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Es war nicht so, daß er Angst davor gehabt hätte - oder vielleicht doch, schließlich war eine gesunde Portion Furcht immer noch das beste Mittel, das Luftholen zu überleben. Besser als alle Anzüge, Waffen, Tarnvorrichtungen und Tricks, die ihm die Sammler beigebracht hatten. Aber die Angst um sein Leben war nicht so schlimm wie sein Ekel.

French hatte die Spinnen seit dem ersten Tag gehaßt. Und seit er alt genug geworden war, aus eigener Kraft auf den Schoß seiner Mutter hinauf zufliegen, spürte er dieses an Panik grenzende Ekelgefühl, eine Art von Schrecken, die ihn lahmte, beim bloßen Anblick eines haarigen Beines, ja, beim bloßen Gedanken an das wirbelnde Spiel der Glieder und den glotzenden Blick der starren Augen. Es war eine Art von Furcht, gegen die er hilflos war. Es nutzte nichts, sich immer wieder einzureden, daß er schneller war als sie. Stärker. Besser. Und vor allem intelligenter.

Er hatte sich einmal dabei ertappt, einer dieser Bestien gegenüberzustehen, den Finger auf dem Auslöser der Harpunenwaffe, und nichts zu tun. Es war ein besonders großes Exemplar gewesen, eine der riesigen, sechsbeinigen Kreaturen, von denen manche im Hort munkelten, daß sie mehr als Tiere und ebenfalls von einer gewissen Intelligenz waren. Er hatte so gelähmt dagestanden, die Eingeweide zu einem Klumpen zusammengezogen, den sauren Geschmack seiner eigenen Magensäure im Mund und das Herz vor Furcht langsam und unregelmäßig schlagend, daß ihn die Spinne mit ihren fürchterlichen Zangen hätte in Stücke reißen können, ohne daß er auch nur in der Lage gewesen wäre zu schreien. Wäre Pearl damals nicht dazugekommen und hätte der Spinne ein hübsches rundes Loch zwischen die beiden Glotzaugen verpaßt...

Nein, er dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. French wußte, daß er der falsche Mann für diesen Job war. Und ausgerechnet ihn hatte der Alte zum Luftholen abkommandiert. Es war absurd!

Noch absurder allerdings war vielleicht, daß er jetzt hier hing, direkt in der Toten Zone, und seit geschlagenen zwei Stunden darauf wartete, daß sich diese beschissene Schleuse öffnete. Normalerweise vergingen keine zehn Minuten, in denen sich der Irisverschluß der Schleuse nicht mindestens einmal auftat, um eine oder auch gleich eine ganze Armee der widerwärtigen Krabbler ein- oder auszulassen. Normalerweise. Und jetzt? Jetzt hockte er hier, sah mit einer Mischung aus Faszination und Angst zu, wie der Anzeiger seines Luftvorrates sich mehr und mehr der Null näherte, und hatte im Grunde den Moment längst verpaßt, in dem er ohne ein unvertretbar großes Risiko ins Spinnennetz eindringen konnte. Eigentlich hätte er längst zurück gemußt. Eigentlich. Frenchs Gesicht verzog sich unter der wuchtigen Atemmaske zu einer Grimasse, als hätte er Zahnschmerzen. Dummerweise war seine panische Angst vor Spinnen im Hort wohlbekannt. Kein Mensch würde ihm glauben, wenn er mit leeren Händen zurückkam und behauptete, die Schleuse hätte sich nicht geöffnet.

Er verlagerte sein Körpergewicht auf dem Träger, auf dem er seit zwei Stunden hockte und die Schleuse anstarrte. Seine Beine begannen allmählich steif zu werden. Außerdem mußte er an den Anzug denken. Hier in der Toten Zone wog er zwar so gut wie nichts, aber der Anzug war alt und seine Klebestellen begannen brüchig zu werden; es war besser, man belastete sie nicht zu sehr. French überlegte, wie viele von denen, die nicht zurückgekommen waren, wohl an einer undichten Naht ihres Anzuges zugrunde gegangen waren, statt in den Netzen der Spinnen zu sterben. Wenn er die Wahl hätte, dachte er, würde er diese Art des Todes wahrscheinlich vorziehen, obgleich man sagte, daß es sehr qualvolles Sterben sein sollte - zuerst verwandelte sich die Haut in Eis, bis sie so hart und spröde war, daß sie wie Glas zerbrach, dann explodierte man, von innen heraus und ganz langsam French war gerade dabei, sich die achte oder neunte originelle Todesart auszudenken, die ihm zustoßen konnte, als er ein leichtes Vibrieren spürte. Sofort brach er seinen morbiden Zeitvertreib ab, schmiegte sich enger hinter den Träger und blickte zur Schleuse hinunter. Tatsächlich - sie begann sich zu öffnen.

Frenchs Herz begann zu hämmern, und seine Hände in den groben Handschuhen wurden feucht. Er war nervös. Das allmählich größer werdende Loch in der Mitte der gewaltigen Irisblende stimmte ihn nicht unbedingt fröhlicher. Er konnte es sich nicht leisten, in Ruhe die Lage zu sondieren und abzuwarten, ob die Gelegenheit günstig war. Er hatte schon viel zuviel Zeit verloren. Wenn er ins Nest eindringen wollte, dann jetzt, ganz egal, ob eine einzelne Spinne oder eine ganze Armee in der Schleuse auf ihn wartete. Mist!

Ein dürres, haariges Bein tastet sich zitternd ins Freie, und French spannte sich. Ein Gefühl, als krabbelten Hunderte ähnlicher, nur sehr viel kleinerer Spinnenbeine sein Rückgrat entlang, drohte für einen Moment sein logisches Denken zu überwältigen. Aber es gelang ihm, wenigstens für dieses Mal mit seiner Furcht fertig zu werden. Er war in Sicherheit. Solange er hier oben auf dem Träger hockte und sich nicht rührte, konnte ihm gar nichts passieren.

Dummerweise war er nicht hierhergekommen, um auf diesem Träger hockenzubleiben und sich nicht zu rühren ...

Dem Bein folgte ein zweites, drittes und viertes, und schließlich schob sich der ganze mißgestaltete Leib der Spinne ins Freie. French unterdrückte ein Seufzen, als er sah, daß es eine der Sechsbeinigen war. Anscheinend hatte er das Pech heute gepachtet. Und zwar gleich in mehrfacher Ausführung, denn der ersten Spinne folgte eine zweite, eine dritte und schließlich noch eine vierte und fünfte. Unter dem dünnen, glitzernden Stoff ihrer Anzüge waren wenige Einzelheiten zu erkennen, aber French war fast sicher, Waffen an ihren lächerlich dürren Hüften zu erkennen.

Langsam bewegte sich die Prozession der schwarzen Scheusale an einem der zerborstenen Träger herab, um in den unerforschten Tiefen der Toten Zone zu tun, was immer die Spinnen dort taten, und French sah, wie sich die Schleuse langsam wieder zu schließen begann. Er zählte in Gedanken bis fünf, dann stieß er sich ab und glitt mit weit vorgestreckten Armen auf das Iristor zu. Seine Haltung war perfekt, das spürte er selbst, aber die beiden zusätzlichen Glieder an jeder Seite seines Körpers pendelten wild hin und her. Verdammt, diese beiden Deppen im Hort erfanden allen möglichen Firlefanz, aber eine einfache Mechanik, die die Bewegung der Zusatzarme koordinierte, bekamen sie nicht zustande! Er würde ein paar Worte in dieser Richtung mit dem Alten wechseln, sobald er zurück war.

Wenn er zurück kam.

Vorerst einmal hatte er alle Hände voll damit zu tun, nicht von den sich rasch zusammenziehenden Rändern des Schleusenverschlusses in zwei Teile zersäbelt zu werden, denn er war um eine Winzigkeit zu spät losgesprungen. Seine Füße schrammten hart über das Metall, und er spürte, wie die durchsichtige Schutzhülle über seinem Anzug riß. Es war nicht der erste Riß, den sie bekam. Trotzdem kauerte er sich in einer Ecke des Schleusenraumes zusammen und opferte kostbare drei Minuten dafür, den Schnellkleber aus der Tasche zu klauben und die Schadstelle sorgfältig zu reparieren. Die Spinnen waren nicht blöd. Oder vielleicht doch - aber selbst wenn, würden sie vielleicht anfangen, sich Gedanken zu machen, wenn sie einen ihrer Brüder sahen, der mit einem Riß im Anzug aus der Toten Zone kam...

Nachdem er seine Tarnung wieder in eine halbwegs passablen Zustand zurückversetzt hatte, richtete er sich auf, trat gebückt aus dem Schleusenraum hervor und sah sich um.

Er war allein. Gut. In diesem Teil des Nestes traf man selten Spinnen, und wenn, so waren sie stets in großer Eile und kümmerten sich einen Dreck um ihre Rassegenossen. Wenn er tiefer in das Nest eindrang, würde sich das ändern.

French glitt den langen, völlig leeren Gang entlang, wobei seine Sprünge von Mal zu Mal kürzer wurden; er näherte sich der Schweren Zone. Aufmerksam lauschte er in sich hinein, ob er schon irgendwelche Anzeichen der Gewichtskrankheit spürte. Sein Herz schlug ein wenig schneller als normal, aber das lag wohl eher an seiner Nervosität.

Sorgfältig zählte er die Türen, an denen er vorbeikam: sieben, acht, neun - bei der zehnten machte er Halt, lehnte sich für einen Moment gegen den polierten Stahl der Wand und atmete tief ein und aus. Die Luft in seinen Lungen schmeckte bitter, und sie schien viel dicker zu sein als gewohnt; es war, als versuche er, Sirup zu atmen. Also doch die Gewichtskrankheit. Nun ja, dachte French resignierend, man konnte nicht alles haben. Er sah sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um, dann hob er die Hand und machte sich an die komplizierte Aufgabe, einen Nummerncode in eine Tastatur einzugeben, deren Tasten viel zu klein für die klobigen Handschuhe seines Anzuges waren. Natürlich vertippte er sich, und die Tür blieb, was sie war: geschlossen.

Er seufzte, versuchte es noch einmal und war jetzt sicher, die richtigen Zahlen eingegeben zu haben. Die Tür schien da anderer Meinung zu sein, denn sie rührte sich nicht. French fluchte lautlos in sich hinein und versuchte es noch einmal, ohne daß sich diese vermaledeite Tür auch nur um einen Zoll hob.

Allmählich machte sich ein sehr ungutes Gefühl in French breit. Was, wenn sie den Code geändert hatten? Sicher - auch das wäre kein unüberwindliches Problem - es war schon vorgekommen, und Pearl und seine beiden Techniker hatten noch jedes Mal einen Weg gefunden, den Computer zu überlisten. Außerdem gab es andere Wege in den Luftraum. Aber was ihm Angst machte, war die Tatsache, daß sie den Code vielleicht geändert hatten. Es war bisher zwei- oder dreimal vorgekommen, und jedesmal war hinterher etwas passiert. French war zu jung, um sich aus eigener Erfahrung daran zu erinnern, aber was er von den Alten gehört hatte, das reichte ihm vollkommen.

French verscheuchte den Gedanken und wandte sich einem näherliegenden Problem zu: nämlich dem, wie er auf die andere Seite dieser Tür kam. Es gab andere Wege in den Luftraum, und natürlich hatte er sie sich gründlich eingeprägt. Auf dem Bildschirm des Simulationscomputers. Gegangen war er einen dieser Wege noch nie. Sehr wenige kannten diese Wege aus eigener Erfahrung. Pearl war einmal dort gewesen. Und Skill auch. Was die beiden erzählt hatten, das jagte ihm selbst jetzt noch einen eisigen Schauer über den Rücken.

Einen Moment lang erwog er ernsthaft den Gedanken, mit leeren Händen zurückzukehren; schließlich - die Information, daß der Zugangscode geändert worden war, war vielleicht wertvoller für den Hort als einige Kästen Luft. Der Alte würde das verstehen. Aber dann dachte er an die Blicke, die ihm die anderen zuwerfen würden, ihr Grinsen und die hämischen Bemerkungen, die sie hinter vorgehaltener Hand machen würden; zum Beispiel, daß es ihm wahrscheinlich ganz recht gewesen war, nicht weitergehen zu können, und daß sie im Grunde nichts anderes erwartet hatten.

Außerdem brauchten sie die Luft. Sie hatten noch zwei Kisten, und wenn auch die nächste Expedition fehlschlug, dann wurde es verdammt knapp.

Also ging er weiter.

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