2

»Allmächtiges Licht! Verschwinden wir!«

Owens Flüstern weckte Jared. Er richtete sich auf. Dann, als er sich an die Ursprungswelt und ihre Schrecken erinnerte, wich er zurück.

»Es ist schon verschwunden«, beruhigte ihn der andere.

»Bist du sicher?«

»Ja. Ich habe es überall lauschen hören. Dann verschwand es. Was, im Namen der Strahlung war es nur — Kobalt? Strontium?«

Jared kroch zwischen den Felsblöcken hervor und suchte nach einem Paar seiner Echosteine. Er verzichtete aber dann lieber darauf, Lärm zu machen.

Owen schauderte. »Dieser Geruch! Und diese Gestalt!«

»Und das andere Gefühl!« Jared fluchte. »Es war wie — man kann es nicht beschreiben!«

Er schnippte leise mit den Fingern, wertete die reflektierten Laute aus und umschritt einen großen, hängenden Stein, der in graziösen Kaskaden herabsank und sich mit einem aufstrebenden Hügel verband.

»Was für ein anderes Gefühl?« erkundigte sich Owen.

»Als sei in deinem Schädel plötzlich der Teufel los. Es war etwas, das nichts mit Hören, Fühlen oder Schmecken zu tun hatte.«

»Ich habe nichts gehört.«

»Ich sage doch — es war nicht zu hören.«

»Warum haben wir das Bewußtsein verloren?«

»Ich weiß es nicht.«

Sie liefen um eine Ecke. Nun, da sie einige Entfernung zwischen sich und das Unheimliche gebracht hatten, benützte Jared wieder die Echosteine. »Ich würde mich jetzt sogar über eine Fledermaus freuen!« rief er erleichtert.

»Ohne Waffen wohl kaum.«

Als sie die Barriere überwunden hatten und neben dem breiten Fluß dahinschritten, fragte sich Jared, warum sein Freund nicht ebenfalls von dieser unheimlichen Empfindung heimgesucht worden war. Sie kam ihm beinahe noch schrecklicher vor als das Ungeheuer selbst.

Er preßte die Lippen zusammen, als sich eine angsterregende Möglichkeit anbot: Angenommen, diese Erfahrung in der Ursprungswelt war eine Strafe vom Großen Allmächtigen Licht für seine blasphemische Ansicht gewesen, das Licht sei weniger als Gott?

Sie erreichten bekannteres Gebiet, und er verkündete: »Wir müssen das dem Primär-Überlebenden melden.«

»Ausgeschlossen!« rief Owen. »Wir haben doch das Gesetz übertreten, als wir hierherkamen.«

Daran hatte Jared noch gar nicht gedacht. Owen war schon mit Schwierigkeiten überhäuft, seit er vor kurzem das Vieh in den Mannagarten hatte einbrechen lassen.


Ein paar hundert Atemzüge später ging Jared am letzten großen Hindernis vorbei — einem gewaltigen Krater ohne Boden. Er steckte die Echosteine weg. Kurz danach zog er Owen in eine Wandnische.

»Was ist denn los?« fragte der andere.

»Zerver!« flüsterte Jared.

»Ich höre nichts.«

»Gleich wird es soweit sein. Sie schleichen vorne den Hauptgang entlang. Wenn sie hierherkommen, müssen wir die, Flucht ergreifen.«

Die Laute im anderen Tunnel waren jetzt deutlicher zu vernehmen. Ein Schaf blökte, und Jared erkannte den Tonfall. »Das ist eins von unseren Tieren. Sie haben einen Raubzug unternommen.«

Die Zerverstimmen wurden laut, als die Räuber an der Abzweigung vorbeikamen, und verklangen dann.

»Los«, befahl Jared. »Sie können uns jetzt nicht entdecken.«

Er war jedoch kaum dreißig Schritte gegangen, als er stehenblieb und kaum vernehmlich mahnte: »Still!«

Er hielt den Atem an und lauschte. Neben seinem eigenen pochenden Herzschlag und dem schwächeren Owens vernahm er einen dritten — nicht sehr weit entfernt, schwach, aber angstvoll drängend.

»Was ist denn?« flüsterte Owen.

»Ein Zerver.«

»Das sind doch nur die Spuren der Räuber.«

Aber Jared schlich langsam weiter. Zweifellos hatte er einen Zerver vor sich, wenn er auch nur schwache Eindrücke empfing — es war ein Kind! Er sog den Geruch ein.

Ein Zervermädchen!

Der Herzschlag ließ sich jetzt deutlich vernehmen, als er mit seinen Echosteinen den Spalt erforschte, in dem das Mädchen versteckt war. Es zuckte zusammen, versuchte aber nicht zu entfliehen. Statt dessen begann es zu weinen.

Owen atmete auf. »Es ist nur ein Kind!«

»Was ist los?« fragte Jared freundlicher, aber er bekam keine Antwort.

»Was tust du hier?« versuchte es Owen.

»Wir tun dir nichts«, versprach Jared. »Was hast du?«

»Ich — ich kann nicht zerven«, stieß die Kleine schluchzend hervor.

Jared kniete neben ihr nieder. »Du bist doch ein Zerver, nicht wahr?«

»Ja. Ich meine — nein, ich bin kein — das heißt —«

Sie war etwa dreizehn Perioden alt. Bestimmt nicht älter.

Er führte sie auf den Gang hinaus. »So — wie heißt du denn?«

»Estel.«

»Und warum versteckst du dich hier, Estel?«

»Ich hörte Mogan und die anderen kommen. Ich rannte hier herein, damit sie mich nicht zerven konnten.«

»Warum sollten sie dich nicht finden?«

»Damit sie mich nicht in die Zerverwelt zurückbringen.«

»Aber dort gehörst du doch hin, nicht wahr?«

Sie schnüffelte, und Jared hörte, wie sie sich die Tränen trocknete.

»Nein«, erwiderte sie betrübt. »Alle dort können zerven, bis auf mich. Und wenn ich Überlebende werden kann, wird es keinen Zerver-Überlebenden geben, der mich nehmen will.«

Sie begann wieder zu schluchzen. »Ich möchte in eure Welt.«

»Das geht nicht, Estel«, erklärte ihr Owen. »Du weißt ja nicht, wie dort die Einstellung gegen — oh, ich meine, erzähl du es ihr, Jared.«

Jared strich ihr die Haare aus dem Gesicht, als ihm die Reflexion seiner Stimme zeigte, daß es dort hing. »Wir hatten früher einmal bei uns ein kleines Mädchen — genau in deinem Alter. Es war traurig, weil es nicht hören konnte. Es wollte fortlaufen. Und mit einemmal konnte es hören! Es war sehr froh, daß es nicht davongerannt war und sich verirrt hatte.«

»Das Mädchen gehörte zu den Andersartigen, nicht wahr?« fragte die Kleine.

»Nein. Das ist ja gerade der springende Punkt. Wir dachten nur, es sei andersartig. Wenn es davongelaufen wäre, hätten wir nie herausgefunden, daß es normal war.«

Estel schwieg, als Jared sie zum Haupttunnel führte.

»Du meinst, ich könnte vielleicht später einmal anfangen zu zerven?« fragte sie nach einer Weile.

Er lachte und blieb in dem großen Korridor neben einer gurgelnden heißen Quelle stehen, die ihre feuchte Wärme ringsumher aufbrodeln ließ. »Ich bin sicher, daß du zu zerven anfängst — wenn du es am wenigsten erwartest. Und du wirst genauso glücklich sein wie das andere kleine Mädchen.«

Er horchte in die Richtung der Zerverräuber und fing aus der Ferne ihre Stimmen auf. »Was meinst du, Estel — willst du nach Hause gehen?«

»Nun gut — wenn du es für richtig hältst.«

»Siehst du, das ist brav!« Er tätschelte die Kleine und gab ihr einen kleinen Stoß in Richtung der Zerver. Dann legte er die Hände an den Mund und schrie: »Hier ist eines von euren Kindern!«

Owen zuckte zusammen. »Wir wollen verduften, bevor man uns über den Haufen rennt.«

Aber Jared lachte leise. »Wir sind sicher, bis sie das Mädchen abgeholt haben.« Er lauschte den Schritten des Kindes. »Außerdem können sie uns jetzt nicht zerven.«

»Warum nicht?«

»Wir stehen knapp neben der heißen Quelle. In der Nähe eines kochenden Kraters können sie nicht zerven. Das habe ich vor ein paar Perioden herausgefunden.«

»Was hat eine heiße Quelle damit zu tun?«

»Ich weiß es nicht. Aber es ist so.«

»Wenn sie uns nicht zerven können, dann hören sie uns aber bestimmt.«

»Punkt zwei bei den Zervern: Sie verlassen sich zu sehr aufs Zerven. Sie hören und riechen kaum etwas.«


Bald darauf erreichten sie den Eingang zur Unteren Schachtwelt. Jared horchte Owen nach, der seine eigene Höhle aufsuchte, dann ging er zur Regierungsgrotte. Er hatte sich entschlossen, die Gefahr in der Ursprungswelt zu melden, ohne seinen Freund mit hineinzuziehen.

Alles schien normal — zu normal, wenn man daran dachte, daß die Zerver eben einen Raubüberfall unternommen hatten. Aber diese Überfälle waren eben nicht so selten, daß die Überlebenden sie nicht mit in Kauf genommen hätten.

Zur Linken fing er Randels Geruch auf und verfolgte seinen Aufstieg an der Stange, als er den Echowerfer wieder aufzog. Augenblicklich beschleunigte sich das mechanische Klappern der Steine. Und Jared lauschte den vollständigeren Bildern, die den schnelleren Echos entsprangen. Er entdeckte die Einzelheiten einer Arbeitsgruppe, die Kompost im Mannagarten ausbreitete; an anderer Stelle wurde eine neue Grotte ausgeschachtet. Weit drüben, an der anderen Wand, wuschen Frauen im Fluß ihre Wäsche.

Was ihn jedoch am stärksten beeindruckte, war die relative Stille, aus der sich schließen ließ, daß etwas geschehen war. Selbst die Kinder hatten sich in schweigsamen Gruppen vor den Wohngrotten versammelt.

Zu seiner Rechten hörte er ein Stöhnen — aus der Therapiegrotte —, und er schlug eine andere Richtung ein. Die Klicks des Zentralechowerfers verrieten ihm, daß jemand vor dem Eingang stand. Als er näher kam, vernahm er die weibliche Gestalt Zeldas.

»Schwierigkeiten?« fragte er.

»Zerver«, erwiderte sie kurz. »Wo bist du gewesen?«

»Hinter einer Fledermaus her. Hat es Verletzte gegeben?«

»Alban und Überlebender Bridley. Sie sind aber nur ein bißchen lädiert.« Ihre Stimme drang durch das schützend vor ihrem Gesicht hängende Haar.

»Sind Zerver verletzt worden?«

Sie lachte bitter. »Soll das ein Witz sein? Der Primär-Überlebende wartet auf dich.«

»Wo ist er?«

»Er bespricht sich mit den Senioren.«

Jared setzte seinen Weg zur Regierungsgrotte fort, dämpfte aber seine Schritte, als er sich dem Eingang näherte. Senior Haverty hatte das Wort. Seine hohe, schwankende Stimme war leicht zu erkennen.

»Wir mauern den Eingang zu!« Haverty schlug auf die Platte. »Dann brauchen wir uns weder um die Zerver noch um die Fledermäuse zu sorgen.«

»Setz dich, Senior«, kam die befehlende Stimme des Primär-Überlebenden. »Du redest dummes Zeug.«

»Was? Wieso denn?«

»Wir wissen, daß man das vor langer Zeit schon einmal versucht hat. Die Luftzirkulation wurde abgewürgt, und die Hitze stieg ins Unerträgliche, das war der ganze Erfolg.«

»Wir können den Zugang wenigstens teilweise schließen«, beharrte Haverty auf seinem Standpunkt.«

»Ausgeschlossen. Er müßte ja eigentlich viel größer sein.«

Jared schlich zum Grotteneingang, hielt sich aber seitlich, um die Schallwellen vom Echowerfer nicht zu blockieren, da er sonst seine Anwesenheit auch den unaufmerksamsten Ohren verraten hätte.

Der Primär klopfte geistesabwesend mit dem Fingernagel auf den Konferenztisch, unauffällige Echos produzierend.

»Es gibt jedoch etwas, das wir tun können«, sagte er.

»Wie? Was soll das sein?« erkundigte sich Senior Haverty.

»Wir würden es nicht allein schaffen. Die Aufgabe ist zu gewaltig. Aber wir könnten das Unternehmen gemeinsam mit dem Oberen Schacht starten.«

»Wir haben bisher mit den Leuten da oben noch nie etwas gemeinsam unternommen.« Senior Maxwell schaltete sich in die Diskussion ein.

»Richtig, aber auch sie wissen, daß wir uns zusammentun müssen.«

»Worum geht es eigentlich?« fragte Haverty.

»Wir können einen bestimmten Tunnel plombieren. Das würde die Zirkulation weder im Unteren noch im Oberen Schacht beeinflussen. Aber wir könnten uns damit von der Zerverwelt endgültig abschließen, soviel uns bekannt ist.«

»Den Haupttunnel«, meinte Maxwell.

»Richtig. Das wäre allerhand Arbeit. Aber wenn sich alle daran beteiligen, könnten wir es in einer halben Schwangerschaftsperiode schaffen.«

»Und die Zerver?« fragte Haverty. »Werden sie sich das so einfach bieten lassen?«

Jared hörte, wie der Primär die Achseln zuckte, bevor er erwiderte: »Die Bewohner beider Schächte sind den Zervern zahlenmäßig weit überlegen. Wir könnten auf unserer Seite der Barrikade schneller bauen, als es den Zervern gelänge, das Bollwerk wieder abzureißen. Früher oder später würden sie aufgeben.«

Stille.

»Klingt ganz gut«, meinte Maxwell. »Wir brauchen jetzt nur den Leuten im Oberen Schacht unsere Idee zu verkaufen.«

»Ich denke, daß uns das gelingen wird.« Der Primär räusperte sich. »Jared, komm herein. Wir haben auf dich gewartet.«

Der Primär mochte langsam alt werden, dachte Jared, als er eintrat, seinen Augen und seiner Nase merkte man das Alter jedoch nicht an. Das unaufhörliche Klopfen des Fingernagels auf der Steinplatte vermittelte Jared einen Eindruck von den Gesichtern, die ihm zugewandt waren. Hinter dem Primär stand eine Gestalt, fühlte er.

Der Mann trat zur Seite, und Jared konnte ihn ausmachen — klein und etwas gebückt, trotz der Jugendlichkeit, die sein Atmen verriet; Haar, das über die Stirn und das ganze Gesicht fiel und nur die Ohren, sowie Nase und Mund freiließ. Das struppigste Gesicht im ganzen Unteren Schacht — Romel Fenton, sein Bruder.

Nachdem aus Höflichkeit die übliche Zeit für Beobachtung und Überlegung eingehalten worden war, räusperte sich der Primär. »Jared, es ist an der Zeit, daß du deine Anerkennung als Überlebender beantragst, findest du nicht?«

Jared fühlte sich versucht, diese prosaische Angelegenheit beiseite zu schieben und mit seinem Bericht über die drohende Gefahr in der Ursprungswelt zu beginnen. Aber er hatte sachlich und kühl zu bleiben und beschloß daher, noch ein wenig damit zu warten. »Das mag wohl sein.«

»Hast du schon einmal an eine Verbindung gedacht?«

»Strahlung, nein!« Er biß sich auf die Lippen. »Nein, ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«

»Du bist dir natürlich im klaren darüber, daß jeder Mann Überlebender werden muß, und daß die vornehmste Pflicht darin besteht, nun auch zu überleben.«

»So heißt es.«

»Und überleben bedeutet nicht nur, daß man sein eigenes Leben bewahrt, sondern daß man es durch die Generationen weitergibt.«

»Ich weiß.«

»Und du hast niemanden gefunden, mit dem du dich verbinden möchtest?«

Da war Zelda, aber sie gehörte zu den Leuten mit struppigen Gesichtern. Da war Luise, die ihr Gesicht nicht hinter dichtem Haar verbarg und auch die Augen offenhielt. Aber sie kicherte immerzu. »Nein, Euer Ehren.«

Romel gluckste in der Vorfreude auf irgendein Ereignis, und rund um die Steinplatte wurden mißbilligende Gesten hörbar. Jared wurde durch das schadenfrohe Lachen an frühere Zeiten erinnert, als Romels bösartige Streiche vor allem darin bestanden, daß er hinter einem Felsblock lag und ein Wurfseil hervorschnellen ließ, das sich um Jareds Knöchel wand und ihm die Beine wegriß. Die brüderliche Feindschaft schwelte immer noch. Sie drückte sich jetzt nur in erwachsener — nun, beinahe erwachsener Form aus.

»Gut!« sagte der Primär und erhob sich. »Ich glaube, wir haben einen Partner für dich gefunden.«

Jared war einen Augenblick sprachlos, dann gab er es mit einem Fluch auf, Respekt zu heucheln. »Da habt ihr aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht!«

Wie konnte er ihnen erklären, daß er keine Zeit für solche Dinge hatte? Daß er frei sein mußte, das vor langer Zeit begonnene Werk fortzusetzen? Daß er an ihren religiösen Überzeugungen zweifelte? Daß er sein Leben dem Versuch widmen wollte, zu beweisen, daß das Licht etwas Körperliches, etwas in dieser Existenz Erfahrbares war — nicht erst im Jenseits wartend?

Romel lachte und sagte: »Das haben die Senioren zu entscheiden.«

»Du bist kein Senior!«

»Du auch nicht. Und du vergißt den Vorrang des Senior-Kodex.«

»Zum Teufel mit dem Kodex!«

»Schluß jetzt!« unterbrach der Primär. »Wie Romel sagte, wird deine Verbindung von uns entschieden. Senioren?«

»Zuerst hätten wir gerne etwas über diese Vereinbarung gehört«, erklärte Maxwell.

»Also gut«, fuhr der Primär fort. »Weder ich noch der Boß haben etwas verlauten lassen, aber wir sind beide davon überzeugt, daß unsere beiden Welten sich zusammentun müssen. Der Boß meint, daß man diesem Ziel durch eine Verbindung zwischen Jared und seiner Nichte beträchtlich näherkäme.«

»Ich mache nicht mit!« rief Jared. »Der Boß will nur irgendeine gräßliche Verwandte abschieben!«

»Hast du sie denn schon einmal gehört?« fragte der Primär.

»Nein, ihr vielleicht?«

»Nein, aber der Boß meint —«

»Es ist mir völlig egal, was der Boß meint!«

Jared trat einen Schritt zurück und lauschte. Die Senioren murrten ungeduldig. Sie mißbilligten seinen Eigensinn. Wenn er nicht irgend etwas unternahm — und zwar sofort —, dann saß er in der Falle!

»In der Ursprungswelt gibt es ein Ungeheuer«, stieß er hervor. »Ich war draußen hinter einer Fledermaus her und —«

»In der Ursprungswelt?« fragte Senior Maxwell ungläubig.

»Ja! Und dieses Monstrum — es stank bestialisch und —«

»Begreifst du überhaupt, was du getan hast?« sagte der Primär scharf. »Abgesehen von Mord und dem Versetzen sperriger Objekte ist das Übersteigen der Barriere das schlimmste Verbrechen.«

»Aber dieses Wesen! ich versuche euch doch zu erklären, daß ich etwas Böses gehört habe!«

Die Stimme des Primars übertönte sogar das Klappern des Echowerfers. »Was im Namen des Allmächtigen Lichts hast du in der Ursprungswelt erwartet? Warum, glaubst du wohl, haben wir Gesetze, warum ist die Barriere errichtet worden?«

»Das verlangt nach strenger Bestrafung«, erklärte Romel.

»Du hast still zu sein!« herrschte ihn der Primär an.

»Die Strafgrube?« schlug Maxwell vor.

»Wie? Was?« knurrte Haverty. »Das ist doch wohl nicht gut möglich, solange die Verhandlungen über eine Verbindung andauern.«

Jared versuchte es noch einmal. »Dieses Wesen — es —«

»Wie wäre es mit sieben Wachperioden Absonderung und Arbeit?« fuhr Haverty fort. »Wenn er es wieder tut — zwei Schwangerschaftsperioden in der Grube.«

»Mild genug«, stimmte Maxwell zu. Aber er ließ die allgemeine Erkenntnis unausgesprochen, daß nur ein einziger Gefangener mehr als zehn Wachperioden in der Grube verbracht hatte, und daß man ihn eine ganze Schwangerschaftsperiode lang hatte fesseln müssen, bevor er wieder harmlos geworden war.

Der Primär ergriff wieder das Wort. »Wir machen die Verhängung der milden Strafe davon abhängig, daß Jared die Verbindung akzeptiert.«

Die Senioren schlugen anerkennend auf die Steinplatten.

»Während du deine Strafe verbüßt«, sagte der Primär zu Jared, »kannst du dich auf einen Besuch im Oberen Schacht zu den fünf Vorbereitungsperioden auf eine Verbindung einstellen.«

Immer noch glucksend verließ Romel Fenton hinter den Senioren die Grotte.

Als sie allein waren, sagte Jared zum Primär: »Wie gemein, so mit seinem eigenen Sohn umzuspringen!«

Der ältere Fenton zuckte die Achseln.

»Warum lassen wir uns überhaupt mit den Leuten da oben ein?« fuhr Jared nörglerisch fort. »Wir haben doch bisher auch allein gegen die Zerver gekämpft, oder etwa nicht?«

»Sie vermehren sich zu rasch und brauchen immer mehr Nahrung.«

»Wir stellen Fallen auf! Wir produzieren mehr Nahrung!«

Jared lauschte dem Kopfschütteln seines Vaters. »Im Gegenteil. Wir werden weniger produzieren. Du vergißt die drei heißen Quellen, die vor nicht ganz dreißig Wachperioden versiegten. Das bedeutet tote Mannapflanzen — nicht mehr soviel Nahrung für die Tiere und uns.«

Jared spürte, wie ihn die Sorge um seinen Vater anrührte. Sie standen jetzt im Grotteneingang, und die von seinem Vater reflektierten Töne verrieten, daß er immer mehr abmagerte. Auch das Haar war dünn, wenn auch stolz nach hinten gekämmt.

»Warum denn ausgerechnet ich und nicht Romel?« beschwerte sich Jared.

»Er ist nicht ehelich geboren.«

Jared begriff nicht, welchen Unterschied das hier machte. Aber er ließ es auf sich beruhen. »Dann eben irgendein anderer! Da sind Randel und Many und —«

»Der Boß und ich haben engere Kontakte diskutiert, seit du ein Dreikäsehoch warst. Und ich habe dich in seiner Vorstellung zu einer Art Superwesen erhöht.«


Die Stille war vielleicht die schwerste Strafe für Jared.

Die Stille und das Abrackern.

Abfall aus der Welt der kleinen Fledermäuse holen, im Grillengebiet tote Insekten als Dünger für den Mannagarten sammeln. Den Überlauf der kochenden Krater umleiten. Sich um das Vieh kümmern, die Hühner mit der Hand füttern, bis sie ihr eigenes Futter fanden.

Und die ganze Zeit kein Wort. Niemand sprach mit ihm, außer um Anweisungen zu geben. Keine Echosteine für scharfes Hören. Völlig isoliert vom Kontakt mit anderen.

Die erste Wachperiode dauerte eine Ewigkeit; die nächste zwei Ewigkeiten. Die dritte brachte er mit der Pflege des Mannagartens zu, wobei er jeden in die tiefste Strahlung verdammte, der sich ihm näherte, weil alle nur Befehle erteilten — bis auf einen.

Das war Owen — der Anweisungen zur Ausschachtung einer neuen Grotte weitergab. Jared hörte die besorgten Falten in seinem Gesicht.

»Wenn du denkst, daß du hier eigentlich neben mir arbeiten müßtest«, sagte Jared, gegen das Schweigegebot verstoßend, »dann laß dir etwas anderes einfallen. Ich habe dich dazu gebracht, die Barriere zu übersteigen.«

»Darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen«, gab Owen zu. »Aber nicht so sehr wie über etwas anderes.«

»Worüber?« fragte Jared und breitete Dünger aus.

»Ich bin es nicht wert, ein Überlebender zu sein. Nicht mehr, seit ich mich in der Ursprungswelt so feige benommen habe.«

»Vergiß die Ursprungswelt.«

»Ich kann nicht.« Owens Stimme klang bedrückt, als er sich entfernte. »Was ich an Mut hatte, habe ich hinter der Barriere gelassen.«

»Verdammter Narr!« rief Jared leise. »Bleib weg von dort!«

Er verbrachte die vierte Periode in Einsamkeit; nicht einmal Anweisungen wurden ihm erteilt. Bei der fünften versuchte er sich zu beglückwünschen, daß er wenigstens dem Krater entkommen war. Aber in der sechsten begriff er unter quälenden Muskelschmerzen, daß man ebensogut die schwerere Strafe hätte verhängen können. Und bevor die letzte peinigende Arbeit zu Ende ging, wünschte er sich in den Strafkrater!

Er stemmte eine letzte Steinplatte in einer der neuen Grotten an die richtige Stelle, brachte den Echowerfer für die Schlafperiode zum Stillstand und kroch erschöpft in die Fenton-Nische.

Romel schlief, aber der Primär lag noch wach. »Ich bin froh, daß du es überstanden hast«, sagte er zu seinem Sohn. »Ruh dich aus. Morgen wird man dich in den Oberen Schacht führen, damit die Vorbereitung für die Verbindung beginnen kann.« Jared war zu schwach, um widersprechen zu können. Er sank auf seinen Sims.

»Ich muß dir etwas mitteilen«, fuhr sein Vater fort. »Die Zerver machen anscheinend wieder Gefangene. Owen ging vor vier Wachperioden zum Pilzesammeln. Seither ist er verschwunden.«

Jared war plötzlich hellwach und spürte, daß er gar nicht so erschöpft war, wie er angenommen hatte. Als der Primär eingeschlafen war, holte er sich seine Echosteine und verließ die Untere Schachtwelt, abwechselnd Owens unbesonnenen Stolz verfluchend und sich um seine Sicherheit sorgend.

Er kämpfte gegen den Wunsch, sich irgendwo niederzulassen und ewig zu schlafen, erreichte die Stelle, an der sie auf das Zerverkind gestoßen waren, hastete weiter, entlang dem schnell dahinschießenden Fluß, hinein in den kleineren Tunnel. Er lotete die Tiefe jedes Kraters aus, kam zur Barriere und überkletterte sie mühsam. Auf der anderen Seite stieß er mit dem Fuß gegen etwas Vertrautes — Owens Köcher!

Daneben lagen ein zerbrochener Speer und zwei Pfeile. Den Bogen fand Jared mit Hilfe der Echosteine an der Wand, in zwei Stücke zerbrochen. Er eilte zur Barriere zurück, den Geruch des Wesens aus der Ursprungswelt in der Nase.

Owen hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, seine Waffen einzusetzen.

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