13

Mehrmals im Lauf der ersten Periode seiner Gefangenschaft dachte Jared an Flucht. Er hörte, daß es verhältnismäßig einfach sein mußte, aus der Mannahütte auszubrechen — wenn es ihm gelang, seine Hände zu befreien. Die Gelenke waren jedoch so fest aneinandergefesselt, daß er sie nicht zu bewegen vermochte.

Aber Flucht — wohin? Der Haupteingang war von den Männern bereits blockiert, die dort die Mauer errichteten, und angesichts der starken Gegenströmungen im Fluß erwies sich die Flucht aus der Hütte als sinnlos.

Bei anderen Gegebenheiten hätte er sich eifrig auf sein Entkommen vorbereitet. Aber außerhalb der Zerverwelt gab es nichts als Tunnels voll Ungeheuer. Überdies mußten die anderen Welten durch diese verhaßten Wesen längst entvölkert worden sein. Der einzige Antrieb, stark genug, ihn anzustacheln — die Hoffnung, für sich und Della eine versteckte, autarke Welt zu finden — hatte sich in Nichts aufgelöst, als sich das Mädchen gegen ihn stellte.

Während der zweiten Periode stand er vor der verbarrikadierten Öffnung in der Hüttenwand und lauschte den Arbeitern, die den Eingang völlig zumauerten. Dann lehnte er sich entmutigt an die Wand und ließ das Rauschen des Wasserfalls seine Aufmerksamkeit von allen anderen Geräuschen fortschwemmen.

Er fragte sich verständnislos, wie er nur auf die Idee gekommen war, in dieser schäbigen Welt Licht finden zu können. Da die Zerver, ohne zu lauschen, wußten, was vor ihnen lag, hatte er angenommen, daß sie dieselbe Macht besaßen, die allen Menschen in Gegenwart des Allmächtigen Lichts zuteil werden mußte. Daraus sollte sich dann eine Abnahme der Dunkelheit ergeben, war seine falsche Schlußfolgerung gewesen. Aber er hatte an eine Möglichkeit nicht gedacht: daß nämlich die Dunkelheit etwas sein konnte, das nur die Zerver selbst zu erkennen vermochten — etwas, das außerhalb des Bereiches seiner Sinne lag.

Er ging zur Schlafbank und legte sich nieder, versuchte, Della aus seinen Gedanken zu verbannen, aber es gelang ihm nicht. Er gestand sich ein, daß ihre Handlungsweise nur einem verräterischen Grundzug im Charakter aller Zerver entsprach. Lea dagegen hätte niemals —

Was war wohl aus ihr geworden? Vielleicht versuchte sie jetzt, ihn aus den Tiefen der Strahlung zu erreichen. Solange er nicht schlief, würde er das nicht erfahren.

Den Rest dieser Periode verbrachte er meistens schlafend, weil er hoffte, daß sie sich wieder melden würde. Aber sie blieb stumm.

Gegen Ende der dritten Periode seiner Gefangenschaft entdeckte er ein schwaches Geräusch vor der Hütte — ein Huschen, das nah genug war, trotz des rauschenden Wasserfalls hörbar zu werden. Dann fing er Dellas Duft auf, als sie heraneilte und sich gegen die Außenwand preßte.

»Jared!« flüsterte sie.

»Verschwinde!«

»Aber ich möchte dir doch helfen!«

»Du hast mir schon genug geholfen.«

»Überlege doch einmal. Wäre ich noch in Freiheit, wenn ich vor Mogan anders gesprochen hätte?«

Er lauschte, als sie am Seilschloß hantierte. »Du hast wohl nur auf die erste Gelegenheit gewartet, mich zu befreien«, meinte er uninteressiert.

»Natürlich. Sie kam erst jetzt — als die Zerver Lärm im Tunnel hörten.«

Das letzte Seil löste sich, und Della trat ein.

»Geh zurück zu deinen Zerverfreunden«, murrte er.

»Beim Licht, du bist eigensinnig!« Mit einem Beinmesser machte sie sich an seinen Fesseln zu schaffen. »Kannst du durch den Fluß zurückschwimmen?«

»Was nützt das?«

»Du kannst in eine der Schachtwelten zurückkehren.«

Seine Gelenke waren frei. »Ich bezweifle, ob sich eine Rückkehr überhaupt lohnt, selbst wenn man dort nicht glaubte, daß ich ein Zerver bin.«

»Dann also in eine der abgelegenen Welten.« Noch einmal fragte sie: »Kannst du den Fluß durchschwimmen?«

»Ich glaube schon.«

»Also gut — dann los.« Sie wollte die Hütte verlassen. Er blieb stehen. »Du gehst auch mit?«

»Du denkst doch wohl nicht, daß ich ohne dich hierbleibe?«

»Aber das ist deine Welt! Hier gehörst du her! Außerdem bin ich nicht einmal ein Zerver.«

Sie seufzte. »Hör zu — zuerst war ich ganz davon hingerissen, daß ich Leute gefunden hatte, die wie ich sind. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob es einen Unterschied macht, wenn du kein Zerver wärst. Dann lagst du auf dem Boden, besiegt von Mogan. Und ich wußte, daß es nicht einmal eine Rolle spielt, ob du hören, riechen oder schmecken kannst. Können wir uns jetzt endlich auf den Weg machen und uns eine eigene Welt suchen?«

Bevor er etwas erwidern konnte, schob sie ihn zum Hang, der sie über den Wasserfall führen würde. Jared spürte die Angst, die wie in dichten Schwaden über der Zerverwelt lagerte. Im Wohngebiet herrschte tödliche Stille, durch die undeutlichen Echos des stürzenden Wassers konnte er erkennen, wie sich die Zerver ängstlich vom Eingang zurückzogen.

Auf halbem Weg nach oben blieb er plötzlich stehen und sog den Geruch ein, der zu ihm herabdrang. Verzweifelt hob er ein paar Steine auf und schüttelte sie in der Hand. In völliger Deutlichkeit stand Mogan auf der Anhöhe und wartete.

»Ihr wollt fliehen und den Ungeheuern verraten, wie sie hier eindringen können«, sagte er drohend.

Jared klapperte mit seinen Steine und fing den Eindruck des den Hang herabstürmenden Zervers auf.

Aber in diesem Augenblick erschütterte der Lärm von tausend Katarakten die Welt. Fast gleichzeitig brach der lautlose Schall der Ungeheuer vom Eingang her in die Zerverniederlassung. Und im nächsten Herzschlag begann unten alles durcheinanderzulaufen und zu schreien, als der wieder geöffnete Tunnel einen gnadenlosen, unangreifbaren Zylinder unhörbaren Schalls auswarf.

Jared kroch die Anhöhe hinauf, das Mädchen mit sich zerrend. Mogan folgte ihnen.

»Allmächtiges Licht!« fluchte der Zerveranführer. »Was ist denn eigentlich los?«

»So etwas habe ich noch nie gezervt«, rief Della verängstigt.

Heftige, schmerzhafte Empfindungen stürmten gegen Jareds Augen an, seinen Höreindruck von der ganzen Welt verwirrend, zugleich aber auch irgendwie vervollständigend. Lautechos brachten ein mehr oder weniger komplettes Bild der von Rissen durchzogenen Felswand. Mit ihr hingen aber auch Gebiete lautlosen Schalls zusammen, die jede Einzelheit der Oberfläche so klar hervortreten ließen, als könne er die ganze Wand zur selben Zeit mit seiner Hand abtasten.

Plötzlich verblaßte die Wand in relativer Stille, und er konnte dieses Ereignis mit der Tatsache in Verbindung bringen, daß der unheimliche Zylinder seine Richtung gewechselt hatte und gerade ein anderes Gebiet des Lautmusters durchschnitt. Jared schien jetzt jede einzelne Hütte im Mittelpunkt der Welt nach Form und Größe unterscheiden zu können. Die wilde, kreischende Stille berührte jedes Objekt in Hörweite und brannte es mit marternder Unbarmherzigkeit in sein Bewußtsein.

Er schlug die Hände vors Gesicht und fand sofort Erleichterung, während er den vom Eingang hereinstürzenden Ungeheuern lauschte.

»Habt keine Angst!« rief eines der Wesen.

»Wirf etwas Licht da herüber!« schrie ein anderes.

Die Worte hallten in Jareds Gehirn wider. Was meinten sie damit? War Licht wirklich mit diesen bösartigen Wesen im Bunde? Wie konnte man Licht werfen? Schon früher hatte er einmal angenommen, der Stoff, den diese Wesen in den Tunnels vor sich herwarfen, könnte Licht sein. Aber diese Möglichkeit mußte er sofort abweisen, wie auch jetzt wieder.

Seine Augen öffneten sich unwillkürlich, aber von neuem überfiel ihn Verwirrung. Einen Augenblick lang konnte er beinahe irgendeine Abnahme entdecken — wie er sich früher schon einmal eingebildet hatte, sie gefunden zu haben. Jetzt war die Überzeugung noch klarer, daß sich in der Zerverwelt irgend etwas vermindert hatte, seit die Ungeheuer eingedrungen waren!

»Die Ungeheuer!« brüllte Mogan. »Sie kommen herauf!«

Della schrie, und der Widerhall ihrer Stimme brachte den Eindruck von drei dieser Wesen, die den Abhang hinaufeilten.

»Jared!« Sie zerrte an seinen Arm. »Wir müssen —«

Wieder das Zischen.

Sie brach zusammen. Und bevor er sie festhalten konnte, rollte sie den Abhang hinunter. Entsetzt starrte ihr Jared nach. Aber Mogan hielt ihn zurück. »Wir können ihr jetzt nicht mehr helfen.«

»Doch, wenn wir sie erreichen, bevor —«

Aber der Zerverführer stieß ihn in den Fluß und sprang hinterher. Bevor Jared protestierend aufschreien konnte, zerrte ihn Mogan unter die Oberfläche und begann den verzweifelten Kampf gegen die Strömung. Jared wehrte sich, aber die Kraft des anderen und die Angst vor dem Ertrinken gewannen die Oberhand. Er konnte nichts anderes tun, als sich mitziehen lassen.

Als sie seiner Ansicht nach den halben Weg zurückgelegt hatten, schleuderte ihn die Strömung gegen einen Felsblock, und unwillkürlich entwich die in seinen Lungen zurückgehaltene Luft. Mogan tauchte auf den Grund hinab; Jared kämpfte verzweifelt gegen den Zwang, atmen zu müssen. Sein Widerstand wurde schließlich gebrochen, und ein Schwall Wasser ergoß sich in seine Luftröhre.


Er kam unter der rhythmischen Bewegung der Hände des Zervers wieder zu sich, die seinen Brustkorb zusammenpreßten, losließen, wieder preßten. Jared übergab sich, spuckte und hustete Wasser.

Mogan hörte auf, Luft in seine Lungen zu pumpen, und stemmte Jared in sitzende Stellung. »Ich habe irrtümlich angenommen, daß du mit diesen Wesen unter einer Decke steckst«, entschuldigte er sich.

»Della!« rief Jared, der immer noch vom Husten geschüttelt wurde. »Ich muß zurück!«

»Es ist zu spät. Dort wimmelt es jetzt von Ungeheuern.«

Jared horchte angestrengt nach dem Fluß. Aber er hörte nirgendwo Wasser. »Wo sind wir?« fragte er.

»In einem Nebentunnel. Nachdem ich dich an Land gezerrt hatte, mußte ich dich hierher transportieren, damit uns die Vampire nicht erwischten.«

Jared lauschte den Echos der Worte und erkannte die Einzelheiten eines Tunnels, der sich weiter vorne verbreiterte. Und hinten hörte man die Schreie der enttäuschten Vampire.

»Wir gehen nicht in die Richtung des Haupttunnels?«

»Entgegengesetzt. Dann brauchen wir uns wenigstens nicht mit bloßen Händen gegen die Vampire zu wehren.«

Jared stand auf und lehnte sich an die Felswand. Sie hätten vielleicht eine Chance gehabt, die Ungeheuer im großen Tunnel einzuholen, aber er mußte zugeben, daß die Vampire diese Absicht vereitelten.

»Wohin führt dieser Gang?«

»Ich bin noch nie hier gewesen.«

Jared erkannte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er folgte den Reflexionen ihrer Stimmen den Korridor entlang.

Als er später zum zweitenmal stolperte, fragte er sich, warum er in einem geräuschlosen Tunnel ohne Echosteine dahinwankte. Er tastete am Boden entlang, bis er ein Paar beinahe gleich große Steine gefunden hatte, dann begann er sie zu schütteln, bevor er den Weg fortsetzte.

Nach einer Weile sagte Mogan: »Du hörst recht gut mit diesen Dingern, nicht wahr?«

»Es geht.« Jared hörte plötzlich ein, daß er ganz grundlos mürrisch war, außer er nahm es dem Zerver übel, daß dieser ihn davor zurückgehalten hatte, Della zu erreichen — ein Bemühen, das keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

»Ich habe sehr viel Übung damit«, fügte er etwas freundlicher hinzu.

»Für jemand, der nicht zerven kann, mögen sie ja recht gut sein«, meinte Mogan, »aber mich würde der Krach wahnsinnig machen.«

Sie schritten einige Zeit schweigend dahin. Jared wurde von Verzweiflung übermannt, als er begriff, daß er Della vielleicht nie wiedersehen würde. Er wußte jetzt, daß er sich mit ihr in einer abgelegenen Welt niedergelassen hätte — und es wäre gleichgültig gewesen, ob sie ihm überlegen war oder nicht — solange sie zusammensein konnten.

Aber jetzt hatte er sie verloren; seine Welt war leer und trostlos geworden. Seine verzerrten Maßstäbe hatten ihn dazu veranlaßt, einer unsinnigen Suche nach Licht und Dunkelheit den Vorrang einzuräumen, anstatt sich zu fragen, wieviel ihm Della eigentlich bedeutete. Von nun an bestand der Sinn seines Lebens nur noch darin, sie zu finden, selbst wenn ihn das in die thermonuklearen Tiefen der Strahlung führte. Sollte es ihm nicht gelingen, sie den Ungeheuern zu entreißen, so traf ihn mit dem Versinken in der Strahlung die gerechte Strafe.

Sie kamen an einer Kluft vorbei, und der Zerveranführer ließ sich etwas zurückfallen, um neben Jared gehen zu können. »Della sagte, daß du nach Licht und Dunkelheit suchst.«

»Das ist vorbei«, knurrte Jared.

»Aber ich interessiere mich dafür. Wenn du ein Zerver gewesen wärst, hätte ich mich mit dir schon in unserer Welt unterhalten.«

Neugierig erkundigte sich Jared: »Worüber?«

»Ich gebe auch nichts auf die Legenden. Ich war immer der Ansicht, daß die Bezeichnung ›Großes Allmächtiges Licht‹ unnötige Verherrlichung einer ganz alltäglichen Sache ist.«

»Tatsächlich?«

»Ich glaube sogar zu wissen, was Licht ist.«

Jared blieb stehen. »Was ist es?«

»Wärme.«

»Wie kommst du darauf?«

»Überall um uns her ist doch Wärme, nicht wahr? Größere Wärme nennen wir ›Hitze‹, geringere ›Kälte‹. Je wärmer etwas ist, desto mehr Eindrücke vermittelt es einem Zerverauge.«

Jared nickte. »Und es unterrichtet dich über alle Dinge, ohne daß du sie zu fühlen, hören oder riechen brauchst.«

Mogan zuckte die Achseln. »Und das wird in den Legenden vom Licht behauptet.«

Irgend etwas stimmte hier nicht zusammen, aber Jared kam nicht dahinter. Vielleicht lag es an seiner Weigerung, zuzugeben, daß Licht etwas so Prosaisches wie Wärme sein konnte. Er setzte sich wieder in Bewegung und beschleunigte seine Schritte, als er hörte, daß sie sich einem größeren Tunnel näherten.

Im selben Augenblick sagte Mogan: »Ich zerve voraus einen Tunnel, der wesentlich größer ist als dieser hier.«

Jared eilte voran, die Echosteine schneller aneinanderschlagend, um der größeren Geschwindigkeit Rechnung zu tragen. Als er jedoch in den anderen Tunnel eindrang, blieb er abrupt stehen.

»Was ist los?« fragte Mogan.

Jared schnüffelte. »Der Gestank der Ungeheuer verpestet hier die ganze Luft! Aber das ist noch nicht alles. Man kann auch den Geruch von Leuten aus dem Unteren und Oberen Schacht unterscheiden.«

Die Echos seiner Steine zeigten ihm, daß sich der Zerverführer die Stirn wischte.

»Dieser Tunnel ist scheußlich!« rief Mogan. »Zuviel Wärme. Man kann nicht richtig zerven.«

Auch Jared hatte die Wärme gespürt, aber er beschäftigte sich mit einem anderen Problem. Diese Tunnelstrecke mit ihren Gesteinsformen wirkte vertraut. Ganz plötzlich fiel es ihm ein. Natürlich — sie standen kurz vor der Ursprungswelt! Er schüttelte seine Steine und entdeckte den Felsblock, hinter dem Owen und er sich bei der ersten Begegnung mit dem Ungeheuer versteckt hatten. Hinter der Biegung mußte sich der Eingang zur Ursprungswelt befinden, und dahinter kamen die Barriere und die Schächte.

»Welche Richtung schlagen wir ein?« fragte Mogan.

»Wir gehen nach links«, schlug Jared vor und machte sich auf den Weg.

Nach ein paar Schritten meinte er: »Du glaubst also, Wärme sei Licht.«

»Allerdings.«

»Und Dunkelheit?«

»Ganz einfach. Dunkelheit ist Kühle.«

Jared hatte jetzt den inneren Widerspruch erkannt. »Du irrst dich. Nur Zerver können Wärme und Kälte aus größerer Entfernung spüren. Nenne mir eine einzige Legende, in der Licht als alleiniges Eigentum der Zerver erscheint. Sämtliche Glaubenssätze gehen davon aus, daß alle Menschen wieder mit Licht vereinigt werden.«

»Darauf habe ich auch schon eine Antwort gefunden. Die Zerver sind eben der erste Schritt zur endgültigen Vereinigung.«

Jared wollte auch gegen diese Annahme protestieren. Er hatte aber eben eine Biegung hinter sich gebracht, als er erschrocken zurückwich. Seine Echos verrieten ihm die Einzelheiten einer neuerlichen Krümmung im Tunnel. Von dieser Biegung her spürte er jedoch einen gewaltigen Strom lautlosen Schalles ausgehen. Es war, als marschierten tausend menschlich-unmenschliche Wesen in seiner Richtung, alle kreischende Stille vor sich herschleudernd.

»Ich kann nicht das geringste zerven!« beschwerte sich Mogan.

Jared lauschte, hörte aber keine Laute von Ungeheuern hinter der Biegung. Vorsichtig schlich er weiter, entschlossen, diesmal die Augen offenzuhalten. Sein Gesicht verzerrte sich, als die Muskeln vergeblich versuchten, die Lider zu schließen. Zitternd und die Augen zusammenkneifend ging er weiter; er vergaß sogar, seine Echosteine zu benützen.

Mogan folgte in beträchtlicher Entfernung, von Zeit zu Zeit einen Fluch ausstoßend.

Jared erreichte die Biegung und hastete weiter, da er fürchtete, beim geringsten Zögern die Flucht zu ergreifen. Jetzt strömte dieser schreckliche Stoff mit der Gewalt von Hunderten heißer Quellen in seine Augen; er konnte sie nicht mehr offenhalten. Tränen liefen ihm über die Wangen, aber er rannte weiter, sich diesmal wieder der Echos seiner Steine bedienend.

Seine Beine wurden vor Angst schwer wie Blei. Denn von vorne kamen keine Echos zurück — überhaupt keine Echos! Das war doch unmöglich! Niemals hatte jemand einen Laut hören können, der nicht von allen Seiten reflektiert wurde. Und doch zeigte sich hier eine große, unfaßbare Lücke in einem Lautmuster!

Seine Furcht wurde schließlich zur unüberwindlichen Schranke, und er konnte keinen Schritt mehr tun. Regungslos wie eine Mannapflanze stand er da und stieß Rufe aus.

Kein Widerhall seiner Stimme, weder von vorne noch von oben, noch von den Seiten. Von hinten zeichnete der zurückkehrende Laut eine große Felswand, die an Höhe sogar die Zerverwelt um ein vielfaches übertraf. Und in dieser Wand entdeckte er die dumpfe Hohlheit des Korridors, den er eben verlassen hatte.

Die Lösung traf ihn mit der Gewalt eines stürzenden Felsblocks: Er befand sich in der Unendlichkeit! Und sie war keine endlose Felsmasse, sondern eine unbegrenzte Weite von — Luft!

Entsetzt wich er zum Tunnel zurück. Denn alle Glaubenssätze hatten erklärt, daß es nur zwei Unendlichkeiten gab — das Paradies und die Strahlung.

Noch ein Schritt, und er prallte mit Mogan zusammen.

»Ich kann nicht einmal meine Augen offenhalten!« rief der Zerverführer. »Wo sind wir denn?«

»Ich —«, würgte Jared hervor. »Ich glaube, wir sind in der Strahlung.«

»Licht! Ich rieche es!«

»Der Geruch der Ungeheuer. Aber es ist gar nicht ihr Gestank — sondern die Ausdünstung dieser Gegend.«

Jared zog sich verzweifelt zum Tunnel zurück. Dann spürte er die ungeheure Hitze deutlicher, und er begriff, warum sein Begleiter nicht mehr zerven konnte. Mogan war die normale Wärme in den Welten und Korridoren gewöhnt. Hier strömte die Hitze aller existierenden Kochquellen zusammen auf sie herab.

Und ganz plötzlich wußte Jared, daß er diese Unendlichkeit nicht verlassen konnte, ohne sie eindeutig zu identifizieren. Er hatte bereits geahnt, um welche es sich handelte. Die Hitze war Hinweis genug. Aber er mußte sich überzeugen. Er wappnete sich gegen die zu erwartende Qual, öffnete die Augen und ließ den Tränen freien Lauf.

Die unheimlichen Eindrücke, die auf ihn hereinstürzten, waren diesmal verschwommen. Er wischte sich mit dem Handrücken die Wangen.

Dann kamen die zusammengesetzten Eindrücke — Empfindungen, die dem Zerven glichen, wie er vermutete. Auf seltsame Weise — durch das Medium seiner Augen — spürte er, daß der Boden vor ihm abfiel, auf eine Gruppe von winzigen, schlanken Objekten zu, die in der Ferne einmal hierhin, einmal dorthin schwankten. Undeutlich erinnerten sie ihn an Mannabäume. Oben waren sie allerdings zart und spitzenartig. Die Legende von den Pflanzen im Paradies fiel ihm ein.

Aber dies hier war eine Unendlichkeit der Hitze, in der nichts Himmlisches existierte.

Zwischen den Bäumen zervte er die Einzelheiten kleiner, geometrischer Formen, in Reihen aufgestellt, wie die Hütten in der Ursprungswelt. Wieder ein Merkmal, das dem Paradies zugeschrieben wurde.

Aber hier wohnten doch Ungeheuer!

Schlagartig wandte er seine Aufmerksamkeit einer alles überragenden Tatsache zu:

Er empfing zur selben Zeit ausführliche Eindrücke von unendlichen vielen Dingen, ohne sie zu hören oder sie riechen zu müssen!

Diese Fähigkeit konnte jedoch nur in Gegenwart des Großen Allmächtigen Lichts ausgeübt werden.

Dies also war es.

Dies war das Ende seiner Suche.

Er hatte Licht gefunden. Und Licht war nun doch der Stoff, den die Ungeheuer in den Tunnels vor sich herwarfen.

Aber Licht war nicht im Paradies.

Es war in der Unendlichkeit der Strahlung mit den Nuklear-Ungeheuern.

Alle Legenden, alle Glaubenssätze führten in die Irre.

Für den Menschen gab es kein Paradies.

Da die Atomdämonen ungehindert die Tunnels durchstreiften, war für die Menschheit das Ende ihrer Existenz gekommen.

Voll Verzweiflung warf er den Kopf zurück, und gegen sein Gesicht prallte lautloser Schall mit unvorstellbarer Macht.

Der Eindruck war so verheerend, daß er die Augen aus seinen Höhlen zu brennen schien.

Ein großes, rundes, bösartiges Ding, die Strahlung mit unfaßbarer Kraft, Hitze und Majestät beherrschend, brüllte ihm ins Gesicht.

Wasserstoff in Person!

Jared fuhr herum und raste zum Tunnel, kaum bemerkend, daß er gleichzeitig ein Geräusch auf dem Abhang gehört hatte.

Mogan rief. Aber der Aufschrei wurde von surrendem Zischen unterbrochen.

Jared schaffte es, den Korridor zu erreichen, und raste den Echos seiner Klicksteine nach.

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