13 Frostige Dämmerung. Hängebrücken. Dunkles Wasser

Tanis spürte Klauenhände seine Kehle umklammern. Er kämpfte und kämpfte, und als er wach wurde, sah er, daß Flußwind sich in der Dunkelheit über ihn beugte und ihn grob schüttelte.

»Was...?« Tanis setzte sich.

»Du hast geträumt«, sagte der Barbar grimmig. »Ich mußte dich wecken. Deine Schreie hätten jede Armee auf uns gelenkt.« »Ja, danke«, murmelte Tanis. »Tut mir leid.« Er versuchte, den Alptraum von sich zu schütteln. »Wie spät ist es?«

»Noch ein paar Stunden bis zur Dämmerung«, antwortete Flußwind müde. Er ging wieder zu seinem Platz zurück und lehnte seinen Rücken gegen den Stamm eines verkrüppelten Baumes. Goldmond lag schlafend neben ihm. Sie begann zu murmeln und den Kopf zu schütteln und gab kleine leise, wimmernde Schreie von sich wie ein verletztes Tier. Flußwind streichelte über ihr silbergoldenes Haar, und sie erzitterte. »Du hättest mich früher wecken sollen«, sagte Tanis. Er stand auf und rieb seine Schultern und seinen Hals. »Es ist meine Wache.«

»Glaubst du etwa, ich kann schlafen?« fragte Flußwind bitter. »Du mußt schlafen«, antwortete Tanis. »Sonst kommen wir wegen dir langsamer voran.«

»Die Männer meines Stammes können viele Tage ohne Schlaf gehen«, sagte Flußwind. Seine Augen waren stumpf und glasig, und er schien in das Nichts zu starren.

Tanis wollte anfangen zu argumentieren, seufzte dann und hielt den Mund. Er wußte, er würde den Schmerz niemals richtig nachempfinden können, der den Barbaren zerfraß. Freunde und Familie – einfach alles – vernichtet, es muß so grausam sein, daß selbst sein Geist vor dieser Vorstellung zurückschreckt. Tanis ließ ihn allein und ging zu Flint hinüber, der an einem Stück Holz schnitzte.

»Du könntest auch ein wenig schlafen«, sagte Tanis zum Zwerg. »Ich werde eine Weile Wache halten.«

Flint nickte. »Ich habe dich schreien gehört. Hast du Que-Shu verteidigt?«

Tanis runzelte bei der Erinnerung die Stirn. Er zitterte in der eiskalten Nacht und zog seinen Umhang fester um sich. »Irgendeine Idee, wo wir sind?« fragte er Flint. »Der Barbar sagt, wir sind auf einer Straße, die als die Östliche Straße der Gelehrten bekannt ist«, antwortete der Zwerg. Er streckte sich auf dem kalten Boden aus und zog ein Tuch um seine Schultern. »Irgendeine alte Straße. Es gab sie schon vor der Umwälzung.«

»Ich vermute, wir haben nicht das Glück, daß diese Straße uns nach Xak Tsaroth führt.«

»Flußwind scheint nicht so zu denken«, murmelte der Zwerg schläfrig. »Er sagt, er wäre ihr nur eine kurze Strecke gefolgt. Aber zumindest würde sie uns durch die Berge führen.« Er gähnte laut und drehte sich auf die Seite, sein Umhang diente ihm als Kopfkissen.

Tanis atmete tief. Die Nacht schien friedlich zu sein. Sie waren auf ihrer wilden Flucht aus Que-Shu weder auf Drakonier noch auf Goblins gestoßen. Wie Raistlin sagte, hatten die Drakonier Que-Shu anscheinend wegen des Stabs angegriffen und nicht aufgrund irgendwelcher Schlachtvorbereitungen. Sie hatten zugeschlagen und sich dann zurückgezogen.

Fröstelnd ging der Halb-Elf wieder zu Flußwind. »Hast du eine Vorstellung, wie weit es noch ist und welche Richtung wir einschlagen müssen?« Tanis hockte sich neben den Barbaren. »Ja«, Flußwind nickte und rieb seine brennenden Augen. »Wir müssen Richtung Nordosten, zum Neumeer. Dort soll die Stadt sein. Ich bin noch nie dort gewesen...« Er runzelte die Stirn und schüttelte dann den Kopf. »Ich bin noch nie dort gewesen«, wiederholte er.

»Können wir es bis morgen schaffen?« fragte Tanis. »Neumeer soll eine Zweitagesreise von Que-Shu entfernt sein.« Der Barbar seufzte. »Falls Xak Tsaroth existiert, sollten wir es in einem Tag schaffen, obwohl ich gehört habe, daß das Land von hier bis zum Neumeer sumpfig und schwer zu bereisen sei.« Er schloß seine Augen, seine Hand strich abwesend über Goldmonds Haar. Tanis schwieg. Er hoffte, daß der Barbar einschlafen würde. Am nächsten Morgen würde er Tolpan nach einer Landkarte fragen.

Der Kender hatte eine Karte, aber sie stellte keine große Hilfe dar, weil sie vor der Umwälzung gezeichnet worden war. Das Neumeer war überhaupt nicht verzeichnet, weil es sich erst gebildet hatte, nachdem das Land auseinandergerissen und von den Gewässern des Turbidus-Meeres überschwemmt worden war. Jedoch zeigte die Karte Xak Tsaroth, das nur ein kurzes Stück von der Östlichen Straße der Gelehrten entfernt lag. Sie müßten den Ort am Nachmittag erreichen, falls das Gebiet passierbar war. Die Gefährten aßen lustlos, zwangen sich fast dazu, irgend etwas zu sich zu nehmen. Raistlin brühte seinen übelriechenden Kräutertee über dem kleinen Feuer auf, seine seltsamen Augen hingen an Goldmonds Stab.

»Wie wertvoll er doch geworden ist«, bemerkte er leise, »durch das Blut Unschuldiger...«

»Ist er das wert? Ist er das Leben meines Volkes wert?« fragte Goldmond, die den schlichten Stab apathisch anstarrte. Sie schien über Nacht gealtert zu sein.

Keiner der Gefährten antwortete. Fluß wind erhob sich plötzlich und ging weg. Goldmond sah hoch und starrte ihm nach, dann sank ihr Kopf wieder nach unten, und sie begann leise zu weinen. »Er gibt sich die Schuld.« Sie schüttelte den Kopf. »Und ich kann ihm nicht helfen. Aber es war nicht seine Schuld.«

»Niemand hat schuld«, sagte Tanis langsam und ging zu ihr. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und spürte die Spannung in ihrem Körper. »Niemand von uns kann es verstehen. Wir müssen einfach weitergehen und hoffen, die Antwort in Xak Tsaroth zu finden.«

Sie nickte und trocknete ihre Augen, atmete tief durch und putzte sich die Nase mit einem Taschentuch, das Tolpan ihr gereicht hatte. »Du hast recht«, sagte sie. »Mein Vater würde sich meiner schämen. Ich darf es nicht vergessen - ich bin die Tochter des Stammeshäuptlings.«

»Nein«, ertönte Flußwinds tiefe Stimme aus dem Schatten der Bäume. »Du bist jetzt der Stammeshäuptling.«

Goldmond atmete keuchend. Sie drehte sich um und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf Flußwind. »Vielleicht bin ich es«, stammelte sie. »Aber es hat keine Bedeutung. Unser Volk ist tot...«

»Ich habe Spuren gesehen«, antwortete Flußwind. »Einige konnten fliehen, wahrscheinlich in die Berge. Sie werden wiederkommen, und du wirst ihre Herrscherin sein.« »Unser Volk... lebt noch!« Goldmonds Gesicht strahlte. »Nicht viele. Vielleicht jetzt schon niemand mehr. Es hängt davon ab, ob die Drakonier ihnen in die Berge gefolgt sind.« Flußwind zuckte die Schultern. »Trotzdem bist du jetzt ihre Herrscherin« – in seine Stimme schlich sich Bitterkeit —, »und ich werde der Gatte der Herrscherin.«

Goldmond zuckte zusammen, als ob er sie geschlagen hätte. Sie blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Flußwind«, sagte sie leise. »Ich... wir haben darüber gesprochen...« »Haben wir das?« unterbrach er sie. »Ich habe letzte Nacht darüber nachgedacht. Ich war so viele Jahre fort. Meine Gedanken waren bei dir – bei der Frau. Ich habe nicht sehen wollen ...« Er schluckte und holte tief Luft. »Ich habe Goldmond verlassen. Und ich kehrte zurück, um die Tochter des Stammeshäuptlings zu finden.«

»Hatte ich denn eine andere Wahl?« schrie Goldmond zurück. »Mein Vater war krank. Ich mußte herrschen, oder Lorman hätte sich zum Führer des Stammes gemacht. Weißt du denn, wie es ist - die Tochter des Stammeshäuptlings zu sein? Sich bei jeder Mahlzeit zu fragen, ob sie vergiftet ist? Sich jeden Tag abzumühen, um aus der Schatztruhe die Soldaten bezahlen zu können, damit Lorman nicht aufmuckt? Und die ganze Zeit mußte ich mich wie die Tochter des Stammeshäuptlings verhalten, während mein Vater rumsaß und Versprechungen machte und vor sich hin murmelte...«Ihre Stimme erstickte in Tränen. Flußwind lauschte mit ernstem, unbeweglichem Gesicht. »Wir müssen aufbrechen«, sagte er kalt. »Die Dämmerung ist fast angebrochen.«

Die Gefährten brauchten nur einige wenige Meilen auf der alten, holprigen Straße zu wandern, bis sie buchstäblich in einen Sumpf fielen. Der Boden war ständig modriger geworden, und der Wald mit den hohen, robusten Bäumen hatte sich mehr und mehr gelichtet. Seltsame verkrümmte Bäume waren vor ihnen aufgetaucht. Die Sonnenstrahlen drangen nicht mehr durch, und die Luft wurde schlecht. Raistlin begann zu husten und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Sie blieben auf der alten Straße und versuchten, sich vom feuchten, sumpfigen Boden fernzuhalten. Flint ging mit Tolpan an der Spitze, als der Zwerg plötzlich einen lauten Schrei ausstieß und im Morast versank. Nur noch sein Kopf war zu sehen.

»Hilfe! Der Zwerg!« rief Tolpan, und die anderen rannten zu ihm.

»Beweg dich nicht«, belehrte Flußwind. »Du bist in ein Todesmoor gefallen. Folge ihm nicht!« warnte er Sturm, der nach vorn gesprungen war. »Ihr werdet beide sterben. Sucht einen Zweig.«

Caramon umklammerte einen jungen Baum, holte tief Luft, ächzte und riß ihn aus der Erde. Flußwind legte sich flach auf den Boden und schob den Baum zum Zwerg. Flint, der nun fast bis zur Nase im Sumpf steckte, schlug um sich, bekam jedoch schließlich den Baum zu fassen und wurde langsam herausgezogen. »Tanis!« Der Kender griff nach dem Halb-Elf und zeigte auf etwas. Eine Schlange, so dick wie Caramons Arm, glitt über den Morast, in dem sich der Zwerg abgequält hatte.

»Wir können hier nicht durch!« Tanis deutete auf den Sumpf, »Vielleicht sollten wir umkehren.«

»Keine Zeit«, flüsterte Raistlin, seine Stundenglasaugen glitzerten. »Und es gibt keinen anderen Weg«, sagte Flußwind. Seine Stimme klang seltsam. »Und wir kommen hier durch - ich kenne einen Weg.«

»Was?« fragte Tanis. »Ich dachte, du...«

»Ich war schon einmal hier«, sagte der Barbar mit erstickter Stimme. »Ich weiß nicht mehr, wann, aber ich war schon einmal hier. Ich kenne den Weg durch den Sumpf. Und er führt nach...« Er befeuchtete seine Lippen.

»Führt zur zerstörten Stadt des Bösen?« fragte Tanis grimmig, als der Barbar den Satz nicht beendete.

»Xak Tsaroth!« zischte Raistlin.

»Natürlich«, sagte Tanis leise. »Das ergibt einen Sinn. Wo sollten wir sonst Antworten über den Stab finden – nur an dem Ort, wo dir der Stab gegeben wurde.«

»Und wir müssen jetzt gehen!« sagte Raistlin hartnäckig. »Wir müssen bis morgen nacht da sein!«

Der Barbar übernahm die Führung. Er fand festen Boden im schwarzen Wasser und ließ sie alle einzeln hintereinander gehen, führte sie von der Straße fort und tiefer in den Sumpf hinein. Bäume, die er Eisenklaue nannte, wuchsen aus dem Wasser empor, ihre Wurzeln verzweigten sich im Schlamm. Schlingpflanzen hingen von ihren Zweigen und liefen über den kaum erkennbaren Weg. Der Nebel schloß sie ein, und bald konnten sie nur im Umkreis weniger Meter etwas erkennen. Sie waren gezwungen, sich langsam zu bewegen und jeden Schritt auszuprobieren. Eine falsche Bewegung, und sie wären in den stinkenden Morast getaucht, der sie übelriechend und stehend umgab.

Plötzlich endete der Pfad im dunklen, sumpfigen Wasser. »Und was jetzt?« fragte Caramon düster.

»Dort«, zeigte Flußwind. Eine primitive Brücke aus Schlingpflanzen, zu Strängen geflochten, war mit einem Baum verbunden. Sie legte sich wie ein Spinngewebe über das Gewässer. »Wer hat sie gebaut?« fragte Tanis.

»Ich weiß es nicht«, sagte Flußwind. »Aber man findet sie hier überall, wann immer der Weg unpassierbar wird.«

»Ich sagte euch, Xak Tsaroth ist nicht unbewohnt geblieben«, wisperte Raistlin.

»Nun gut - ich nehme an, wir sollten auf ein Geschenk der Götter keine Steine werfen«, erwiderte Tanis. »Zumindest brauchen wir nicht zu schwimmen!«

Der Weg über die Schlingpflanzenbrücke war nicht angenehm. Die Pflanzen waren mit schleimigem Moos überzogen und machten das Fortbewegen riskant. Die Brücke schaukelte bei jeglicher Berührung beunruhigend. Sie gelangten zwar sicher auf die andere Seite, aber nach einer kurzen Strecke waren sie wieder gezwungen, eine weitere Brücke zu benutzen. Und immer war unter ihnen und um sie das dunkle Wasser, aus dem fremde Augen sie hungrig beobachteten. Dann erreichten sie einen Punkt, an dem der feste Grund endete und es keine Brükken mehr gab. Vor ihnen war nur noch schleimiges Wasser. »Es ist nicht sehr tief«, murmelte Flußwind. »Folgt mir. Achtet auf meine Schritte.«

Flußwind tat einen Schritt, dann noch einen und tastete sich weiter vor, die anderen gingen ihm nach und starrten beunruhigt und voller Ekel ins Wasser. Unbekannte und nie gesehene Dinge glitten an ihren Beinen vorbei. Als sie wieder festen Grund unter den Füßen hatten, waren ihre Beine mit Schlamm überzogen, vom Gestank mußten sie würgen. Aber dieser letzte Abschnitt schien der wohl schlimmste gewesen zu sein. Der Urwald war nicht mehr so dicht bewachsen, und sie konnten sogar schwach die Sonne durch den grünen Dunst erkennen. Je weiter sie nach Norden wanderten, desto fester wurde der Boden. Als sie mittags auf ein trockenes Stück Boden unter einer uralten Eiche stießen, rief Tanis zur Rast. Die Gefährten ließen sich niedersinken, aßen und unterhielten sich, voller Hoffnung, den Sumpf hinter sich gelassen zu haben. Alle außer Goldmond und Flußwind. Sie schwiegen.

Flints Kleidung war tropfnaß. Er schüttelte sich vor Kälte und klagte über Gelenkschmerzen. Tanis war besorgt. Er wußte, daß der Zwerg an Rheuma litt, und erinnerte sich an Flints Worte, daß er befürchtete, die anderen aufzuhalten. Tanis stieß den Kender an und bedeutete ihm, ein Stückchen mitzukommen. »Ich weiß, daß du etwas in einem deiner Beutel hast, das dem Zwerg die Kälte aus seinen Knochen nehmen könnte, wenn du verstehst, was ich meine«, sagte Tanis leise.

»Oh, sicherlich, Tanis«, sagte Tolpan und strahlte. Er wühlte in einer Tasche, dann in einer anderen, und schließlich zog er eine silberleuchtende Flasche hervor. »Brandy. Otiks Bester.« »Ich vermute, du hast ihn nicht bezahlt?« fragte Tanis grinsend. »Das werde ich noch«, erwiderte der Kender verletzt, »beim nächsten Mal.«

»Natürlich.« Tanis klopfte ihm auf die Schulter. »Gib Flint etwas davon. Aber nicht zuviel«, warnte er. »Nur zum Aufwärmen.« »In Ordnung. Und dann gehen wir voran - wir mächtigen Kämpfer.« Tolpan lachte und hüpfte zum Zwerg, während Tanis zu den anderen ging. Sie packten schweigend die Essensreste zusammen und bereiteten sich auf den Weitermarsch vor. Wir alle könnten einen Schluck von Otiks Bestem gebrauchen, dachte er. Goldmond und Flußwind hatten den ganzen Morgen noch kein einziges Wort gesprochen. Ihre Stimmung legte sich wie ein Leichentuch über die Gefährten. Tanis wußte keinen Rat, wie er die Qual der beiden beenden konnte. Er konnte nur hoffen, daß die Zeit die Wunden heilen würde.

Die Gefährten kamen nun schneller voran, da der dichteste Teil des Dschungels hinter ihnen lag. Sie hatten sich jedoch zu früh gefreut, denn plötzlich hörte der feste Boden wieder auf. Müde, krank vom Gestank und entmutigt wateten die Gefährten von neuem durch Schlamm.

Nur Flint und Tolpan machte dieser Umstand nichts aus. Die beiden waren den anderen weit voraus. Tolpan hatte Tanis' Warnung, nicht so viel zu trinken, schnell ›vergessen‹. Der Alkohol wärmte das Blut und erhellte die innere Düsternis, so daß der Kender und der Zwerg die Flasche viele Male austauschten, bis sie leer war und sie dahinzottelten und Witze machten, was sie alles tun würden, wenn sie nur endlich einem Drakonier begegnen würden.

»Ich werde ihn in Stein verwandeln, ganz einfach«, sagte der Zwerg und schwang seine imaginäre Streitaxt. »Whum - direkt in den Kuhmagen der Echse.«

»Ich wette, Raistlin kann sie mit einem Blick in Stein verwandeln!« Tolpan imitierte das grimmige und mürrische Gesicht des Magiers. Sie lachten beide laut, dann beruhigten sie sich, kicherten gedämpft und sahen unsicher zurück, ob Tanis sie gehört hatte.

»Ich wette, Caramon pickt mit der Gabel ein Ungeheuer an und ißt es!« sagte Flint.

Tolpan schüttelte sich vor Lachen und wischte sich die Tränen aus den Augen. Der Zwerg brüllte. Plötzlich hörte der matschige Boden auf. Tolpan konnte den Zwerg gerade noch packen, bevor Flint beinahe kopfüber in einen Sumpfwasserteich geplumpst wäre, der so groß war, daß ihn keine Pflanzenbrücke überspannen konnte. Über dem Wasser lag ein riesiger Eisenklauenbaum; sein kräftiger Stamm war breit genug, daß auf ihm zwei Leute nebeneinander laufen konnten.

»Das ist mal eine Brücke!« sagte Flint und trat einen Schritt zurück, um den Stamm eingehend zu betrachten. »Hier gibt es keine Spinnen wie auf diesen dämlichen grünen Netzen. Laß uns gehen.«

»Sollten wir nicht lieber auf die anderen warten?« fragte Tolpan sanft. »Tanis will bestimmt nicht, daß wir uns trennen.« »Tanis? Pah!« Der Zwerg rümpfte die Nase. »Wir werden es ihm schon zeigen.«

»In Ordnung«, gab Tolpan fröhlich sein Einverständnis. Er sprang auf den Baum. »Man muß vorsichtig sein«, sagte er. Er rutschte etwas aus, fing sich aber schnell wieder. »Es ist glatt.« Er machte ein paar schnelle Schritte mit ausgebreiteten Armen wie jene Seiltänzer, die er einmal auf einem Sommerfest gesehen hatte. Der Zwerg kletterte unbeholfen hinterher. Eine innere Stimme sagte ihm, daß er das nüchtern nie geschafft hätte. Sie sagte ihm auch, daß er ein Dummkopf sei, die Brücke zu überqueren, ohne auf die anderen zu warten, aber er ignorierte sie. Er fühlte sich wie neugeboren.

Tolpan, verzaubert durch seine Einbildung, Mirgo der Großartige zu sein, sah auf und entdeckte, daß er in der Tat Zuschauer hatte - einer von diesen Drakoniern stand plötzlich vor ihm auf dem Baumstamm. Dieser Anblick ernüchterte Tolpan auf der Stelle. Der Kender kannte zwar keine Angst, aber er war baß erstaunt. Er hatte jedoch genügend Geistesgegenwart, zwei Dinge zu tun. Zuerst schrie er laut: »Tanis, Hinterhalt!« Dann hob er seinen Hupakstab und schwang ihn in hohem Bogen. Diese Bewegung überraschte den Drakonier. Die Kreatur erstarrte und sprang dann vom Stamm zurück ans Ufer. Tolpan, der einen Moment das Gleichgewicht verloren hatte, fing sich wieder und fragte sich, was er als nächstes tun sollte. Er blickte umher und sah einen weiteren Drakonier am Ufer. Er war, wie er verwirrt feststellte, nicht bewaffnet. Bevor er diese Merkwürdigkeit in Betracht ziehen konnte, hörte er ein Brüllen hinter sich. Er hatte den Zwerg vergessen. »Was ist los?« schrie Flint.

»Drakonier«, antwortete Tolpan, packte seinen Hupak und spähte durch den Nebel. »Zwei sind vor uns! Da sind sie!« »Nun, zum Henker mit ihnen, geh mir aus dem Weg!« fauchte Flint und griff nach seiner Axt. »Wohin soll ich denn gehen?« schrie Tolpan wild. »Duck dich!« gellte der Zwerg.

Der Kender duckte sich und warf sich dann auf den Stamm, als ein Drakonier mit ausgestreckten Klauenhänden auf sie zukam. Flint schwang seine Axt mit einer solchen Kraft, daß der Drakonier enthauptet worden wäre, wenn er sich noch weiter genähert hätte. Unglücklicherweise hatte sich der Zwerg verschätzt, und die Klinge pfiff, ohne Schaden zu nehmen, an dem Drakonier vorbei, der mit seinen Händen in der Luft wirbelte und seltsame Worte sang.

Die Wucht von Flints Aufschlag riß den Zwerg von den Beinen. Er rutschte auf dem glitschigen Stamm aus und fiel mit einem lauten Schrei rückwärts ins Wasser. Tolpan, der mit Raistlin seit Jahren zu tun hatte, erkannte, daß der Drakonier einen Zauberspruch murmelte. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Stamm, seinen Hupakstab fest in seiner Hand, und rechnete sich aus, daß er noch etwa anderthalb Sekunden Zeit zum Überlegen hätte. Der Zwerg keuchte und platschte im Wasser unter ihm. Nur Zentimeter von ihm entfernt hatte der Drakonier offenbar seine Zauberformel beendet. Tolpan entschied, daß alles andere besser war, als verzaubert zu werden, holte tief Luft und sprang vom Baumstamm.

»Tanis! Hinterhalt!«

»Verdammt!« fluchte Caramon, als die Stimme des Kenders aus dem Nebel zu ihnen drang.

Alle begannen zu rennen, verfluchten die Schlingpflanzen und die Zweige, die ihnen ein Vorwärtskommen erschwerten. Als sie aus dem Wald stürzten, sahen sie den umgefallenen Eisenklauenbaum. Vier Drakonier stürzten aus dem Schatten hervor und stellten sich ihnen in den Weg.

Plötzlich versanken die Gefährten in eine Dunkelheit, in der sie ihre eigenen Hände nicht mehr sehen konnten.

»Magie!« hörte Tanis Raistlin zischen. »Das sind Magier. Geh zur Seite. Du kannst gegen sie nichts ausrichten!«

Dann hörte Tanis den Magier vor Schmerzen aufschreien. »Raist!« rief Caramon. »Wo... uh...« Man hörte ein Aufstöhnen und dann das Geräusch eines schweren aufprallenden Körpers. Tanis hörte die Drakonier singen. Noch während er nach seinem Schwert suchte, war er plötzlich von Kopf bis Fuß mit einer dicken, klebrigen Masse bedeckt, die ihm Nase und Mund verstopfte. Als er versuchte, sich freizukämpfen, verstrickte er sich nur noch mehr. Er hörte Sturm neben sich fluchen, Goldmond aufschreien, Flußwinds Stimme klang wie erstickt, dann überfiel ihn Schläfrigkeit. Tanis sank auf die Knie, versuchte immer noch, sich von der netzartigen Masse freizukämpfen, die seine Hände an die Hüften klebte. Dann stürzte er nach vorn auf sein Gesicht und fiel in einen tiefen, seltsamen Schlaf.

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