Der alte Zwerg war todkrank.
Seine Glieder versagten ihm ihren Dienst. Seine Eingeweide und sein Magen waren wie Schlangen ineinander verknäult.
Wellen der Übelkeit brachen sich in ihm. Nicht einmal seinen Kopf konnte er von seinem Lager heben. Er starrte nach oben zur Öllampe, die sich über seinem Kopf langsam hin- und herbewegte. Das Licht der Lampe schien dunkler zu werden. Das ist es, dachte der Zwerg. Das Ende. Die Dunkelheit kriecht über meine Augen...
Er hörte neben sich ein Geräusch, ein Quietschen von Holzplanken, als ob sich jemand sehr leise zu ihm stehlen wollte.
Trotz seiner Schwäche schaffte es Flint, seinen Kopf zu wenden.
»Wer ist da?« krächzte er.
»Tolpan«, wisperte eine besorgte Stimme. Flint seufzte und streckte seine knorrige Hand aus. Tolpans Hand näherte sich seiner.
»Ah, Bursche. Ich bin froh, daß du rechtzeitig kommst, um mir Lebewohl zu sagen«, sagte der Zwerg geschwächt. »Ich liege im Sterben, Bursche. Ich gehe zu Reorx...«
»Was?« fragte Tolpan und kam näher.
»Reorx«, wiederholte der Zwerg gereizt. »Ich gehe in die Arme von Reorx.«
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Tolpan. »Wir gehen nach Sankrist. Sofern du nicht ein Wirtshaus meinst. Ich werde Sturm fragen. Die Arme des Reorx. Hmmmm...«
»Reorx, der Gott der Zwerge, du Tölpel!« fluchte Flint.
»Oh«, sagte Tolpan nach einem Moment. »Der Reorx.«
»Hör mir zu, Bursche«, sagte Flint ruhiger, entschlossen, keine schlechten Gefühle zu hinterlassen. »Ich will, daß du meinen Helm bekommst. Den Helm, den du mir in Xak Tsaroth gegeben hast, mit der Greifmähne.«
»Wirklich?« fragte Tolpan beeindruckt. »Das ist schrecklich nett von dir, Flint, aber wie willst du an einen anderen Helm kommen?«
»Ach, Bursche, ich werde keinen Helm brauchen, da wo ich hingehe.«
»In Sankrist wirst du einen brauchen«, antwortete Tolpan zweifelnd. »Derek glaubt, daß die Drachenfürsten einen Großangriff vorbereiten, und ich glaube, ein Helm käme da sehr gelegen...«
»Ich meine nicht Sankrist!« knurrte Flint und versuchte sich aufzusetzen. »Ich brauche keinen Helm, weil ich im Sterben liege!«
»Ich wäre einmal beinahe gestorben«, sagte Tolpan feierlich.
Er stellte eine dampfende Schüssel auf den Tisch und machte es sich in einem Stuhl bequem, um seine Geschichte zu erzählen: »Es war damals in Tarsis, als der Drache ein Gebäude auf mich stürzen ließ. Elistan sagte, daß ich ein Todeskandidat gewesen bin. In der Tat waren das nicht seine genauen Worte, aber er sagte, es wäre nur durch die inter..., inter..., na ja, interirgend etwas der Götter, daß ich noch lebe.«
Flint stöhnte laut auf und fiel auf sein Lager zurück. »Ist es zuviel verlangt«, sagte er zu der Lampe, die über seinem Kopf baumelte, »wenn ich gern in Frieden sterben möchte? Nicht umzingelt von Kendern!« Sein letzter Satz war praktisch ein Kreischen.
»Ah, komm. Du stirbst nicht, weißt du«, sagte Tolpan. »Du bist nur seekrank.«
»Ich sterbe«, sagte der Zwerg halsstarrig. »Ich bin mit einer gefährlichen Krankheit infiziert und liege jetzt im Sterben. Und es ist eure Schuld. Ihr habt mich in dieses verdammte Boot gezerrt...«
»Schiff«, unterbrach ihn Tolpan.
»Boot!« wiederholte Flint zornig. »Ihr habt mich in dieses verdammte Boot gezerrt und mich dann an einer schrecklichen Krankheit in einer von Ratten befallenen Schlafkammer verrecken lassen...«
»Wir hätten dich auch in Eismauer zurücklassen können, weißt du, bei den Walroß-Menschen und...«, Tolpan hielt inne.
Flint versuchte wieder, sich aufzurichten, aber dieses Mal lag in seinen Augen ein wilder Blick. Der Kender erhob sich und bewegte sich langsam zur Tür. »Oh, ich glaube, ich gehe jetzt lieber. Ich bin nur gekommen, um – uh – zu sehen, ob du etwas zu essen möchtest. Der Schiffskoch hat etwas zubereitet, er bezeichnete es als grüne Erbsensuppe...«
Laurana, die in einer windgeschützten Ecke auf dem Vorderdeck kauerte, zuckte zusammen, als sie ein gräßliches Brüllen von den unteren Decks hörte, gefolgt von dem splitternden Porzellan. Sie blickte Sturm an, der neben ihr stand. Der Ritter lächelte.
»Flint«, sagte er.
»Ja«, sagte Laurana besorgt. »Vielleicht sollte ich...«
Sie wurde von Tolpan unterbrochen, der, mit Erbsensuppe Übergossen, erschien.
»Ich glaube, Flint geht es besser«, erklärte Tolpan feierlich.
»Aber er ist noch nicht in der Lage, etwas zu essen.«
Die Reise von Eismauer verlief schnell. Ihr kleines Schiff flog fast durch das Gewässer, wurde von der Strömung und dem starken kalten Wind in den Norden getragen.
Die Gefährten waren nach Eismauer gereist, wo laut Tolpan eine Kugel der Drachen im Schloß von Eismauer aufbewahrt wurde. Sie fanden die Kugel und besiegten seinen bösartigen Wächter – Feal-Tas, einen mächtigen Drachenfürsten. Sie entkamen der Zerstörung des Schlosses mit Hilfe der Eisbarbaren und waren nun auf einem Schiff unterwegs nach Sankrist. Obwohl die kostbare Kugel der Drachen nun sicher in einer Truhe unter Deck verstaut war, wurden sie immer noch in ihren Träumen von der entsetzlichen Reise nach Eismauer gequält.
Aber die Alpträume über Eismauer waren nichts im Vergleich zu dem seltsamen und lebhaften Traum, den sie vor gut über einem Monat erlebt hatten. Keiner von ihnen sprach wieder davon, aber Laurana sah gelegentlich einen Blick der Furcht und der Einsamkeit bei Sturm, der sie denken ließ, daß auch er sich an den Traum erinnerte.
Abgesehen davon waren sie in guter Stimmung – ausgenommen der Zwerg, der auf das Schiff gezogen werden mußte und prompt seekrank geworden war. Die Reise nach Eismauer war ein voller Erfolg gewesen. Außer der Kugel der Drachen hatten sie den zerbrochenen Schaft einer uralten Waffe, angeblich einer Drachenlanze, mitgenommen. Und sie führten noch etwas Wichtiges mit sich, obwohl ihnen das zu jener Zeit, als sie es fanden, nicht klar war...
Die Gefährten, begleitet von Derek Kronenhüter und den beiden anderen jungen Rittern, die sie in Tarsis kennengelernt hatten, hatten das Schloß von Eismauer nach der Kugel der Drachen durchsucht. Die Suche war nicht gut verlaufen. Immer wieder mußten sie gegen bösartige Walroß-Menschen, Winterwölfe und Bären kämpfen. Die Gefährten begannen zu denken, daß sie umsonst gekommen waren, aber Tolpan schwor, daß in dem Buch in Tarsis gestanden hätte, daß sich hier eine Kugel befände. Und so hatten sie ihre Suche fortgesetzt.
Es geschah während ihrer Suche, daß sich ihnen einmal ein verblüffender Anblick bot – ein riesiger Drache, dessen Haut silbrig schimmerte, und der in einer Eiswand völlig eingeschlossen war. Die Flügel des Drachen waren ausgebreitet, zum Flug bereit. Die Miene des Drachen war wild, aber sein Kopf war nobel, und er vermittelte ihnen nicht das Gefühl von Furcht und Abscheu, wie sie es bei den roten Drachen erlebt hatten.
Statt dessen empfanden sie eine starke überwältigende Trauer um diese edle Kreatur.
Aber am seltsamsten war für sie, daß dieser Drachen einen Reiter trug! Sie hatten die Drachenfürsten auf ihren Drachen reiten sehen, aber dieser Mann schien, nach seiner uralten Rüstung zu urteilen, ein Ritter von Solamnia zu sein! In seiner behandschuhten Faust hielt er den zerbrochenen Schaft einer Waffe, möglicherweise einer riesigen Lanze.
»Warum würde ein Ritter von Solamnia einen Drachen reiten?« fragte Laurana und dachte an die Drachenfürsten.
»Es gab Ritter, die sich dem Bösen zugewendet hatten«, sagte Lord Derek Kronenhüter barsch. »Obwohl es mich beschämt, es zugeben zu müssen.«
»Ich spüre hier nichts Bösartiges«, sagte Elistan. »Nur große Trauer. Ich frage mich, wie sie gestorben sind. Ich sehe keine Verletzungen...«
»Es kommt mir bekannt vor«, unterbrach Tolpan und runzelte die Stirn. »Wie ein Bild. Ein Ritter auf einem silbernen Drachen. Ich habe...«
»Pah!« schnaufte Flint. »Du hast Elefanten in Pelzen gesehen...«
»Ich meine es ernst«, protestierte Tolpan.
»Wo war das, Tolpan?« fragte Laurana sanft, den verletzten Gesichtsausdruck des Kenders bemerkend. »Kannst du dich erinnern?«
»Ich glaube...«, Tolpans Augen verloren sich in der Ferne.
»Ich verbinde es mit Pax Tharkas und Fizban...«
»Fizban!« explodierte Flint. »Dieser alte Magier war noch verrückter als Raistlin, falls das überhaupt möglich ist.«
»Ich weiß nicht, worüber Tolpan redet«, sagte Sturm und sah nachdenklich zu dem Drachen und seinem Reiter hoch. »Aber ich erinnere mich an meine Mutter, die mir erzählt hat, daß Huma auf einem Silberdrachen ritt und in seiner letzten Schlacht die Drachenlanze trug.«
»Und ich erinnere mich, wie meine Mutter mich anwies, den Kuchen für den weißgekleideten Alten aufzubewahren, der zur Weihnachtszeit auf unser Schloß kam«, spottete Derek. »Nein, das ist zweifellos ein abtrünniger Ritter, vom Bösen versklavt.«
Derek und die beiden jungen Ritter wandten sich zum Gehen, aber die anderen blieben stehen und starrten weiter die Gestalt auf dem Drachen an.
»Du hast recht, Sturm. Das ist eine Drachenlanze«, sagte Tolpan versonnen. »Ich weiß nicht, warum, aber ich bin mir dessen ganz sicher.«
»Hast du eine in dem Buch in Tarsis gesehen?« fragte Sturm, während er mit Laurana Blicke tauschte. Beide fanden die Ernsthaftigkeit des Kenders ungewöhnlich, fast beängstigend.
Tolpan zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht«, sagte er mit seiner hohen Stimme. »Es tut mir leid.«
»Vielleicht sollten wir sie mitnehmen«, schlug Laurana unruhig vor. »Es könnte nicht schaden.«
»Komm schon, Feuerklinge!« drang Dereks Stimme zu ihnen herüber. »Die Thanoi haben uns vielleicht im Augenblick verloren, aber sie werden nicht lange brauchen, um unsere Spuren zu entdecken.«
»Wie kommen wir da ran?« fragte Sturm, Dereks Befehl ignorierend. »Sie ist völlig im Eis eingeschlossen.«
»Ich kann es«, sagte Gilthanas.
Er sprang auf einen riesigen Eisvorsprung, der sich um den Drachen und seinen Reiter gebildet hatte, fand festen Halt und begann, sich Stück für Stück weiterzubewegen. Vom gefrorenen Flügel des Drachens aus konnte er auf Händen und Knien weiterkriechen, bis er die Lanze erreichte, die in der Hand des Reiters ruhte. Gilthanas drückte seine Hand gegen die Eiswand, die die Lanze bedeckte, und sprach in der eigentümlichen Sprache der Magie.
Ein rotes Glühen verbreitete sich von seiner Hand auf das Eis und schmolz es. Innerhalb von Sekunden konnte er mit seiner Hand durch das Loch die Lanze erreichen. Aber sie steckte fest in der Hand des toten Ritters.
Gilthanas zog und zerrte und versuchte sogar, die gefrorenen Finger der Hand zu spreizen. Schließlich hielt er die Kälte nicht mehr aus und ließ sich zitternd auf den Boden fallen. »Es gibt keine Möglichkeit«, sagte er. »Er hält sie fest umklammert.«
»Brech doch seine Finger...«, schlug Tolpan hilfsbereit vor.
Sturm brachte den Kender mit einem wütenden Blick zum Schweigen. »Ich will nicht, daß dieser Körper entweiht wird«, schnappte er. »Vielleicht können wir die Lanze aus seiner Hand schieben. Ich werde es versuchen...«
»Es hat keinen Sinn«, sagte Gilthanas zu seiner Schwester, als beide Sturm beim Hochklettern beobachteten. »Es ist, als ob die Lanze ein Teil seiner Hand geworden ist. Ich...« Der Elf stockte.
Als Sturm seine Hand durch das Loch im Eis schob und die Lanze ergriff, schien sich die gefrorene Gestalt des Ritters plötzlich ein wenig zu bewegen. Seine steifgefrorene Hand lokkerte ihren Griff an der zerstörten Lanze. Sturm stürzte beinahe vor Erstaunen runter, ließ die Waffe eilig los und wich zurück auf den eisigen Flügel des Drachen.
»Er gibt sie dir«, schrie Laurana. »Geh nach vorn, Sturm! Nimm sie! Siehst du es nicht – er gibt sie einem anderen Ritter.«
»Der ich nicht bin«, sagte Sturm bitter. »Aber vielleicht ist das ein Zeichen, vielleicht ist es böse...« Zögernd glitt er zum Loch zurück und griff noch einmal nach der Lanze. Die steife Hand des toten Ritters lockerte wieder ihren Griff. Sturm nahm die zerbrochene Waffe entgegen und löste sie sorgfältig aus dem Eis. Dann sprang er auf den Boden und starrte den uralten Schaft an.
»Das war wundervoll!« sagte Tolpan ehrfürchtig. »Flint, hast du gesehen, wie der Leichnam lebendig wurde?«
»Nein!« schnappte der Zwerg. »Und du auch nicht. Laßt uns hier verschwinden«, fügte er bebend hinzu.
Dann erschien Derek. »Ich habe dir einen Befehl erteilt, Sturm Feuerklinge! Warum die Verzögerung?« Dereks Gesicht verdunkelte sich vor Wut, als er die Lanze sah.
»Ich bat ihn, sie mir zu holen«, sagte Laurana, ihre Stimme war so kalt wie die Eiswand hinter ihr. Sie nahm die Lanze und begann sie schnell in einen Fellumhang aus ihrem Gepäck einzuwickeln.
Derek musterte sie einen Moment lang wütend, dann verbeugte er sich steif und drehte sich auf dem Absatz um.
»Tote Ritter, lebende Ritter, ich weiß nicht, was schlimmer ist«, murrte Flint, packte Tolpan und zog ihn hinter Derek her.
»Was ist, wenn diese Waffe dem Bösen geweiht ist?« fragte Sturm Laurana leise, als sie durch die Eiskorridore des Schlosses wanderten.
Laurana warf einen letzten Blick auf den Ritter und den Drachen. Die kalte blasse Sonne des Südlandes ging gerade unter; ihr Licht warf wässrige Schatten auf die Leichname und verlieh ihnen ein düsteres Aussehen. Während sie schaute, glaubte sie zu erkennen, wie der Körper leblos in sich zusammensackte.
»Glaubst du an die Geschichte von Huma?« fragte Laurana leise.
»Ich weiß nicht, was ich überhaupt noch glauben soll«, sagte Sturm. Bitterkeit verhärtete sein Gesicht. »Früher war für mich alles schwarz und weiß, alles war klar herausgeschnitten und eindeutig geformt. Ich glaubte an die Geschichte von Huma. Meine Mutter lehrte mich, sie als Wahrheit zu sehen. Dann reiste ich nach Solamnia.« Er stockte, als ob er nicht gern weitererzählen wollte. Schließlich, als er Lauranas interessiertes und mitfühlendes Gesicht sah, schluckte er und fuhr fort. »Ich habe das noch nie jemandem erzählt, nicht einmal Tanis. Als ich in meine Heimat zurückkehrte, fand ich, daß die Ritterschaft nicht jene ehrenwerten, sich aufopfernden Männer waren, wie meine Mutter sie mir beschrieben hatte. Es wurde politisch intrigiert. Die besten Männer waren wie Derek, ehrenhaft, aber streng und unbeugsam, mit wenig Sinn für jene, die sie als unter ihnen stehend betrachteten. Die schlimmsten...«, er schüttelte den Kopf. »Als ich von Huma sprach, lachten sie. Ein Wanderritter, so nannten sie ihn. Nach ihrer Darstellung war er aus der Ritterschaft wegen Mißachtung der Gesetze verbannt worden. Huma streife im Land umher, sagten sie, mache sich bei den Bauern beliebt, die dann Legenden um ihn schufen.«
»Aber hat er denn wirklich existiert?« fragte Laurana, traurig über das Leid in Sturms Gesicht.
»O ja, ohne Zweifel. Die Aufzeichnungen, die die Umwälzung überstanden haben, führen seinen Namen bei den niedrigen Ritterorden. Aber die Geschichten vom Silberdrachen, von der Letzten Schlacht, selbst von der Drachenlanze – glaubt niemand mehr. Wie Derek sagt, es gibt keinen Beweis. Das Grabmal von Huma war nach der Legende ein gewaltiges Gebilde – eines der Weltwunder. Aber du wirst niemanden finden, der es jemals gesehen hätte. Alles, was wir haben, sind Kindergeschichten, würde Raistlin sagen.« Sturm bedeckte seine Augen mit einer Hand und seufzte tief.
»Weißt du«, sagte er leise, »ich habe nie daran gedacht, es auszusprechen, aber ich vermisse Raistlin. Ich vermisse sie alle. Ich fühle mich, als ob ein Teil von mir abgeschnitten wurde, und das gleiche Gefühl hatte ich in Solamnia. Darum bin ich zurückgekommen, anstatt zu warten und die Prüfungen für meine Ritterwürde zu Ende abzulegen. Diese Leute – meine Freunde – haben mehr getan, um das Böse in dieser Welt zu bekämpfen, als alle Ritter zusammen. Selbst Raistlin, auf eine Weise, die ich nicht verstehen kann. Er könnte uns sagen, was das alles zu bedeuten hat.« Er deutete mit seinen Daumen auf den im Eis gefangenen Ritter. »Zumindest würde er daran glauben. Wenn er nur hier wäre. Wenn Tanis hier wäre...«
Sturm konnte nicht weitersprechen.
»Ja«, sagte Laurana ruhig. »Wenn Tanis hier wäre...« Er erinnerte sich an ihren eigenen Kummer, der soviel größer als sein eigener war, und legte seinen Arm um Laurana und hielt sie an sich gedrückt. Die beiden standen einen Moment so da, beide getröstet durch die Gegenwart des anderen. Dann ertönte Dereks scharfe Stimme hinter ihnen, der sie für ihr Zurückbleiben rügte.
Und jetzt lag die zerbrochene Lanze, eingewickelt in Lauranas Fellumhang, mit der Kugel der Drachen und mit Drachentöter, Tanis' Schwert, das Laurana und Sturm aus Tarsis mitgenommen hatten, in einer Kiste. Daneben lagen die Leichname der beiden jungen Ritter, die ihr Leben bei der Verteidigung der Gruppe gelassen hatten und zur Beerdigung in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten.
Der starke Südwind, der ungestüm und kalt von den Gletschern blies, trieb das Schiff über das Sirrion-Meer. Der Kapitän hatte ihnen mitgeteilt, daß sie Sankrist in zwei Tagen erreichen könnten, wenn der Wind weiterhin so bleiben würde.
»Dort liegt das südliche Ergod«, zeigte der Kapitän Elistan.
»Wir erreichen gleich das südliche Ende. Heute abend wirst du die Kristin-Insel sehen. Und dann, bei gutem Wind, werden wir Sankrist erreichen. Seltsame Sache im südlichen Ergod«, fügte der Kapitän hinzu und warf Laurana einen Blick zu. »Man sagt, es sei von Elfen übervölkert, aber ich war noch nicht dort, um mich davon zu überzeugen.«
»Elfen?« fragte Laurana interessiert und stellte sich zum Kapitän.
»Aus ihrer Heimat geflohen, hörte ich«, fuhr der Kapitän fort. »Vertrieben von den Drachenarmeen.«
»Vielleicht unser Volk!« sagte Laurana und klammerte sich an Gilthanas, der neben ihr stand. Sie blickte aufmerksam über den Schiffsbug, als ob sie das Land auftauchen lassen könnte.
»Wahrscheinlicher die Silvanesti«, antwortete Gilthanas.
»Ich glaube sogar, Lady Alhana hat etwas über Ergod erwähnt. Erinnerst du dich, Sturm?«
»Nein«, antwortete der Ritter kurz angebunden. Er drehte sich um und ging nach Backbord, lehnte sich gegen die Reling und starrte auf das rosafarbene Wasser. Laurana sah, wie er etwas aus seinem Gürtel zog und es zärtlich zwischen seine Finger gleiten ließ. Ein Strahl blitzte auf, wie gefangene Sonnenstrahlen, dann ließ er es in seinen Gürtel zurückgleiten. Sein Kopf senkte sich. Laurana wollte gerade zu ihm gehen, als sie plötzlich innehielt, weil sie eine Bewegung wahrnahm.
»Was ist das für eine seltsame Wolke dort drüben im Süden?«
Der Kapitän drehte sich unverzüglich um, zog sein Fernglas aus seiner Felljacke und setzte es an. »Schick einen Mann nach oben«, befahl er seinem ersten Schiffsoffizier.
Innerhalb von Sekunden kletterte ein Matrose das Takelwerk hoch. Mit einem Arm hielt er sich in schwindelerregender Höhe am Mast fest und spähte mit dem Fernglas in den Süden.
»Kannst du was erkennen?« rief der Kapitän.
»Nein, Käpt'n«, bellte der Mann. »Wenn es eine Wolke sein sollte, dann habe ich so etwas noch nie gesehen.«
»Ich werde nachschauen«, bot sich Tolpan freiwillig an. Der Kender begann wie der Matrose geschickt an den Seilen hochzuklettern. Er erreichte den Mast, hielt sich neben dem Matrosen am Takelwerk fest und starrte in den Süden.
Es war sicherlich eine Wolke. Aber sie war riesig und weiß und schien über dem Wasser zu schweben. Aber sie bewegte sich viel zu schnell, schneller als die Wolken im Himmel und...
Tolpan keuchte. »Leihst du mir das mal?« fragte er und streckte die Hand nach dem Fernglas aus. Widerstrebend gab ihm der Mann das Glas. Tolpan setzte es an seine Augen, dann stöhnte er leise auf. »O je«, murmelte er. Er senkte das Glas und stopfte es geistesabwesend in seine Tunika. Der Matrose packte ihn am Kragen, als er gerade nach unten gleiten wollte.
»Was?« fragte Tolpan erstaunt. »Oh! Gehört dir das? Tut mir leid.« Er warf noch einen versonnenen Blick auf das Fernglas und gab es dem Matrosen zurück. Tolpan ließ sich geschickt an den Tauen heruntergleiten, landete auf dem Deck und rannte zu Sturm.
»Es ist ein Drache«, berichtete er atemlos.