2 Zwischen Herr und Drache. Unheilvolle Reise

Der Drache seufzte, breitete seine riesigen Flügel aus und hob seinen mächtigen Körper aus dem warmen, wohltuenden Wasser der heißen Quellen. Die eisige Luft ließ ihn fast erstarren, brannte in seinen grazilen Nüstern und biß in seinen Hals. Er schluckte schmerzhaft, widerstand jedoch der Versuchung, in das warme Wasser zurückzukehren, und kletterte am hohen Felsgesims empor.

Wütend stampfte der Drache gegen den Felsen, der vom vereisten Dampf der heißen Quellen sehr glatt war. Steine zerbrachen unter seinen Klauenfüßen und purzelten ins Tal hinunter.

Einmal rutschte er aus und verlor für einen Moment das Gleichgewicht. Er breitete seine Flügel aus und fing sich schnell wieder, aber der Vorfall machte ihn nur noch wütender.

Die Morgensonne schien auf die Berggipfel, erfaßte auch den Drachen, dessen blaue Schuppen golden schimmerten, wärmte ihn aber kaum. Der Drache zitterte und trampelte von neuem gegen den harschen Felsboden. Weder der Winter noch die Reise in dieses elende Land waren etwas für die blauen Drachen. Mit diesem Gedanken, den er schon die ganze lange, bitterkalte Nacht gehegt hatte, sah sich Skie nach seinem Herrn um.

Er fand den Drachenfürst auf einem Felsvorsprung stehen, eine imposante Gestalt mit gehörntem Drachenhelm und blauer Drachenschuppenrüstung. Der Fürst, dessen Umhang im eisigen Wind flatterte, starrte aufmerksam über die große flache Ebene.

»Kommt, Herr, laßt uns zu eurem Zelt zurückkehren.« Und mich zu den heißen Quellen, fügte Skie stumm hinzu. »Dieser eisige Wind zerschneidet einem die Knochen. Warum bist du überhaupt hier draußen?«

Skie hatte vermutet, daß der Fürst das Gelände erkundet, die Truppenaufstellung und die Drachenangriffe geplant hätte. Aber das war nicht der Fall. Die Besetzung von Tarsis war seit langer Zeit geplant gewesen – von einem anderen Drachenfürsten, denn dieses Land stand unter dem Kommando der roten Drachen.

Die blauen Drachen und ihre Drachenfürsten kontrollierten den Norden. Und trotzdem bin ich hier in diesem eiskalten Süden, dachte Skie wütend. Und hinter mir steht eine ganze Schar blauer Drachen. Er wandte leicht seinen Kopf und sah hinunter auf seine Kameraden, die in der Morgenkälte mit ihren Flügeln schlugen, dankbar für die Wärme der heißen Quellen, die den Frost aus ihren Sehnen nahm.

Narren, dachte Skie verächtlich. Sie warten nur auf ein Signal des Fürsten zum Angriff. Den Himmel anzuzünden und die Städte mit ihren tödlichen Blitzen zu verbrennen – das war das einzige, was sie interessierte. Ihr Glaube in den Drachenfürsten war blind und bedingungslos. Aber Skie mußte sich eingestehen, daß sein Herr die Drachenschar im Norden von Sieg zu Sieg geführt hatte, ohne einen einzigen Drachen zu verlieren.

Sie überlassen es mir, die Fragen zu stellen – weil ich das Reittier des Fürsten bin, weil ich ihm am nächsten stehe. Nun, soll es so sein. Wir verstehen uns, der Fürst und ich.

»Wir haben keinen Grund, in Tarsis zu sein.« Skie redete offen über seine Gefühle. Er fürchtete den Fürsten nicht. Anders als viele Drachen auf Krynn, die ihren Herren nur widerwillig dienten, da sie sich selbst als die wahren Herrscher empfanden, diente Skie seinem Herrn aus Respekt – und aus Liebe. »Die roten Drachen wollen uns hier nicht haben, das steht fest. Und wir werden nicht gebraucht. Diese schwache Stadt, die dich so seltsam anzieht, wird ohne Probleme fallen. Es gibt keine Armee. Sie haben sich ködern lassen und die Grenze freigegeben.«

»Wir sind hier, weil meine Spione mir sagen, daß sie hier sind – oder bald eintreffen werden«, war die Antwort des Fürsten.

»Sie... sie...«, murrte der Drache zitternd und bewegte sich unruhig auf dem Felsvorsprung. »Wir haben den Krieg im Norden sein lassen, wertvolle Zeit verschwendet, ein Vermögen an Eisen verloren. Und wofür – für eine Handvoll vagabundierender Abenteurer.«

»Du weißt, daß mir Reichtum nichts bedeutet. Ich könnte Tarsis kaufen, wenn ich wollte.« Der Drachenfürst streichelte den Hals des Drachen mit einem vereisten Lederhandschuh, der bei den Bewegungen knirschte.

»Der Krieg im Norden geht gut voran. Lord Ariakus hat mir meine Abreise nicht übelgenommen. Bakaris kennt meine Soldaten fast genausogut wie ich. Und vergiß nicht, Skie, es sind mehr als Vagabunden. Diese ›vagabundierenden Abenteurer‹ haben Verminaard getötet.«

»Pah! Dieser Mann hatte bereits sein eigenes Grab geschaufelt. Er war besessen, hatte den Blick für das wahre Ziel verloren.« Der Drache warf seinem Herrn einen schnellen Blick zu.

»Dasselbe könnte man auch von anderen sagen...«

»Besessen? Ja, Verminaard war besessen, und es gibt einige, die diese Besessenheit ernster nehmen sollten. Er war ein Kleriker, er hatte erkannt, welchen Schaden das Wissen der wahren Götter, wenn es einmal unter den Leuten verbreitet wird, uns bringen kann«, antwortete der Fürst. »Nach unseren Berichten hat das Volk jetzt einen Anführer, Elistan, der ein Kleriker von Paladin geworden ist. Anhänger von Mishakal bringen das wahre Heilen wieder zurück. Nein, Verminaard war weitsichtig. Es besteht große Gefahr. Wir sollten sie erkennen und ihr ein Ende bereiten – und nicht darüber spotten.«

Der Drache schnaufte verächtlich. »Dieser Priester – Elistan führt nicht das Volk. Er führt achthundert erbärmliche Menschen, frühere Sklaven von Verminaard in Pax Tharkas. Jetzt haben sie sich in Südtor bei den Bergzwergen eingenistet.« Der Drache ließ sich auf dem Fels nieder und spürte, wie die Wärme der Morgensonne allmählich seine Schuppenhaut auftaute.

»Nebenbei bemerkt, unsere Spione berichten, daß sie gerade auf dem Weg nach Tarsis sind. Spätestens morgen abend wird dieser Elistan uns gehören. Soviel zum Diener von Paladin!«

»Elistan interessiert mich nicht.« Der Drachenfürst zuckte gleichgültig die Schultern. »Er ist es nicht, den ich will.«

»Nein?« Skie hob erstaunt seinen Kopf. »Wer dann?«

»Es sind drei, für die ich ein bestimmtes Interesse hege. Aber ich werde dir von allen Beschreibungen geben...« Der Drachenfürst rückte näher zu Skie. »... darum nehmen wir morgen an der Zerstörung von Tarsis teil, um sie festzunehmen. Wir suchen folgende...«


Tanis stapfte über die gefrorene Ebene, seine Stiefel bohrten sich geräuschvoll in die Schneekruste. Hinter ihm ging die Sonne auf, die zwar viel Licht, aber wenig Wärme gab. Er zog seinen Umhang fester zusammen und blickte sich um, sich vergewissernd, daß niemand zurückblieb. Die Gefährten marschierten hintereinander. Sie traten jeweils in die Spuren des Vordermannes; die Kräftigeren gingen voraus und bahnten den Weg für die Schwächeren.

Tanis führte. Sturm ging neben ihm, unerschütterlich und treu wie immer, obwohl er immer noch erzürnt war, den Streitkolben von Kharas zurückgelassen zu haben, der für den Ritter eine fast mystische Qualität erhalten hatte. Er wirkte noch vergrämter und erschöpfter als sonst, hielt aber trotzdem immer Schritt mit Tanis. Und das war nicht einfach, da der Ritter in seiner vollen Kampfrüstung marschierte, deren Gewicht Sturms Füße tief in den verkrusteten Schnee zwang.

Hinter Sturm und Tanis stampfte Caramon wie ein großer Bär durch den Schnee, sein Waffenarsenal klirrte an seinen Seiten.

Auf dem Rücken trug er seine Rüstung und seine Verpflegung und die seines Zwillingsbruders Raistlin. Schon Caramon zu beobachten machte Tanis müde, denn der Krieger ging nicht nur mit Leichtigkeit durch den tiefen Schnee, sondern schaffte es auch noch, den Weg für die anderen ausreichend zu spüren.

Hinter Caramon ging Gilthanas, dem sich Tanis von allen Gefährten vielleicht am engsten verbunden fühlte, da sie wie Brüder zusammen aufgewachsen waren. Aber Gilthanas war ein Elfenlord, jüngster Sohn der Stimme der Sonnen, des Herrschers der Qualinesti-Elfen, während Tanis ein Mischling war, Frucht einer brutalen Vergewaltigung seiner Elfen-Mutter durch einen menschlichen Krieger. Noch schlimmer war, daß Tanis sich zu Gilthanas' Schwester Laurana hingezogen gefühlt hatte – obwohl auf eine kindliche, unreife Weise. Und deswegen waren sie bei weitem keine Freunde, und Tanis hatte immer das unbehagliche Gefühl, daß Gilthanas sich über seinen Tod freuen würde.

Flußwind und Goldmond gingen zusammen hinter dem Elfenlord. In ihre Fellmänteln gekleidet, machte den Barbaren die Kälte nichts aus. Und was war die Kälte angesichts der Flamme in ihren Herzen... Sie hatten erst einen Monat zuvor geheiratet, und die tiefe Liebe zwischen beiden, eine selbstlose Liebe, die die Welt zu der Entdeckung der alten Götter geführt hatte, erreichte nun größere Tiefen, da sie neue Ausdrucksmöglichkeiten entdeckten.

Hinter ihnen gingen Elistan und Laurana. Elistan und Laurana. Tanis fand es merkwürdig, daß er Flußwind und Goldmond um ihr Glück beneidete, während seine Augen die beiden trafen. Elistan und Laurana. Immer zusammen. Immer in ernste Unterhaltungen vertieft. Elistan, Kleriker von Paladin, prächtig in seiner weißen Robe, die selbst den Schnee überstrahlte. Er war immer noch eine eindrucksvolle Erscheinung trotz seines weißen Bartes und seiner schütteren Haare. Ein Mann, der ein junges Mädchen anziehen konnte. Nur wenige Männer und Frauen konnten in Elistans eisblaue Augen sehen, ohne sich aufgewühlt zu fühlen, von Ehrfurcht ergriffen in der Gegenwart eines Mannes, der in das Totenreich gewandert war und zu einem neuen, starken Glauben gefunden hatte.

Neben ihm ging seine treue »Helferin« Laurana. Das junge Elfenmädchen war aus ihrem Zuhause in Qualinesti weggelaufen, um Tanis in jugendlicher Verliebtheit zu folgen. In kurzer Zeit war sie gezwungenermaßen erwachsen geworden, ihre Augen hatten den Schmerz und das Leid der Welt gesehen. Da viele der Gefährten – einschließlich Tanis – ihre Anwesenheit als Störung empfanden, hatte Laurana sich gemüht, ihren Wert zu beweisen. Bei Elistan fand sie ihre Chance. Als Tochter der Stimme der Sonnen von Qualinesti war sie seit frühester Kindheit mit der Politik vertraut. Als Elistan in den Bergen zusammenbrach bei dem Versuch, achthundert Männer, Frauen und Kinder zu ernähren, zu kleiden und zu leiten, war es Laurana gewesen, die seine Last erleichtert hatte. Sie war für ihn unentbehrlich geworden, eine Tatsache, mit der Tanis schlecht umgehen konnte. Der Halb-Elf biß die Zähne zusammen und ließ seinen Blick von Laurana auf Tika gleiten.

Die frühere Bedienerin und jetzige Abenteurerin schritt neben Raistlin durch den Schnee. Caramon hatte sie gebeten, in der Nähe des zerbrechlichen Magiers zu bleiben, da er vorn gebraucht wurde. Weder Tika noch Raistlin schienen über diese Regelung glücklich zu sein. Der rotgekleidete Magier schritt mürrisch voran, seinen Kopf gegen den Wind gebeugt. Häufig mußte er anhalten und hustete dann, bis er fast umfiel. Dann legte Tika zögernd ihren Arm um ihn und tauschte besorgte Blickte mit Caramon. Aber Raistlin entzog sich ihr immer mit einem Knurren.

Der uralte Zwerg kam als nächster. Er schob sich durch den Schnee; nur seine Helmspitze und die Quaste »von der Mähne eines Greifs« waren über dem Schnee sichtbar. Tanis hatte versucht, ihm klarzumachen, daß Greife keine Mähnen hätten und daß die Quaste aus Pferdehaar sei. Aber Flint glaubte ihm nicht, denn er haßte Pferde und war felsenfest davon überzeugt, daß sie es waren, die ihn heftigst zum Niesen brachten. Tanis lächelte und schüttelte den Kopf. Flint hatte darauf bestanden, vorn zu marschieren. Erst als Caramon ihn dreimal aus Schneewehen herausziehen mußte, war Flint murrend einverstanden, das »Rücklicht« zu bilden.

Neben Flint hüpfte Tolpan Barfuß, dessen schrille, piepsende Stimme Tanis vorn hören konnte. Der Kender erfreute den Zwerg mit einer wundersamen Geschichte über ein wollenes Mammut – was auch immer das sein sollte -, das von zwei geistesgestörten Magiern gefangengehalten wurde. Tanis seufzte.

Tolpan ging ihm auf die Nerven. Er hatte dem Kender bereits eine strenge Rüge erteilt, da er einen Schneeball auf Sturm geworfen hatte. Aber er wußte, daß es sinnlos war. Kender lebten für Abenteuer und neue Erlebnisse. Tolpan genoß jede Minute dieser verhängnisvollen Reise.

Ja, alle waren da. Immer noch folgten sie ihm.

Tanis drehte sich abrupt um. Warum folgen sie mir? fragte er sich grollend. Ich weiß kaum, wohin mein Leben führt, und soll andere führen. Ich habe nicht Sturms antreibendes Streben, das Land von den Drachen zu befreien, so wie sein Held Huma es getan hatte. Ich habe nicht Elistans heiliges Streben, dem Volk das Wissen der wahren Götter zu bringen. Ich habe nicht einmal Raistlins verzehrendes Streben nach Macht.

Sturm stieß ihn an und zeigte nach vorn. Am Horizont erschien eine Linie mit kleinen Hügeln. Falls die Karte des Kenders stimmte, lag die Stadt Tarsis direkt dahinter. Tarsis – weiß-geflügelte Boote und weißglänzende Türme. Tarsis, die Schöne.

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