22

»Dort«, sagte Calliodorus, der auf dem Bugdeck stand, »ist der Pharos von Port Cos!«

Aemilianus, der wieder auf den Beinen war, aber noch von Surilius gestützt wurde, stand neben ihm. Weitere Männer hielten sich dort auf, darunter auch der junge Marcus, der Armbrustschütze und sein Freund, die beide noch so jung und doch schlachterprobte Kämpfer waren. Wir betrachteten den großen zylinderförmigen Bau, der an der südwestlichsten Stelle des Hafens auf einer Mole stand. Das sich nach oben verjüngende Gebäude war etwa fünfundvierzig Meter hoch, der Durchmesser der stumpfen Spitze betrug etwa sechs Meter. Es war gelb und rot gestrichen, in den Farben der Hausbauer und der Krieger. Die Hausbauer waren die Kaste, die es errichtet hatten, die Krieger waren die Kaste, die die Besatzung stellten. Das Gebäude war sowohl Festung als auch Hafenzeichen. In der Nacht diente es mit Hilfe von Fackeln und Spiegeln als Leuchtfeuer. An diesem Morgen hatte die Vorhut einen Kuriersegler durchgelassen, der Calliodorus irgendwelche Botschaften übergeben hatte. Offenbar hatte er Aemilianus eingeweiht. Was nun der Inhalt der versiegelten Lederzylinder gewesen war, die der Kapitän mit Zeichen und Gegenzeichen entgegengenommen hatte, hatte ich nicht in Erfahrung bringen können. Der Kuriersegler war zurück nach Port Cos geeilt.

»Ich hätte niemals gedacht, Port Cos auf diese Weise zu betreten«, sagte Aemilianus.

»Und ich hätte nie geglaubt, mich in einer solchen Mission nach Ar-Station zu begeben«, sagte Calliodorus.

Ich musterte Marcus’ Gesicht. Es schien entschlossen und voller unterdrückter Wut zu sein. Auf seine Weise war er ein Held, doch trotz allem, was er getan hatte, kamen er und die anderen Bürger Ar-Stations mit kaum mehr als den Kleidern auf dem Leib als Flüchtlinge nach Port Cos, der Stadt, die einst ihr größter Rivale am Fluß gewesen war. Von Ar-Station war nur noch wenig übrig. Ein paar Männer, ein paar Frauen und Kinder, eine Flagge. Sicher, der Heimstein war angeblich in Sicherheit gebracht worden. Zumindest hoffte ich das. Für die Goreaner würde dies außerordentlich wichtig sein. Sie hatten ihn nach Süden geschickt, nach Ar. Hätte sich seine Abreise aus der Stadt ein paar Tage verzögert, wäre er bestimmt nicht in diese Richtung geschickt worden. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Ar-Stations Bürger Ar jetzt noch viel Liebe entgegenbrachten.

»Die Ruder aufnehmen!« rief der Rudermeister von seinem Platz vor den Rudergängern achtern.

Die großen Ruder wurden polternd durch die Dollbords geschoben. Die Ruderer von Port Cos trugen heute ihre besten Uniformen; die Tuniken waren makellos, das Leder poliert, die randlosen Kappen saßen schräg auf den Köpfen. Sie waren bester Stimmung. Bald waren sie wieder zu Hause. Bei den Mädchen von Port Cos würden sie bestimmt viel Glück haben. Zweifellos würde sich im Hafen eine Menschenmenge versammeln, um sie willkommen zu heißen.

Darunter würden sich bestimmt auch viele Mädchen in kurzen Gewändern und mit Kragen befinden, die begeistert winkten, und zwar nicht nur Mädchen, die für diese Gelegenheit Ausgang aus den Tavernen und Bordellen erhalten hatten, sondern Sklavinnen aus der ganzen Stadt. Sie würden nicht nur die heimkehrenden Helden freudig begrüßen, sondern auch ihre Herren.

In einer Stadt erfreut sich die Sklavin für gewöhnlich recht großer Bewegungsfreiheit. Sie kann tun, was sie will. In dieser Hinsicht ist ihre Bewegungsfreiheit sogar viel größer als die der freien Frauen. Natürlich darf sie die Stadt nicht verlassen, es sei denn, in Begleitung einer freien Person.

»Das ist der Pharos«, sagte eine Mutter zu ihrem Kind und hielt es hoch, damit es besser sehen konnte.

Von einigen der Männer abgesehen waren die Flüchtlinge sicher froh, den Pharos zu sehen, denn das bedeutete, daß der Hafen von Port Cos nahe war. Dieser Hafen bedeutete Zuflucht und Sicherheit. Der Alptraum der Belagerung war für sie vorbei.

Die kleinen Galeeren, die als Vorhut gedient hatten, verlangsamten ihre Fahrt. In kurzer Zeit würden sie sich auf gleicher Höhe befinden, dann achtern. Unser Schiff, die Tais des Calliodorus, würde als erste Galeere im Hafen einlaufen.

Zufällig sah ich zu dem jungen Armbrustschützen und seinem Freund. Unsere Blicke trafen sich kurz, und wir lächelten. Sein Name war Fabius. Sein Freund hieß Quintus. Sie konnten es kaum erwarten, Port Cos zu sehen. Wie erstaunlich, wie wunderbar doch die Kraft der Jugend ist. Wenn man sie so ansah und ihre Erwartungen und Ungeduld bemerkte, hätte man nicht geglaubt, daß sie Strapazen erduldet hatten, die manchen tapferen Burschen hätten verzweifeln lassen, daß sie auf der Zitadellenmauer gestanden und auf dem Kai gekämpft hatten. Ich hatte jedem von ihnen eine Handvoll Münzen gegeben, damit sie sich in Port Cos ein Mädchen kaufen konnten; das Geld stammte von dem Plünderer, der sich mir in dem Korridor der Zitadelle in den Weg gestellt hatte.

Die Schiffe der Vorhut hatten wir hinter uns gelassen.

»Ausholen!« rief der Rudermeister.

Die Ruder tauchten im Gleichklang ins Wasser, wurden durchgezogen, verließen tropfend den Fluß.

Ich betrachtete erneut den hohen, zylinderförmigen Pharos. Nachts, wenn das Leuchtfeuer brannte und sein Licht in den Spiegeln vermehrt wurde, war er viele Pasang weit auf dem Fluß zu sehen.

Wir waren noch höchstens drei oder vier Pasang von der Hafeneinfahrt entfernt.

»Ausholen!« rief der Rudermeister.

Calliodorus stand in meiner Nähe. Genau wie Aemilianus, der von Surilius gestützt wurde. Es hatte eines langen, ernsten Gesprächs bedurft, um zu verhindern, daß das Urteil an Lady Claudia doch noch vollstreckt wurde. Ehre war zur Sprache gekommen, das Wort Verschwendung war mehrmals gefallen. Der Kommandant hatte sich umstimmen lassen; ihre Schönheit war zu außergewöhnlich. Sie und Publia waren nun Sklavinnen, die in Port Cos verkauft werden würden.

Das Schiff war mit Flaggen und Wimpeln übersät. An der Backbordseite flatterte auffällig die Flagge von Ar-Station. Auf der Steuerbordseite thronte die Flagge von Port Cos. Aemilianus hätte sich keine größere Ehre wünschen dürfen. Er betrat Port Cos nicht als mitleiderregender Flüchtling, sondern als willkommener und geachteter Verbündeter.

Ich ließ die Erlebnisse der letzten Zeit noch einmal in Gedanken vorbeiziehen. Die Herberge Zum Krummen Tarn, das Lager der Cosianer, die Überwindung der Mauer, meine Gefangenschaft, die Flucht, die Schlacht um die Zitadelle, die Flucht von dem Pier. Wie grausam und voller Verzweiflung die Welt doch geworden war. Ich fühlte mich klein, wie Treibgut, das unter einem weiten Himmel in einem großen Meer schwimmt und ein Spielball der Gezeiten und des Windes ist, ohne dabei zu begreifen, was eigentlich um sich herum geschieht. Aber es gab Kompasse und Wahrzeichen, die für mich so deutlich wie die Sterne waren, mit deren Hilfe ich auf dem Thassa navigierte, die so fest und unverrückbar wie die Ziegelmauern des Pharos von Port Cos waren. Es gab den Verhaltenskodex und die Ehre. Und es gab den Stahl.

Leise Musik erscholl, als ein Trommler sein Instrument erprobte. Flöten wurden geblasen.

Auf Gor herrschte Verrat und zwar Verrat eines schrecklichen und unübersehbaren Ausmaßes. Ich war davon überzeugt daß ich aus Geheimpapieren, die mir vor langer Zeit in Brundisium in die Hände gefallen waren, zumindest eine Person kannte, die in diesen Verrat verwickelt war, die möglicherweise zum engsten Kreis der Verräter gehörte, wenn sie nicht sogar die Urheberin des verschlagenen und heimtückischen Plans war. Und ich hatte sie, als ich sie in Port Kar in meiner Gewalt hatte, wie ein Narr freigelassen – selbst als sie mich verspottete und verhöhnte, da sie mich für einen Krüppel hielt – und dafür gesorgt, daß sie sicher und unbeschadet nach Ar zurückkam! Ich erinnerte mich noch gut an sie. Wie unverschämt sie doch gewesen war! Wie hochmütig! Ich fragte mich, wie ihr Schicksal aussehen sollte.

Wir näherten uns dem Hafen.

Marcus’ Gesicht war wie versteinert.

»Mein Platz ist jetzt auf dem Heckkastell«, sagte Calliodorus. Er zog sich mit einer Verbeugung zurück. Man brachte für Aemilianus einen kurulischen Stuhl. Er setzte sich, und einige seiner Offiziere versammelten sich um ihn.

Ein paar girlandengeschmückte kleine Schiffe kamen heran, um die Flottille zu begrüßen. Sie schwärmten aus. In ihnen klammerten sich Männer und Sklavenmädchen an den Masten fest oder knieten an Deck und winkten begeistert. Sie würden uns in den Hafen eskortieren.

»Männer«, sagte Aemilianus von seinem kurulischen Stuhl aus. »Da wir uns Port Cos nähern, ist es nötig, daß ich ein paar klare Worte spreche. Euch wird nicht alles gefallen, was ihr hören werdet. Doch vieles habt ihr euch bestimmt schon gedacht.«

»Sprich, Kommandant«, sagte Caledonius.

Aemilianus räusperte sich. »Was ich euch jetzt sage, ist in Port Cos bereits allgemein bekannt.«

»Hat das etwas mit dem Kurierschiff heute morgen zu tun?« fragte Marsias.

»Ja, Es war der Wunsch der Kuriere von Port Cos, daß wir die Neuigkeiten vor unserem Landgang erfuhren. Aber es war wenig dabei, das mich überrascht hätte oder das unser Freund Calliodorus mir nicht schon zuvor in einem vertraulichen Gespräch gesagt hätte.«

Ich erinnerte mich, daß Calliodorus schon am ersten Morgen nach der Flucht aus Ar-Station mit sich gerungen hatte, Aemilianus auf gewisse schwerwiegende Dinge anzusprechen und ihn zu warnen. Er hatte damals gezögert, vermutlich, weil er es für klüger hielt, damit zu warten, bis sein Freund wieder zu Kräften gekommen war.

»Heil Port Cos!« rief ein Seemann in einem kleinen Boot, das an Steuerbord an uns vorbeifuhr. Hinter ihm stand eine halbnackte Sklavin mit schönen langen Beinen. »Heil Port Cos!« rief sie fröhlich und winkte. »Heil Port Cos!« Sie war hübsch anzusehen. Der Kragen stand ihr gut.

Einer der Matrosen an Deck winkte zurück. »Heil Port Cos!« rief er.

»Wir sind nach Port Cos gefahren«, sagte Aemilianus. »Das wird allem äußeren Anschein nach die Geschichte bestätigen, die in Ar erzählt wird und die, so wie ich es verstanden habe, die offizielle Version der Geschehnisse vor Ar-Station ist.«

»Sprich, Kommandant!« drängte Marcus, der junge Krieger.

»Ihr werdet es sicher interessant finden, wenn ihr hört, daß sich Ar-Station schon vor mehr als zwei Monaten Cos ergeben hat«, sagte er trocken. »Und zwar bevor das Entsatzheer eintreffen konnte. Fehlendes Belagerungsgerät war der Grund, warum es nicht sofort nach Ar-Station weitermarschierte, sondern sich ins Winterquartier begab.«

»Ar-Station hat sich nicht ergeben!« sagte Caledonius.

»Ich verstehe nicht«, sagte ein Offizier. »Die Stadt ist doch erst vor sieben Tagen gefallen.«

»Es müssen doch Tausende sein, die die Falschheit dieser Behauptungen kennen!« rief ein anderer.

»Nicht offiziell, nicht in Ar«, sagte Aemilianus. »Die meisten Bürger wissen, von Gerüchten abgesehen, nur das, was sie wissen dürfen. Ich vermute, es wäre sogar sehr unklug, gewisse Wahrheiten in Ar laut zu sagen.«

»Ich verstehe es einfach nicht«, sagte der Offizier.

»Angeblich stehen die Dinge folgendermaßen«, sagte Aemilianus. »Vor zwei Monaten haben ich, meine hohen Offiziere, die Kastenoberen und die Ratsherren von Ar-Station die Stadt einer Delegation der Cosianer übergeben, und zwar verräterischerweise und völlig kampflos. Als Gegenleistung für diesen Treubruch erhielten wir viel Gold und sicheres Geleit nach Port Cos, hinter deren Mauern man uns Unterkunft und Schutz gewährt.«

»Unsere Ankunft hier wird es so aussehen lassen, als sei dies die Wahrheit!« rief Caledonius.

»Das befürchte ich auch«, meinte der Offizier.

»Würdest du lieber in die Asche von Ar-Station zurückkehren?« fragte Aemilianus erbittert.

»Sicherlich werden die Bürger von Port Cos solche Lügen nicht glauben«, meinte Caledonius.

»Natürlich nicht«, erwiderte Aemilianus. »Hier kennt man die Wahrheit. Doch das gilt nicht für Ar und den ganzen Süden.«

»Woher hast du das erfahren?« wollte Marsias wissen.

»Um genau zu sein, aus den Botschaften«, sagte Aemilianus. »Wie es scheint, hat Cos viele Spione. Außerdem scheint es über schnelle, verborgene Nachrichtenwege zu verfügen. Ich bezweifle nicht, daß seine Taten auf dem Kontinent von langer Hand vorbereitet waren. Natürlich haben die Cosianer einen engen Kontakt zu Port Cos, dessen Unterstützung am Fluß ihnen sehr wichtig ist. Ich würde zwar nicht behaupten, daß zwischen ihnen völlige Offenheit besteht, aber es scheint kein Problem, solche Dinge in Erfahrung zu bringen.«

»Kapitän Calliodorus nimmt diese Berichte ernst?« fragte Surilius.

»Ja. Da Ar-Station von Ar im Stich gelassen wurde, hatte er, wie ich auch, damit gerechnet, daß man die Geschehnisse so deuten würde.«

»Anscheinend sind die Spione aus Cos sehr tüchtig«, meinte Marsias.

»Wie Calliodorus mir berichtete, wird behauptet, daß ein morgendliches Flüstern in Ar am Abend in Telnus gehört wird.«

Wir hatten den Hafen fast erreicht. Uns umgab eine ganze Wolkenbank weißer Segel, von so vielen Schiffen wurden wir umringt.

»Da ist noch mehr«, fuhr Aemilianus bitter fort. »Die Bürger von Ar-Station und diejenigen, die sie zum Verrat angestiftet haben, sind öffentlich in Ungnade gefallen, was wenig überraschend ist, bedenkt man die verfälschte und verzerrte Darstellung unserer Handlungen.«

Wütende Aufschreie ertönten. Hände schlossen sich um Schwertgriffe.

»War das der Inhalt der Botschaften, Kommandant?« fragte ein Offizier.

»Das müßte dir reichen. Den Rest willst du sicher nicht wissen«, sagte Aemilianus grimmig.

»Kommandant!« protestierte der Mann.

»Der Heimstein ist in Ar eingetroffen.«

»Das ist gut«, jubelte Caledonius.

»Es wäre besser, es wäre nie geschehen«, sagte Aemilianus.

»Aber Kommandant!«

»Er wird auf der Straße des Zentralzylinders in dessen Nähe unter Bewachung gehalten«, sagte er. »Dort ist er aufgebaut, damit die Bürger von Ar und alle, die es sonst wollen, daran vorbeigehen und darauf spucken können.«

»Vergeltung!« schrie Marcus.

»Und wir alle wurden zu Renegaten erklärt!«

»Vergeltung!« schluchzte Marcus, der junge Krieger. Er hatte das Schwert gezogen.

»Vergeltung!« rief Marsias.

»Vergeltung!« riefen andere. Wutschreie erschollen, Schwerter wurden gezogen.

»Meine lieben Freunde, steckt die Schwerter weg«, sagte Aemilianus. »Laßt uns jetzt an diesem Feiertag, der zum Tag des Topas erklärt werden soll, alle Gedanken an Wut und Blut beiseite legen. Beeilt euch lieber, eure Gewänder vom Staub zu befreien, und zaubert ein Lächeln auf eure Gesichter. Ich bitte euch, zeigt heute nur freudige Mienen. Laßt uns diesen Tag Port Cos zur Ehre gereichen, unseren Brüdern am Fluß, laßt uns mit ihnen unsere Rettung feiern. Sie haben unsere Dankbarkeit verdient. Ihr werdet sicher begreifen, daß die Treue, mit der Port Cos den Schwur des Topas erfüllt hat, die Stadt in der Zukunft noch teuer zu stehen kommen wird.«

»Die Bürger von Port Cos haben sich als bessere Freunde erwiesen als die Menschen Ars«, sagte Marsias.

»Vielleicht ist der Fluß unsere Heimat«, murmelte Caledonius.

»Vielleicht«, schlossen sich Männer seiner Meinung an.

Von den Landungsstegen von Port Cos kam Musik. Als der Bug herumschwenkte, um in die Einfahrt zu fahren, sahen wir, daß sich Menschenmengen in Festtagsgewändern drängelten. Es schien, als seinen dort alle Kastenfarben Gors vertreten.

»Meine verehrten Freunde«, sagte Aemilianus. »Bereitet euch darauf vor, von unseren Freunden aus Port Cos empfangen zu werden.«

Schwerter wurden in die Scheiden geschoben.

Die meisten der Männer zogen sich vom Vorderdeck zurück. Surilius, der junge Krieger Marcus und ein paar andere blieben. Ich ebenfalls.

Ich wandte mich an Aemilianus. »Bestimmt wird Ar wegen des Verlustes von Ar-Station, seinem Stolz am Vosk, nach Vergeltung verlangen.«

»So scheint im nördlichen Heerlager die Stimmung zu sein«, erwiderte er.

»Das weißt du auch aus den Botschaften?« fragte ich.

»Ja.«

»Das Heer von Ar sollte noch vor dem Frühling so schnell wie möglich nach Süden marschieren, um dort das cosische Expeditionsheer anzugreifen. Ohne Dietrich von Tarnburgs Sieg in Torcodino stünde es schon lange vor Ars Toren.«

»Aber das wird es nicht tun, oder?« fragte Aemilianus.

»Das muß es tun«, sagte ich.

»Allem Anschein nach wollen sie das cosische Belagerungsheer im Norden vernichten«, sagte Aemilianus.

»Das dürfte ihnen nicht schwerfallen«, sagte Marcus bitter. »Obwohl uns die Cosianer zehn zu eins überlegen waren, hätten sie gegen ein Heer, das, so wie ich es verstanden habe, Ars gesamte Streitmacht darstellt, keine Chance.«

»Trotzdem hätten sie es bestimmt nicht so leicht, wie sie glauben«, meinte Aemilianus. »Sie gehen davon aus, daß das Heer vor Ar-Station im Winterlager liegt. Sie wissen nicht, daß es kampferprobt und seit Monaten im Feld ist.«

»Aber wenn du der cosische Befehlshaber im Norden wärst«, sagte ich, »dann würdest du es doch nach Möglichkeit vermeiden, das Heer von Ar anzugreifen.«

»Das ist wahr«, sagte Aemilianus.

»Er wird aber keine Wahl haben«, sagte Marcus. »Ars Heer steht zwischen Ar-Station und Brundisium. Außerdem verhindert es den Rückzug nach Torcodino.«

Aemilianus nickte nachdenklich. »So sieht es zumindest aus.«

»Es dürfte den Cosianern kaum gelingen, den Fluß nach Norden zu überqueren«, fuhr Marcus fort. »Und selbst wenn es ihnen gelingt, könnte man ihnen folgen. Davon abgesehen ist es unwahrscheinlich, daß sich die Cosianer auf das Gebiet der Salerianischen Konföderation zurückziehen, denn diese will keinen Krieg mit Ar riskieren. Und sollten sie versuchen, mit Gewalt dort einzudringen, ständen sie zwischen den Salerianern und Ar. Das Schicksal der Cosianer im Norden steht jetzt schon fest.«

»Mein eifriger junger Freund«, sagte Aemilianus. »Im Krieg steht nur selten etwas von vornherein fest.«

»Mit allem nötigen Respekt, Kommandant, Ars Standort im Norden ist bestens geeignet, um das Belagerungsheer zu vernichten.«

»Aber sie müßten zuerst angreifen.«

»Es ist ein Heer«, sagte Marcus, »keine zehn Mann, die in der Nacht marschieren.«

»Cos beherrscht den Himmel.«

»Und wenn schon«, protestierte Marcus.

»Es würde mich nicht überraschen, wenn das Heer an den Soldaten von Ar vorbeischlüpft«, sagte Aemilianus leise.

»Zwischen dem Winterlager und dem Südufer des Vosk«, meinte ich.

»Genau«, sagte Aemilianus grimmig.

»Das ist lächerlich«, sagte Marcus. »Sie säßen am Fluß fest. Es wäre ein Massaker.«

»Aber nur, wenn man sie stellt«, wandte Aemilianus ein.

Marcus schüttelte den Kopf. »Kein verantwortungsvoller Befehlshaber würde eine solche Route wählen.«

»Es sei denn, er wüßte etwas, das du nicht weißt.«

»Die Vorstellung ist absurd.«

»So absurd wie die Vorstellung, daß Ar im Winterlager Latrinen gräbt, während die Mauern von Ar-Station fallen?«

»Aber Ar könnte über die Bewegungen des Heeres unterrichtet werden, um sich rechtzeitig zwischen die feindlichen Truppen und ihre Basis in Brundisium zu setzen«, sagte Marcus nachdenklich. »Warum also sollten die Cosianer nach Westen marschieren?«

»Was liegt im Westen des Vosk?« fragte Aemilianus.

»Ven, am Südufer«, sagte Marcus. Turmus, die letzte große Stadt im Westen des Vosk, befand sich am Nordufer.

»Und was liegt jenseits von Ven?«

»Das Delta.«

»Genau«, sagte Aemilianus.

»Ich glaube nicht, daß ich das alles verstehe«, sagte Marcus langsam.

»Ich denke, es geht mir genauso«, sagte Aemilianus. »Aber ich habe schreckliche Angst.«

»Im Herbst habe ich in Torcodino mit Dietrich von Tarnburg gesprochen«, sagte ich. »Er hatte ähnliche Befürchtungen.«

»Ich begreife das alles nicht«, sagte Marcus.

»Du bist noch unerfahren in Kriegsdingen«, sagte Aemilianus. »Der Krieg ist mehr als wehende Helmbüsche und Sonne, die sich auf versilberten Schilden spiegelt.«

»Wenn Ar in Gefahr ist, muß es gewarnt werden!«

»Von Renegaten?«

Marcus starrte ihn nichtbegreifend an.

»Ich, du, wir alle sind zu Renegaten erklärt worden«, sagte der Kommandant.

»Sollte Ar nicht gewarnt werden?«

»Und was schulden wir Ar jetzt noch, das uns im Stich gelassen hat, die wir in Ungnade gefallen sind, dessen Heimstein man anspuckt, die man zu Renegaten erklärt hat?«

»Wir schulden Ar nichts«, sagte Marcus bitter. »Aber ich würde es trotzdem gern warnen.«

»Das würde ich auch«, sagte Aemilianus und lächelte. »Das würde ich auch. Aber wovor genau sollte man Ar warnen?«

»Und an wen würdest du dich wenden?« fragte ich.

»Wir wissen nicht genau, was geschehen wird«, sagte Aemilianus. »Im Augenblick haben wir kaum mehr als einen Verdacht.«

»Ar wird die Cosianer im Norden vernichten, und dann die im Süden«, sagte Marcus.

Der Kommandant nickte. »Davon ist auszugehen.«

»Dann bleibt uns nichts, was wir tun könnten«, sagte der junge Krieger bedächtig.

»Im Augenblick nicht.«

Mittlerweile befanden wir uns innerhalb des Hafens von Port Cos. Die mit Menschen vollgestopften Piere waren noch dreihundert Meter entfernt. Musik erscholl. Wimpel wurden geschwenkt. Der Pharos auf seiner Mole lag nun hinter uns, auf der Backbordseite, etwa einen Pasang entfernt. Die Flottille mit ihrer Beflaggung bot einen großartigen Anblick.

»Belaste dich jetzt nicht mit solchen Problemen«, sagte Aemilianus zu dem jungen Krieger. »Freu dich. Wir sind sicher in Port Cos eingetroffen.«

An Bord der Tais ertönten Trommeln und Flöten. Die Galeere legte unter dem Jubel der Bürger an. Aemilianus begab sich gestützt von dem treuen Surilius auf das Hauptdeck, wobei er gelegentlich stehenblieb und der Menge zuwinkte. Calliodorus hatte das Heckkastell verlassen und wartete auf seinen Freund. Aemilianus, der Kommandant von Ar-Station, sollte wohl der erste sein, der von Bord ging. Ein paar der Männer, darunter auch Marcus und ich, blieben auf dem Vorderdeck stehen. Ein paar Augenblicke später schritt Aemilianus ohne Hilfe über die Planke, begleitet von Trommeln und Flöten und dem Jubel; er war offensichtlich noch sehr schwach. Hinter ihm kamen Calliodorus und Surilius. Am Fuß der Planke wurden sie bereits von einigen Bürgern erwartet, die als Zeichen ihrer offiziellen Ämter Medaillons auf der Brust trugen.

Nach den Ehrenmännern gingen die Flüchtlinge von Ar-Station von Bord; wenige drückten die winzigen Bündel mit geretteten Habseligkeiten fest an sich. Einige ihrer anderen Besitztümer folgten ihnen eingeschüchtert auf den nackten Füßen. Viele Einheimische verfolgten die Prozession aus Offiziellen und Offizieren, Flüchtlingen und Sklaven von dem Pier aus. Ruder wurden eingeholt. Dann luden sich die Matrosen und Ruderer Waffen und Seesäcke auf die Schultern, um sich auf ihren verdienten Landgang zu begeben. Überall kam es zu oftmals demonstrativen Zusammenkünften, wenn sich Familienangehörige, Liebende oder Herren und Sklavinnen in die Arme fielen.

Marcus hatte keinen Blick für die Stadt übrig, die sich hinter dem Hafen erhob. Er schien seine Aufmerksamkeit auf den Hafeneingang gerichtet zu haben.

»Du scheinst es nicht eilig zu haben, Port Cos zu sehen«, wandte ich mich an ihn.

Er starrte stur geradeaus. »Was glaubst du, wo befindet sich das Heer von Ar?«

»Südlich des Flusses, irgendwo im Osten.«

»Das Belagerungsheer wird es niemals schaffen, zwischen ihm und dem Fluß hindurchzuschlüpfen.«

»Schon möglich.«

»Es wäre unmöglich.«

»Vielleicht.« Ich betrachtete den Pharos. Wie man sagte, konnte man in der Nacht sein Licht pasangweit sehen, im Osten wie im Westen.

»Woran denkst du?«

Marcus schüttelte den Kopf. »An Vergeltung«, sagte er bitter. »Und an Treue.«

»Eine seltsame Mischung«, bemerkte ich. Dann drehte ich mich um, um zuzusehen, wie man Publia und Claudia von Bord brachte, nackt, aneinandergekettet, die Hände auf den Rücken gefesselt. Für sie begann nun ein neues Leben.

»Ich bin so wütend«, sagte Marcus mehr zu sich selbst als zu mir.

»Warum?«

»Es gibt viele Dinge, die ich nicht verstehe.«

»Es gibt viele Dinge, die keiner von uns versteht.«

»Ich bin verbittert.«

»Weil der Krieg mehr ist als wehende Helmbüsche und Sonne, die sich auf versilberten Schilden spiegelt?« wiederholte ich Aemilianus’ Worte.

»Vielleicht«, sagte Marcus.

Ich blickte zum Pier hinüber. Drei Sklavinnen standen dort, zwei davon barbusig.

»Verscheuche die düsteren Gedanken«, sagte ich. »Du bist sicher in Port Cos eingetroffen. Freu dich. Sieh dir die Stadt an. Begleite mich, wenn du Lust hast, iß mit mir. Laß uns sehen, was Port Cos an Sklavinnen zu bieten hat. Die Stadt hat in dieser Beziehung einen guten Ruf.«

»Ich danke dir«, erwiderte er. »Aber bitte geh ohne mich.«

»Du bist ein Held und ein Krieger«, sagte ich. »Du hättest doch sicher nichts dagegen, eine sinnliche, schöne Frau in den Arm zu nehmen.«

»Alles, woran ich im Augenblick denken kann, ist Verrat, Blut und Haß, ich bin zornig und verwirrt«, sagte Marcus. »Mir steht nicht der Sinn nach den mit Glöckchen geschmückten, parfümierten Leibern von Sklavinnen.«

»Es ist schwer vorstellbar, daß du sie nicht gern tanzen sehen würdest.«

»Ich denke im Augenblick an weniger angenehme Dinge.«

»Einige dieser hübschen, kurvigen Mädchen mit ihren Kragen würden dich vor Vergnügen aufschreien lassen.«

Er schwieg und starrte nach Osten.

»Es ist schwer, Ideale zu verlieren«, sagte ich. »Aber manchmal kann man sie durch Taten zurückgewinnen, wenn auch in neuer Form.« Ich erinnerte mich an das Voskdelta, an Torvaldsland.

Marcus schwieg.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich.

»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte er.

Ich ging zurück zu der Stelle auf dem Hauptdeck, wo ich meinen Seesack verstaut hatte; ich hatte den Matrosen ein Rasiermesser und ähnliche Kleinigkeiten abgekauft. Das Schwert ruhte auf der anderen Schulter. Ich winkte dem Decksoffizier zu und verließ die Tais.

Ich hatte den Pier noch nicht betreten, als die drei Mädchen ankamen und vor mir niederknieten.

»Komm ins Dina!« sagte die erste Sklavin. »Alle unsere Mädchen sind Dinas!« Sie schob die Tunika hoch und entblößte das Brandzeichen auf dem linken Oberschenkel. Die Dina ist eine kleine, rosenähnliche Blume, die man im Volksmund auch ›Sklavenblume‹ nennt. Das Dinabrandzeichen ist auf Gor weit verbreitet.

»Komm ins Veminium!« sagte die zweite Sklavin. Die Veminium ist eine zarte, fünfblättrige blaue Blume, die man sowohl in der nördlichen wie auch der südlichen Hemisphäre findet. »Wir sind viel preiswerter!« Eine Taverne nach einer Veminium zu benennen, sollte die Gäste wohl an erschwingliche Schönheit denken lassen, da die Blume so weit verbreitet ist. Das zweite und das dritte Mädchen waren diejenigen mit den nackten Oberkörpern.

»Die Taverne meines Herren ist das Larma!« sagte die dritte Sklavin.

Ich lächelte. Die Larma ist köstlich. Sie hat zwar eine ziemlich harte Schale, die sich jedoch leicht zerbrechen läßt. Die fleischige Frucht im Inneren ist köstlich und sehr saftig. Wenn gelegentlich eine Frau als ›Larma‹ bezeichnet wird, will man damit andeuten, daß sich hinter ihrer kalten und abweisenden Art ein ganz anderes, süßes und verletzliches Wesen verbirgt.

»Sind alle Paga-Tavernen von Port Cos nach Blumen oder Früchten benannt?« fragte ich.

»Nein!« lachte die erste Sklavin.

»Aber bestimmt gibt es da eine Verbindung, sei es durch den Besitzer oder die Tradition?«

»In vielen Städten gibt es Tavernen, die Dina heißen, Herr.«

»Das ist wahr«, mußte ich ihr zugestehen.

»Veminium ist ein hübscher Name«, sagte die zweite Sklavin.

»Stimmt«, sagte ich. »Übrigens, was soll der Name bedeuten? Soll das heißen, daß alle Mädchen dort wie die Veminium billig und hübsch sind?«

Das Mädchen aus dem Veminium keuchte auf, mußte lachen und legte die Hand vor den Mund. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Der Gedanke ist mir noch nie gekommen! Vielleicht, Herr!«

»Und sind die Mädchen billig und hübsch?« wollte ich wissen.

»Ich denke schon, daß wir hübsch sind«, sagte sie. »Aber ich weiß nicht, ob wir auch billig sind.«

Ich lächelte. Ich hatte mich schon gefragt, ob man den Namen nicht gewählt hatte, um Gäste anzulocken, statt eine sachliche Bewertung der angebotenen Dienste zu verkünden.

»In Port Cos gibt es viele Paga-Tavernen, Herr«, sagte die erste Sklavin. »Nicht alle sind nach Blumen oder Früchten benannt. Es gibt den Käfig, die Juwelen von Tel- nus, Artemidorus’ Fracht, die Scharlachrote Peitsche, die Ta- verne zum Kragen der zwei Ketten und viele andere mehr.«

»Das höre ich gern«, meinte ich. »Ich nehme an, ihr seid Freundinnen?«

»Ja, Herr. Das Veminium und das Larma gehören Brüdern.«

»Sie stehen sich sehr nahe«, sagte das zweite Mädchen.

Das hörte sich gut an. Die Mädchen waren miteinander befreundet, was vermuten ließ, daß sie in ähnlichen Etablissements arbeiteten. Mädchen aus erstklassigen Tavernen und aus Spelunken hatten nur selten Umgang miteinander. Und zwei der Tavernen gehörten Brüdern und befanden sich ganz in der Nahe voneinander. Also gab es Verbindungen zwischen den Häusern.

»Und was ist mit den Mädchen im Larma?« fragte ich. »Sind sie teuer?«

Die dritte Sklavin schüttelte den Kopf. »Wir sind auch erschwinglich.«

»Waren die Mädchen dort früher alle mal Larmas?«

»Einige wohl schon!« lachte sie.

»Warst du eine Larma?«

»Nein, Herr«, sagte sie. »Ich bin seit der Pubertät eine Sklavin und habe nie so getan, als wäre ich etwas anderes. Vielleicht weil ich befürchtete, jemand könnte mich durchschauen und schlagen.«

»Aus welcher Kaste stammst du?«

»Aus der Bauernkaste«, sagte sie. »Wir hatten zu viele Töchter und zu wenig Söhne. Zwei meiner älteren Schwestern wurden in die Sklaverei verkauft, bevor ich fünfzehn war. Eines Herbstes brachten die Felder meines Vaters wieder keinen Ertrag. Wir waren am Verhungern. Ich flehte ihn an, mich zu verkaufen. Also fesselte er mich und verkaufte mich.«

»Bist du glücklich als Sklavin?«

»Ja, Herr. Es ist das, was ich bin und was ich sein will. Ich hoffe nur, daß ich eines Tages einen Herren für mich allein habe, den ich lieben kann,«

Sie war ein hübsches junges Ding mit dunklem Haar und sehr heller Haut und war für ein Mädchen, das aus der Bauernkaste kam, erstaunlich zierlich. Sie erinnerte mich an Phoebe aus Telnus, die ich ausgelöst hatte.

Ich stellte den Seesack ab und ging vor ihr in die Hocke. »Sind die anderen Mädchen im Larma genauso hübsch wie du?«

»Ich denke schon, Herr.«

»Und du machst Werbung für die Taverne deines Herren?«

»Natürlich, Herr.«

»He, Krieger«, rief ich und erhob mich, als ich Marcus die Planke herunterkommen sah. Er sah in unsere Richtung, und ich winkte ihn heran. Die Mädchen knieten sich kerzengerade hin, als er kam.

»Wie findest du sie?« fragte ich Marcus.

»Sie sind hübsch«, sagte er.

Sein Interesse machte mir Mut. Er brauchte dringend Gesellschaft.

»Wer seid ihr?« fragte ich die drei.

»Ich bin Roxanne aus dem Dina, Sklavin des Simonides, Tavernenbesitzer aus Port Cos.«

»Ich bin Korinne aus dem Veminium, Sklavin des Agathocles, Tavernenbesitzer aus Port Cos.«

»Ich bin Yakube aus dem Larma, Sklavin des Panicrates, Tavernenbesitzer aus Port Cos.«

»Das ist doch ein Name aus der Tahari«, sagte Marcus und sah sie sich genauer an. Die junge Sklavin aus dem Larma war von den drei Frauen diejenige, an der er am meisten Gefallen fand. Sie gehörte dem Frauentyp an, den er außerordentlich anziehend fand, zu dem er sich stark, vielleicht sogar unwiderstehlich hingezogen fühlte. Sein Interesse freute mich, denn ich hatte gehofft, daß eines der Mädchen ihn von seinen düsteren Gedanken ablenken konnte. Aber etwas in seinem Tonfall war bedrohlich gewesen.

»Ja, Herr«, sagte Yakube zögernd. Offensichtlich war ihr die unterschwellige Drohung nicht entgangen. Sklavenmädchen sind für derartige Dinge außerordentlich empfänglich. Ich konnte sehen, daß sie Angst hatte.

»Aber du kommst nicht aus der Tahari?«

»Nein, Herr.« Ihre Hautfarbe gab keinen Anlaß zu der Vermutung, sie könnte aus der Tahari kommen.

»Warum trägst du dann diesen Namen?«

»Man hat ihn mir gegeben, Herr.«

Das war nicht ungewöhnlich. So hatte ich im Herbst der ehemaligen Lady Charlotte aus Samnium den Namen ›Feiqua‹ verliehen, nachdem sie meine Sklavin geworden war. Der Name hatte Wunder gewirkt, was ihr neues Selbstverständnis und ihre Sexualität anging. Viele Herren ändern den Namen einer Sklavin, damit sie bei ihm ein neues Leben beginnt.

»Damit soll kein anderer Name verborgen werden?«

»Nein, Herr.«

Marcus starrte sie an.

Ich begriff seine Wut und sein Mißtrauen nicht.

»Ich habe viele Namen gehabt, Herr«, sagte sie. »Ich bin eine Sklavin. Männer geben mir den Namen, den sie für richtig halten.«

»Bist du schon immer Sklavin gewesen?«

»Nicht im eigentlichen Sinn«, erwiderte Yakube.

»Erkläre das!«

»Obwohl ich mit ganzem Herzen eine Sklavin bin, gab es doch eine Zeit, in der ich keine Sklavin war. In den Augen des Gesetzes war ich einst eine freie Frau.«

»Und wie hast du geheißen, als du noch frei warst?«

Yakube zuckte unter Marcus’ Blick zusammen, der wie geschärfter Stahl war. Ich bezweifelte keinen Augenblick lang, daß ihre Handflächen schweißfeucht waren. Sie schob die Knie ein Stück weiter auseinander, vermutlich um den Wunsch zu verdeutlichen, ihm zu gefallen. Wie hübsch ihr Hals durch den engsitzenden Stahlkragen doch aussah.

»Prokne.«

Marcus’ Augen funkelten.

Sie zitterte. Sie hatte natürlich an seinen Insignien erkannt, daß er aus Ar-Station kam.

Seine Hand näherte sich dem Gürtel, und sie zuckte zurück. Ich hatte den Verdacht, daß Marcus daran dachte, ihn abzunehmen und sie damit zu schlagen.

»Kommst du aus Cos?« fragte er.

»Nein, Herr!« erwiderte sie. »Die Felder meines Vaters waren nördlich von Weißwasser!«

Weißwasser hat seinen Namen von den nahegelegenen Stromschnellen und ist eine Stadt am Nordufer des Vosk. Sie ist Mitglied der Voskliga und die erste richtige Stadt westlich von Lara, das am Zusammenfluß vom Vosk und dem Olni liegt. Lara ist die westlichste Stadt der Salerianischen Konföderation. Zwischen Ar-Station und Weißwasser gibt es drei wichtige Städte: Waldhafen, Iskander und Tancreds Furt, alles ebenfalls Mitglieder der Voskliga.

Die meisten der bedeutsamen Städte am Vosk liegen am Nordufer, eine Folge der einstigen Politik Ars, im Norden einen großen Landstrich in eine Ödnis zu verwandeln, die den Vormarsch eines möglichen Invasoren erschweren sollte. Damals wie heute ist die Viktel Aria die Hauptroute nach Süden, die Ar durch Lager und Militärposten kontrolliert. So kann Ar mühelos nach Norden vorrücken, während andere Heere nur mit Mühe nach Süden marschieren könnten, es sei denn, sie machten Ar die Viktel Aria streitig. Diese Ödnis ist jedoch seit Jahren nicht mehr unterhalten worden. Ihre militärische Bedeutung schwand mit der Einführung des Tarntransportes im großen Stil, mit dem auch Truppen versetzt werden. Dazu kam, daß Ars Bevölkerung wuchs und sich immer weiter nach Norden ausbreitete. Ars Interesse am Voskbecken ist allgemein bekannt. In den letzten Jahren war seine Politik auf Eroberungen bedacht, besonders unter der Führung von Marlenus. Dementsprechend wurde deutlich, daß die Strategen von Ar den Ödnisstreifen weniger als Schutz sondern als Hindernis ansehen.

Marcus sagte: »Solche Namen sind östlich vom Fluß kaum gebräuchlich.«

»Ja, Herr.«

»Du bist weit von Weißwasser entfernt.«

»Ja, Herr.«

Seine Hände umklammerten den Gürtel nahe der Schnalle. Das entging der Sklavin nicht.

»Du kommst aus der Gegend von Weißwasser?«

»Ja, Herr.«

»Mit einem Namen wie Prokne?«

»Ja, Herr.«

»Ich frage mich, ob du lügst.«

»Nein, Herr, ich lüge nicht! Die Sklavin Yakube lügt einen freien Mann nicht an! Das würde sie nicht wagen!«

»Vielleicht kommst da ja tatsächlich von weither.«

»Ja, Herr.«

Er sah auf sie herunter.

»Männer tun mit mir, was sie wollen und wo sie es wollen.«

Im allgemeinen sehen Sklavinnen, die eine Handelsware sind, weit mehr von der Welt als eine durchschnittliche freie Frau. Die meisten Freien entfernen sich nur selten mehr als ein paar Pasang von ihrem Dorf oder den Mauern ihrer Stadt. Eine wichtige Ausnahme ist die Pilgerfahrt zum Sardar. Von jedem Goreaner, egal ob Mann oder Frau, wird erwartet, daß er sie zumindest einmal im Leben unternimmt. Je nachdem aus welcher Gegend Gors man kommt, ist die Reise nicht ungefährlich. Es kommt vor, daß junge Frauen, die im Weiß der Pilger aufbrechen, als Sklavinnen in Ketten auf dem Jahrmarkt eintreffen, wo sie dann verkauft werden.

»Aber vielleicht kommst du ja aus dem Westen, und nicht aus dem Osten«, sagte Marcus.

»Herr?«

»Vielleicht kommst du aus Cos?« Seine Augen waren jetzt ganz schmal, die Hände am Gürtel verkrampften sich.

»Nein, Herr!« flüsterte sie.

»Das ist auch besser für dich.«

»Ja, Herr!« flüsterte sie.

Marcus hatte ganz leise gesprochen, doch die Drohung in seiner Stimme war schrecklich gewesen. Er ließ den Gürtel los. Yakube erschauderte. Einen Augenblick lang fürchtete ich, sie würde in Ohnmacht fallen. Auch die anderen Mädchen hatten Angst. Die Wut des jungen Kriegers war nicht zu übersehen.

»Ich werde mir eine Schlafgelegenheit suchen«, sagte er zu mir. »Ich wünsche dir alles Gute.«

»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte ich. Ich verzichtete darauf, ihm noch einmal vorzuschlagen, mit mir zu essen.

Wir sahen ihm nach.

»Dürfen wir gehen, Herr?« fragte Roxanne.

»Alle bis auf Yakube«, sagte ich.

Dankbar sprangen Roxanne und Korinne auf und eilten fort.

Yakube sah zu mir hoch.

»Ich werde dir nichts tun«, sagte ich.

Sie zitterte am ganzen Leib.

»Kennst du den Krieger von irgendwoher?«

Sie schüttelte heftig den Kopf.

Ich sah Marcus noch immer nach.

»Warum haßt er mich so?« fragte Yakube.

»Ich glaube nicht, daß er dich haßt«, sagte ich. »Ich glaube eher, daß du ihn beunruhigst. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, daß du zu der Art von Frauen gehörst, die er außerordentlich aufregend und atemberaubend schön findet.«

Sie erschauderte.

»Er haßt Cos«, sagte ich.

»Ich bin froh, daß ich nicht aus Cos komme.«

»Du darfst gehen.«

Yakube sprang dankbar auf und eilte ihren Freundinnen hinterher. Sie hatten am Ende der Anlegestelle auf sie gewartet. Als sie sie erreicht hatte, liefen sie gemeinsam weiter. Sie achteten darauf, eine andere Straße als der junge Krieger zu nehmen.

Ein kalter Wind war aufgekommen. Er kam aus dem Osten.

Ich dachte an Dietrich von Tarnburg, der noch immer Torcodino hielt, ich dachte an Ar, an Cos, an das Belagerungsheer im Norden, an das Heer von Ar, an das Delta.

Ich hatte Angst.

Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu, in der der junge Krieger verschwunden war. Es war eine jener schmalen Straßen, die zwischen Gebäuden verliefen und vom Hafen fortführten. Sie lag nun verlassen da.

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