Das Tablett hoch über dem Kopf, bewegte ich mich vorsichtig zwischen den Tischen.
Das ›Chatka und Curla‹ ist eine große Pagataverne, die sich über vier Etagen erstreckt: ein offener, mit Holzdielen ausgelegter Hof, eine darum angeordnete, etwa zwanzig Fuß tiefe Empore und darüber zwei ganz herumführende Balkone, die etwa je zehn Fuß tief sind.
Es war viel los an diesem Abend.
Wagenlaternen, die mit rotem Glas verkleidet waren, spendeten ein dämmriges Licht.
Die Gäste waren in bester Stimmung.
Ich war unterwegs zum oberen Balkon; auf den Rampen stieß ich gegen andere Mädchen und Gäste, die sich hier drängelten. Ich konzentrierte mich auf das Tablett, das ich nicht fallen lassen durfte. Es gab viele Mädchen im ›Chatka und Curla‹, über hundert. Vorsichtig stieg ich die Holzrampe empor, auf der sich in etwa zwanzig Zoll Abstand Erhebungen befanden, die den Fuß stützen sollten.
In einer der Nischen schrie ein Mädchen.
Die rote Schnur, die Curla , lag eng um meine Taille, der Knoten, der sich mit einem Ruck öffnen ließ, auf der linken Hüfte. Die Chatka, ein etwa sechs Zoll und fünf Fuß langer Lederstreifen, lag vorn über der Curla, zog sich zwischen den Beinen hindurch und war hinten über der Curla befestigt; auf diese Weise war das Brandzeichen einer Sklavin stets deutlich zu sehen – und so manches andere auch. Oben trug ich eine kurze ärmellose Weste aus schwarzem Leder, die Kalmak.
In diesem Augenblick blieb ein Gast vor mir stehen und fuhr mit der Hand in meine Weste, während er mich küßte.
»Kleine Schönheit«, sagte er.
»Es wäre schön, wenn ich dich später in einer Nische erfreuen dürfte«, sagte ich – ein Satz, der uns beigebracht worden war.
»Später«, antwortete er.
»Ja, Herr«, erwiderte ich und setzte meinen Weg fort.
Außer Curla, Chatka und Kalmak trug ich Glöckchen am Bein und einen schwarzen emailleverzierten turischen Halskragen.
Mein Haar hatte wieder zu wachsen begonnen, war aber noch ziemlich kurz; zum Schutz trug ich eine breite Koora, ein Kopftuch, das den größten Teil der Stoppeln verdeckte.
Als Narla und ich in das Lokal gebracht wurden, stand als erstes ein gründliches Bad auf dem Programm, das uns von Schmutz und Läusen befreien sollte. Selten habe ich ein Bad so genossen.
»Paga!« rief ein Mann.
»Ich sage einem anderen Mädchen Bescheid, Herr«, rief ich im Vorbeigehen. Ich war unterwegs zum zweiten Balkon.
Auf der Rampe kam mir Narla entgegen. Ich gab ihr die Bestellung weiter.
Gleich darauf erreichte ich mein Ziel. Ich kniete vor dem Tisch auf dem zweiten Balkon nieder, stellte das Tablett auf dem Boden ab und arrangierte Fleisch und Käse auf dem Tisch, dazu Saucen und Früchte, Weine und Nüsse.
»Wünschen die Herren noch etwas von Yata?« fragte ich.
»Laß uns allein, Sklavin«, antwortete die freie Frau, die mit ihrer Eskorte am Tisch saß. Manchmal suchten freie Frauen die Taverne auf. Ihre Stimme klang nicht besonders freundlich.
»Ja, Herrin«, flüsterte ich, nahm das Tablett und zog mich mit gesenktem Kopf zurück.
Freie Frauen kamen manchmal in Begleitung in die Taverne. Ohne sie wären die Männer ihrer Eskorte sicher nicht abgeneigt gewesen, sich näher mit Yata zu befassen.
Ich trat an das Balkongeländer und blickte nach unten. Ich befand mich gut fünfundzwanzig Fuß über dem Holzboden des Innenhofes.
Gäste kamen und gingen. Ich stand auf dem höchsten Balkon, das Tablett unter dem Arm, und betrachtete die Szene.
Man hatte immer noch nicht Kontakt mit mir aufgenommen. Ich wußte nicht, warum. Nach außen hin war ich ein unwichtiges Pagamädchen, weiter nichts. Ich bediente die Gäste wie alle anderen.
Ich ließ meinen Blick über die Einrichtung der Taverne gleiten, die an die Ebenen Turias erinnern sollte, an die Länder der Wagenvölker. Bilder zeigten Jagdszenen, Überfälle auf Karawanen, die Unterwerfung von Mädchen. Hier bewegten sich riesige Boskherden über die Ebene, dort war eine lange Wagenkolonne der ungezähmten Nomaden zu sehen. Ein Bild zeigte die Mauern und Türme Turias und etliche Reiter der Wagenvölker, die auf die Stadt blickten. Kleidung und Kostüme der Pagamädchen war den Gewändern der Sklavinnen nachempfunden, die den Lanzenreitern auf dem Rücken der seidigen Kaiila dienten. Diese Kleidung gab keinem Mädchen Gelegenheit, eine Waffe zu verbergen, geschweige denn ihre Reize.
Unter mir im Hof begannen zwei Männer miteinander zu raufen. Offenbar waren sie sich nicht einig, wer das Vorrecht auf eine Sklavin hatte. Das Mädchen, eine hübsche kleine Blonde aus Teletus, wich erschrocken zurück. Aurelion, Besitzer des ›Chatka und Curla‹, gab seinem Rausschmeißer Strabo ein Zeichen. Dieser warf sich zwischen die beiden Kampfhähne. Diese aber stürzten sich nun auf ihn. Ich hörte Stoff reißen. Ein anderer Mann, der in der Taverne alle möglichen Arbeiten verrichtete – ähnlich wie Bran Loort im ›Glockenkragen‹ von Ar –, stürzte sich in den Kampf. Zwei weitere Gäste machten mit.
»Ein Kampf!« riefen andere Gäste. Ein Mädchen schrie auf.
Zu Anfang meiner Tätigkeit als Pagasklavin hatte ich überlegt, ob ein solches Durcheinander nicht Gele genheit bot, aus der Taverne zu fliehen. Aber das war eine Illusion. Die meisten Lokale sind zwar offen und unbewacht, doch sollte ein Mädchen wirklich fliehen können, besteht kaum eine Chance, daß sie frei bleibt. Sie trägt einen Kragen und befindet sich in einer Gesellschaft, die sie dem Eigentümer prompt zurückgibt, wenn der Finder es nicht vorzieht, sie selbst zu behalten. Flucht ist kein realistischer Ausweg für eine Skla vin auf Gor. So kommt es, daß Sklavinnen oft ohne Aufsicht in die Stadt geschickt werden, um Aufträge zu erledigen. Sie kehren zu ihren Herren zurück, weil es für sie kein anderes Ziel gibt.
Das ›Chatka und Curla‹ allerdings war nicht unbewacht. Hier war es den Sklavinnen nicht erlaubt, mal einen Augenblick ins Freie zu treten und Luft zu schnappen. Das Lokal verfügte über doppelte Eisentore, die nur die Freien nach Belieben passieren können. Ein weiterer Aspekt, der die Sklavinnen von der Flucht abhält, sind natürlich die schweren Strafen.
In diesem Augenblick spürte ich eine feste Hand an meinem linken Arm.
»Herr«, sagte ich.
Es war der Mann, der mich auf der Rampe angehalten und geküßt hatte. Es mißfiel mir nicht, von ihm beansprucht zu werden.
»Komm in die Nische«, sagte er.
Ich legte das Tablett auf ein Gestell. Der Kampf unten ging weiter. Der Mann zog mich zur Rückwand des oberen Balkons. Von unten war Gebrüll zu hören. Weitere Männer hatten in den Kampf eingegriffen. Auf Aurelions Befehl begannen die Musiker zu spielen, um die Menge zu beruhigen. Vermutlich war eine Tänzerin zwischen die Tische geschickt worden. Die Ablenkung schien aber nicht zu wirken. Ich hörte Glas splittern.
»Hier«, sagte der Mann und deutete auf eine Wandöffnung.
Er ließ mich los und trat hinter mich. Ich erstieg die fünf Stufen, die zu der Nische führten, und kroch hinein.
Dabei fiel mir ein, daß niemand von den Umstehenden bemerkt hatte, wie er mich fortgeführt hatte. Alle Anwesenden verfolgten den Kampf unten im Lokal.
Ich kroch in den hinteren Teil der Nische und drehte mich um. Er wandte mir den Rücken zu und schnallte den Ledervorhang zu, damit wir nicht gestört wurden.
Dann gab er mir Zeichen, meine Kleidung auszuzie hen. Anschließend winkte er mich heran und ließ mich mit dem Rücken zu sich hinhocken. Ich gehorchte.
Er fesselte mir die Hände auf dem Rücken. Welch ein seltsames Gehabe. Aber wir waren Perversionen gewöhnt.
»Bleib ruhig sitzen«, befahl er.
Ich hörte, wie er etwas aus einer Tunika zog. Plötzlich spürte ich den Knebel im Mund, und schon stülpte er mir eine graue Sklavenhaube über den Kopf und band sie unter dem Kinn zu. Er ließ mich zur Seite sinken und schob meine Füße in einen Sklavensack, den er an meinem Körper hochzog und über meinem Kopf schloß.
Zu meiner Verblüffung hörte ich dann eine Tür gehen. Offensichtlich befand sie sich hinter den Wandbehängen an der Rückseite der Nische. Ich wurde durch die Öffnung geschoben und dann in dem Sack einen Korridor entlanggezerrt. Schließlich warf sich der Mann die Last mühelos über die Schulter und begann eine Treppe hinabzusteigen.
Ich wand mich im Sack, vergeblich. Der Bursche war sehr kräftig.