13

Chloe lag neben meinem Oberschenkel. Sie blickte zu mir auf. »Du hast aus mir eine Frau gemacht«, sagte sie. »Es war dein Wille, und du hast ihn durchgesetzt. Jetzt kann ich nie wieder etwas anderes sein, und ich will es auch gar nicht.«

»Küß mich«, sagte ich.

Sie gehorchte und küßte mich zärtlich, wie es sich für eine Sklavin gehörte.

Ich hatte ihr den Namen ›Chloe‹ verliehen. Technisch gesehen war sie noch immer die Lady Claudia aus Ar-Station. Doch wegen ihres Verrats hatte ich ihr einen cosischen Namen verliehen. Es war ein schöner Name. Er gefiel ihr, und sie reagierte gut darauf, in psychologischer, gesellschaftlicher und sexueller Hinsicht. Vor allen Dingen verstand sie, wie richtig es gewesen war, daß ich ihr einen neuen Namen verliehen hatte.

Die Mauern von Ar-Station waren vor fünf Tagen gefallen. Die Cosianer befanden sich nun in der Stadt. Die Verteidiger, die um jede Straße und jedes Haus gekämpft hatten, hatten sich in die Zitadelle zurückgezogen; sie hatten von ihren Besitztümern und ihren Vorräten mitgebracht, was sie hatten retten können. Neben den Soldaten befanden sich Hunderte von Frauen und Kindern in der Zitadelle, die unter dem Hunger litten. Ar-Station stand in Flammen. Der Qualm drang bis in unsere Zelle.

»Was war das?« rief Chloe und sprang auf.

Ich sprang ebenfalls auf.

Irgendwo außerhalb der Zitadelle war lautes Getöse zu hören.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich.

Im Verlauf des Nachmittages hörten wir das Geräusch noch öfter, immer auf der Landseite der Zitadelle.

»Da war es wieder«, sagte Chloe gegen Sonnenuntergang.

»Es sind die Cosianer«, sagte ich. »Sie zerstören die Häuser rings um die Zitadelle, damit sie ihre Belagerungsmaschinen in Stellung bringen können.«

Dann hörten wir den langen, verzweifelten Schrei einer Frau, irgendwo von außerhalb der Zitadelle.

Chloe sah mich an.

»Man hat sie gefangengenommen«, sagte ich.

»Auch ich wurde gefangengenommen«, antwortete Chloe. »Und du hast mich später noch einmal gefangengenommen. Doch das macht mir nichts mehr aus. Ich bin sogar froh, daß du mich gefangengenommen hast.«

Ich küßte sie. Sie schmiegte sich in meine Arme. »In der Zitadelle kann doch kaum Platz sein«, sagte sie.

»Unsere Zelle gehört zweifellos zu den Luxusquartieren«, stimmte ich ihr zu.

»Warum kettet man uns nicht draußen an einen Pfahl?«

»Vielleicht, damit uns die Leute nicht in Stücke reißen.«

Sie erschauderte. Die fest verriegelte Zellentür schien uns nun eher zu beschützen als einzusperren. Nur wenige Leute wußten von unserer Existenz. Hätten sie davon erfahren, hätten sie vielleicht die Tür aufzubrechen versucht.

»Die Cosianer dürfen ihre Katapulte nicht benutzen, nicht bei dieser geringen Entfernung«, erklärte Chloe.

»Warum nicht?«

»Die Menschen«, sagte sie. »Die Zitadelle ist überfüllt. Es wäre schrecklich. Das werden sie doch nicht tun.«

»Ich nehme an, die Belagerungsmaschinen sind morgen früh an Ort und Stelle«, sagte ich. »Sie werden alles einsetzen, Steine, siedendes Öl, Speere.«

»In der Zitadelle kann es kaum noch etwas zu essen geben«, sagte sie.

Unsere ohnehin schon mageren Rationen waren noch einmal halbiert worden. Wir waren beide ziemlich schwach.

»Warum machen sie sich überhaupt noch die Mühe, uns etwas zu essen zu geben?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. Doch ich konnte mir denken, warum sie zumindest Chloe nicht verhungern ließen. Doch ich wollte es ihr nicht sagen.

Die Beobachtungsklappe wurde geöffnet. Das verhüllte Gesicht unserer Wärterin erschien, als sie auf ihren Hocker stieg. »Gefangene, tretet vor!« befahl sie. »Kniet nieder!«

Wir gehorchten. Es war kurz vor Sonnenuntergang. Keine Essenszeit.

»Du, Claudia, Sklavin«, sagte die Wärterin. »Knie dich hinter ihm hin, zu seiner Linken.« Eine Sklavin folgt ihrem Herren immer auf der linken Seite. Damit zeigt sie ihre Unterwerfung; dieser Brauch ist vermutlich durch die Tatsache entstanden, daß die meisten Goreaner Rechtshänder sind; steht die Frau links von ihm, kann sie seinen Schwertarm nicht behindern.

»Du bist eine hübsche Sklavin, Lady Claudia«, knurrte die Wärterin.

»Ja!« erwiderte Claudia. »Ich bin eine Sklavin! Er hat mir gezeigt, daß ich eine echte Sklavin bin! Ich weiß es jetzt!«

»Sklavin!« fauchte die Wärterin. Ich konnte ihren Haß auf Lady Claudia nicht verstehen. Er ließ sich von der Logik her längst nicht mehr durch ihre Taten erklären. »Schlampe!« brüllte die Wärterin sie an. Ihre Feindseligkeit war eindeutig auf Claudia gemünzt, nicht auf mich. Anscheinend konnte sie nicht ertragen, daß Claudia – meine Chloe – trotz ihrer Lage zu einer wahren Schönheit erblüht war. Sie hatte nichts mehr mit ihrem früheren Ich gemein. Ihr wäre nicht einmal mehr im Traum eingefallen, Ar-Station oder seine Männer zu verraten. Doch das spielte keine Rolle, man würde sie für ihre Verbrechen zur Verantwortung ziehen, ob sie sich gewandelt hatte oder nicht.

»Ja«, erwiderte Claudia leise und demütig, um dann bedeutsam und mit einem Hauch Bösartigkeit hinzuzufügen: »Herrin!«

Die Wärterin schrie ihre Wut heraus und trommelte mit den kleinen Fäusten gegen die Zellentür.

»Warum störst du uns?« fragte ich sie.

»Mit dir rede ich nicht«, antwortete sie.

»Aber ich rede mit dir, Frau!«

Ihr Kopf ruckte wütend herum. Ich wünschte mir, ich hätte durch die Öffnung greifen und ihr den Schleier vom Gesicht reißen können. Ob sie wohl gut aussah?

»Glaub ja nicht, du könntest deiner gerechten Strafe entgehen, indem du vorgibst, eine Sklavin zu sein!« fuhr die Wärterin Lady Claudia an.

»Keine Angst, meine Liebe«, antwortete Claudia. »Ich weiß, daß ich nach dem Gesetz noch immer eine freie Frau bin. Ich mag in meinem Herzen eine Sklavin sein und in dieser Zelle auch wie eine Sklavin dienen, aber ich weiß, daß ich rechtlich noch immer frei bin.«

»Glaubst du, daß die Zitadelle morgen oder übermorgen fällt?« fragte ich. »Und trägst du noch immer dieses prächtig zurechtgemachte Lumpengewand und gehst barfuß mit entblößten Waden und Fesseln?«

Ihre Augen wurden groß. Sie begriff, daß ich ihr durch die Öffnung nachspioniert hatte. Ich kannte ihre kleinen Geheimnisse, deren Bedeutung jedem starken Mann klar sein mußte. Sie runzelte wütend die Stirn.

»Glaubst du, du wirst Gelegenheit haben, dich einem Mann zu unterwerfen?« fragte ich. »Hast du geübt, dir das Kleid von den Brüsten zu reißen, oder die Worte einstudiert, mit denen du bettelst verschont zu werden?«

»Sleen!« sagte die Wärterin.

»Wie ich sehe, hast du geübt, edle freie Frau«, sagte ich.

»Sleen!« rief sie.

Lady Claudia lachte fröhlich.

»Lach ruhig«, sagte die Wärterin. »Aber ich will dir sagen, warum ich gekommen bin. Du, Lady Claudia, Verräterin und Schlampe, bist von Aemilianus verurteilt worden. Morgen mittag wird man dich auf der Mauer pfählen – als Akt der Verachtung!«

Lady Claudia erbleichte.

»Und was dich angeht«, fuhr die Wärterin fort, »weiß ich nicht, was aus dir wird. Aus irgendeinem Grund scheint Aemilianus bei dir mit seinem Urteil zu zögern.« Die Klappe schloß sich mit einem Ruck.

Ich fing Claudia auf, damit sie nicht fiel.

»Es tut mir leid«, sagte ich.

»Geht das Pfählen schnell?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich kann mich nicht bewegen.«

Ich hob sie hoch und legte sie ganz sanft ins Stroh.

Es überraschte mich nicht, daß Aemilianus nicht genau wußte, was er mit mir anstellen sollte. Aus seiner Sicht war mein Fall nicht ganz eindeutig. Warum zum Beispiel hatte man mich nicht sofort in Ar erledigt, wenn man mich für einen überführten Spion hielt? Und dann waren da die Dokumente in der Kuriertasche gewesen. Handelte es sich tatsächlich um eine Fälschung, die in der Absicht angefertigt worden war, Ar-Station zur Aufgabe zu bewegen? Wenn dies der Fall war, warum hatte man die Fälschung dann nicht echter aussehen lassen, sie zum Beispiel kodiert, um ihren Inhalt erst nach einiger Mühe in Erfahrung bringen zu können? Und warum sollte ein dem ersten Anschein nach echter Bericht Informationen enthalten, die dem Befehlsstab von Ar-Station auf jeden Fall militärisch unglaubhaft, ja sogar lächerlich vorkommen mußten?

Allein die Vorstellung, Ar könnte ein so großes Heer im Norden stationiert haben, weit weg vom Feind! Nein, Aemilianus war kein Narr, gleichgültig, wie erschöpft und verwirrt er auch sein mochte. Zweifellos war ihm der Verdacht gekommen, daß der Bericht die Wahrheit verkündete. Tage waren verstrichen, und das ersehnte Entsatzheer aus Ar, der Vorstoß, den er für den Anlaß einer solch verzweifelten und lächerlichen List gehalten hatte, war nicht eingetroffen.

»Es ist schrecklich schmerzhaft, gepfählt zu werden, nicht wahr?« fragte Claudia.

»Es kommt darauf an, wie es gemacht wird«, sagte ich ausweichend.

»Ich bin eine Verräterin.«

»Das warst du einmal. Jetzt bist du es nicht mehr.«

»Ich habe Angst.«

Ich küßte sie sanft. Ich wünschte mir, ich hätte etwas gehabt, um sie zuzudecken.

»Es ist hoffnungslos.«

»Hoffnung gibt es immer«, sagte ich. »Draußen ist es ganz still geworden.«

»Und?«

»Schon seit einiger Zeit sind keine Gebäude mehr eingestürzt. Die Stadt ist in cosischer Hand. Nichts kann sie davon abhalten, die Fundamente zu unterminieren, die Häuser anzustecken und Pfade durch die Trümmer zu bahnen.«

»Ich verstehe nicht.«

»Das Belagerungsgerät befindet sich vermutlich an Ort und Stelle. Ich rechne damit, daß sie morgen früh mit dem Angriff beginnen.«

Sie sah mich ängstlich an.

»Ich werde dich so gut verteidigen wie möglich«, versprach ich ihr. »Sie werden in die Zelle kommen müssen, um dich zu holen.« Ich nahm sie in den Arm.

»Darum haben sie mir zu essen gegeben, nicht wahr?« fragte sie. »Damit ich morgen noch lebe?«

»Vermutlich.«

Sie schluchzte, ich spürte ihre Tränen auf der Brust. Das Mondlicht strömte durch die hohe, vergitterte Fensteröffnung. Draußen herrschte Stille. Ich hielt sie weiter in den Armen, meine nackte Spionin, dort im Stroh.

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