2 Das Treffen der alten Freunde. Eine unsanfte Unterbrechung

Flint Feuerschmied brach auf einem moosbedeckten Findling zusammen. Seine alten Zwergenknochen hatten ihn lang genug getragen und waren nicht mehr gewillt weiterzumachen. »Ich hätte niemals fortgehen sollen«, murrte Flint, als er auf das Tal hinabschaute. Er sprach laut, obwohl er allein zu sein schien. Lange Jahre des einsamen Wanderns hatten den Zwerg dazu gebracht, Selbstgespräche zu führen. Er schlug beide Hände auf die Knie. »Und ich will verdammt sein, wenn ich jemals wieder auf Wanderschaft gehen sollte!« Der durch die Nachmittagssonne gewärmte Findling tat dem uralten Zwerg wohl, denn er war den ganzen Tag in der kühlen Herbstluft gewandert. Flint ruhte sich aus und ließ die Wärme in seine Knochen eindringen – die Wärme der Sonne und die Wärme seiner Gedanken. Er war zu Hause.

Er sah sich um, seine Augen verweilten liebevoll auf der vertrauten Landschaft. Die unter ihm liegenden Gebirgshänge bildeten einen Teil eines hohen Gebirgsbeckens, das in herbstliche Farbenpracht getaucht war. Die Vallenholzbäume im Tal funkelten in den Farben der Jahreszeit, die strahlenden Rot- und Goldtöne verblaßten im Purpur der weiter entfernt liegenden Kharolisgipfel. Der makellos azurblaue Himmel über den Bäumen spiegelte sich im Krystalmir-See wider. Dünne Rauchwolken kräuselten sich zwischen den Baumwipfeln – der einzige Hinweis auf die Stadt Solace. Ein sanfter Dunst hüllte das Tal in den süßen Duft verbrannten Holzes. Während sich Flint ausruhte, zog er einen Holzklotz und einen glänzenden Dolch aus seinem Tornister hervor. Seine Hände bewegten sich automatisch. Seit Ewigkeiten verspürte sein Volk das Bedürfnis, dem Formlosen nach seinem Geschmack Gestalt zu geben. Er selbst war ein recht bekannter Metallschmied gewesen, bis er sich vor einigen Jahren zur Ruhe gesetzt hatte. Er setzte den Dolch an, dann wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, und mit untätigen Händen beobachtete er den Rauch, der aus den verborgenen Kaminen aufstieg.

»Das Feuer in meinem Haus ist ausgegangen«, klagte Flint leise. Er schüttelte sich, wütend über diese sentimentalen Empfindungen, und begann, das Holz wie besessen zu bearbeiten. Dann murrte er lauter werdend: »Mein Haus ist nicht bewohnt. Wahrscheinlich ist das Dach undicht, die Möbel ruiniert. Blödsinnige Suche. Das Dümmste, worauf ich mich je eingelassen habe. Mit hundertachtundvierzig Jahren sollte ich es eigentlich gelernt haben!«

»Du wirst es niemals lernen, Zwerg«, antwortete eine ferne Stimme. »Auch nicht, wenn du zweihundertachtundvierzig Jahre alt werden solltest!«

Der Zwerg ließ das Holz fallen, seine Hand bewegte sich mit ruhiger Gewißheit vom Dolch zur Axt, während er den Pfad hinunterspähte. Die Stimme klang vertraut, die erste vertraute Stimme seit langer Zeit. Aber er konnte sie nicht einordnen. Flint blinzelte in die untergehende Sonne. Er glaubte, die Gestalt eines Mannes den Pfad heraufschreiten zu sehen. Er erhob sich und zog sich in den Schatten einer hohen Kiefer zurück, um besser sehen zu können. Der Gang des Mannes war von einer schwerelosen Anmut gekennzeichnet - einer elfischen Anmut, hätte Flint gesagt; jedoch der Körper des Mannes hatte die Schwere und angespannten Muskeln eines Menschen, und das Barthaar war entschieden menschlich. Alles, was der Zwerg vom Gesicht des Mannes unter der grünen Kapuze erkennen konnte, waren gebräunte Haut und ein braunrötlicher Bart. Ein Langbogen baumelte über eine Schulter, und an seiner linken Hüfte hing ein Schwert. Er war in weiches Leder gekleidet, sorgfältig verziert mit den ausgeklügelten Mustern, die die Elfen so lieben. Jedoch konnte kein Elf auf Krynn einen Bart haben ... kein Elf außer...

»Tanis?« fragte Flint zögernd, als der Mann näher kam. »Richtig.« Im bärtigen Gesicht des Fremden zeigte sich ein breites Grinsen. Er öffnete seine Arme, und bevor der Zwerg ihn aufhalten konnte, umschlang er Flint in einer Umarmung, die ihn vom Boden hob. Der Zwerg drückte sich für einen kurzen Augenblick eng an seinen alten Freund, dann erinnerte er sich an seine Würde, krümmte und befreite sich aus der Umarmung des Halb-Elfs. »Nun, in den fünf Jahren hast du keine Manieren gelernt«, murrte der Zwerg. »Immer noch keinen Respekt vor meinem Alter oder meiner Position. Hebt mich hoch wie einen Sack voller Kartoffeln.« Flint sah die Straße hinunter. »Hoffentlich hat uns kein Bekannter gesehen.«

»Ich bezweifle, daß es viele gibt, die sich an uns erinnern«, sagte Tanis. Seine Augen musterten liebevoll den untersetzten Freund. »Die Zeit verstreicht für uns nicht so, alter Zwerg, wie es bei den Menschen der Fall ist. Für sie sind fünf Jahre eine lange Zeit und für uns nur ein Augenblick.« Dann lächelte er. »Du hast dich nicht verändert.«

»Was man von anderen nicht behaupten kann.« Flint setzte sich wieder auf den Stein und fuhr mit der Schnitzerei fort. Finster blickte er zu Tanis hoch. »Warum der Bart? Du warst doch so schon häßlich genug.«

Tanis kratzte sich am Kinn. »Ich war in Ländern, in denen man Elfen nicht wohlgesinnt ist. Der Bart - ein Geschenk meines menschlichen Vaters«, sagte er mit bitterer Ironie, »hat geholfen, mein Elfentum zu verbergen.« Flint ächzte. Er wußte, daß dies nicht die ganze Wahrheit war. Obwohl der Halb-Elf das Töten verabscheute, würde Tanis sich nicht hinter einem Bart verstecken, um einem Kampf aus dem Wege zu gehen. Holzspäne flogen.

»Ich habe mich in Ländern aufgehalten, in denen man niemandem wohlgesinnt ist, egal welcher Rasse er angehört.« Flint drehte das Holz prüfend in seiner Hand. »Aber jetzt sind wir zu Hause. All das liegt hinter uns.«

»Nicht nach dem, was ich gehört habe«, erwiderte Tanis und zog seine Kapuze wieder über das Gesicht, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. »Die Sucherfürsten in Haven haben einen Mann namens Hederick zum Obersten Theokraten in Solace ernannt, und er ist dabei, die Stadt mit seiner neuen Religion in eine Brutstätte des Fanatismus zu verwandeln.« Tanis und der Zwerg drehten sich um und sahen hinab in das friedliche Tal. Lichter begannen aufzuflimmern und ließen die Häuser in den Bäumen sichtbar werden. Die Nachtluft war still und ruhig und süß, mit dem Duft verbrannten Holzes aus den häuslichen Kaminen vermischt. Hin und wieder konnten sie von fern die Stimme einer Mutter vernehmen, die ihre Kinder zum Abendessen rief.

»Ich habe keine schlechten Nachrichten über Solace gehört«, sagte Flint ruhig.

»Glaubensverfolgung... Inquisition...« Tanis' Stimme klang aus der Tiefe seiner Kapuze unheilvoll. Sie war tiefer, trübsinniger, als Flint sie in Erinnerung hatte. Der Zwerg runzelte die Stirn. Sein Freund hatte sich in den fünf Jahren verändert. Elfen verändern sich niemals. Aber Tanis war nur ein Halb-Elf - ein Kind der Gewalt, da seine Mutter von einem MenschenKrieger vergewaltigt worden war, in einem der vielen Kriege, die die verschiedenen Rassen auf Krynn in den chaotischen Jahren nach der Umwälzung gespalten hatten.

»Inquisition! Das gilt nur für die, die sich dem neuen Theokraten widersetzen, den Gerüchten nach«, schnaubte Flint. »Ich glaube nicht an die Götter der Sucher - habe es niemals getan - aber ich stelle meinen Glauben nicht auf der Straße zur Schau. Bleib ruhig, und sie lassen dich in Ruhe - das ist mein Motto. Die Sucherfürsten in Haven sind immer noch weise und rechtschaffene Männer. Es ist nur dieser faulige Apfel in Solace, der den ganzen Korb verdirbt. Nebenbei, hast du gefunden, wonach du gesucht hast?«

»Zeichen der uralten wahren Götter?« fragte Tanis. »Oder inneren Frieden? Ich habe beides gesucht. Was meinst du?« »Nun, ich nehme an, das eine hat etwas mit dem anderen zu tun«, knurrte Flint. Er drehte das Holzstück in seinen Händen, immer noch nicht zufrieden mit seiner Form. »Sollen wir hier die ganze Nacht herumstehen und die Kochdüfte riechen? Oder gehen wir in die Stadt und essen zu Abend?«

»Laß uns gehen«, winkte Tanis. Die zwei schritten gemeinsam den Pfad hinunter. Tanis' große Schritte zwangen den Zwerg zu einer schnelleren Gangart. Obwohl es viele Jahre her war, daß sie zusammen gewandert waren, verlangsamte Tanis unbewußt seinen Schritt, während Flint seinen unbewußt beschleunigte. »Du hast also nichts gefunden?« nahm Flint wieder den Faden auf.

»Nichts«, erwiderte Tanis. »Wie wir vor langer Zeit herausgefunden haben, dienen die einzigen Kleriker und Priester in dieser Welt den falschen Göttern. Ich habe Geschichten von Heilungen gehört, aber es hat sich alles als Betrügerei und Magie herausgestellt. Glücklicherweise hat unser Freund Raistlin mich gelehrt, worauf ich achten muß...«

»Raistlin!« keuchte Flint. »Dieser käsige, dürre Magier. Er ist doch selber ein halber Scharlatan. Immer wehleidig tun und winseln und seine Nase in Dinge stecken, wo sie nichts zu suchen hat. Wenn sein Zwillingsbruder nicht da wäre, der sich um ihn kümmert, hätte schon vor langer Zeit jemand seiner Zauberei ein Ende bereitet.«

Tanis war froh, daß der Bart sein Lächeln verbarg. »Ich glaube, der junge Mann ist ein besserer Magier, als du denkst«, sagte er. »Außerdem mußt du zugeben, daß er lange und unermüdlich gearbeitet hat, um denen zu helfen, die von den falschen Klerikern reingelegt worden sind - so wie ich.« Er seufzte.

»Wofür du wenig Dank erhalten hast, zweifellos«, brummte der Zwerg.

»Sehr wenig«, sagte Tanis. »Die Leute wollen an irgend etwas glauben – selbst dann, wenn sie tief im Innern wissen, daß es falsch ist. Aber was ist mit dir? Wie war die Reise in dein Heimatland?« Flint stapfte mit grimmigem Gesicht und ohne zu antworten weiter. Schließlich murmelte er: »Ich hätte niemals gehen sollen.« Und sah zu Tanis auf, seine Augen – kaum sichtbar durch die dicken, überhängenden weißen Augenbrauen – sagten dem Halb-Elf, daß diese Wendung des Gespräches nicht willkommen war. Tanis verstand den Blick, fragte jedoch weiter.

»Was ist mit den Zwergenklerikern? Mit den Geschichten, die wir gehört haben?«

»Nicht wahr. Die Kleriker verschwanden vor dreihundert Jahren, während der Umwälzung. So sagen jedenfalls die Älteren.«

»Genauso wie die Elfen«, sagte Tanis nachdenklich.

»Ich sah...«

»Psst!« Tanis streckte warnend seine Hand aus.

Flint hielt inne. »Was ist?« flüsterte er.

Tanis gab ein Zeichen. »Dort drüben im Gehölz.«

Flint spähte durch die Bäume und griff dabei nach seiner Streitaxt, die an seinen Rücken geschnallt war.

Die roten Strahlen der untergehenden Sonne glitzerten kurz auf einem Stück Metall, das in den Bäumen aufblitzte. Tanis sah es einmal, verlor es und sah es dann wieder. In diesem Moment jedoch ging die Sonne unter, ließ den Himmel violett aufleuchten und die nächtlichen Schatten durch den Wald kriechen.

Flint blinzelte in die Düsterheit. »Ich sehe überhaupt nichts.« »Aber ich«, sagte Tanis. Er starrte weiterhin auf die Stelle, wo er das Metall gesehen hatte, und allmählich machten seine Elfenaugen die warme rote Aura aus, die von allen Lebewesen ausgestrahlt wird, aber nur für Elfen sichtbar ist. »Wer ist dort?« rief Tanis.

Längere Zeit war die einzige Antwort ein schauriger Ton, der die Nackenhaare des Halb-Elfen zu Berge stehen ließen. Es war ein hohler, surrender Klang, zuerst leise, dann immer höher und schriller werdend und schließlich in ein hohes schreiendes Winseln übergehend. Zu diesem Geräusch ertönte eine Stimme.

»Elfenwanderer, schlag eine andere Richtung ein und laß den Zwerg zurück. Wir sind die Geister jener armen Seelen, die Flint Feuerschmied auf dem Boden der Schenke liegen ließ. Starben wir im Kampf?«

Die Geisterstimme schwang sich zu neuen Höhen empor, begleitet von den winselnden, surrenden Klängen. »Nein! Wir starben vor Scham, verflucht vom Geist der Weintraube, weil wir nicht in der Lage waren, einen Zwerg aus den Bergen unter den Tisch zu trinken.«

Flints Bart zitterte vor Zorn, und Tanis, der in Gelächter ausbrach, mußte den wütenden Zwerg an der Schulter festhalten, damit dieser nicht Hals über Kopf in das Gebüsch stürmte. »Verdammt seien die Augen der Elfen!« Die Geisterstimme klang auf einmal fröhlich. »Und verdammt seien die Barte der Zwerge!«

»Wer hätte das gedacht?« stöhnte Flint auf. »Tolpan Barfuß!« Im Untergebüsch raschelte es schwach, dann stand eine kleine Gestalt auf dem Pfad. Es war ein Kender, jene Rasse, die von vielen Bewohnern auf Krynn als genauso lästig wie Fliegen empfunden wurde. Die Kender mit ihrem filigranen Knochenbau wurden selten größer als ein Meter zwanzig. Dieser Kender hier war ungefähr genauso groß wie Flint, aber seine schmächtige Gestalt und sein ewig kindliches Gesicht ließen ihn kleiner erscheinen. Er trug eine leuchtendblaue Hose, die im scharfen Kontrast zu der Fellweste und dem einfachen, selbstgewebten Überkleid standen. Seine braunen Augen funkelten vor Schalk und Vergnügen; sein Lächeln schien bis zu den Ohrläppchen seiner spitzen Ohren zu reichen. Er neigte seinen Kopf in einer scheinheiligen Verbeugung, so daß eine lange Mähne braunen Haares – sein ganzer Stolz – über seine Nase vorschnellte. Dann richtete er sich auf und lachte. Der metallische Strahl, den Tanis' flinke Augen erspäht hatten, war aus einer Schnalle gekommen, an der zahlreiche Bündel, die über Schultern und Hüften hingen, befestigt waren.

Tolpan grinste sie an, während er sich auf seinen Hopakstab stützte. Und genau dieser Stock hatte den unheimlichen Ton erzeugt. Tanis hätte diesen Klang sofort erkennen müssen, da er schon häufig den Kender erlebt hatte, der viele Möchtegernangreifer abgeschreckt hatte, indem er den Stab in die Luft wirbelte und so dieses schreiende Winseln erzeugte. Es war eine Erfindung der Kender: Der Boden des Hupaks war kupferplattiert und lief spitz zu; das obere Ende war gabelförmig gespalten und mit einer Lederschlinge versehen. Der Stab selber war aus einem einzigen Stück biegsamen Weidenholzes hergestellt. Obwohl von jeder anderen Rasse auf Krynn verspottet, war der Hupak für einen Kender mehr als nur ein nützliches Werkzeug oder eine Waffe – er war sein Symbol. »Neue Wege erfordern einen Hupak«, war ein bekanntes Sprichwort unter den Kendern. Und diesem schloß sich unverzüglich ein anderes Sprichwort an: »Kein Weg ist ständig alt.«

Tolpan rannte plötzlich mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Flint!« Der Kender warf seine Arme um den Zwerg und drückte ihn an sich. Flint erwiderte die Umarmung verlegen und widerstrebend und trat schnell zurück. Tolpan grinste und sah dann zum Halb-Elf hoch.

»Wer ist das?« Er ächzte. »Tanis! Ich hab' dich mit dem Bart gar nicht erkannt!« Er streckte seine kurzen Arme aus. »Nein danke«, sagte Tanis lächelnd und winkte ab. »Ich will meinen Geldbeutel behalten.«

Mit einem plötzlich besorgten Gesichtsausdruck griff Flint unter seinen Waffenrock. »Du Schuft!« brüllte er und sprang dem Kender nach, der lachend einen Haken schlug. Die beiden fielen in den Staub.

Tanis begann lachend, Flint von dem Kender wegzuziehen. Dann hielt er inne und drehte sich beunruhigt um. Zu spät vernahm er das silberhelle Klimpern von Pferdegeschirr und Zaumzeug und das Wiehern eines Pferdes. Der Halb-Elf legte seine Hand an den Griff seines Schwertes, aber er hatte bereits jeden Vorteil verloren, den er durch Wachsamkeit gehabt hätte. Fluchend konnte Tanis nur dastehen und auf die Gestalt starren, die aus dem Schatten hervorkam. Sie saß auf einem schmächtigen Pony, das mit gesenktem Kopf trabte, als schämte es sich seines Reiters. Graue, gefleckte Haut hing faltig im Gesicht des Reiters. Zwei rosarote Äuglein lugten aus dem Gesicht unter einem militärisch aussehenden Helm hervor. Sein fetter, schwammiger Körper quoll aus einer protzigen Rüstung. Ein merkwürdiger Geruch traf Tanis, und er rümpfte angeekelt die Nase. »Hobgoblin!« registrierte sein Gehirn. Er lockerte sein Schwert und trat mit dem Fuß nach Flint, aber in diesem Moment nieste der Zwerg heftig und setzte sich auf den Kender.

»Pferd«, sagte Flint und nieste wieder.

»Hinter dir«, erwiderte Tanis schnell.

Flint, dem der warnende Unterton in der Stimme seines Freundes nicht entgangen war, rappelte sich auf. Tolpan machte es ihm geschwind nach.

Der Hobgoblin saß mit gespreizten Beinen auf dem Pony und beobachtete sie mit einem höhnischen und herablassenden Blick.

»Seht mal, Jungs«, bemerkte der Hobgoblin, »mit was für Dummköpfen wir hier in Solace zu tun haben.« Er gebrauchte die Umgangssprache, jedoch mit einem breiten Akzent. Aus den Bäumen hinter dem Hobgoblin ertönte knirschendes Gelächter. Fünf Goblinwachen in einfachen Uniformen traten hervor und postierten sich zu beiden Seiten ihres berittenen Anführers.

»Nun...« Der Hobgoblin lehnte sich über seinen Sattel. Tanis beobachtete mit einer Art entsetzter Faszination, daß der Sattelknauf unter dem riesigen Bauch dieser Kreatur völlig verschwand. »Ich bin Truppführer Toede, Anführer der Streitkräfte, die Solace vor unerwünschten Elementen beschützen. Ihr habt kein Recht, nach Einbruch der Dunkelheit die Stadtgrenzen zu passieren. Ihr seid verhaftet.« Truppführer Toede beugte sich zu einem Goblin: »Bring mir den Stab mit dem blauen Kristall, wenn du ihn bei ihnen findest«, sagte er in der krächzenden Goblinsprache. Tanis, Flint und Tolpan sahen sich fragend an. Sie beherrschten alle ein wenig Goblin - Tolpan besser als die anderen. Hatten sie richtig gehört? Ein Stab mit einem blauen Kristall?

»Falls sie sich wehren«, fügte Truppführer Toede hinzu, wobei er sich wieder der Umgangssprache bediente, um eine größere Wirkung zu erzielen, »dann töte sie.«

Er zerrte heftig an den Zügeln, schlug mit einer Reitpeitsche auf das Tier ein und galoppierte den Pfad hinab auf die Stadt zu.

»Goblins! In Solace! Dieser neue Theokrat scheint allerhand auf dem Kerbholz zu haben!« fauchte Flint. Er langte nach hinten, zog seine Streitaxt aus der am Rücken befestigten Halterung und setzte seine Füße auf den Pfad, sich hin und her wiegend, bis er ein Gleichgewicht gefunden hatte. »Nun gut«, verkündete er. »Dann kommt schon.«

»Ich rate euch, das Feld zu räumen«, sagte Tanis. Er warf seinen Umhang über eine Schulter und zog sein Schwert. »Wir hatten eine lange Reise. Wir sind hungrig und müde und spät dran für ein Treffen mit Freunden, die wir schon sehr lange nicht mehr gesehen haben. Wir haben nicht die Absicht, uns verhaften zu lassen.«

»Oder getötet zu werden«, fügte Tolpan hinzu. Er hatte keine Waffe gezogen, sondern beobachtete die Goblins nur interessiert. Die verblüfften Goblins sahen sich nervös an. Einer warf einen haßerfüllten Blick zum Pfad hin, auf dem ihr Anführer verschwunden war. Die Goblins waren daran gewöhnt, Hausierer und in die Stadt reisende Bauern einzuschüchtern – aber nicht herausfordernde, bewaffnete und offensichtlich geübte Kämpfer. Aber ihr Haß auf alle anderen Rassen auf Krynn war uralt, und sie zogen ihre langen gebogenen Klingen.

Flint schritt nach vorn, seine Hände hielten den Griff der Axt fest umschlossen. »Es gibt nur eine Kreatur, die ich mehr verachte als einen Gossenzwerg«, murmelte er, »und das ist ein Goblin!«

Der Goblin warf sich auf Flint in der Hoffnung, ihn niederzumachen. Flint schwang seine Axt mit tödlicher Genauigkeit. Der Goblinkopf rollte in den Staub, der Körper fiel zu Boden. »Was habt ihr Schleim in Solace zu suchen?« fragte Tanis, während er den ungeschickten Dolchstoß eines anderen Goblins gewandt parierte. Ihre Schwerter kreuzten sich und verhielten einen Augenblick, dann stieß Tanis den Goblin nach hinten. »Arbeitet ihr für den Obersten Theokraten?«

»Theokrat?« Der Goblin gluckste vor Lachen. Er schwang wild seine Waffe und rannte auf Tanis zu. »Dieser Dummkopf? Unser Truppführer arbeitet für den... hu!« Er hatte sich selbst an Tanis' Schwert aufgespießt und rutschte stöhnend auf den Boden.

»Verdammt!« fluchte Tanis und starrte enttäuscht auf den toten Goblin. »Dieser ungeschickte Narr! Ich wollte ihn nicht töten nur herausfinden, wer ihn angeheuert hat.« »Du wirst noch herausfinden, wer uns angeheuert hat – eher als dir lieb ist!« knurrte ein anderer Goblin und stürmte auf den abgelenkten Halb-Elf zu. Tanis drehte sich schnell um, entwaffnete die Kreatur, trat ihr in den Bauch, und der Goblin brach zusammen.

Ein anderer Goblin sprang Flint an, bevor der Zwerg Zeit hatte, sich von seinem tödlichen Schlag zu erholen. Er war zurückgestolpert und versuchte, wieder sein Gleichgewicht zu gewinnen. Dann ertönte Tolpans schrille Stimme: »Dieser Abschaum kämpft für jeden, Tanis. Wirf ihnen ab und zu Hundefleisch zu, und sie gehören dir für imm...«

»Hundefleisch!« krächzte der Goblin und wandte sich zornig von Flint ab. »Wie steht es denn mit Kenderfleisch, du kleiner Quietscher!« Der Goblin bewegte sich auf den anscheinend unbewaffneten Kender zu, die purpurroten Hände griffen nach seinem Hals. Tolpan, ohne seinen unschuldigen kindlichen Gesichtsausdruck zu verlieren, griff in seine Fellweste, zückte plötzlich einen Dolch und warf ihn – mit einer einzigen Bewegung. Der Goblin griff krampfhaft nach seiner Brust und fiel stöhnend zu Boden. Hastige Schritte waren zu hören, als der übriggebliebene Goblin floh. Die Schlacht war vorüber. Tanis steckte sein Schwert in die Scheide und zog angeekelt vor den stinkenden Körpern eine Grimasse; der Geruch erinnerte ihn an verwesenden Fisch. Flint wischte schwarzes Goblinblut von seiner Axtklinge. Tolpan starrte düster auf den Leichnam des Goblins, den er getötet hatte. Er war mit dem Gesicht nach unten gefallen und hatte den Dolch unter sich vergraben.

»Ich hol' ihn dir«, bot Tanis an und rollte den Körper auf die andere Seite.

»Nein.« Tolpan zog ein Gesicht. »Ich will ihn nicht zurück. Weißt du, man bekommt den Gestank niemals ganz weg.« Tanis nickte. Flint befestigte seine Axt wieder in der Halterung, und die drei setzten ihren Weg fort.

Die Lichter von Solace wurden mit zunehmender Dunkelheit heller. Der Duft brennenden Holzes in der kühlen Nachtluft weckte Gedanken an Essen und Wärme - und Sicherheit. Die Gefährten beschleunigten ihren Schritt. Lange Zeit sprachen sie nicht, jeder hörte nur Flints Worte in seinen Gedanken widerhallen: Goblins. In Solace! Schließlich jedoch kicherte der nicht kleinzukriegende Kender. »Nebenbei bemerkt«, sagte er, »es war Flints Dolch!«

Загрузка...