14

»Paga, Herr?« fragte ich.

Er winkte mich fort.

Glockenklirrend wandte ich mich ab und sah mich um. Das Mädchen auf der Tanzfläche war gut. Wir hatten erst die sechzehnte Stunde, der Abend hatte kaum begonnen. Einige Männer schauten dem Mädchen zu, das sich aufreizend zur Musik einer einzelnen Flöte bewegte.

»Paga!« rief ein Mann.

Ich eilte zu ihm. Das große bronzene Pagagefäß trug ich an einem Riemen über der Schulter.

Ich kniete nieder und schenkte ein. Dann ging ich mitsamt dem Pagagefäß zur Tür der Taverne, um draußen ein wenig frische Luft zu schnappen. Als Pagamädchen war ich gewissermaßen in den Preis für die Getränke mit eingeschlossen; trotzdem kamen viele Gäste nur, um zu trinken oder sich mit Freunden zu unterhalten. Busebius, mein Herr, schien mit mir nicht unzufrieden zu sein. Offenbar war sein Geld in mir gut angelegt. Mehr als die anderen Mädchen war ich von den Gästen mit in die Nischen genommen worden, um ihnen zu Gefallen zu sein. Es gab inzwischen Gäste, die nur meinetwegen kamen. Auf diese Weise belebte ich den Umsatz.

Vor dem Gebäude atmete ich tief ein. Es war uns gestattet, ab und zu einen Moment im Freien zu verbringen.

Ich stand unter dem Schild des Glockenkragens.

»Sei gegrüßt, Teela«, sagte ein Passant.

»Sei gegrüßt, Herr«, antwortete ich.

Ich war Teela, Pagasklavin im Glockenkragen. Das stand jedenfalls auf dem Stahlkragen, der sich um meinen Hals schmiegte. Ich blickte über die Brücke auf die hoch aufragenden Türme und Zylinder und auf die untergehende Sonne hinter den Mauern von Ar. Ich sah die Silhouetten schmaler Brücken vor dem Himmel und Gestalten, die sich darauf bewegten. Tief darunter fuhren Karren und Wagen durch die Straßen, gezogen von Tharlarion. Ich hob den Blick. Etliche Tarnkämpfer patrouillierten am Himmel. Ich dachte an Clitus Vitellius.

»Sei gegrüßt, Teela«, sagte ein Mädchen, das mir aus der Taverne ins Freie gefolgt war.

Wie ich trug sie Glöckchen am linken Bein, ein kurzes Seidengewand und den Halskragen. Sie hieß Bina. Wir standen barfuß auf der Brücke.

Bran Loort, der einst in Tabukfurt gelebt hatte, schleppte einen niedrigen Tisch in die Taverne. Für Unterkunft und Essen und einen Tarsk die Woche verrichtete er allerlei Arbeiten im Lokal. Wir hatten uns hingekniet, weil er ein freier Mann war. Dabei fragte ich mich insgeheim, ob er wirklich frei war. Er wirkte bedrückt. Er schlief nachts in der Taverne, weil er hier beschäftigt war. Doch hatte er sich nie mit einem der Mädchen abgegeben. Ich fürchtete, daß er dazu gar nicht in der Lage war. Ich mußte an die Niederlage denken, die Thurnus ihm beigebracht hatte, und an die Herausforderung eines nackten, gefesselten Mädchens, die er nicht hatte annehmen können. »Ich kann nicht«, hatte Bran Loort geflüstert und sich wie ein geprügelter Hund davongeschlichen. Hier in Ar hatte ich ihn wiedergetroffen.

»Du bist das einzige Mädchen, das ich hier kenne«, sagte Bina. »Wir beide waren Sklavinnen von Clitus Vitellius. Wir haben schon einmal eine Kette miteinander geteilt. Ich möchte deine Freundin sein.«

Ich betrachtete Bina, auch Sklavenperle genannt. »Auch du bist die einzige Freundin, die ich hier habe«, sagte ich.

Das Mädchen umarmte mich.

»Rein mit euch!« sagte Busebius hinter uns. »Glaubt ihr, ich habe euch gekauft, damit ihr wie freie Frauen in der Gegend herumsteht und die frische Luft genießt?«

»Nein, Herr!« riefen wir und eilten ins Lokal. Ich war länger in der Taverne als Bina, fast zwanzig Tage lang, während sie erst vor sechs Tagen zu uns gekommen war. Es gab insgesamt zweiundzwanzig Skla vinnen und Tänzerinnen im Glockenring.

Die neunzehnte Stunde war bereits vorbei. Die Taverne war gut besucht. Die Musik hallte laut durch den großen Raum. Unsere beste Tänzerin, ein schlankes blondes Erdenmädchen, das Helen genannt wurde, zog die Gäste des Busebius in ihren Bann.

»Paga!« rief ein Mann, und ich eilte zu ihm.

»Paga!« forderte ein anderer. Ich sprang auf und huschte zu ihm und bediente ebenfalls. Noch nie, so wollte mir scheinen, hatten sich so viele Gäste in der Taverne gedrängt.

Ich rannte zum Tresen, wo Busebius mein Metallgefäß in einem großen Bottich mit Paga füllte.

»Paga! Paga!« hörte ich. Mir blieb nicht einmal die Zeit, den Riemen des Gefäßes wieder richtig auf meine Schulter zu schieben.

In diesem Augenblick wurde die Tür der Taverne aufgestoßen. Die Musik stockte. Helen erstarrte. Alle Augen richteten sich auf die Tür. Mein Herz schien einen Schlag auszusetzen.

Mehrere eindrucksvoll wirkende Männer standen im Eingang, Krieger, die nicht aus Ar stammen konnten. Ihr Anführer, der barhäuptig gekommen war, aber Umhang und Medaillon trug, bedeutete den Musikern weiterzuspielen. Sofort klang die Melodie wieder auf, und Helen setzte ihren Tanz fort.

Der Anführer der neuen Gäste zog langsam die Handschuhe aus und steckte sie sich in den Gürtel. Seine Augen musterten Helen, dann mich. Er war unglaublich groß und gutaussehend. Ich hoffte, daß ich mich ihm von meiner besten Seite zeigte.

Er wandte sich zu Busebius um, der zu ihm eilte.

»Wer ist denn das?« hörte ich einen Mann fragen.

Bina stand in meiner Nähe. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie hatte das Medaillon des Fremden gelesen.

Busebius führte die Besucher in eine Ecke der Taverne, auf eine erhobene Plattform, von der sich der ganze Raum überschauen ließ.

»Kennst du sie nicht?« antwortete jemand auf die Frage.

»Nein«, sagte der erste Mann.

»Das ist die Delegation der Salerischen Konföderation.«

»Der Anführer?«

»Thandar aus Tu«

Plötzlich verstand ich Binas Erregung. Thandar aus Ti, ein Angehöriger der Kriegerkaste, ein Mann aus den vier Städten der Salerischen Konföderation, war fünfter Sohn des Ebullius Gaius Cassius, ebenfalls Krieger, Administrator von Ti, ein hoher Offizier der Konföderation. Vor längerer Zeit war Lady Sabina, Tochter des Kaufmanns Kleomenes aus der Festung von Saphronicus, ihm in die Freie Gefährtenschaft versprochen worden. Räuber hatten die Hochzeitskarawane überfallen, hatten die Mitgift geraubt und Lady Sabina und andere entführt. Lady Sabina war zur Sklavin gemacht worden, woraufhin die Allianz zwischen der Festung von Saphronicus und der Salerischen Konföderation nicht zustandegekommen war. Im Augenblick herrschte sogar Zwietracht zwischen den beiden Staaten.

»Wie schön er ist«, hauchte Bina. Meines Wissens hatten sich Thandar aus Ti und Lady Sabina nie von Angesicht gesehen. Ihre Gefährtenschaft war als Staatsangelegenheit arrangiert worden.

Bina, Sklavenperle genannt, starrte auf den Mann.

»Er sieht wirklich gut aus«, sagte ich.

»Ich habe durchstochene Ohren!« klagte Bina. Nie konnte sie hoffen, die Gefährtin eines solchen Mannes zu werden.

Thandar aus Ti und seine fünf Begleiter gaben bei Busebius ihre Bestellungen auf. Vermutlich wollten sie essen und Wein trinken.

Thandar von Ti blickte in unsere Richtung, und wir knieten nieder. Es war eine große Ehre für uns, daß ein Mann seines Standes uns auch mit einem Blick bedachte.

Thandar von Ti wandte sich wieder ab.

Ich belächelte die Ironie der Situation. Er hatte zwei ganz gewöhnliche Sklavinnen gesehen – doch eine der beiden war einst Lady Sabina gewesen, seine Verlobte.

In Binas Augen standen Tränen.

Busebius eilte herbei. Er winkte uns und vier weitere Mädchen zu sich. »Beeilt euch, Sklavinnen«, sagte er. »Ihr sechs bedient die Herren. Begebt euch in das Vorbereitungszimmer und zieht eure besten Sachen an.«

Busebius machte kehrt, um seine Anordnungen in der Küche zu geben. Der erste Wein mußte schnellstens serviert werden, zusammen mit den dazu passenden Brot- und Käsesorten.

Wir hasteten in das kleine Umkleidezimmer und machten uns ans Werk. Gleich darauf steckte Busebius den Kopf durch den Türspalt. »Ohrringe!« sagte er. »Geschmeide!« Er warf uns blitzenden Schmuck zu und verschwand wieder.

Ich befestigte goldene Ringe an meinen Ohren und hängte mir Ketten um den Hals. Neben mir bereitete sich Bina vor.

Als sich die anderen Mädchen umgezogen und frisches Make-up aufgelegt hatten, hielt mich Bina zurück.

»Ich weiß, was du vorhast«, sagte sie. »Aber das darf nicht sein.«

»Was soll das?« Woher konnte sie wissen, was ich plante?

Bina baute sich zwischen mir und der Tür auf. Die anderen Mädchen waren bereits verschwunden.

»Aus dem Weg!« sagte ich. »Willst du, daß wir ausgepeitscht werden? Oder fürchtest du, daß mich Thandar von Ti netter findet als dich?«

»Nein«, sagte sie. »Teela, das ist es nicht. Ich bin keine freie Frau und fürchte deine Konkurrenz nicht. Aber ich kenne dich. Du bist keine Goreanerin. Ich ahne, wie du denkst.«

Ich starrte sie verblüfft an.

»Du willst ihm sagen, wer ich war. Du hoffst, daß er mich dann befreit – und dich gleich mit, weil du ihm die Wahrheit gesagt hast.«

Ich schwieg.

Sie drehte den Kopf hin und her. »Ich habe durchstochene Ohrläppchen! Du entehrst ihn nur, wenn du ihm meinen jetzigen Zustand zeigst.«

»Möchtest du denn deinen Kragen nicht loswerden?«

»Ich möchte Thandar aus Ti keine Schande machen«, antwortete sie leise. »Ich möchte ihm nur dienen, ohne daß er weiß, wer ich bin – liebevoll, als das, was ich bin, als hübsche Pagasklavin.«

»Du bist ja verrückt! Wir lassen Thandar aus Ti darüber entscheiden.

»Nein, Teela«, sagte sie fest. »Ich habe bereits entschieden.«

»Aus dem Weg«, sagte ich. »Ich will doch nur unser Bestes!«

»Das mag wohl sein«, meinte sie. »Aber du verstehst uns nicht. Du weißt nicht, wie Goreaner denken.«

»Ich möchte frei sein!« rief ich.

»Wenn du mit Thandar aus Ti sprichst«, sagte Bina, »würden wir beide ausgepeitscht – mehr käme dabei nicht für uns heraus.«

»Dieses Risiko gehe ich ein.«

»Nein.«

Hinter dem Rücken holte sie zwei durch eine Kette verbundene Armreifen hervor. Ehe ich reagieren konnte, schnappte der Stahl um mein Handgelenk zu. Ich wehrte mich nach Kräften, doch schon hatte sie das andere Armband um eine Eisenstange gelegt. Blitzschnell warf sie mir ein Netz über den Kopf und begann mich zu fesseln und zu knebeln. Ich war so verblüfft über die plötzliche Entschlossenheit der kleinen Sklavin, daß mein Zorn erst erwachte, als es schon zu spät war.

»Bina!« rief von draußen eine Stimme. »Teela!«

»Ich komme!« rief Bina. Dann warf sie mir einen Handkuß zu und eilte aus dem Zimmer.

Vergeblich versuchte ich mich zu befreien. Die erste Stunde des nächsten Tages war angebrochen, als Bina zurückkehrte. Sie strahlte.

Vorsichtig nahm sie mir den Knebel aus dem Mund und löste die Netzfesseln.

»Thandar ist fort«, sagte sie und lächelte.

»Du hast ihm nichts gesagt?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Du bist ein Dummkopf!«

»Von den sechs Mädchen hat er mich erwählt«, sagte sie stolz. »Ich allein durfte ihm den Paga einschenken.«

»Sechs?«

»Als du krank wurdest«, sagte sie lachend, »hat Busebius uns noch Helen geschickt.«

Verträumt nahm mir Bina die Armreifen ab. »Und mich hat er schließlich auch mit in die Nische genommen«, sagte sie und schloß die Augen. »Oh, wie schön er ist! Ich habe ihm gut gedient. Und welche Freude er mir geschenkt hat! Es war unglaublich! Welches Glück, daß ich nicht seine Gefährtin geworden bin.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Dann hätte ich heute nicht seine Sklavin sein können! Ich werde mein ganzes Leben an diese Nacht denken.«

Ich senkte den Blick, als mir einfiel, mit welcher Wonne auch ich einmal die Sklavin des Clitus Vitellius gewesen war.

»Teela!« sagte plötzlich eine Stimme. Busebius war eingetreten.

»Ja, Herr?«

»Fühlst du dich besser?«

»Ja, Herr.«

»Warum bist du dann nicht draußen und servierst Paga?« »Paga!« rief ein Mann, und ich eilte zu ihm.

Es waren nicht mehr viele Gäste in der Taverne. In spätestens einer Ahn würden wir schließen. Einige Mädchen hatten sich bereits zurückziehen dürfen.

Der Gast saß mit einem zweiten Mann beisammen. Er hielt mir seinen Becher hin.

Ich kniete vor ihm und schenkte ein.

»Mir auch«, sagte der andere.

Ich streckte die Arme aus, da blitzte es plötzlich auf, und zwei Armreifen schlössen sich um meine Handgelenke.

Erschrocken blickte ich auf. »Nein!« rief ich.

»Haben wir dich endlich!« Ich versuchte die Hände zurückzuziehen, doch die Kette war bereits straff gezogen worden.

»Wir haben dich wirklich lange gesucht«, verkündete die zweite Stimme.

»Ich habe dich für zwei Tarsks an diese Herren verkauft«, sagte Busebius und machte sich daran, mir die Sklavenglocken vom Bein zu lösen. Dann schob er einen Schlüssel in das Schloß meines Kragens, öffnete ihn und legte ihn ebenfalls auf den Tisch. »Sie gehört euch, ihr Herren«, sagte er.

»O nein!« hauchte ich.

Busebius machte kehrt.

»Du gehörst jetzt uns«, sagte der Mann.

»Tötet mich nicht!« flehte ich.

»Wir müssen gehen«, sagte der zweite Mann.

Die beiden nahmen mich in die Mitte und zerrten mich aus der Taverne.

Es waren die beiden Männer, die zu mir gekommen waren, als ich nackt und an einen Felsen gekettet in der Wildnis Gors erwachte. Damals hatten sie vorgehabt, mich umzubringen.

In Todesangst marschierte ich zwischen den beiden in die goreanische Nacht hinaus.

Загрузка...