir uns Fremden gegenübersahen.
»Schneller!« befahl der Kapitän.
»Zieht durch!« rief der Rudermeister. »Zieht durch!«
Der Konvoi blieb hinter uns zurück.
»Kapitän!« rief der Ausguck plötzlich. »Achtung! Der Kerl le gt die Masten um! Das Schiff macht kehrt!«
Von meinem Standort aus konnte ich sehen, wie drüben der Segelbaum heruntergeholt und das Segel gerefft wurde. Das fremde Schiff wendete.
»Ich hab’s doch geahnt«, rief der junge Offizier und lief zum Achterdeck.
»Bleib auf deinem Posten!« rief der Kapitän.
»Wir müssen umkehren!« rief der Offizier.
Der Kapitän betrachtete das gegnerische Schiff durch sein Teleskop.
»Siehst du die Ruder, Kapitän?« drängte der besorgte Offizier. »Plötzlich hat es zwanzig auf jeder Seite.«
Zusätzliche Ruder waren ins Freie geschoben worden.
»Das ist kein Rundschiff, Kapitän«, stellte der junge Offizier fest. Die tiefe Lage im Wasser ging nicht auf schwere Fracht zurück, sondern auf eine Linienführung, die Schnelligkeit verhieß. Die tatsächliche Ruderkraft war nicht sofort offenbart worden. Jetzt lagen die Masten unten. Rammschiffe gehen mit Ruderkraft in den Kampf.
»Ich beschwöre dich!« rief der junge Offizier. »Wir müssen wenden oder an Tempo zulegen, um dem Burschen die Ruder abzufahren!«
Das feindliche Schiff kam bereits mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu.
»Seht die Flagge!« rief der erste Offizier.
Neben der Flagge von Port Kar war ein zweites Zeichen aufgetaucht, eine breite weiße Flagge mit senkrechten grünen Linien. Über den grünen Linien lag der riesige schwarze Kopf eines Bosk.
»Bosk aus Port Kar!« rief der Erste Offizier.
»Verflucht! Wenden!« brüllte der Kapitän.
»Wir sind verloren!« jammerte ein Seemann und floh entsetzt von der Ruderbank.
Ich schrie auf. Das andere Schiff, das riesig vor uns aufragte, schien sich plötzlich aus dem Wasser zu heben, dann hörte ich das Knirschen und Reißen von Holz und ein plötzliches Rauschen von Wasser. Der Gegner hatte uns gerammt. Männer schrien, Taue rissen, der Segelbaum dröhnte herab, das Deck verkantete sich. Ich konnte nicht mehr stehen, stolperte zur Seite, packte ein Tau und stürzte auf die Planken. Eine Sekunde lang schien sich das Schiff wieder zu fangen. Der Angreifer war ein Stück zurückgewic hen und ließ den Bug zur Seite schwingen. Dann begann sich unser Deck dem Wasser zuzuneigen; durch ein riesiges Leck strömte das Thassa in unseren Laderaum.
Männer sprangen ins Wasser.
Ich klammerte mich an das Tau. Plötzlich spürte ich kaltes Wasser an meinen Füßen. Das Deck wurde überspült. Das andere Schiff entfernte sich wie ein lautloser Sleen.
Auf dem Achterdeck stand die einsame Gestalt des Kapitäns. Er umklammerte die Reling. Hastig sah ich mich um. Die Ruderbänke waren leer. Ein Mann schrie im Wasser. Aus der Ferne gellte der Ton von Signalhörnern herüber.
Ich ließ das Tau los und sprang ins kalte Wasser. Ich versank unter der Oberfläche und kam nur mühsam wieder hoch.
»Fort vom Schiff!« rief ein Mann.
Ich schwamm auf ihn zu. Als das Schiff unterging, war ich schon einige Meter entfernt. Der Sog zerrte mich mit, doch ich kam wieder an die Oberfläche.
Salz brannte mir in den Augen, und ich konnte nicht richtig sehen. Eine Hand packte mich und zerrte mich auf ein hölzernes Trümmerstück aus der Schiffsflanke.
»Man wird uns schnell aufsammeln«, sagte jemand. Vier Männer klammerten sich am Holz fest.
Ich sah mehrere andere Schiffe des Konvois näherkommen.
»Warte!« sagte einer der Männer. »Sie machen kehrt!«
»Da kommen andere Schiffe!« rief jemand.
Unsicher stemmte ich mich auf den Brettern hoch. Tatsächlich, mehrere Konvoischiffe drehten bei. Aus der Ferne sah ich andere Schiffe näherkommen.
»Der Konvoi wird angegriffen«, sagte einer der Männer.
Ich entdeckte den jungen Offizier im Wasser. Er half dem Kapitän der Juwel von Jad.
Plötzlich erblickte ich eine dreieckige Flosse, die durch das Wasser schoß. Ein Schiff passierte uns, doch es führte die Flagge Port Kars, eine leichte Galeere. Die Besatzung achtete nicht auf uns. Ein Rauchfaden zog sich am Himmel hin; irgendwo war ein Brandgeschoß katapultiert worden. Weit zu unserer Linken brannte eine Galeere; sie stammte aus Cos.
Signalhörner gellten.
Zwei Beiboote näherten sich uns; sie waren von einem Konvoischiff zu Wasser gelassen worden. Nach kurzer Zeit waren wir gerettet.
An Bord des großen Schiffes wurde ich sofort zur Seite geführt und in den Laderaum gebracht, in dem eine winzige Lampe brannte.
»Eine Sklavin!« sagte eine Frauenstimme.
»Verzeih, Herrin«, sagte ich und kniete nieder.
Die Frau stieg die Treppe empor. »Ich halte mich doch nicht mit einer Sklavin im Laderaum auf!« rief sie.
»Sei still, Frau!« rief zornig ein Mann von oben.
Sie versuchte die schwere Luke zu öffnen, die aber schon wieder verriegelt worden war.
Ich und die freie Frau, die kein Wort an mich richtete, verbrachten viele Stunden im Laderaum – in dieser Zeit manövrierte unser Schiff viel herum und wurde in zahlreiche Kämpfe verwickelt. Von draußen hörten wir Gebrüll und das Sirren der Katapulte, die ihre Flammengeschosse in den Himmel schössen. Später am Abend wurden unsere Ruder gerammt, ein Teil wurde nutzlos gemacht. Wenige Minuten später enterte der Gegner das Schiff, konnte aber zurückgeschla gen werden.
Danach gab es eine Kampfpause, in der die Luke offen war.
»Das Schiff ist zunächst in Sicherheit, meine Dame«, sagte der Kapitän. »Ich lasse etwas zu essen bringen.«
Sie erstieg die Leiter und erging sich auf Deck. Unbemerkt kroch ich hinter ihr her und steckte den Kopf ins Freie.
Es war dunkel. Laternen standen unangezündet an Deck. In der Ferne stiegen da und dort Feuerbrände auf und sanken an winzigen Fallschirmen langsam herab. Links verbreiteten mehrere brennende Schiffe leichte Helligkeit.
Soweit ich erfuhr, hatte der Konvoi im großen und ganzen Disziplin bewahrt und sich gut geschlagen. Allerdings schien die Gefahr noch nicht vorüber zu sein, denn die freie Frau wurde in den Laderaum zurückgeschickt.
Nach einer unruhigen Nacht weckten uns neuerliche Alarmrufe. »Segel! Segel!« schrie es durcheinander. Männer trampelten über das Deck. Wir spürten, wie sich das Schiff im Wasser herumlegte. »Sie greifen wie der an!« rief jemand.
»Was geschieht mit uns«, fragte die freie Frau, »wenn wir gerammt werden?« Es waren die ersten Worte, die sie an mich richtete.
»Vielleicht denkt jemand daran, die Luke aufzumachen.«
»Aber wenn nicht – was passiert dann?«
»Manchmal klafft das Holz weit auf. Vielleicht könnten wir entfliehen.«
»Das ist aber wohl nicht sehr wahrscheinlich«, sagte sie.
»Nein, Herrin«, meinte ich.
Wir hörten, wie der Rudermeister das Tempo erhöhte. Außer seiner Stimme war an Deck nichts zu hören.
Etwa eine halbe Ahn später spürten wir, wie das Schiff plötzlich zur Seite ausbrach. Wir hörten einige Ruder brechen.
»Ich möchte wissen, was da vorgeht!« schrie die Frau plötzlich los und hämmerte mit den Fäusten gegen die verriegelte Luke. Niemand kümmerte sich um sie.
Etwa eine Viertel-Ahn später hörten wir plötzlich Männer schreien. Wenige Ihn darauf platzte die Wand des Laderaums mit lautem Knirschen nach innen. Wir sahen zuerst nichts, sondern wurden von einer kalten Sturzsee überspült. Wir schrien auf. Gleich darauf drang etwas Licht zu uns herein, und wir sahen den Horizont und den Bug eines Schiffes mit gekrümmtem Rammsporn, der sich tief in unser Schiff gebohrt hatte. Der Angreifer begann rückwärts zu rudern, und die Ramme zog sich zurück. Das Loch in unserer Schiffshülle war gut einen Meter breit. Wasser strömte so machtvoll herein, daß man sich der Öffnung nic ht nähern konnte. Plötzlich standen wir bis zu den Hüften im Wasser. Das Schiff legte sich auf die Seite; wir sahen den Himmel, und der Wasserfall versiegte; dann wälzte sich das Schiff zurück, und in breitem Strom ergoß sich das Thassa wieder in den Laderaum.
Schreiend erstiegen wir die Treppe zur Ladeluke, die plötzlich aufgerissen wurde. Über uns spannte sich der Himmel. Ein Offizier mit blankem Säbel stand vor uns.
Hastig stiegen wir an Deck. Er packte die freie Frau am Arm und zerrte sie zu einem Beiboot. Um mich kümmerte sich niemand. Der Angreifer hatte sich zurückgezogen und suchte offenbar andere Beute. Ich sah zahlreiche Schiffe in der Nähe. Der Tag war noch jung. Rauchschwaden hingen über dem Wasser; im Norden wallte Nebel. Schiffe kämpften. Ich hörte von einem anderen Schiff Waffengeklirr und lautes Gebrüll. Auf engstem Raum manövrierten vier oder fünf Schiffe. Zwei brannten. Männer begannen sich in die beiden Beiboote zu drängen. Das eine glitt ins Wasser und kenterte. Die freie Frau wurde zum anderen Boot geführt. Seeleute bemühten sich, das gekenterte Boot wieder aufzurichten. Gleichzeitig begann das Heck unseres Schiffes abzusinken. Männer sprangen ins Meer und schwammen auf andere Schiffe zu. Ich rannte an die Reling und blickte ihnen nach. Das Schiff, auf dem ich mich befand, begann schneller zu sinken. Verzweifelt sprang ich ins Wasser, hob Kopf und Arme, drehte mich herum und packte ein vorbeitreibendes Holzstück. Knapp fünfzig Fuß entfernt stand ein Schiff in Flammen. Überall trieben Trümmer. Ich hörte Hörner und sah Signalflaggen aufsteigen. Zwei Männer kämpfen im Wasser. Plötzlich war der Nebel aus dem Norden heran. Das brennende Schiff schien zu verschwimmen, und ich hatte den Eindruck, plötzlich allein zu sein. Ein brennendes Schiff ging unter; der Hörnerklang entfernte sich. Männer, die in meiner Nähe geschwommen waren, schienen verschwunden zu sein. Ich war allein.
Ich begann zu schluchzen.
Plötzlich stieß ich einen Angstschrei aus. Eine lange Schnauze voller winziger Zähne hatte sich um mein Bein gelegt und zerrte mich in die Tiefe! Ich schrie und klammerte mich an meiner Holzplanke fest. Ich spürte das Gewicht des Ungeheuers, das mich mit sich reißen wollte. Mit dem anderen Fuß versuchte ich das unheimliche Wesen abzustreifen. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich war plötzlich unter der Wasseroberfläche. Da veränderte sich auf einmal der Zug des Wesens. Ich spürte, wie es herumschnellte, wie sich der Griff um mein Bein lockerte. Ich wurde zur Seite gestoßen. Ich sah, wie das Wesen langsam neben mir aufstieg – reglos. Da wurde ich am Arm gepackt und in die Höhe gezerrt. Keuchend und hustend sog ich frische Luft in meine Lungen. Ich erschauderte und verlor das Bewußtsein.
Vermutlich war ich nur wenige Sekunden ohnmächtig. Als ich erwachte, wurde ich gerade auf ein riesiges, unregelmäßiges Wrackteil gezogen, das wie ein Holzfaß aussah.
Vorsichtig stemmte ich mich hoch. Dann erbrach ich mich ins Meer.
Wenige Fuß vom Floß entfernt lag ein grotesker Meeressaurier reglos im Wasser, fischähnlich, doch eindeutig ein Reptil, ein abstoßendes Wesen von gut zwanzig Fuß Länge.
Plötzlich tauchte daneben die Flosse eines Hais auf, der sich über die leichte Beute hermachte.
Ein Mann stand neben mir.
Er packte mich an den Armen und drehte mich auf dem großen floßähnlichen Gebilde herum. Hilflos lag ich vor ihm und blickte auf.
»Herr!« rief ich und rappelte mich hoch. Das Herz wollte mir überfließen vor Wonne. »Ich liebe dich!« rief ich und warf mich vor ihm nieder.
Clitus Vitellius zerrte mich hoch. »Sleen!« sagte er drohend. »Dich den Haien zum Fraß vorzuwerfen, wäre eine zu gelinde Rache für einen Krieger.«
»Ich liebe dich, Herr!«
Er versetzte mir einen zornigen Tritt. »Lügnerin!« sagte er.
Er zog ein blutiges Messer aus dem Gürtel; mit dieser Klinge hatte er offenbar das Meeresungeheuer besiegt. Nachdenklich wog er die Klinge in der Hand. »Nein«, sagte er. »Das Messer, die Haie – das ist alles viel zu gut für dich.«
»Hab Mitleid mit einer armen Sklavin!«
»Ich habe dich verfolgt«, sagte er. »Die Leute im ›Chatka und Curla‹ sagten mir, daß du auf der Juwel von Jad abgereist wärest. Wir brachten eine kleine Rudergaleere in unsere Gewalt und stießen zur Flotte von Port Kar. Während des Kampfes habe ich dich gesucht - keine leichte Aufgabe. Gefangene mußten zum Reden gebracht werden. Danach wurden Überlebende der Juwel von Jad von einem Rammschiff an Bord genommen, das Luciana aus Telnus hieß. Dieses Schiff mußten wir suchen. Wir fanden es und griffen an, dabei wurde unsere Galeere vernichtet. Meine Männer schwammen zu einem Schiff aus Port Kar. Ich aber setzte die Suche fort.«
»Und hast mich nun gefunden, Herr«, sagte ich. »Du hast mich gefangen.«
»Ja«, sagte er, »die boshafte kleine Lügnerin, der kleine Sleen, die Verräterin ist in meiner Gewalt! Sie ist mir ausgeliefert!«
»Ja, Herr«, sagte ich.
»Du sollst die Rache eines Kriegers zu spüren bekommen!«
»Ich gehöre dir, Herr«, flüsterte ich.