12


Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war Abn El Gurk Ben Amar Ibn Lot Fuddel der Vierte, wie der volle Name des Außerirdischen lautete, Daniel Stone einfach lächerlich vorgekommen.

Aber das war lange her; Monate, die ihm jetzt wie Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vorkamen. Jetzt machte er ihm angst. Dabei hatte er sich nicht im geringsten verändert. Er wirkte noch immer wie ein mißgestalteter Krüppel, eine nur eineinhalb Meter große, spindeldürre Gestalt mit Skeletthänden und zu kurzen, krummen Beinen, einem Buckel, den das schlammbraune Cape, das er trug, nur unzureichend zu verbergen imstande war, einem dürren, knotigen Hals mit einem übergroßen Adamsapfel, der bei jedem Wort, das er sprach, wie ein fetter Käfer unter seiner Haut auf- und abhüpfte, und einem viel zu groß geratenen, kahlen Schädel, in den das Gesicht eines ständig schlechtgelaunten, gehässigen Zwerges eingraviert war. Seine Haut hatte einen kränklichen Farbton, der unmöglich mit Worten zu beschreiben war.

Aber es war nicht das Äußere des Zwerges, das Daniel Stone erschauern ließ.

Es waren seine Augen.

Augen, die wie die eines Tieres groß und dunkel und ohne sichtbare Pupille oder Iris waren, und in denen ein Wissen und eine Art von Weisheit geschrieben stand, die Daniel Stone bis ins Mark erschauern ließen. Manchmal hatte er das Gefühl, daß diese Augen direkt bis in sein Innerstes blicken konnten, daß ihnen kein Geheimnis verborgen, kein Gedanke verheimlicht blieb. Und obwohl der Zwerg seit drei Monaten sein Gefangener war, obwohl er ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und keine Sekunde unbewacht gewesen war, hatte Stone manchmal das Gefühl, daß der Zwerg mit ihm spielte und nicht umgekehrt.

»Wer bist du, Gurk?«

Er begriff erst, daß er den Gedanken laut ausgesprochen hatte, als der Gnom darauf antwortete.

»Ich glaube, das ist nicht der richtige Moment, um über mich zu sprechen«, sagte er mit seiner unangenehmen, hohen Fistelstimme. »Reden wir lieber über dich. Es sieht so aus, als stecktest du in Schwierigkeiten.« Er hob die Hand und fuhr sich mit dem Zeigefinger an der Oberlippe entlang. »Bis hierher.«

»So?« sagte Stone düster. Er stand auf, trat ans Fenster seines Penthouse-Apartments und blickte auf die Türme Manhattans hinab, die sich unter ihm wie eine bizarre, fremdartige Planetenlandschaft aus Glas und Chrom und Beton ausbreiteten. Sicherlich zwei oder drei Minuten lang blieb er so stehen und starrte ins Leere, dann drehte er sich mit einem Ruck wieder herum und ging zu dem kleinen Tisch neben der Tür, um sich einen Drink zu mixen.

»Mach mir auch einen«, verlangte Gurk.

Stone sah überrascht zu ihm auf. »Ich wußte gar nicht, daß du Alkohol trinkst.«

»Du weißt eine Menge nicht.« Gurk zog eine Grimasse, hüpfte von seinem Stuhl herunter und kam mit kleinen trippelnden Schritten auf ihn zu. Mit einem flüchtigen Grinsen nahm er Stone das Glas aus der Hand, das dieser für sich selbst gemixt hatte, prostete ihm zu und leerte es mit einem einzigen, gewaltigen Zug. Danach ließ er es einfach fallen, fuhr sich genießerisch mit dem Handrücken über die Lippen und rülpste hörbar.

Stone starrte ihn an. »Ich werde einfach nicht schlau aus dir, Zwerg«, sagte er.

»Aber ich aus dir, Großer«, antwortete Gurk im gleichen Tonfall. »Ich muß gestehen, daß es mir bis vor kurzem genauso erging wie dir, aber ich glaube, ich weiß jetzt, was mit dir los ist.«

»So?«

Gurk nickte heftig. »Du hast Angst«, behauptete er. »Ich weiß nicht, wovor, aber wenn ich jemals einen Menschen gesehen habe, der Angst hat, dann bist du das.«

»Vielleicht«, antwortete Stone ausweichend. »Vielleicht habe ich einen Grund dafür.« Er hob das Glas auf, das Gurk fallengelassen hatte, stellte es auf den Tisch zurück und wollte nach einem anderen greifen, führte die Bewegung dann aber nicht zu Ende, sondern zuckte nur mit den Schultern und ging wieder zum Fenster zurück. Er hörte, wie Gurk ihm folgte, und sah die verzerrte Spiegelung seiner Gestalt in der Fensterscheibe, drehte sich aber nicht zu ihm herum.

»Bis heute morgen war ich fest davon überzeugt, daß du Charity und den anderen eine Falle stellen willst«, sagte Gurk. »Aber das stimmt nicht, nicht wahr?«

Stone antwortete nicht darauf.

»Ich meine«, fuhr Gurk fort, »die Daten, die du ihnen zugespielt hast, sind echt. Sie können diese verdammte Bombe wirklich entschärfen.«

»Vielleicht«, antwortete Stone.

»Warum?« fragte Gurk.

Stone drehte sich nun doch zu ihm herum und sah auf ihn hinab. »Was - warum?«

Gurk machte eine erklärende Geste. »Ich meine: Warum tust du das? Du hast dein eigenes Volk verraten. Du hast dich zum Handlanger dieser Bestien gemacht, und sie haben dich fürstlich dafür belohnt. Und jetzt setzt du das alles aufs Spiel. Warum?«

»Das fragst ausgerechnet du?« gab Stone zurück. »Ich kenne die Geschichte deines Volkes, Gurk. Ich weiß, was mit deiner Heimatwelt passiert ist. Ich will nicht, daß hier dasselbe geschieht.«

Gurk zog eine Grimasse, deren Bedeutung Stone nicht erraten konnte. »Oh, du riskierst dein Leben, um deine Welt zu retten?« Er lachte böse. »Verzeihung, Governor Stone, aber es fällt mir schwer, das zu glauben.«

»Aber es ist die Wahrheit«, sagte Stone. »Ich weiß, daß du mich verachtest. Ich weiß, daß die anderen mich hassen. Und vielleicht haben sie sogar recht damit. Ihr glaubt, ich hätte euch verraten, euch an die Außerirdischen verkauft.«

»Hast du das denn nicht?«

»Ich will jetzt nicht darüber reden«, sagte Stone. »Aber selbst wenn es so wäre - es ist ein Unterschied, ein Volk zu unterdrücken oder es auszulöschen.«

Gurk legte den Kopf schräg. »Was ist passiert, Stone?« fragte er. »Du weißt doch nicht erst seit ein paar Tagen, daß es diese Bombe gibt. Du kennst die Strategie der Moroni: Was sie nicht haben können, das zerstören sie.«

»Diese Welt wird sterben, kleiner Mann, wenn wir sie nicht aufhalten«, sagte Stone ernst. »Du hast recht - es ist etwas geschehen. Moron wird diesen Planeten verlieren - so oder so. Und du weißt, was dann passiert.«

Gurks Gesichtsausdruck verdüsterte sich.

O ja, er wußte, was dann geschah. Er hatte es mit angesehen, mit eigenen Augen. Es war so lange her, daß er manchmal glaubte, die Erinnerung verdrängt zu haben, aber das war nur eine Lüge, mit der er sich selbst täuschte.

Sein Volk war eines der wenigen, denen es jemals gelungen war, die Angriffe der Insektenkrieger aus dem Kosmos abzuwehren. Und er hatte miterlebt, was Moron mit einer Welt tat, die es nicht erobern konnte. Es zerstörte sie.

»Was ist passiert?« fragte er leise.

Und zu seiner Überraschung bekam er eine Antwort. »Der Sprung«, flüsterte Stone. »Es sieht so aus, als fände er jetzt bereits statt.«

Gurk wurde blaß. »Jetzt! Aber das ist ... unmöglich. Nicht so früh!«

»Ich fürchte, es ist doch möglich«, murmelte Stone. »Du warst dabei, Gurk. Du hast sie gesehen.«

Gurks Augen wurden groß. »Die Jared?«

»Vielleicht«, sagte Stone leise. »Sie sind noch nicht ganz sicher. Aber ich fürchte, daß es so ist.«

»Aber das bedeutet doch nicht...« begann Gurk verwirrt, wurde aber sofort von Stone unterbrochen:

»Du weißt verdammt genau, was es bedeutet, Gurk. Sie haben es noch nie geschafft, sie zurückzuschlagen. Sie können sie vielleicht aufhalten, vielleicht einige Jahre vielleicht sogar ein paar Jahrzehnte, aber nicht länger. Sie werden niemals zulassen, daß der Transmitter in ihre Hände fällt. Eher zerstören sie den ganzen Planeten.«

Gurk widersprach nicht mehr. Er wußte nur zu gut, daß Stone recht hatte. Moron würde niemals zulassen, daß irgendeine andere Macht ihm das Geheimnis der Transmitter entriß.

»Deshalb hast du ihnen die Koordinaten des Bombensatelliten gegeben«, murmelte er.

»Und den Weg, auf dem sie dorthin kommen«, sagte Stone. »Vielleicht ist es die letzte Chance, die dieser Planet noch hat, Gurk.«

Der Zwerg sah ihn zweifelnd an. »Und du legst sie in Charitys Hände?«

»Captain Laird und ich sind Feinde«, sagte Stone ernst. »Aber das heißt nicht, daß ich sie unterschätze. Wenn es jemanden gibt, der diesen Satelliten zerstören kann, dann sie.«

»Du bist ja wahnsinnig«, murmelte Gurk. »Was würde das nützen? Wenn ... wenn es zu einem Sprung kommt, dann verwandelt sich dieser Planet in eine Hölle, gegen die die Invasion der Moroni ein Kinderspiel war!«

»Soll ich zusehen, wie sie die Erde einfach vernichten?« fragte Stone.

Gurk schien ihn gar nicht zu hören. »Sie werden Millionen von Kriegern schicken!« sagte er aufgeregt. »Milliarden, wenn es sein muß. Sie...«

»... werden nichts dergleichen tun«, unterbrach ihn Stone. »Ich habe alles genau berechnet. Immerhin hatte ich Zeit genug, mich mit ihrer Technik vertraut zu machen. Die Schockwelle der Explosion wird die Transmitterverbindung nach Moron lahmlegen. Für Monate. Wenn wir Glück haben, für Jahre. Auf jeden Fall lange genug, um die Station am Nordpol zu zerstören.«

»Und wenn nicht, dann gehen wir eben alle drauf, nicht wahr?«

»Wenn du eine bessere Idee hast, höre ich dir gern zu«, antwortete Stone ärgerlich.

Gurk sah ihn zutiefst verwirrt an. »Ich verstehe dich nicht, Stone«, sagte er. »Was ist passiert? Wieso stehst du plötzlich auf unserer Seite?«

»Wer sagt dir, daß ich das tue?« gab Stone zurück. »Ich will nicht, daß dieser Planet stirbt, das ist alles.«

»Nein, das ist nicht alles«, behauptete Gurk.

Das Geräusch des Türsummers hielt Stone davon ab zu antworten. Fast erschrocken fuhr er herum und sah, wie die Tür auf glitt und Luzifer eintrat, sein persönlicher Adjutant.

»Sie werden auf der Kommandoebene erwartet, Governor Stone«, sagte Luzifer.

Stones Blick streifte rasch und nervös das Gesicht Abn El Gurks. Obwohl dieser Raum abhörsicher war, hatte er plötzlich das Gefühl, daß Luzifer jedes Wort gehört haben mußte. Und plötzlich fragte er sich, warum er den Zwerg überhaupt hier herauf hatte bringen lassen. Vielleicht war es einfach das Bedürfnis gewesen, mit jemandem zu reden.

Seiner Stimme war nichts von seinen wahren Gefühlen anzumerken, als er auf Luzifer zuging und gleichzeitig auf den Zwerg deutete. »Der Gefangene bleibt noch hier«, sagte er. »Was ist geschehen?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Luzifer. »Aber es ist sehr dringend.«

Stone verschwendete keine weitere Zeit mehr mit Fragen, sondern stürmte an dem Moroni vorbei zum Aufzug.

Die Atmosphäre hektischer Nervosität in der Kommandoebene hatte sich deutlich verstärkt, als er wenige Augenblicke später aus dem Lift trat und das zentrale Computerpult ansteuerte, hinter dem die drei Inspektoren standen. Nur eine der drei weißen Albino-Ameisen wandte ihm den Blick zu, als sie seine Schritte hörten, die beiden anderen konzentrierten sich völlig auf das, was das Dutzend flimmernder Monitore vor ihnen zeigte.

»Was ist geschehen?« fragte Stone.

Der Inspektor deutete mit einer dürren, hornigen Klaue auf einen der Bildschirme. »Einer unserer Läufer wurde angegriffen.«

Stone erschrak. »Die gleiche Maschine, die...«

»... das Transportflugzeug zerstört hat, ja«, führte der Inspektor den Satz zu Ende. »Die Verbindung brach vor wenigen Augenblicken ab. Aber die letzte Meldung besagte, daß Angreifer in die Zentrale eingedrungen wären und sie besetzt hätten.«

»Wo befindet er sich jetzt?« fragte Stone.

Der Inspektor wiederholte seine deutende Geste. »Fünfundvierzig Meilen südwestlich von hier. Er kommt näher.«

Stone starrte ihn ungläubig an. »Aber dann ... dann bewegt er sich direkt auf den Kälteschirm zu.«

»Das ist richtig.«

»Kann er ihn durchdringen?«

Zum ersten Mal erlebte er, daß eines der weißen Riesengeschöpfe zögerte zu antworten. »Wir wissen es nicht«, sagte der Inspektor schließlich. »Aber die Gefahr besteht. Es wurden bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet.«

»Und wenn wir ihn nicht aufhalten können?«

»Dann wird der Läufer in genau...« Der Inspektor unterbrach sich, um einen Blick auf eines der Instrumente vor sich zu werfen.

»... siebenundvierzig Minuten Ihrer Zeitrechnung die Stadt erreichen.«

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