4 Ritter von Solamnia. Die Gesellschaft des alten Mannes.

Raistlin beugte sich vor. Er und Caramon wechselten Blicke, als würden zwischen ihnen Gedanken wortlos ausgetauscht. Es war ein seltener Augenblick, denn nur große persönliche Schwierigkeiten oder Gefahren ließen die enge Blutsverwandtschaft der Zwillinge offensichtlich werden. Kitiara war ihre ältere Halbschwester.

»Kitiara würde ihren Eid nicht brechen, falls sie nicht an einen anderen, stärkeren Eid gebunden ist.« Raistlin sprach aller Gedanken laut aus.

»Was schreibt sie?« fragte Caramon.

Tanis zögerte, dann befeuchtete er seine trockenen Lippen. »Die Pflichten bei ihrem neuen Herrn halten sie fest. Sie bedauert es sehr und sendet uns allen die besten Wünsche und ihre Liebe...« Seine Kehle schnürte sich zusammen. Er hustete. »Ihre Liebe zu ihren Brüdern und zu...« Er machte eine Pause und rollte dann das Pergament zusammen. »Das ist alles.« »Liebe zu wem?« fragte Tolpan lebhaft. »Autsch!« Wütend funkelte er Flint an, der ihm auf den Fuß getreten war. Der Kender sah Tanis erröten. »Oh«, machte er und kam sich ziemlich dumm vor.

»Wißt ihr, von wem sie spricht?« fragte Tanis die Brüder. »Was für einen neuen Herrn hat sie?«

»Wer weiß schon bei Kitiara Bescheid?« Raistlin zuckte mit seinen mageren Schultern. »Wir haben sie das letzte Mal hier in diesem Wirtshaus vor fünf Jahren gesehen. Sie ist mit Sturm gen Norden gewandert. Seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört. Was den neuen Herrn betrifft, würde ich sagen, wissen wir jetzt, warum sie unsern Eid gebrochen hat: sie hat einem anderen Treue geschworen. Trotz allem ist sie Söldnerin.« »Ja«, stimmte Tanis zu. Er ließ die Rolle in ihren Behälter gleiten und sah zu Tika hinauf. »Du hast gesagt, diese Botschaft sei unter merkwürdigen Umständen angekommen. Erzähle es mir.«

»Ein Mann brachte sie heute am späten Morgen. Zumindest glaube ich, daß es ein Mensch war.« Tika schauderte. »Er war von Kopf bis Fuß in Kleider eingehüllt. Ich konnte nicht einmal sein Gesicht erkennen. Seine Stimme war zischend, und er sprach mit einem fremden Akzent. ›Überreiche dies Tanis, dem Halb-Elf en‹, sagte er. Ich antwortete ihm, daß du schon seit Jahren nicht mehr hiergewesen wärst. ›Er wird hiersein‹, sagte der Mann. Dann ging er.« Tika zuckte mit den Schultern. »Das ist alles, was ich dir sagen kann. Der alte Mann dort drüben hat ihn auch gesehen.« Sie zeigte auf einen alten Mann, der am Feuer auf einem Stuhl saß. »Du könntest ihn fragen, ob er noch etwas bemerkt hat.«

Tanis drehte sich um und erblickte den Alten, der einem schläfrigen Kind Geschichten erzählte. Flint berührte seinen Arm.

»Da kommt jemand, der dir mehr erzählen kann«, sagte der Zwerg.

»Sturm!« sagte Tanis herzlich, als er zur Tür sah.

Alle außer Raistlin wandten sich um. Der Magier versank wieder in den Schatten.

In der Tür stand eine Gestalt in voller Rüstung – auf dem Brustschild das Wappen des Ordens der Rose. Die meisten Gäste im Wirtshaus funkelten ihn finster an. Der Mann war ein solamnischer Ritter, und die Ritter von Solamnia hatten im Norden einen schlechten Ruf. Die Gerüchte über ihre Korruptheit hatten sich bis in den Süden verbreitet. Die wenigen, die Sturm als einen langjährigen früheren Bewohner von Solace erkannten, zuckten nur die Achseln und wandten sich wieder ihren Getränken /u. Jene, die ihn nicht wiedererkannten, starrten ihn weiter an. In diesen Tagen des Friedens war es mehr als ungewöhnlich, einen Ritter in voller Rüstung das Wirtshaus betreten zu sehen. Und noch ungewöhnlicher war es, einen Ritter in einer Rüstung zu sehen, die noch aus der Zeit der Umwälzung herrührte!

Sturm nahm die Blicke als Respektsbezeugung für seinen Rang entgegen. Er glättete sorgfältig seinen dicken Schnurrbart, ein uraltes Symbol der Ritter, das genauso fossil war wie seine Rüstung. Er trag den Schmuck der solamnischen Ritter mit unerschütterlichem Stolz - und er hatte den Schwertarm und die Übung, um diesen Stolz zu verteidigen. Obwohl die Leute im Wirtshaus ihn anstarrten, wagte niemand – wenn er in die ruhigen kalten Augen des Ritters gesehen hatte – zu kichern oder eine abfällige Bemerkung zu machen.

Der Ritter hielt einem hochgewachsenen Mann und einer in Pelze gehüllten Frau die Tür auf. Die Frau mußte sich bei Sturm bedankt haben, denn er verbeugte sich vor ihr in einer höfischen, altmodischen Manier, die in der neuen Welt schon lange in Vergessenheit geraten war.

»Schaut euch das an.« Caramon schüttelte bewundernd den Kopf. »Der tapfere Ritter hilft der schönen Dame. Ich frage mich, wo er die beiden aufgegabelt hat.«

»Das sind Barbaren aus den Ebenen«, erklärte Tolpan, der sich auf einen Stuhl gestellt hatte und seinem Freund zuwinkte. »Das ist die Kleidung des Que-Shu-Stammes.«

Augenscheinlich hatten die beiden Menschen der Ebenen irgendein Angebot Sturms abgelehnt, denn der Ritter verneigte sich wieder und schritt darauf durch die überfüllte Gaststube mit einer stolzen und edlen Miene, so wie er sie wohl getragen hatte, als er vom König zum Ritter geschlagen worden war. Tanis erhob sich. Sturm ging erst zu ihm und warf seine Arme um den Freund. Tanis drückte ihn fest an sich und spürte die starken, sehnigen Arme des Ritters, die ihn herzlich umfaßten. Dann gingen beide einen Schritt zurück, um sich einen kurzen Augenblick zu mustern.

Sturm hat sich nicht verändert, dachte Tanis, nur um seine traurigen Augen sind mehr Linien, mehr Grau ist in seinem braunen Haar. Der Umhang ist ein bißchen abgetragener. Die uralte Rüstung hat ein paar Dellen mehr. Aber der wallende Schnurrbart des Ritters - sein ganzer Stolz - war lang und schwungvoll wie eh und je, sein Schild strahlend poliert, seine braunen Augen wie immer herzlich, wenn er seine Freunde traf.

»Und du hast einen Bart«, sagte Sturm belustigt.

Dann wandte sich der Ritter Caramon und Flint zu, um sie zu begrüßen. Tolpan flitzte wieder davon, um mehr Bier zu besorgen, denn Tika war zu anderen Gästen fortgerufen worden. »Ich grüße dich, Ritter«, wisperte Raistlin aus seiner Ecke. Sturms Gesicht wurde feierlich, als er den anderen Zwilling erblickte. »Raistlin«, sagte er.

Der Magier zog seine Kapuze weg, so daß das Licht auf sein Gesicht fiel. Sturm war zu gut erzogen, um sein Erstaunen zu zeigen. Aber seine Augen weiteten sich. Tanis stellte fest, daß der junge Magier ein zynisches Vergnügen an der Verlegenheit seiner Freunde entwickelte.

»Kann ich dir etwas bestellen, Raistlin?« fragte Tanis. »Nein, danke«, antwortete der Magier und verschwand wieder im Schatten.

»Er ißt praktisch nichts«, sagte Caramon besorgt. »Ich glaube, er lebt von der Luft.«

»Einige Pflanzen leben von der Luft«, bemerkte Tolpan, der mit einem Krug Bier für Sturm wiedergekommen war. »Das hab' ich gesehen. Ihre Wurzeln saugen Nahrung und Wasser aus der Atmosphäre.«

»Wirklich?« Caramon bekam große Augen.

»Ich weiß nicht, wer der größere Idiot ist«, sagte Flint voller Abscheu. »Nun, wir sind alle da. Gibt es Neuigkeiten?« »Alle?« Sturm sah Tanis fragend an. »Kitiara?«

»Kommt nicht«, erwiderte Tanis mit fester Stimme. »Wir haben gehofft, daß du uns etwas sagen könntest.« »Nein.« Der Ritter runzelte die Stirn. »Wir reisten gemeinsam Richtung Norden und trennten uns, bald nachdem wir die Meerengen bei Alt-Solamnia überquert hatten. Sie wollte Verwandte ihres Vaters aufsuchen, sagte sie. Das war das letzte, was ich von ihr gesehen habe.«

»Nun, vermutlich war es das.« Tanis seufzte. »Was ist mit deinen Verwandten, Sturm? Hast du deinen Vater gefunden?« Sturm hob an zu erzählen, aber Tanis hörte seinen Geschichten über seine Reise in das Land seiner Vorfahren nur halb zu. Seine Gedanken waren bei Kitiara. Von all seinen Freunden hatte er sich am meisten nach ihr gesehnt. Nachdem er fünf Jahre lang versucht hatte, ihre dunklen Augen und ihr verschmitztes Lächeln aus seinen Gedanken zu verbannen, mußte er entdecken, daß seine Sehnsucht nach ihr mit jedem Tag zunahm. Zügellos, impulsiv, leidenschaftlich - diese Kämpferin stellte all das dar, was Tanis nicht war. Sie war aber ein Mensch, und die Liebe zwischen Menschen und Elfen mußte in einer Tragödie enden. Trotzdem konnte Tanis sie nicht mehr aus seinem Herzen reißen, so wie er auch nicht seine menschliche Hälfte aus seinem Blut herausfiltern konnte. Er riß sich aus seinen Gedanken und fing an, Sturm zuzuhören. »Ich habe Gerüchte gehört. Einige sagen, mein Vater ist tot. Andere sagen, daß er lebt.« Sein Gesicht verdunkelte sich. »Aber niemand weiß, wo er sich aufhält.«

»Dein Erbe?« fragte Caramon.

Sturm lächelte ein melancholisches Lächeln, das die Kerben in seinem stolzen Gesicht glättete. »Das trage ich am Körper«, antwortete er schlicht. »Meine Rüstung und meine Waffe.« Tanis beugte sich und sah, daß der Ritter ein zwar altmodisches, aber prächtiges zweihändiges Schwert trug. Caramon stand auf und spähte über den Tisch. »Das ist ein wunderschönes Schwert«, sagte er. »Heutzutage wird so etwas nicht mehr angefertigt. Mein Schwert ist bei einem Kampf mit einem Oger zerbrochen. Theros Eisenfeld hat heute eine neue Klinge angepaßt, aber es hat mich sehr viel gekostet. So bist du jetzt also ein Ritter?«

Sturms Lächeln verschwand. Er ignorierte die Frage und fuhr liebevoll über den Schwertgriff. »Nach der Legende wird dieses Schwert nur durch mich zerbrechen«, sagte er. »Das ist alles, was übriggeblieben ist von meines Vaters...«

Plötzlich wurde er von Tolpan unterbrochen, der nicht zugehört hatte. »Wer sind diese Leute?« fragte der Kender im schrillen Flüsterton.

Tanis sah auf, als die zwei Barbaren an ihrem Tisch vorbeigingen und auf freie Stühle zusteuerten, die im Schatten eines Winkels neben der Feuerstelle standen. Solch einen riesigen Mann hatte Tanis noch nie zuvor gesehen. Caramon mit seinen zwei Metern würde ihm nur bis zu den Schultern reichen. Aber Caramons Brustkorb war wahrscheinlich doppelt so breit und seine Arme dreimal so dick. Obwohl der Mann in Felle gekleidet war, wie es bei barbarischen Stammesangehörigen üblich war, konnte man erkennen, daß er für seine Größe sehr mager war. Sein zwar dunkelhäutiges Gesicht hatte die Blässe eines Kranken.

Seine Begleiterin - die Frau, vor der sich Sturm verbeugt hatte war in einen Fellumhang und eine Kapuze eingemummt, so daß es schwierig war, mehr über sie zu sagen. Weder sie noch ihr Gefährte schauten beim Vorbeigehen zu Sturm.

Die Frau hielt einen schlichten Stab in der Hand, der nach Barbarenart mit Federn geschmückt war. Der Mann trug einen abgetragenen Rucksack mit sich. Sie ließen sich in ihren Fellen auf den Stühlen nieder und unterhielten sich leise.

»Ich traf sie außerhalb der Stadt, auf der Straße herumirrend«, sagte Sturm. »Die Frau schien völlig erschöpft zu sein, dem Mann schien es nicht besserzugehen. Ich brachte sie hierher und sagte ihnen, daß sie etwas zu essen und Unterkunft für die Nacht bekommen könnten. Es sind stolze Leute, und sie hätten meine Hilfe abgelehnt, glaube ich, aber sie hatten sich verlaufen, waren müde und« - Sturm senkte seine Stimme -»in diesen Tagen trifft man auf Dinge in den Straßen, denen man besser nicht in der Dunkelheit begegnet.«

»Wir trafen heute einige, die nach einem Stab fragten«, erzählte Tanis grimmig. Er beschrieb ihre Begegnung mit Truppführer Toede. Sturm schüttelte den Kopf, obgleich er bei der Schilderung des Kampfs lächeln mußte. »Eine Wache der Sucher befragte mich auch über einen Stab«, sagte er. »Blauer Kristall, nicht wahr?« Caramon nickte und legte seine Hand auf den schmächtigen Arm seines Bruders. »Einer dieser schleimigen Wachleute hielt uns auf«, erzählte der Kämpfer. »Sie wollten Raistlins Stab enteignen, einfach so – ›für weitere Untersuchungen^ sagten sie. Ich bin mit meinem Schwert auf sie losgegangen, und sie haben es sich dann anders überlegt.«

Raistlin löste seinen Arm aus der Berührung seines Bruders, ein spöttisches Lächeln auf seinen Lippen.

»Was wäre passiert, wenn sie deinen Stab genommen hätten?« fragte Tanis Raistlin.

Der Magier sah ihn aus den Schatten seiner Kapuze an, seine goldenen Augen glänzten. »Sie wären eines fürchterlichen Todes gestorben«, flüsterte der Magier, »und nicht durch meines Bruders Schwert!«

Den Halb-Elf fröstelte es. Die sanft gesprochenen Worte des Magiers waren erschreckender als das prahlerische Benehmen seines Bruders. »Ich frage mich, was so bedeutend ist an diesem blauen Kristallstab, daß Goblins töten würden, um ihn zu bekommen?« grübelte Tanis.

»Es gibt noch schlimmere Gerüchte«, sagte Sturm ruhig. »Im Norden sammeln sich Soldaten. Armeen aus fremdartigen Kreaturen - nicht menschlich. Man munkelt von Krieg.« »Aber was? Wer?« fragte Tanis. »Ich habe das gleiche gehört.« »Und ich auch«, fügte Caramon hinzu. »In der Tat habe ich gehört...«

Während die Unterhaltung weitergeführt wurde, gähnte Tolpan und wandte sich ab. Leicht gelangweilt blickte sich der Kender im Wirtshaus nach einem neuen Zeitvertreib um. Seine Augen gingen zu dem alten Mann, der dem Kind am Feuer immer noch Geschichten erzählte. Seine Zuhörerschaft hatte sich vergrößert – um die beiden Barbaren, stellte Tolpan fest. Dann sackte ihm der Kiefer runter.

Die Frau hatte ihre Kapuze zurückgeworfen, und der Schein des Feuers beleuchtete ihr Gesicht und ihre Haare. Der Kender sah sie bewundernd an. Das Gesicht der Frau war wie das einer Marmorstatue - klassisch, rein, kalt.

Aber es war ihr Haar, das die Aufmerksamkeit des Kenders fesselte. Tolpan hatte niemals zuvor solche Haare gesehen, erst recht nicht bei den Menschen der Ebenen, die normalerweise dunkelhaarig und dunkelhäutig waren. Kein Juwelier mit seinen Gold- und Silberarbeiten könnte solche Wirkung erzielen wie das silbriggoldene Haar dieser Frau, das im Feuerlicht glänzte.

Noch eine andere Person lauschte dem alten Mann. Es war ein in die kostbare braune und goldene Robe eines Suchers gekleideter Mann. Er saß an einem kleinen runden Tisch und trank Glühwein. Mehrere geleerte Krüge standen schon vor ihm, und während der Kender ihn beobachtete, bestellte er mürrisch einen weiteren Krug.

»Das ist Hederick«, flüsterte Tika, als sie am Tisch der Gefährten vorbeiging. »Der Oberste Theokrat.« Der Mann rief wieder seine Bestellung aus und starrte Tika an. Sie eilte flink zu ihm. Er fauchte sie wütend an und beschwerte sich über die schlechte Bedienung. Sie schien ihm eine spitze Antwort geben zu wollen, biß sich aber auf die Lippe und blieb stumm.

Der alte Mann kam mit seiner Geschichte zum Ende. Der Junge seufzte. »Sind all deine Geschichten über die alten Götter wahr, Opa?« fragte er neugierig. Tolpan sah Hederick die Stirn runzeln. Der Kender hoffte, daß er den alten Mann nicht belästigen würde. Tolpan berührte Tanis' Arm, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, und nickte mit dem Kopf in der Richtung des Suchers mit einem Blick, der möglichen Ärger vermuten ließ.

Die Freunde wandten sich um. Alle waren sofort von der Schönheit der Frau überwältigt. Sie staunten sie schweigend an.

Die Stimme des alten Mannes übertönte die anderen Gespräche im Gemeinschaftsraum. »In der Tat sind meine Geschichten wahr, Kind.« Der alte Mann schaute die Frau und ihren Begleiter direkt an. »Frag diese beiden. Sie tragen solche Geschichten in ihren Herzen.«

»Stimmt das?« Der Junge wandte sich eifrig der Frau zu. »Kannst du mir eine Geschichte erzählen?«

Die Frau schreckte in den Schatten zurück, ihr Gesicht von Besorgnis erfüllt, als sie feststellte, daß Tanis und seine Freunde sie anstarrten. Der Mann rückte beschützend näher an sie heran, die Hand griff an seine Waffe. Er blickte die Gruppe finster an, besonders den schwerbewaffneten Caramon. »Unruhiger Bastard«, bemerkte Caramon, während auch seine Hand zum Schwert zuckte.

»Ich verstehe nicht, warum«, sagte Sturm. »Solch einen Schatz zu bewachen... Er ist ihr Leibwächter, nebenbei bemerkt. Ich habe ihrer Unterhaltung entnommen, daß sie in ihrem Stamm so etwas wie einen fürstlichen Rang hat. Obgleich ich mir aufgrund ihrer Blicke vorstellen kann, daß die Beziehung der beiden ein bißchen tiefer geht.«

Die Frau erhob protestierend ihre Hand. »Es tut mir leid.« Die Freunde mußten sich anstrengen, um ihre leise Stimme zu verstehen. »Ich bin keine Geschichtenerzählerin. Ich verstehe nichts von dieser Kunst.« Sie bediente sich der Umgangssprache, sprach aber mit starkem Akzent. In das erwartungsvolle Gesicht des Kindes zog Enttäuschung. Der alte Mann streichelte ihm über den Rücken, dann sah er direkt in die Augen der Frau. »Du bist vielleicht keine Geschichtenerzählerin«, sagte er freundlich, »aber du bist eine Sängerin, nicht wahr, Tochter des Stammeshäuptlings. Sing dem Kind dein Lied vor, Goldmond. Du weißt, welches ich meine.« Wie aus dem Nichts tauchte in den Händen des alten Mannes eine Laute auf. Er überreichte sie der Frau, die ihn voller Angst und Erstaunen anstarrte.

»Woher... kennt Ihr mich, mein Herr?« fragte sie.

»Das ist nicht wichtig.« Der alte Mann lächelte sanft. »Sing für uns, Tochter des Stammeshäuptlings.«

Die Frau nahm die Laute mit sichtbar zitternden Händen entgegen. Ihr Begleiter schien flüsternd zu protestieren, aber sie hörte nicht auf ihn. Ihre Augen waren fest auf die glänzenden schwarzen Augen des alten Mannes gerichtet. Langsam, wie in Trance, begann sie die Laute zu schlagen. Als die wehmütigen Saiten anklangen, verstummten alle Gespräche. Bald beobachtete sie jeder, aber sie merkte es nicht. Goldmond sang nur für den alten Mann.

Eine drückende Stille herrschte im Raum, als ihre Hand die letzte Saite anschlug. Sie holte tief Luft, gab dem alten Mann die Laute zurück und tauchte wieder in den Schatten. »Vielen Dank, meine Liebe«, sagte der alte Mann lächelnd. »Kann ich jetzt eine Geschichte hören?« fragte der kleine Junge sehnsüchtig.

»Natürlich«, antwortete der alte Mann und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Vor langer, langer Zeit hörte der große Gott, Paladin...«

»Paladin?« unterbrach das Kind. »Ich habe noch nie von einem Gott Paladin gehört.«

Der Oberste Theokrat am Nachbartisch ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen. Tanis sah zu Hederick, der errötete und finster dreinblickte. Der alte Mann schien es nicht zu bemerken. »Paladin ist einer der alten Götter, Kind. Seit langer Zeit wird er nicht mehr verehrt.«

»Warum ist er gegangen?« fragte der kleine Junge.

»Er ist nicht von uns gegangen«, entgegnete der alte Mann, und sein Lächeln wurde traurig. »Die Menschen verließen ihn nach den dunklen Tagen der Umwälzung. Sie gaben den Göttern die Schuld für die Zerstörung der Welt anstatt sich selbst, so wie sie es hätten tun sollen. Hast du jemals vom ›Hohelied der Drachen‹ gehört?«

»O ja«, sagte der Junge begierig. »Ich liebe Drachengeschichten, obwohl Papa immer sagt, Drachen hätten niemals existiert. Aber ich glaube an sie. Und ich hoffe, daß ich eines Tages einem begegnen werde!«

Das Gesicht des alten Mannes schien zu altern und wurde kummervoll. Er streichelte über das Haar des Jungen. »Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, mein Kind«, sagte er sanft. Dann verfiel er in Schweigen.

»Die Geschichte...«, drängte der Junge.

»O ja. Nun, vor langer, langer Zeit hörte Paladin das Gebet eines sehr großen Ritters, Huma...«

»Huma aus dem ›Hohelied‹?«

»Ja, genau der. Huma hatte sich im Wald verlaufen. Er wanderte und wanderte, bis er völlig verzweifelt war, denn er dachte, er würde seine Heimat niemals wiedersehen. Er betete zu Paladin um Hilfe, und plötzlich erschien vor ihm ein weißer Hirsch.«

»Hat Huma ihn getötet?« fragte der Junge.

»Er wollte es zuerst, aber sein Mut verließ ihn. Er konnte dieses wunderschöne Tier nicht töten. Der Hirsch sprang davon. Dann verhielt er und sah zu Huma zurück, als ob er warten würde. Huma folgte ihm. Tag und Nacht folgte er dem Hirsch, bis er ihn in seine Heimat geführt hatte. Er dankte dem Gott Paladin...«

»Blasphemie!« knurrte laut eine Stimme. Ein Stuhl wurde umgeworfen.

Tanis stellte seinen Krug Bier ab und sah auf. Alle am Tisch hörten auf zu trinken und beobachteten den betrunkenen Theokraten.

»Gotteslästerung!« Hederick, der unsicher auf den Füßen stand, zeigte auf den alten Mann. »Häretiker! Verdirbt unsere Jugend! Ich bringe dich vor Gericht, alter Mann.« Der Sucher stolperte einen Schritt zurück, dann wieder nach vorn. Er sah sich wichtigtuerisch im Raum um. »Verhaftet diesen Mann und diese Frau. Offensichtlich ist sie eine Hexe! Ich werde diesen Stab enteignen!«

Der Sucher torkelte auf die Barbarin zu, die ihn voller Abscheu anschaute. Er griff unbeholfen nach ihrem Stab.

»Nein«, entgegnete die Frau mit dem Namen Goldmond kalt. »Er gehört mir. Du wirst ihn mir nicht nehmen.«

»Hexe!« höhnte der Sucher. »Ich bin der Oberste Theokrat! Ich nehme das, was ich will.«

Er versuchte noch einmal, nach dem Stab zu greifen. Der riesige Begleiter der Frau erhob sich. »Die Tochter des Stammeshäuptlings sagt, daß du ihn nicht nehmen wirst«, erklärte der Mann schroff. Dann schob er den Sucher vom Tisch fort. Der Schubs des Mannes war nicht grob gewesen, aber der betrunkene Theokrat verlor das Gleichgewicht, fuchtelte wild mit den Armen um sich und versuchte, sich wieder zu fangen. Er torkelte nach vorn – jedoch zu weit —, stolperte über seine eigene Robe und fiel mit dem Kopf ins Feuer. Das Feuer zischte und flackerte, dann folgte der ekelerregende Gestank brennenden Fleisches. Die Schreie des Theokraten zerrissen das betäubende Schweigen, als der vor Schmerzen wahnsinnige Mann auf die Füße kam und außer sich herumwirbelte. Er war zur lebenden Fackel geworden! Tanis und die anderen saßen da, unfähig, sich zu bewegen, gelähmt durch den Schock des Vorfalls. Nur Tolpan hatte noch seine Sinne zusammen, er rannte nach vorn, um dem Mann zu helfen. Aber der Theokrat schrie nur und fuchtelte mit den Armen und entfachte noch mehr die Flammen, die seine Kleider und seinen Körper zerstörten. Es schien für den kleinen Kender keine Möglichkeit zu geben, ihm zu helfen.

»Hier!« Der alte Mann griff nach dem federgeschmückten Stab der Barbarin und überreichte ihn dem Kender. »Schlag ihn nieder. Dann können wir das Feuer ersticken.«

Tolpan nahm den Stab. Er schwang ihn mit all seiner Kraft und schlug gegen die Brust des Theokraten. Der Mann fiel zu Boden. Der Menge verschlug es den Atem. Tolpan selbst stand mit weitgeöffnetem Mund da, den Stab mit seinen Händen fest umklammert, und starrte auf den unglaublichen Anblick vor seinen Füßen.

Die Flammen waren sofort ausgegangen. Die Kleidungsstücke des Mannes waren unversehrt, unbeschädigt, seine Haut rosig und gesund. Er setzte sich mit einem ängstlichen und ehrfürchtigen Blick auf und untersuchte seine Hände und seine Roben. Keinerlei Brandmale waren zu erkennen, nicht einmal ein winziges Stück Asche qualmte von seiner Kleidung. »Er hat ihn geheilt!« verkündete der alte Mann mit lauter Stimme. »Der Stab! Seht euch den Stab an!«

Tolpans Augen bewegten sich zu dem Stab in seinen Händen. Auf seiner Spitze funkelte ein blauer Kristall!

Der Alte begann zu schreien. »Ruft die Wachen! Verhaftet den Kender! Verhaftet die Barbaren! Verhaftet ihre Freunde! Ich sah sie mit dem Ritter kommen.« Er zeigte auf Sturm. »Was?« Tanis sprang hoch. »Bist du verrückt, alter Mann?« »Ruft die Wachen!« Die Worte verbreiteten sich. »Habt ihr gesehen...? Der blaue Kristallstab? Wir haben ihn gefunden. Jetzt werden sie uns in Ruhe lassen. Ruft die Wachen!« Der Theokrat erhob sich schwankend, sein Gesicht war blaß und von roten Flecken übersät. Die Barbarin und ihr Begleiter standen auf, Furcht und Bestürzung in ihren Gesichtern. »Du dreckige Hexe!« Hedericks Stimme bebte vor Zorn. »Du hast mich mit dem Bösen geheilt! So wie ich brennen werde, um mein Fleisch zu reinigen, so wirst du brennen, um deine Seele zu läutern!« Damit ging der Sucher zum Kamin, und bevor ihn jemand aufhalten konnte, hatte er seine Hand in die Flammen getaucht! Er würgte vor Schmerzen, aber schrie nicht. Dann riß er seine verkohlte, geschwärzte Hand heraus und stolperte, mit einem wilden Blick der Zufriedenheit auf seinem schmerzverzerrten Gesicht, durch die murmelnde Menge.

»Ihr müßt hier sofort verschwinden!« Tika eilte zu Tanis. »Die ganze Stadt ist auf der Jagd nach diesem Stab! Diese Kapuzenmänner haben dem Theokraten angedroht, Solace zu j zerstören, wenn sie jemanden mit dem Stab finden. Die Leute hier werden euch den Wachen übergeben!«

»Aber es ist nicht unser Stab!« protestierte Tanis. Er blickte flüchtig zu dem alten Mann, der sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder auf seinem Stuhl niedergelassen hatte. Der alte Mann grinste Tanis an und winkte ihm zu.

»Meinst du, sie werden euch glauben!« Tika rang verzweifelt die Hände. »Sieh doch!«

Tanis sah sich um. Die Gäste blickten sie haßerfüllt an. Einige hielten ihre Krüge fest umklammert. Andere tasteten vorsichtig nach den Griffen ihrer Schwerter. Rufe von draußen lenkten seine Augen wieder auf seine Freunde.

»Die Wachen kommen!« rief Tika aus.

Tanis erhob sich. »Wir werden durch die Küche verschwinden müssen.«

»Ja!« Sie nickte. »Dort werden sie sich nicht gleich umsehen. Aber beeilt euch. Es wird nicht lange dauern, und sie haben den Platz umstellt.«

Obwohl sie jahrelang getrennt gewandert waren, hatten die Gefährten nicht ihre Fähigkeit verloren, bei Gefahren als Gruppe zu handeln. Caramon hatte seinen glänzenden Helm übergestülpt, sein Schwert gezogen, seinen Rucksack geschultert und half nun seinem Bruder auf die Füße. Raistlin umrundete mit seinem Stab in der Hand den Tisch. Flint hielt seine Kampfaxt bereit und musterte mit finsteren Blicken die anderen Gäste, die angesichts der gutbewaffneten Männer vor einem Angriff zurückschreckten. Nur Sturm saß weiter ruhig am Tisch und trank sein Bier.

»Sturm!« drängte Tanis. »Nun komm schon! Wir müssen hier verschwinden!«

»Weglaufen?« Der Ritter wirkte erstaunt. »Vor diesem Pöbel?« »Ja.« Tanis hielt inne: der Kodex der Ritterschaft untersagte Sturm, bei Gefahr wegzulaufen. Er mußte ihn überzeugen. »Dieser Mann ist ein Glaubensfanatiker, Sturm. Er wird uns wahrscheinlich auf Scheiterhaufen verbrennen lassen! Und...« Ein plötzlicher Einfall kam ihm zur Hilfe. »...außerdem müssen wir eine Dame beschützen.«

»Die Dame, natürlich.« Sturm stand sofort auf und ging zu der Frau hinüber. »Meine Dame, Euer Diener.« Er verbeugte sich; der ehrenhafte Ritter ließ sich nicht zur Eile drängen. »Es scheint, wir hängen alle in dieser Sache drin. Euer Stab hat uns beachtlichen Gefahren ausgesetzt - vor allem aber seid Ihr in Gefahr. Wir kennen uns in dieser Gegend aus, wir sind hier großgeworden. Es wäre eine Ehre für uns, Euch und Euren edlen Freund zu begleiten und Euer Leben zu schützen.« »Kommt endlich!« drängte Tika und zerrte an Tanis' Arm. Caramon und Raistlin warteten bereits an der Küchentür. »Hol den Kender«, sagte Tanis zu ihr.

Tolpan stand wie angewachsen da und starrte auf den Stab. Er hatte schnell wieder seine alte, nichtssagende braune Farbe angenommen. Tika griff Tolpan am Schöpf und zog ihn zur Küche. Der Kender stieß einen spitzen Schrei aus und ließ den Stab fallen.

Goldmond hob ihn geschwind auf und hielt ihn eng an sich gepreßt. Obwohl erschrocken, waren ihre Augen klar und fest, als sie Sturm und Tanis ansah; offensichtlich begriff sie sehr rasch. Ihr Begleiter sagte in ihrer Sprache einige barsche Worte. Sie schüttelte den Kopf, woraufhin er die Stirn runzelte und mit seiner Hand eine schneidende Bewegung machte. Sie fuhr ihn mit einer schnellen Erwiderung an, und er verfiel in Schweigen, sein Gesicht verfinsterte sich.

»Wir werden mit euch gehen«, sagte Goldmond zu Sturm in der Umgangssprache. »Vielen Dank für das Angebot.«

»Hier raus!« Tanis führte sie hinaus durch die Pendeltür, gefolgt von Tika und Tolpan. Er blickte kurz zurück und sah einige der Gäste sich langsam, ohne Eile vorwärts bewegen. Der Koch starrte sie an, als sie durch die Küche rannten. Caramon und Raistlin waren bereits am Ausgang, der nicht mehr war als ein in den Boden geschnittenes Loch. Ein Seil, das an einem kräftigen Baumast befestigt war, lief nach unten zum Boden.

»Ah!« rief Tolpan lachend. »Hier wird also das Bier hoch und der Abfall hinuntergebracht.« Er schwang sich an das Seil und kletterte mühelos hinunter.

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Tika bei Goldmond, »aber dies ist der einzige Weg nach draußen.«

»Ich bin schon an einem Seil hinuntergeklettert.« Dann lächelte die Frau und fügte hinzu: »Obwohl ich zugeben muß, daß es schon viele Jahre her ist.«

Sie reichte ihrem Begleiter den Stab und ergriff das dicke Tau. Dann begann sie mit geschickten Bewegungen abzusteigen. Als sie den Boden erreicht hatte, warf ihr Begleiter den Stab nach, schwang sich ans Seil und rutschte durch das Loch. »Wie willst du hinunterkommen, Raist?« fragte Caramon mit einem sorgenvollen Gesichtsausdruck. »Ich könnte dich auf dem Rücken tragen...«

Raistlins Augen blitzten vor Wut. »Ich schaffe es schon allein!« zischte der Magier. Bevor ihn jemand aufhalten konnte, trat er zum Rand des Loches und sprang hinab. Alle spähten keuchend hinunter, in der Erwartung, Raistlin auf den Boden aufschlagen zu sehen. Statt dessen konnten sie beobachten, wie der junge Magier sanft hinunterglitt, mit flatterndem Gewand. Der Kristall an seinem Stab glühte hell.

»Er macht mir angst!« knurrte Flint Tanis zu.

»Beeil dich!« Tanis schob den Zwerg vor. Flint packte das Seil. Caramon folgte, das Gewicht des schweren Mannes ließ den Baumast, an dem das Tau befestigt war, knarren.

»Ich werde als letzter gehen«, sagte Sturm mit gezogenem Schwert.

»Na schön.« Tanis wußte, daß Widerspruch sinnlos war. Er schwang den Langbogen und den Köcher um seine Schultern, erfaßte das Seil und begann hinunterzuklettern. Plötzlich verloren seine Hände den Halt. Er glitt am Seil hinab und konnte nicht verhindern, daß die Haut an den Handflächen aufriß. Er landete auf dem Boden und zuckte zusammen, als er seine blutenden Hände betrachtete. Aber er hatte keine Zeit, weitere Gedanken darüber zu verlieren. Er sah nach oben und sah dem Ritter entgegen.

Tikas Gesicht erschien in der Öffnung. »Geht in mein Haus!« rief sie und zeigte zwischen die Bäume. Dann war sie verschwunden. »Ich kenne den Weg«, sagte Tolpan, seine Augen funkelten vor Aufregung. »Folgt mir.«

Sie eilten hinter dem Kender her und hörten, wie die Wachen die Stufen zum Wirtshaus bestiegen. Tanis fand sich nach fünfjähriger Abwesenheit von Solace nicht mehr zurecht. Über sich konnte er die Brückenpfade sehen, die Straßenlaternen schimmerten zwischen den Baumblättern. Er war völlig desorientiert, aber Tolpan trieb sie, sich des Weges sicher, vorwärts, schlängelte sich durch riesige Stämme der Vollenholzbäume. Die Geräusche des Durcheinanders im Wirtshaus erstarben. »Heute nacht werden wir uns bei Tika verstecken«, flüsterte Tanis Sturm zu, als sie ins Unterholz eintauchten. »Nur für den Fall, daß uns jemand erkannt hat und unsere Häuser durchsuchen läßt. Bis morgen werden alle diesen Vorfall vergessen haben. Dann nehmen wir die Barbaren in mein Haus, damit sie sich ein paar Tage ausruhen können. Und dann können wir sie nach Haven schicken, wo die Versammlung der Suchenden mit ihnen reden kann. Ich denke sogar, daß ich mitgehe – dieser Stab hat mich neugierig gemacht.«

Sturm nickte. Dann sah er Tanis an und lächelte sein seltenes, melancholisches Lächeln. »Willkommen zu Hause«, sagte der Ritter.

»Das gleiche gilt auch dir.« Der Halb-Elf grinste.

Sie verhielten plötzlich, denn sie waren in der Dunkelheit mit Caramon zusammengestoßen.

»Ich glaube, wir sind da«, sagte Caramon.

Im Schein der Straßenlaternen in den Ästen konnten sie Tolpan erkennen, der wie ein Gossenzwerg einen Ast hochkletterte. Die anderen folgten ihm langsamer, Caramon half seinem Bruder. Tanis, der vor Schmerz seine Zähne zusammenbiß, kletterte langsam durch das spärlicher werdende Herbstlaub. Tolpan zog sich mit der Geschicklichkeit eines Einbrechers über das Geländer der Veranda. Der Kender glitt zur Tür und spähte in alle Richtungen des Brückenpfads. Als er niemanden sah, winkte er den anderen zu. Dann untersuchte er das Türschloß und lächelte zufrieden vor sich hin. Der Kender holte etwas aus einem seiner Beutel. Innerhalb von Sekunden war die Tür von Tikas Haus geöffnet.

»Kommt rein«, sagte er, als wäre er der Gastgeber.

Sie versammelten sich in dem kleinen Haus, der hochgewachsene Barbar war gezwungen, seinen Kopf einzuziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Tolpan zog die Vorhänge vor die Fenster. Sturm fand für die Dame einen Stuhl, und ihr Begleiter stellte sich hinter ihr auf. Raistlin schürte das Feuer. »Wir müssen Wache halten«, sagte Tanis. Caramon nickte. Der Krieger hatte sich bereits vor einem Fenster aufgebaut und starrte in die Dunkelheit hinaus. Das Licht einer Laterne schien durch die Vorhänge in den Raum und warf dunkle Schatten an die Wände.

Tanis ließ sich nieder. Seine Augen wanderten zu der Frau. »Der blaue Kristallstab«, sagte er bedächtig, »hat diesen Mann geheilt. Wie?«

»Ich weiß es nicht.« Sie zögerte. »Ich... ich habe ihn noch nicht sehr lange.«

Tanis sah auf seine Hände. Sie bluteten immer noch an den Stellen, wo das Tau seine Haut aufgerissen hatte. Er hielt sie ihr hin. Mit blassem Gesicht berührte die Frau ihn langsam mit dem Stab, der blau zu leuchten begann. Tanis fühlte einen leichten Schock durch seinen Körper kribbeln. Er beobachtete, wie das Blut von den Handflächen verschwand, die Haut glatt und unversehrt wurde, der Schmerz nachließ und bald ganz aufhörte. »Wahres Heilen!« sagte er ehrfürchtig.

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