Ich bemerkte kaum, daß mir die Hände hinter dem Rücken zusammengeschlossen waren. Ich trug eine kurze gelbe Sklaventunika aus rauhem Reptuch.
Längst war mir aufgegangen, daß ich Clitus Vitellius aus Ar aus ganzem Herzen liebte. Trotzdem hatte ich ihn verraten. Was hätte ich später nicht alles gegeben, um diese Tat ungeschehen zu machen! Wie gern hätte ich ihm mit voller Kraft geholfen, die Last des Ruders leichter zu machen. Ich hätte sogar den Platz mit ihm getauscht, wäre so etwas möglich gewesen. Ich liebte ihn mehr, als mir bewußt gewesen war. Er hatte tiefe Emotionen, Zorn, Haß in mir geweckt – Gefühle, die ich in dieser Intensität nicht für möglich gehalten hatte. Ich hatte nur für meine Rache gelebt, doch als ich endlich am Ziel war, hatte ich nur Leid und Elend gefunden, denn ich hatte durch eigenes Verschulden meinen Liebsten verloren.
Ich hätte ihn in der Taverne bedienen und mich dann mit einem Kuß von ihm verabschieden sollen. Hätte ihn ziehen lassen sollen, in Freiheit. Aber wäre mir das genug gewesen?
Statt dessen hatte ich ihn verraten.
Strabo wandte sich zu mir um.
Wir waren unterwegs zu den Piers.
Seit dem Abend, da ich Clitus Vitellius verraten hatte, war ich als Pagasklavin nicht mehr zu gebrauchen gewesen. Zweimal hatte man mich sogar auspeitschen müssen. Es war mir nicht mehr gelungen, die Gäste zufriedenzustellen.
»Als Pagasklavin scheinst du mir nichts wert zu sein«, hatte Aurelion beim zweitenmal zornig gesagt.
»Vielleicht ist es an der Zeit, dich nach Ar zurückzuschicken.«
Es umgaben mich bereits die Gerüche des Hafens. Zwischen den Gebäuden sah ich Galeeren an ihren Lie geplätzen. Wir näherten uns dem Hafen.
Ich hörte Männer brüllen und sah sie durcheinanderlaufen. Irgend etwas schien passiert zu sein.
Um meinen Hals lag ein Schiffskragen aus grauem Stahl mit einem Bestimmungsschild. »Schickt mich zur Lady Elicia aus Ar von den Sechs Türmen.«
Strabo zerrte mich durch die erregte Menge,,
»Sie sind geflohen!« rief ein Mann.
»Flucht!«
Wächter mit Schilden und Speeren hasteten vorbei. Auf den Dächern standen Menschen.
»Wer ist geflohen?« rief ich.
Strabo wartete nicht, sondern zog mich auf eines der Piers.
»Wer ist geflohen?« fragte ich.
Wir erreichten den Laufsteg, der zum Deck des Rammschiffes Juwel von Jad führte. Schiffe dieser Art werden zuweilen von Kaufleuten gechartert. Sie vermögen weitaus weniger Ladung zu fassen als ein Rundschiff, sind aber aufgrund des flachen Kiels und der gestreckten Bauweise viel schneller.
Strabo sprach kurz mit einem der Schiffsoffiziere, der die Ladeliste zu führen schien. Dann deutete er auf mich. Der Mann nickte.
Strabo schob mich über den Laufsteg auf das Deck des Schiffes, das etwa zwanzig Fuß breit war. Dort überreichte er dem Offizier den Schlüssel zu meinem Kragen. Der Schiffsoffizier deutete auf einen Seemann, der sich sofort daran machte, mich für die Reise in Ketten zu legen. Strabo brachte seine Armfesseln wieder an sich.
»Ich wünsche dir alles Gute, Sklavin«, sagte er.
»Und ich dir, Herr«, antwortete ich.
Er verließ das Schiff. Gleich darauf wurde der Steg eingezogen und die Leinen losgeworfen. Drei Seeleute schoben das Schiff mit langen Stangen von der Pier fort. Ruderer, freie Seeleute, saßen auf den Bänken. Die beiden Steuerleute waren auf dem Posten. Der Rudermeister stand unter den Steuermännern. Auf dem schmalen, hohen Achterdeck erblickte ich den Kapitän. Langsam entfernte sich das Schiff von Land.
Auf den Piers herrschte noch immer ein großes Durcheinander. Es waren noch mehr Wächter in den Hafen gekommen. Eine Alarmglocke wurde geläutet.
Ich trat an die Reling. Neben mir stand der Frachtoffizier. Andere Schiffe legten ebenfalls ab. Offenbar wollten wir im Konvoi fahren.
»Wer ist geflohen, Herr?« fragte ich.
»Hast du es noch nicht gehört?«
»Nein, Herr.«
»Ein Trupp von zwanzig Gefangenen aus Ar«, sagte er.
»Wie war das möglich?« fragte ich in der Überzeugung, es müsse sich um die Männer handeln, die ich vor einigen Tagen im Hafen gesehen hatte.
»Sie wurden von einem flüchtigen Gefangenen befreit«, antwortete der Offizier. »Wie Larls haben sie gekämpft!«
»Welcher flüchtige Gefangene denn?«
»Ein Mann namens Clitus Vitellius.«
Ich begann zu zittern. Mir wurde schwach in den Knien. Die Freude, die mich erfüllte, war überwältigend.
»Man hat sie zuletzt auf dem Wege zu einer Pagataverne gesehen – dem ›Chatka und Curla‹.«
Ich schwieg.
»Es heißt, eine Dirne aus dem Lokal hätte Clitus Vitellius verraten.« Der Offizier lachte grausam. »Ich möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken.«
Wortlos starrte ich auf die Pier, die sich allmählich von uns entfernte.
»Hast du sie gekannt?« fragte der Offizier, der natürlich wußte, daß ich im ›Chatka und Curla‹ gearbeitet hatte.
»Ja, Herr«, antwortete ich. »Aber er wird sie nicht mehr dort finden. Sie wurde fortgeschickt.«
»Glück für die verräterische Dirne.
»Ja, Herr.«
Die Juwel von Jad schwang zum Hafentor herum. Zu beiden Seiten des Bugs befanden sich große Augen, schwarz umrandet, die Mitte war blau. Sie starrten auf das Meer hinaus. Ich hörte den Ruf des Rudermeisters: »Ruder, Achtung!« Die Ruder wurden durch die Luke geschoben. »Zie hen!« rief er.
Im Gleichtakt, zwanzig auf jeder Seite, senkten sich die Ruder ins Hafenwasser.
Ich war unsagbar glücklich, zugleich aber auch ziemlich nervös. Clitus Vitellius war frei und hatte Gefolgsleute.