18 Kampf am Aufzug. Bupus Hustenheilkur

Heißer Dampf stieg aus den zwei Löchern im Fußboden empor und wirbelte umher. Zwischen den beiden Löchern lag ein gigantisches Rad, um das eine gigantische Kette lief. Ein übergroßer schwarzer Eisentopf hing an der Kette über einem der Löcher. Das andere Ende der Kette verschwand im anderen Loch. Vier Drakonier in Rüstungen, von denen zwei Lederpeitschen schwangen und mit Krummsäbeln bewaffnet waren, standen um den Topf. Sie waren nur kurze Zeit sichtbar, dann verschwanden sie wieder im Nebel. Tanis konnte die Peitsche knallen und eine kehlige Stimme bellen hören. »Ihr lausiges Zwergenungeziefer! Was macht ihr da? Steigt sofort in den Topf, bevor ich euch das dreckige Fleisch von euren stinkenden Körpern schlage! Ich...!« Der Drakonier verstummte mitten im Satz, seine Augen quollen aus seinem Reptilienkopf, als Caramon aus dem Nebel trat und seinen Schlachtruf brüllte. Der Drakonier stieß einen gellenden Schrei aus, der in ein würgendes Gurgeln überging, als Caramon die Kreatur am schuppigen Hals packte, sie von den Klauenfüßen hob und gegen die Wand schleuderte.

Während Caramon angriff, gellte Sturm, sein zweihändiges Schwert schwingend, den Rittergruß gegenüber einem Feind heraus und schlug einem Drakonier den Kopf ab, ohne daß dieser überhaupt bemerkte, was auf ihn zukam. Der abgetrennte Kopf rollte knirschend auf dem Boden, bevor er sich in Stein verwandelte.

Im Gegensatz zu den Goblins, die alles, was sich bewegt, ohne Strategie, ja ohne nachzudenken angreifen, sind Drakonier intelligent und handeln schnell. Die zwei übriggebliebenen Drakonier hatten nicht die Absicht, es mit fünf geübten und gutbewaffneten Kämpfern aufzunehmen. Einer von ihnen sprang sofort in den Topf und schrie seinem Gefährten in ihrer Sprache Anweisungen zu. Der andere Drakonier sprang zum Rad und löste den Mechanismus aus. Der Topf begann durch das Loch zu fallen.

»Haltet sie auf!« schrie Tanis. »Sie holen Verstärkung!« »Falsch!« rief Tolpan, der über den Rand spähte. »Die Verstärkung ist bereits im anderen Topf unterwegs. Es müssen ungefähr zwanzig sein!« Caramon rannte los, um den Drakonier am Aufzug aufzuhalten, aber es war zu spät. Die Kreatur flitzte bereits auf den Topf zu. Mit einem Satz sprang er seinem Gefährten nach. Caramon, getreu seinem Prinzip, den Feind nicht entkommen zu lassen, sprang in den Topf hinterher! Die Gossenzwerge jubelten und johlten, einige hüpften zum Rand, um besser sehen zu können. »Dieser verdammte Narr!« fluchte Sturm. Er schob einige Gossenzwerge beiseite, um hinunterzuschauen, und sah schwingende Fäuste und Rüstungen aufblitzen, als Caramon und die Drakonier wild aufeinander einschlugen. Caramons zusätzliches Gewicht ließ den Topf noch schneller fallen. »Ich folge ihm«, rief Sturm Tanis zu. Er sprang hoch, bekam die Kette zu fassen und ließ sich direkt in den Topf gleiten. »Jetzt haben wir schon zwei verloren!« jammerte Tanis. »Flint, komm mit mir. Flußwind, bleib du mit Raistlin und Goldmond hier. Versuch mal, ob du dieses verdammte Rad in die andere Richtung drehen kannst! Nein, Tolpan, du nicht!«

Zu spät! Der Kender sprang begeistert kreischend an die Kette und begann hinunterzuklettern. Tanis und Flint sprangen ebenfalls. Tanis hielt mit Armen und Beinen die Kette fest umklammert und hing direkt über dem Kender. Flint war es nicht gelungen, sich festzuhalten, und er landete kopfüber in dem Topf, wo Caramon prompt auf ihn trat.

Die Schlacht im Topf war in vollem Gange. Caramon kämpfte wie ein Berserker mit beiden Drakoniern und verlor dabei seinen Dolch. Einer der Drakonier ging auf sein Gesicht los und versuchte, mit den Klauenhänden seine Augen herauszureißen. Caramon konnte die Handgelenke des Drakoniers fassen und schaffte es, die Klauen von seinem Gesicht fernzuhalten. Inzwischen hatte sich der andere Drakonier von den Hieben erholt, mit denen Caramon auch ihn eingedeckt hatte, und griff nach seinem Schwert. Im selben Moment rutschte Sturm die Kette herunter und trat ihn mit seinem schweren Stiefel hart ins Gesicht. Der Drakonier taumelte nach hinten, und sein Schwert flog ihm aus der Hand. Sturm sprang und versuchte, die Kreatur mit der flachen Schwertklinge niederzuschlagen, aber der Drakonier schob das Schwert mit seinen Klauen einfach beiseite.

»Laß mich los!« brüllte Flint vom Boden des Topfes. Sein Helm war ihm aufs Gesicht gerutscht, so daß er so gut wie nichts sah und nur spürte, daß er langsam von Caramons großem Fuß zerdrückt wurde. In einem Anfall wilder Wut schob der Zwerg seinen Helm zurück und wuchtete sich hoch. Caramon verlor das Gleichgewicht und taumelte auf den Drakonier zu. Die Kreatur trat zur Seite, und Caramon fiel gegen die riesige Kette. Der Drakonier schwang heftig sein Schwert. Caramon bückte sich, und das Schwert klirrte, sein Ziel verfehlend, gegen die Kette. Dann warf sich Flint auf den Drakonier und rammte ihm seinen Kopf in die Magengrube. Beide fielen gegen die Topfwandung.

Während Tanis sich an der Kette hinabließ, beobachtete er den wilden Kampf unter sich. »Warte hier!« schnauzte er Tolpan an. Dann löste er sich von der Kette, ließ sich fallen und landete mitten im Gewühl. Tolpan, enttäuscht, aber gehorsam, hielt sich mit einer Hand an der Kette fest, während er in seinen Beutel faßte und einen Stein hervorzog, bereit, ihn fallen zu lassen - auf den Kopf eines Feindes, wie er hoffte. Im Kampfesgetümmel begann der Topf immer stärker zu schaukeln. Und während sie tiefer und tiefer sanken, stieg der andere Topf mit schreienden und fluchenden Drakoniern immer höher. Flußwind, der mit den Gossenzwergen am Loch stand, konnte durch den Dunst fast nichts erkennen. Er hörte jedoch Schläge und Flüche und Stöhnen aus dem Topf mit seinen Freunden. Dann stieg aus dem Nebel der andere Topf hoch, in dem mit gezogenen Schwertern Drakonier standen und mit offenen Mäulern zu ihm hochstarrten. Ihre langen roten Zungen hechelten erwartungsvoll. In wenigen Augenblicken würden er, Goldmond, Raistlin und fünfzehn Gossenzwerge zwanzig kampfeslustigen Drakoniern gegenüberstehen!

Flußwind wirbelte herum, stolperte über einen Gossenzwerg, gewann sein Gleichgewicht wieder und rannte zum Aufzugmechanismus. Irgendwie mußte er den Topf aufhalten. Das Rad drehte sich langsam mit quietschender Kette. Flußwind überlegte, die Kette mit seinen bloßen Händen zu packen. Etwas Rotes schob ihn beiseite. Raistlin beobachtete das Rad einen Moment, bestimmte den Drehpunkt, dann stopfte er den Stab des Magus zwischen Rad und Boden. Der Stab erzitterte einen Moment, und Flußwind hielt den Atem an, vor Furcht, er würde brechen. Aber er hielt! Der Mechanismus kam zum Halten.

»Flußwind!« schrie Goldmond vom Loch. Der Barbar rannte zurück, Raistlin folgte ihm auf dem Fuße. Die Gossenzwerge am Loch hatten eine wunderbare Zeit und genossen in vollen Zügen eines der interessantesten Ereignisse ihres Lebens. Nur Bupu hielt sich ständig dicht hinter Raistlin und grabschte nach seiner Robe, wann immer es möglich war.

»Khark-umat!« Flußwind schnappte nach Luft, als er nach unten in den Dunst starrte.

Caramon hatte einen Drakonier aus dem Topf geworfen. Die Kreatur fiel mit einem Kreischen in den Nebel. Der Krieger hatte Klauenabdrücke im Gesicht und eine Schwertwunde am rechten Arm. Sturm, Tanis und Flint kämpften immer noch gegen den zweiten Drakonier, der sich wie ein Wahnsinniger verteidigte. Als schließlich klar wurde, daß Schläge nichts ausrichteten, stach Tanis mit dem Dolch zu. Die Kreatur sank auf den Topfboden und verwandelte sich sofort zu Stein, Tanis' Waffe in ihrem Körper.

Plötzlich kam der Topf mit einem Ruck zum Halten, und seine Insassen stürzten übereinander.

»Guckt mal! Nachbarn!« gellte Tolpan und ließ sich von der Kette fallen. Tanis sah zum anderen Topf mit den Drakoniern, der nur etwa sechs Meter von ihnen entfernt war. Die bis zu den Zähnen bewaffneten Drakonier bereiteten sich gerade auf ein Umsteigemanöver vor. Zwei kletterten zum Rand des Topfes, bereit, die dunstverhangene Tiefe zu überspringen. Caramon lehnte sich über den Rand und schwang sein Schwert wild und fürchterlich, um den ersten Versuch zu vereiteln. Er verfehlte den Angreifer, und sein kraftvoller Schwerthieb brachte den Topf an seiner Kette zum Rotieren.

Caramon verlor das Gleichgewicht und stürzte nach vorn, sein Gewicht brachte den Topf in gefährliche Schräglage. Sturm bekam Caramon am Kragen zu fassen und zog ihn zurück, wodurch der Topf erneut wie wild zu schaukeln begann. Tanis rutschte aus und landete mit Händen und Knien auf dem Boden, wo er entdeckte, daß der versteinerte Drakonier zu Staub zerfallen war und er so seinen Dolch wiederbekam.

»Da kommen sie!« gellte Flint, während er Tanis auf die Beine zog.

Ein Drakonier war losgesprungen und hielt sich mit seinen Klauen am Rand des Topfes fest. Wieder kippte der Topf gefährlich. »Geh rüber!« Tanis schob Caramon zur anderen Seite und hoffte, daß durch den schweren Krieger das Gleichgewicht wiederhergestellt würde. Sturm schlug auf die Hände des Drakoniers ein, damit dieser den Topf losließ. Inzwischen flog ein anderer Drakonier herüber, der die Entfernung besser eingeschätzt hatte und direkt neben Sturm im Topf landete. »Beweg dich nicht!« schrie Tanis Caramon zu, als der Krieger instinktiv in den Kampf eingreifen wollte und den Topf damit erneut zum Schaukeln brachte. Der große Mann nahm schnell wieder seine Position ein. Der am Rand des Topfes hängende Drakonier mußte endlich loslassen und schwebte mit ausgebreiteten Flügeln in den Dunst hinab.

Tanis wirbelte herum, um den Drakonier zu bekämpfen, der im Topf gelandet war, fiel über Flint und warf ihn um. Der HalbElf stolperte gegen die Topfwand und sah einen Moment lang nach unten. Die Nebel teilten sich, und er erkannte die zerstörte Stadt Xak Tsaroth unter sich. Als er sich umdrehte, fühlte er sich schwach und desorientiert. Er sah, daß Tolpan mit dem Drakonier kämpfte. Der kleine Kender kroch am Rücken der Kreatur hoch und schlug mit einem Stein auf ihren Kopf ein. Flint, der auf dem Boden lag, hob Caramons fallen gelassenen Dolch auf und stach der Kreatur ins Bein. Der Drakonier schrie vor Schmerzen auf. Als Tanis klar wurde, daß immer mehr Drakonier herüberfliegen würden, sah er verzweifelt hoch. Aber die Verzweiflung wandelte sich in Hoffnung, als er durch den Dunst Flußwind und Goldmond herunterstarren sah. »Holt uns wieder hoch!« schrie Tanis hektisch, dann fiel etwas auf seinen Kopf. Ein unerträglicher Schmerz... Er spürte nur noch, daß er fiel und fiel und fiel...

Raistlin hatte Tanis' Schrei nicht gehört – der Magier trat bereits in Aktion. »Kommt her, meine Freunde«, sagte Raistlin sanft. Die verzauberten Gossenzwerge versammelten sich eifrig um ihn. »Diese Herren dort unten wollen mir weh tun«, sagte er leise. Die Gossenzwerge knurrten. Einige runzelten finster die Stirn. Andere schüttelten die Fäuste.

»Aber ihr könnt mir helfen«, sagte Raistlin. »Ihr könnt sie aufhalten.«

Die Gossenzwerge starrten den Magier ungläubig an.

»Das einzige, was ihr machen müßt«, sagte Raistlin geduldig, »ist, hinüberzulaufen und auf diese Kette zu springen.« Er zeigte auf die Kette, die mit dem Topf der Drakonier verbunden war. Die Gesichter der Gossenzwerge hellten sich auf. Das hörte sich nicht schlecht an. In der Tat war das etwas, was sie häufig machten, wenn sie den Topf verfehlten.

Raistlin hob den Arm. »Geht!« befahl er.

Alle Gossenzwerge, außer Bupu, sahen sich an, dann flitzten sie zum Rand des Loches, und wild gellend schwangen sie sich auf die Kette über den Drakoniern und hielten sich an ihr mit äußerster Geschicklichkeit fest.

Der Magier rannte zum Rad. Bupu trottete hinterher. Er griff nach dem Stab des Magus und zog ihn heraus. Das Rad zitterte und begann sich wieder zu bewegen, drehte sich immer schneller, und durch das Gewicht der Gossenzwerge stürzte der Drakoniertopf nach unten in den Nebel.

Mehrere Drakonier hatten am Rand gestanden, um zum anderen Topf zu springen. Nun verloren sie durch den plötzlichen Ruck das Gleichgewicht. Obwohl ihre Flügel den Fall aufhielten, kreischten sie vor Wut, als sie nach unten schwebten. Ihre Schreie standen in merkwürdigem Gegensatz zu den freudigen Rufen der Gossenzwerge.

Flußwind lehnte sich über den Rand des Loches und bekam den Topf mit den Gefährten zu fassen, als dieser das Rad erreichte. »Seid ihr in Ordnung?« fragte Goldmond besorgt und beugte sich hinüber, um Caramon herauszuhelfen.

»Tanis ist verletzt«, sagte Caramon.

»Es ist nur eine Beule«, protestierte Tanis schwach. Er spürte eine dicke Schwellung am Hinterkopf. »Ich dachte, ich würde aus diesem Ding fallen.« Ihn schauderte bei der Erinnerung. »So kommen wir nicht nach unten!« erklärte Sturm, als er aus dem Topf kletterte. »Und wir können auch nicht hier herumstehen. Es wird nicht lange dauern, bis sie den Aufzug gerichtet haben, und dann werden sie uns verfolgen. Wir müssen zurück.«

»Nein! Geh nicht!« Bupu hielt sich an Raistlin fest. »Ich weiß Weg zu Großbulp!« Sie zog an seinem Ärmel und zeigte nach Norden. »Guter Weg! Geheimer Weg! Keine Herren«, sagte sie leise. »Ich lasse Herren dich nicht kriegen. Du hübsch.« »Wir scheinen keine andere Wahl zu haben. Wir müssen nach unten«, sagte Tanis. Er zuckte zusammen, als Goldmond ihn mit dem Stab berührte. Dann überflutete die Heilkraft seinen Körper. Er entspannte sich und seufzte. »Wie du schon gesagt hast, sie leben hier schon seit Jahren.«

Flint knurrte und schüttelte den Kopf, als Bupu in nördlicher Richtung den Korridor entlanglaufen wollte.

»Halt! Hört mal!« rief Tolpan leise. Sie hörten Tritte von Klauenfüßen auf sich zukommen.

»Drakonier!« sagte Sturm. »Wir müssen hier raus! Laßt uns zurück in westlicher Richtung gehen.«

»Ich wußte es doch«, grummelte Flint mit düsterem Blick. »Dieser Gossenzwerg führt uns direkt zu diesen Echsen!« »Warte!« Goldmond ergriff Tanis' Arm. »Schau mal zu ihr!« Der Halb-Elf drehte sich um und sah, wie Bupu etwas Schlaffes und Formloses aus ihrer Tasche zog. Sie trat zur Wand, rieb das Etwas vor dem Stein und murmelte einige Worte. Die Wand erbebte, und in Sekundenschnelle wurde ein Zugang sichtbar, der ins Dunkle führte.

Die Gefährten sahen einander beunruhigt an.

»Es muß sein«, murmelte Tanis. Das Geklingel der Drakonierrüstungen konnte man nun deutlich hören. »Raistlin, Licht«, sagte Tanis.

Der Magier murmelte den Befehl, und der Kristall an seinem Stab leuchtete auf. Er und Bupu und Tanis passierten schnell die Geheimtür. Die anderen folgten, und die Tür schloß sich hinter ihnen. Das Licht erhellte einen kleinen quadratischen Raum mit Wandschnitzereien, die mit grünem Schleim überzogen waren, so daß sie unmöglich genau zu erkennen waren. Sie standen schweigend da und hörten, wie die Drakonier im Korridor vorbeiliefen.

»Sie müssen den Kampf gehört haben«, flüsterte Sturm. »Es wird nicht lange dauern, bis sie den Aufzug in Bewegung setzen, und dann haben wir die ganze Drakonierstreitmacht auf den Fersen!«

»Ich weiß Weg unten.« Bupu winkte entschuldigend mit einer Hand. »Keine Angst.«

»Wie hast du denn die Tür geöffnet, Kleine?« fragte Raistlin neugierig und kniete sich neben Bupu nieder.

»Magie«, sagte sie schüchtern und streckte die Hand aus. In der schmutzigen Hand der Gossenzwergin lag eine tote Ratte, die spitzen Zähne waren zu einer ewigen Grimasse gefletscht. Raistlin zog die Augenbrauen hoch, als Tolpan seinen Arm berührte. »Es hat mit Magie nichts zu tun, Raistlin«, flüsterte der Kender. »Es ist ein einfaches verborgenes Schloß am Boden. Ich sah es, als sie zur Wand zeigte, und da wollte ich schon was sagen. Sie trat auf dieses Schloß, als sie sich an die Wand stellte und mit dem Ding wedelte.« Der Kender kicherte. »Sie ist vermutlich zufällig darauf getreten und hatte die Ratte gerade bei sich.«

Bupu warf dem Kender einen vernichtenden Blick zu. »Magie! « wiederholte sie und streichelte hebevoll die tote Ratte. Sie steckte sie wieder in den Beutel zurück und sagte: »Komm, du gehst.« Sie führte sie durch zerstörte, schleimverhangene Räume. Schließlich hielt sie in einem Raum an, der mit Gesteinsstaub und Schutt gefüllt war. Ein Teil der Decke war herausgerissen, und auf dem Boden lagen zerbrochene Kacheln herum. Sie plapperte und zeigte auf etwas in der nordöstlichen Ecke des Raumes.

»Geht unten!« sagte sie.

Tanis und Raistlin gingen hinüber. Sie fanden eine etwa drei Meter breite Röhre, ein Ende stak aus dem zerfallenen Boden. Offenbar war die Röhre durch die Decke gefallen und hatte sich hier eingegraben. Raistlin ließ seinen Stab ins Innere gleiten und spähte hinein.

»Komm, du gehst!« sagte Bupu und zog wieder an Raistlins Ärmel. »Herren können nicht folgen.«

»Das ist wohl wahr«, sagte Tanis. »Nicht mit ihren Flügeln.« »Aber es gibt nicht genügend Platz, um ein Schwert zu schwingen«, sagte Sturm stirnrunzelnd. »Mir gefällt das nicht...«

Plötzlich verstummten alle. Sie hörten das Rad quietschen und die Kette rasseln. Die Gefährten sahen sich an.

»Ich zuerst!« grinste Tolpan. Er steckte den Kopf in die Röhre und kroch auf allen vieren hinein.

»Bist du sicher, daß ich da durchkomme?« fragte Caramon, . ängstlich auf die Öffnung starrend.

»Mach dir keine Sorgen«, ertönte Tolpans Stimme. »Der Schleim ist hier so dick, daß du wie ein eingefettetes Schwein durchrutschen wirst.«

Seine fröhliche Erklärung schien Caramon nicht zu beruhigen. Er sah die Röhre weiterhin düster an, während Raistlin, von Bupu geführt, sein Gewand eng um sich wickelte und hineinglitt, sein Stab beleuchtete den Weg. Flint kletterte als nächster. Goldmond folgte, ihr Gesicht verzog sich vor Ekel, als ihre Hände in den dicken grünen Schleim faßten. Flußwind kam hinterher.

»Das ist krankhaft, ich hoffe, das ist dir klar!« murrte Sturm voller Abscheu.

Tanis antwortete nicht. Er klopfte Caramon auf den Rücken. »Du bist dran«, sagte er und lauschte dem Geräusch der Kette, die sich immer schneller bewegte.

Caramon stöhnte auf und kroch auf allen vieren in die Öffnung. Sein Schwertknauf blieb am Rand hängen. Er kam zurück, legte das Schwert noch einmal richtig an und startete einen neuen Versuch. Dieses Mal blieb er mit dem Oberkörper stecken. Tanis schob nach.

»Leg dich flach hin!« befahl der Halb-Elf.

Caramon brach mit einem Stöhnen wie ein nasser Sack zusammen. Er wand sich durch die Röhre, sein Schild vor sich. Sein Brustpanzer schurrte an der Metallröhre mit einem so widerwärtig knirschendem Geräusch, daß Tanis die Zähne zusammenbeißen mußte. Er selbst glitt mit den Füßen voran in die Öffnung und begann durch den fauligen Schleim zu rutschen. Er schaute noch einmal zu Sturm, der als letzter folgte.

»Das Normale hat aufgehört, als wir Tika in die Küche vom Wirtshaus ›Zur letzten Bleibe‹ folgten«, sagte er.

»Das ist nur allzu wahr«, stimmte ihm der Ritter seufzend bei. Tolpan, verzaubert durch die wunderbare neue Erfahrung des Tunnelrutschens, sah plötzlich dunkle Gestalten am anderen Ende. Er suchte nach einem Halt und verhielt.

»Raistlin!« flüsterte der Kender. »Irgend etwas kommt da am anderen Ende der Röhre!«

»Was denn?« begann der Magier zu fragen, aber die faule, feuchte Luft erzeugte einen Hustenanfall. Er schnappte nach Luft und leuchtete mit dem Stab, um etwas erkennen zu können. Bupu sah auf und schnaubte verächtlich. »Gulp-Pulpher!« murrte sie. Sie hob die Hand und rief: »Geht zurück! Geht zurück!« »Wir gehen hoch - Aufzug fahren! Große Herren böse!« gellte einer.

»Wir gehen unten. Sehen Großbulp!« gab Bupu wichtigtuerisch zurück. Daraufhin traten die Gossenzwerge murrend und fluchend zurück.

Aber Raistlin konnte sich einen Moment nicht bewegen. Er griff hustend an seine Brust, der Klang echote beunruhigend in der Stille der engen Röhre. Bupu sah ihn besorgt an, dann schob sie ihre kleine Hand in ihren Beutel, suchte eine Zeitlang und hielt dann einen Gegenstand ans Licht. Sie blinzelte ihn an, seufzte und schüttelte den Kopf. »Das nicht, was ich will!« Tolpan, der den aufblitzenden farbenprächtigen Brillanten erblickte, kroch näher. »Was ist das?« fragte er, obwohl er es bereits wußte. Auch Raistlin starrte mit aufgerissenen, glänzenden Augen auf den Gegenstand. Bupu zuckte die Schultern. »Schöner Stein«, sagte sie uninteressiert und suchte weiter in ihrer Tasche. »Ein Edelstein!« zischte Raistlin.

Bupu strahlte ihn an. »Du magst?« fragte sie Raistlin. »Sehr gern!« Der Magier keuchte.

»Du behalten.« Bupu legte den Juwel in seine Hand. Dann holte sie mit einem triumphierenden Aufschrei hervor, was sie eigentlich gesucht hatte. Tolpan, der noch näher kam, um das neue Wunder zu sehen, zog sich voller Ekel zurück. Es war eine tote – sehr tote – Echse. Um den steifen Hals der Echse war ein abgekautes Lederband geschlungen. Bupu hielt sie Raistlin entgegen.

»Du um Hals«, sagte sie. »Gegen Husten.«

Der Magier, der an weit unangenehmere Dinge gewöhnt war, lächelte Bupu an und bedankte sich, aber lehnte die Kur ab und versicherte ihr, daß sein Husten sich schon sehr gebessert hätte. Sie sah ihn zweifelnd an, aber es schien ihm tatsächlich besser zugehen – der Hustenanfall war vorüber. Nach einem Moment zuckte sie die Achseln und verstaute die Echse wieder im Sack. Raistlin untersuchte fachkundig den Edelstem. Dann blickte er Tolpan kalt an. Der Kender seufzte und setzte seinen Weg durch die Röhre fort. Raistlin ließ den Stein in eine seiner geheimen Taschen gleiten, die in seinem Gewand eingenäht waren.

Als sie auf eine Nebenröhre stießen, sah Tolpan fragend zur Zwergin. Bupu wies zögernd nach Süden, in die neue Röhre. »Es ist stei...«, keuchte er, als er nach unten rutschte. Er versuchte, den Fall zu verlangsamen, aber der Schleim war zu glitschig. Caramons Fluch von hinten ließ den Kender erkennen daß seine Gefährten das gleiche Problem hatten. Plötzlich erblickte Tolpan ein Licht vor sich. Offenbar endete der Tunnel -aber wo? Tolpan hatte die lebhafte Vision, aus einer Höhe von dreihundert Metern ins Nichts hinauszuplatzen. Das Licht wurde heller, und Tolpan schoß mit einem leisen Schrei aus der Röhre.

Raistlin fiel aus der Röhre und fast auf Bupu. Der Magier sah sich um und dachte einen Moment, er wäre in ein Feuer gestolpert. Riesige Schwaden weißer Wolken wirbelten im Raum auf. Raistlin begann zu husten und nach Luft zu schnappen. »Wa...?« Flint kam als nächster und fiel auf Hände und Knie. Er spähte durch die Wolke. »Gift?« Er kroch keuchend zum Magier hinüber. Raistlin schüttelte den Kopf, weil er nicht antworten konnte. Bupu drückte den Magier an sich und zog ihn zur Tür.

Goldmond glitt auf dem Bauch aus der Röhre. Flußwind krümmte sich zusammen, um nicht mit Goldmond zusammenzustoßen. Mit lautem Klirren stieß Caramons Schild aus der Röhre. Caramons Rüstung hatte die Fahrt des Kriegers verlangsamt, so daß er aus der Öffnung kriechen konnte. Aber er war völlig zerschlagen und zerkratzt und über und über mit grünem Schleim bedeckt. Als Tanis kam, würgten alle in der pudrigen Luft.

»Was, im Namen des Abgrundes?« fragte Tanis erstaunt und würgte dann auch, als er den weißen Staub einatmete. »Wir müssen hier raus«, krächzte er. »Wo ist dieser Gossenzwerg?« Bupu erschien in der Türöffnung. Sie hatte Raistlin aus dem Raum geführt und winkte nun den anderen zu. Sie traten dankbar in die frische Luft, ließen sich erschöpft auf den Boden fallen - und sahen sich plötzlich in den Ruinen einer Straße. Tanis hoffte inständig, daß sie nicht auf eine Drakonierarmee stoßen würden. Plötzlich sah er auf. »Wo ist Tolpan?« fragte er beunruhigt und stolperte auf die Füße. »Hier bin ich«, antwortete eine elende Stimme.

Tanis wirbelte herum.

Tolpan— zumindest vermutete Tanis das – stand vor ihm. Der Kender war von Kopf bis Fuß in eine dicke weiße, klebrige Substanz gehüllt. Tanis konnte nur noch seine zwei braunen Augen erkennen, die aus der weißen Maske funkelten.

»Was ist denn geschehen?« fragte der Halb-Elf.

Tolpan antwortete nicht. Er zeigte nur nach hinten.

Tanis, der etwas Furchtbares vermutete, rannte an ihm vorbei und spähte vorsichtig durch den verfallenen Türeingang. Die weiße Wolke hatte sich aufgelöst, so daß er nur etwas im Raum erkennen konnte. In einer Ecke - direkt gegenüber der Röhrenöffnung – standen viele große, zum Bersten volle Säcke. Zwei von ihnen waren aufgeschnitten, und eine weiße Masse hatte sich auf dem Boden ausgebreitet.

Jetzt verstand Tanis. Er legte eine Hand auf sein Gesicht, um sein Lächeln zu verbergen. »Mehl«, murmelte er.

Загрузка...