John Norman Die Verräter von Gor

1

Ein Blitz spaltete den Himmel und riß den strömenden Regen, die Wagen und die zahllosen Reisenden auf der Straße aus der Dunkelheit. Zu meiner Linken, etwa einen halben Pasang voraus, erhob sich das Felsplateau mit der Herberge Zum Krummen Tarn.

»Kein ganzer Pasang mehr, und wir sind da«, sagte ein Mann.

»Sie werden keine freien Schlafplätze mehr haben«, bemerkte ein anderer.

Der erste Sprecher schnaubte verächtlich. »Und selbst wenn es so wäre, könntest du ihn dir sowieso nicht leisten.«

»Wir schlagen das Lager auf der wind geschützten Seite auf«, meldete sich ein dritter Mann zu Wort. »Die Tiere können wir im Straßengraben tränken.«

»Da stehen bestimmt schon andere Wagen im Kreis zusammen.«

Reisegruppen stellen ihre Wagen meistens im Kreis auf; man fährt die Enden aneinander, richtet die Deichseln nach innen, schließt die Lücken des provisorischen Schutzwalls, so weit es möglich ist, kettet die Vorderachse an die Hinterachse des nächsten Wagens und schlägt das Lager in dem so entstandenen Kreis auf – mitsamt den Zugtieren und dem zumeist mitgeführten Vieh. Das Ganze nennt sich Wagenburg. Der Kreis bietet mehr Platz als jede andere geometrische Form, darum ist ein solches Lager so groß, wie es die Anzahl der Wagen erlaubt. Da jeder Punkt der Kreislinie normalerweise von der Mitte aus zu sehen und auch gleich weit davon entfernt ist, erleichtert dies die Verteidigung. Zum Beispiel kann man die Reserve schnell und angemessen zum Einsatz bringen. Bemerkenswerterweise sucht man diese Art von Lager bei den Wagenvölkern des Südens wie den Tuchuk vergeblich, was an der riesigen Anzahl ihrer Wagen liegt. Dort kann man fast schon von Wagenstädten sprechen. Die weniger großen Wagenvölker des Nordens wie die Alar benutzen allerdings ebenfalls die Wagenburg, vor allem dann, wenn die Stämme auf dem Marsch getrennt werden; allerdings ist ihr Kreis oftmals sehr groß und hat eine Breite von vier oder fünf Wagen.

Erneut zuckte ein Blitz vom Himmel, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donner.

Auf dem Plateau, auf dem die Herberge stand, zerrte der Wind an einem mit einer Kette befestigten regennassen großen Holzschild. Es besaß die Form eines mißgestalteten Tarns, dessen verkrümmter Hals an einen Geier erinnerte und dessen rechtes Bein mit den ausgestreckten, zupackenden Krallen viel länger als das linke war. Goreanische Herbergen werden oft von solchen Schildern angekündigt, da viele Goreaner – vor allem die Mitglieder unterer Kasten – nicht lesen können.

Dann wurde die Welt erneut in Dunkelheit getaucht, und alles beschränkte sich auf den strömenden Regen und das Quietschen der Wagen.

Ich hatte mir den Umhang über den Kopf gezogen. Der Wagen, neben dem ich ging, fuhr links von mir auf der linken Straßenseite, unterwegs in nördlicher Richtung auf der Vosk-Straße. Zumindest trug sie in jenen Breitengraden diesen Namen; im Süden nannte man sie Viktel Aria. Der Umhang fiel mir vom Kopf über die Schultern und reichte mir deswegen nur bis zur Taille. Ich hatte die Riemen der Schwertscheide gekürzt und so festgezurrt, daß der Schwertgriff unter dem Umhang über die linke Schulter ragte. Ich hielt mich an dem Wagen fest. So konnte ich es eher vermeiden, in der Dunkelheit und dem strömenden kalten Regen zu stolpern. Mit der rechten Hand hielt ich den Umhang um den Hals gerafft. Mein Bündel befand sich in dem Wagen.

In dem auf der rechten Seite nach Süden reisenden Verkehr erschollen plötzlich Flüche und das Protestgebrüll eines Tharlarions. Rufe ertönten. Holz knarrte, gefolgt vom Quietschen eines vorgeschobenen lederüberzogenen Bremsschuhs, der gegen den Eisenbeschlag eines Rades drückte. Jemand rief: »Spring!« Etwas Schweres rutschte, einen Augenblick später kippte ein Wagen krachend um und landete im Schlamm. Das Tharlarion, das vermutlich von den Füßen gerissen worden war, stemmte sich gegen sein Geschirr.

Ich holte mein Bündel vom Wagen, tastete umher, bis ich den nächsten in südlicher Richtung fahrenden Wagen berührte, umrundete ihn und begab mich zum Straßenrand. Ein Tharlarion trabte an mir vorbei. Ich streckte die Hand aus und berührte seine nassen Schuppen. Der nächste Blitz beleuchtete den Straßengraben. Der Wagen lag auf der Seite, die festgezurrte Ladung drückte gegen die Segeltuchplane, die sie bedeckte und an Ort und Stelle hielt. Das Tharlarion lag ebenfalls auf der Seite; in sein Geschirr verstrickt, trat es in die Luft, während es den langen Hals verrenkte.

Ein Mann drängte sich an mir vorbei, unter dem Umhang hielt er eine aufgeklappte, abgedunkelte Laterne. Regen strömte die Krempe seines Filzhutes hinunter. Zwei Männer folgten ihm. Sie rutschten die Seite des Straßengrabens hinunter.

»Die Achse ist gebrochen«, sagte der Hutträger zu dem Kutscher, der ebenfalls in Begleitung war. Ich blieb am Straßenrand stehen und tastete mit dem Fuß umher. Ein paar Steine fehlten. Vermutlich war das Rad dort von der Straße abgekommen. Bei dem dichten Verkehr und dem Sturm hatten sich offenbar die Begrenzungssteine gelockert. Der Wagen war dann wahrscheinlich in den Straßengraben gerutscht und hatte das Zugtier mitgezogen. Ich blieb für einen Augenblick dort stehen. Ich fand es merkwürdig, daß drei Männer, von denen einer eine Laterne trug, so schnell am Unfallort gewesen waren.

»Nehmt euch in acht!« rief der Kutscher den Fremden zu, die nun neben dem Wagen standen. »Ich befördere in diesem Wagen einen Heimstein.«

Die drei sahen sich an, dann wichen sie zurück. Sie hätten es nicht gewagt, sich mit jemandem anzulegen, der einen Heimstein transportierte, selbst wenn sie ihm drei zu zwei überlegen waren.

Es war so, wie ich gedacht hatte. Es waren Straßenräuber. Vermutlich hatte man die Bordsteine absichtlich gelockert.

»Ihr da«, rief ich in die Tiefe, »hebt eure Laterne!«

Sie sahen nach oben. Ich schlug den Umhang zurück, damit sie meine rote Tunika sehen konnten.

»Bleibt stehen!« befahl ich.

Sie gehorchten. Ich hätte einen von ihnen verfolgen können. Keiner von ihnen hatte Lust, dieses Risiko einzugehen.

Ich rutschte die Böschung hinunter.

Das Bündel warf ich zu Boden.

Ich nahm dem Kerl mit dem breitkrempigen Filzhut die Laterne ab und reichte sie dem Begleiter des Kutschers. Das Schwert zog ich nicht. Es war nicht nötig.

»Schirr das Tharlarion ab«, verlangte ich von dem Kutscher. »Sieh zu, daß es wieder auf die Füße kommt.«

Er begab sich zur Vorderseite des Wagens.

Ich packte den Anführer der Räuber. »Ihr habt in der Nähe einen Wagen«, sagte ich. »Ihr beiden holt ihn.«

»Er steht nicht auf der Straße.«

Ein Stoß beförderte den Anführer kopfüber in den Schlamm; ich stemmte ihm einen Fuß in den Rücken.

»Holt den Wagen!« befahl er.

Seine Komplizen eilten los.

»Glaubst du, sie kommen zurück?« fragte ich ihn.

Er schwieg.

Ich verlagerte den Fuß in seinen Nacken und drückte sein Gesicht in das schlammige Wasser. Er kam wieder hoch, schnappte nach Luft. »Ja!« stieß er hervor. »Ja!«

Er hatte recht. Seine beiden Kumpane kamen ein paar Ehn später zurück, mit dem Wagen. Wie ich erwartet hatte, stand er in der Nähe.

»Ladet euren Wagen aus«, befahl ich ihnen. »Und dann ladet ihr die Fracht um.«

Sie gehorchten. Wie ich es mir gedacht hatte, setzte sich die Ladung ihres Wagens aus allem möglichen Plunder zusammen, den sie den Flüchtlingen gestohlen hatten, die aus der Umgebung von Ar-Station am Vosk kamen und auf der Viktel Aria nach Süden unterwegs waren.

Der Kutscher kam mit seinem ausgeschirrten Tharlarion heran und machte es neben der anderen Zugechse fest. Es kannte seine Stimme und würde bereitwilliger gehorchen als das fremde Tier.

»Gebt dem Kutscher eure Geldbeutel«, sagte ich.

Sie taten es.

Ich nahm mir den Inhalt eines metallenen Münzenkästchens, das aus ihrem Wagen stammte, und leerte es in meine Börse. Das Kästchen enthielt etliche Münzen, vermutlich die Beute mehrerer Tage Arbeit. Der Wert der Münzen war klein, wie bei den ohnehin schmalen Geldbeuteln der Besitzer nicht anders zu erwarten gewesen war. Ihre Menge entschädigte jedoch mehr als ausreichend für ihren geringen Einzelwert. Es waren etwa siebzehn bis achtzehn Silbertarsk.

Eine kurze Suche brachte die Steine zum Vorschein, die am Straßenrand fehlten. Sie lagen im Straßengraben, unmittelbar unterhalb der Stelle, wo sie fehlten, halb im Schlamm versunken. Man hatte sie offensichtlich absichtlich entfernt, um sie dann nach Bedarf wieder an Ort und Stelle anzubringen und sie erneut zu entfernen, um die Sicherheit der Straße zu gefährden, da ihr Fehlen in der Dunkelheit eine Falle darstellte.

Die drei Straßenräuber reparierten die Lücke im Regen; es fiel mir nicht schwer, sie zu überreden. Danach führte ich sie zurück in den Straßengraben, neben den umgestürzten Wagen.

»Kniet nieder, zwischen den Rädern, mit dem Rücken zum Wagen.«

Sie gehorchten. Der umgestürzte Wagen befand sich nun hinter ihnen, und es wäre ihnen schwergefallen, die Flucht zu ergreifen.

»Nimm, was du willst, aber laß uns gehen!« bettelte der Anführer.

»Ich überlege mir, dich nackt mit dem Rücken auf die Deichsel zu fesseln und deine Komplizen ebenfalls nackt an die Räder zu binden. Es wäre ein Spaß, sie dann zu drehen.«

Sie sahen sich ängstlich an.

»Andererseits seit ihr keine Sklavinnen«, sagte ich nachdenklich.

»Man würde uns mit der Beute finden und uns auf der Stelle pfählen!« sagte der Anführer.

Das war durchaus möglich. Auf Gor verfährt man mit Dieben oft sehr streng.

»Verurteil uns nicht zum Tod!« bettelte der Anführer.

»Ausziehen!« befahl ich.

Dann fesselte ich ihnen die Hände auf den Rücken. Im Wagen fanden sich genug Seile, und wir legten ihnen Schlingen um den Hals und banden sie hinter dem Wagen fest. Auch Verr und Sklavinnen werden oft hinten am Wagen angebunden.

»Im Süden gibt es Arbeitsketten«, sagte der Kutscher, der auf dem Kutschbock saß. »Vielleicht kriegen wir da was für sie.«

»Halt auf der Straße den Verkehr auf, wenn du kannst, für eine Ehn«, wandte ich mich an seinen Begleiter. »Wir schaffen den Wagen zurück auf die Straße.«

»Das schaffen vermutlich nicht mal zwei Tharlarion«, meinte der Kutscher. »Bei dem Gewicht und dem Untergrund.«

»Beeil dich«, sagte ich zu seinem Begleiter. »Wir versuchen es.«

Er kämpfte sich die Böschung hoch. In der einen Hand die Laterne, hielt er sich mit der anderen an nassen Grasbüscheln fest. Er verlor den Halt, rutschte ein Stück zurück, gewann wieder festen Stand und erreichte die Straße. Wir standen knöcheltief im Wasser, das weiterhin in Strömen vom Himmel fiel. Der Regen floß in kleinen Bächen von der abschüssigen Straßenoberfläche in den Straßengraben, vereinigte sich mit dem gestauten Wasser, peitschte es schaumig und ließ es aufspritzen; die auftreffenden Regentropfen zeigten sich in Gestalt Tausender sich überschneidender, konzentrisch auseinanderstrebender Kreise. Der Begleiter schwenkte oben die Laterne. »Halt! Halt!« rief er in den Sturm hinein. Ich glaube, er griff sogar einfach nach dem Geschirr des nächsten herankommenden Tharlarions.

»Bleibt stehen!«

»Wir werden es nicht schaffen«, sagte der Kutscher.

»Versuch es«, antwortete ich. »Außerdem werden uns die drei kräftigen Burschen hier dabei helfen; sie können sich mit dem Rücken gegen den Wagen stemmen.«

»Wenn er ins Rutschen gerät, könnten wir unter seinen Rädern zermalmt werden!« wandte der Anführer der Straßenräuber ein.

»Dann paßt auf, daß es nicht soweit kommt«, sagte ich.

Auf der Straße ertönten die ersten wütenden Rufe, da der Treck nach Süden aufgehalten wurde.

»Beeil dich«, befahl ich dem Kutscher.

Er stieg auf den Kutschbock. Einen Augenblick später feuerte er das Leittier lautstark an, es ertönte der Knall der Tharlarionpeitsche. Tatsächlich werden die Tiere nur selten von der Peitsche getroffen. Ihre Nähe und der Laut den sie verursachen, reichen zumeist aus. Sie dient hauptsächlich dem Zweck, Aufmerksamkeit zu erregen, sozusagen als Signal, und sie bereitet das Tier auf die unmittelbar folgenden mündlichen Befehle vor, auf deren Befolgung es dressiert ist. Natürlich ist die Peitsche wie auch der Herrscherstab, der Kommandostab oder das Zepter ein Symbol der Herrschaft. Sie bezieht ihre Autorität hauptsächlich aus ihrer Symbolkraft und dem Wissen, was sie anrichten könnte. Dasselbe trifft übrigens für die Peitsche im Verhältnis Herren und Sklaven zu. Der Sklave wird nur selten gepeitscht. Das ist auch gar nicht nötig. Der Sklave – einerlei, ob Mann oder Frau – sieht sie und weiß, was sie anrichten kann. Das reicht für gewöhnlich aus. Natürlich wird er sie irgendwann einmal zu spüren bekommen haben, so daß sein Wissen in dieser Angelegenheit nicht ausschließlich theoretisch bleibt. Er weiß natürlich, daß er mit ihr Bekanntschaft macht, sollte er auch nur im mindesten störrisch sein oder das Mißfallen seines Herrn erregen. Er weiß auch, daß er ihr einfach so zum Opfer fallen könnte, allein zu dem Zweck, daß er nicht vergißt, was er ist.

Der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung.

Er kämpfte sich auf einer schrägen Bahn auf die Straße zu. Die Straßenräuber wurden nach vorn gerissen. Einer verlor den Halt und wurde ein paar Meter durch das Schlammwasser und dann die Böschung hinauf gezerrt.

»Stemmt euch mit den Rücken gegen den Wagen!« befahl ich den Gefangenen.

»Vorsicht!« rief jemand auf der Straße, vermutlich ein Mann, der neugierig von einem der angehaltenen Wagen gestiegen war und den Grund für den Halt in Erfahrung bringen wollte.

»Paßt auf!« ertönte ein zweiter Ruf.

»Er gerät ins Rutschen!« schrie der Anführer der Straßenräuber entsetzt.

Ich versuchte, festen Halt auf der Böschung zu finden, rutschte aber zurück, und der Wagen kam seitlich auf mich zu, die Räder rissen den grasigen Boden auf und kippten. Dann fand ich festen Boden, stemmte mich mit beiden Händen gegen den Wagen und hielt ihn auf.

»Was ist da unten los?« rief ein Reisender.

Auf der Straße wimmelte es plötzlich vor Laternen.

»Auf der anderen Wagenseite sind fünf Männer«, sagte jemand. »Jetzt ist alles in Ordnung. Sie haben ihn geradegerückt.«

Das erste Tharlarion setzte die krallenbewehrten schweren Pfoten auf das Straßenpflaster. Ich hörte es deutlich. Ein paar Männer begaben sich zu dem zweiten Tharlarion und zogen am Geschirr; andere packten die Wagenseiten und die Vorderräder und halfen, den Wagen wieder auf die Straße zu bekommen. Zum einen war dies ein Beispiel für die Kameradschaft der Reisenden, aber die Männer hatten es auch eilig, die Reise fortzusetzen. In diesem Teil des Nordens war es nicht sicher, vor allem nicht für Flüchtlinge aus der Umgebung von Ar-Station.

»Ich sehe da unten nur einen Mann«, meinte ein Mann.

Ich war auf dem Weg, mein Bündel von der Stelle im Straßengraben zu holen, wo ich es abgelegt hatte. Es war völlig durchnäßt. Trotz Kälte und Regen schwitzte ich. Einen Augenblick lang hatte auch ich große Angst gehabt. Ich hatte befürchtet, der Wagen werde umkippen. Er stand nun fast wieder auf der Straße, nur die Räder auf der linken Seite ragten noch über den Straßenrand. Die Dunkelheit und der Verkehr auf der anderen Straßenseite machten es riskant, sie in ihrer Breite zu überqueren. Man konnte unter die Krallen der Tharlarion geraten, Wagen konnten zusammenstoßen und auseinandergerissen werden.

Ich betrat die Straße. Dann legte ich mein Bündel hinten auf den Wagen.

Ich hörte, wie ein Mann zum anderen sagte: »Er gehört der scharlachroten Kaste an.«

»Leuchte mal hier«, sagte ich zu dem Begleiter des Kutschers, der, nachdem er das nachfolgende Tharlarion aufgehalten hatte, nun das Geschirr losließ, »Das ist Andron, der Straßenräuber!« stieß plötzlich einer der Flüchtlinge aus und zeigte auf den Anführer der Räuber.

Wütende Rufe erschollen.

»Legt ihre Hälse unter die Räder!«

»Pfählt sie!«

»Bindet sie an den Füßen zusammen und zerrt sie hinter dem Wagen her!«

»Kniet nieder«, schlug ich den Straßenräubern vor. Eine Menge Leute hatte sich versammelt, und ich war mir nicht sicher, ob ich sie beschützen konnte. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß man sie kannte. »Die Köpfe nach unten. Seht so harmlos aus wie möglich.«

»Legt sie in Ketten und hängt sie an einem Eisenkragen vor die Herberge!« schlug jemand vor. Manchmal hält ein Delinquent diese Prozedur zwei oder drei Tage lang durch, bevor er stirbt.

»Kettet sie an die Pfosten!« rief sein Nachbar. Das ist eine ähnliche Form der Bestrafung. Man fesselt das Opfer mit einem Halseisen, Handketten und Fußketten an Pfosten, die auf Podesten stehen. Derartige Konstruktionen findet man gewöhnlich in Hafenstädten, in Nähe der Kais. Der Mann, der den Vorschlag gemacht hatte, kam vermutlich aus dem Flußhafen von Ar-Station. Auf dem Land ist das Pfählen weit verbreitet, der Pfahl wird gewöhnlich in unmittelbarer Nähe einer Kreuzung aufgestellt.

»Sollen die Tharlarion sie zu Tode trampeln.«

»Nein, sie sollen sie vierteilen.« Dazu befestigt man an den Hand- und Fußgelenken des Opfers Stricke, zurrt sie an den Geschirren zweier Tharlarion fest und treibt die Echsen in zwei Richtungen.

»Ja, das ist besser«, meinte der erste Sprecher.

Teilt man mit dem Opfer den Heimstein, fällt die Bestrafung meistens wesentlich menschlicher aus. Gewährt man ihm diese Gnade, zieht man ihn aus, fesselt ihn an einen Pfosten, prügelt ihn mit Stöcken und enthauptet ihn dann. Alle diese Hinrichtungsmethoden wie das Aufhängen an Ketten oder an Pfosten, damit die Verurteilten den Elementen ausgesetzt werden, sind sehr alt.

Im strömenden Regen blitzte ein Messer auf. »Wir haben keine Zeit«, sagte der Mann, »Ich schneide ihnen die Kehle durch.«

Zustimmendes Gemurmel ertönte.

Die gefesselten Straßenräuber blickten von ihrer knienden Haltung in die Höhe.

»Die Zeit drängt«, sagte der Mann mit dem Messer. »Wenn der Sturm sich legt und die Wolkendecke aufbricht, könnten Artemidorus’ Tarnsmänner die Flüchtlingskolonne angreifen.« Artemidorus war ein Cosianer, Hauptmann und Anführer einer fliegenden Söldnerbande.

»In wenigen Ahn ist es Morgen«, bemerkte ein Reisender.

Der Mann mit dem Messer trat vor, aber ich verstellte ihm den Weg.

»Das sind meine Gefangenen!«

»Man kennt sie gut in dieser Gegend.«

»Tritt beiseite«, sagte einer der Umstehenden. »Laß der Gerechtigkeit ihren Lauf.«

»Fahrt endlich weiter!« rief ein Kutscher von einem der hinteren Wagen.

»Wir sind viele«, sagte der Mann mit dem Messer; sein Tonfall klang nicht freundlich.

»Der Wagen steht noch immer nicht richtig auf der Straße«, wandte ich ein und deutete auf die Räder an der linken Seite. »Sehen wir zu, daß die Fahrt weitergeht.«

»Um drei Kehlen durchzuschneiden, braucht es nicht länger als drei Ihn«, sagte der Mann.

»Helft mir, den Wagen auf die Straße zu schaffen«, bat ich.

»Du bist schlau«, sagte der Mann. »So hättest du unsere Hilfe in Anspruch genommen, wir wären deine Freunde, und du könntest uns deshalb umstimmen.«

»Du willst mir nicht helfen?« fragte ich.

»Hol dir zehn Männer, die dir helfen«, erwiderte er. »Ich lasse mich nicht abhalten.«

»Fahrt endlich weiter!«

Trotz des Regens hörte man Tharlarion schnauben und blöken. Fünf Laternen erhellten die Szene. Weiter hinten in der Reihe wurden ebenfalls Laternen angezündet.

»Wenn wir nicht in zwei Ehn weiterfahren, werde ich ebenfalls ein paar Kehlen durchschneiden«, sagte ein Reisender. »Ich habe eine Gefährtin auf dem Wagen und zwei Kinder. Ich brächte sie gern in Sicherheit.«

»Du willst also nicht helfen?« fragte ich den Messerhelden erneut.

»Nein.«

»Tretet zurück«, sagte ich. Dann ging ich in die Knie und stemmte mich unter den hinteren Teil des Wagens.

»Tu das nicht«, sagte der Begleiter des Kutschers, der eine der Laternen hielt.

»Er ist verrückt.«

»Seht euch das an!«

Ich ging langsam in die Höhe und hob den beladenen Wagen an. Ich blickte dabei den Mann mit dem Messer an. Das Wagenrad zu meiner Rechten drehte sich, als es freikam, der Regen funkelte im Licht der Laternen auf dem Eisenbeschlag. Die Umstehenden waren verstummt. Ich bewegte mich nach links, Zentimeter für Zentimeter. Dann setzte ich den Wagen langsam auf der Straße ab, wobei ich den Messerträger nicht aus den Augen ließ. Das Rad berührte die Steine der Straße.

Ich trat unter dem Wagen hervor. Schmerzerfüllt richtete ich mich auf. Ich sah auf den Mann mit dem Messer hinab.

Er trat zurück. Dann steckte er das Messer weg. »Es sind deine Gefangenen«, sagte er.

»Geh zum Kutschbock«, sagte ich zu dem Begleiter des Kutschers. »Verliert keine Zeit. Verschwindet von hier. Wenn ihr Zeit habt, solltet ihr den Gefangenen Hauben aufsetzen, aus Stoff oder Säcken, einerlei, und sie sicher an den Hälsen festbinden. Sorgt dafür, daß man sie im Umkreis von hundert Pasang nicht erkennt. Wenn man sie euch umbringt, wird euch der Herr der Arbeitskette wohl kaum etwas für sie zahlen.«

»Unser Wagen gehört Septimus Entrates«, sagte er.

»Gut.« Der Name sagte mir nichts.

»Ich wünsche dir alles Gute!« sagte er und eilte nach vorn.

»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte ich den traditionellen goreanischen Gruß und nahm mein Bündel vom Wagen. Einen Augenblick später knallte die Peitsche, gefolgt von Rufen, die die Echsen antrieben. Die anderen Männer eilten zurück zu ihren Fahrzeugen. Der schwere Wagen setzte sich in Bewegung. Ich stand auf der Straße, mein Bündel in der Hand, und sah ihm nach. Ein paar Männer liefen hinterher, um den Gefangenen, die es eilig hatten, dem Wagen nachzulaufen, Tritte zu versetzen. Sie waren Straßenräuber gewesen, hatten Beute angehäuft. Nun stellten sie in gewisser Weise selbst Beute dar und würden am Ende ehrlichen Männern einen Gewinn bringen. Ich sah ihnen eine Zeitlang nach. Ja, sie waren jetzt tatsächlich selbst Beute, wie es sonst eigentlich eher Frauen waren.

»Gestattest du, daß wir weiterfahren?« fragte ein Mann.

»Einen Moment noch«, erwiderte ich. Der Wagen sollte einen kleinen Vorsprung bekommen. Bedingt durch das langsame Vorankommen der Flüchtlinge und den Sturm, war es unwahrscheinlich, daß man ihn schnell einholte.

»Wurde jemand von euch von den Männern beraubt?« fragte ich.

»Ich«, meldete sich ein Reisender.

»Der größte Teil der Beute liegt dort unten im Straßengraben. Vielleicht wollt ihr euch etwas davon zurückholen.«

»Androns Beute!« rief ein Mann.

»Die Reifenspuren des Wagens führen möglicherweise zu einem Versteck.«

Laternen wurden gehoben.

»Da unten liegt etwas«, sagte ein Mann. Unverzüglich stieg er die Böschung hinunter. Zwei weitere Reisende schlossen sich ihm an. »Fahrt schon weiter«, sagte ein dritter. »Ich hole euch später wieder ein.« Er stieg ebenfalls in die Tiefe. Ich trat zur Seite, und der Wagenzug setzte sich wieder in Bewegung. Ich hörte, wie jemand sagte: »Androns Beute!« – »Wo?« – »Dort unten, wo die Männer stehen!« Weitere Männer verließen die Straße. Wagen fuhren an mir vorbei. Der Reisende, der das Messer gezogen hatte, sah mich an. »Ist dort unten wirklich was?« fragte er.

»Ja.«

»Nun, vielleicht bekomme ich ja doch noch etwas, was mich für diesen Abend entschädigt.« Er rutschte die Böschung hinunter, um sich den anderen anzuschließen. Ich begab mich wieder auf die linke Straßenseite; als der nächste Wagen vorbeikam, warf ich mein Bündel hinten auf die Ladefläche, ohne daß es der Kutscher bemerkte. Dann hielt ich mich wieder mit der linken Hand an der rechten Seite fest, um nicht zu stolpern.

Der Sturm hatte meiner Meinung nach in seiner Wut nachgelassen, aber der Regen fiel unverändert heftig.

Gelegentlich zuckten Blitze über den Himmel und tauchten die Straße und das umliegende Land in ihr ungebändigtes weißes Licht, dem unverzüglich, schneller oder langsamer, ein krachender Donner folgte.

»Es hat den Anschein, als würden die Priesterkönige Mehl mahlen«, lachte ein Mann in meiner unmittelbaren Nähe.

»Stimmt«, erwiderte ich.

Diese Bemerkung bezog sich auf eine alte Form der Mehlherstellung, die aus irgendeinem Grund noch immer mit den Priesterkönigen in Zusammenhang gebracht wird. Hierbei benutzt man einen Stößel und einen Mörser. Heute wird das Sa-Tarna in Mühlen gemahlen, zwischen Steinen, wobei der obere Stein gewöhnlich von Wasserkraft angetrieben wird, obwohl man dafür auch Sklaven oder Tharlarion einsetzt. In einigen Dörfern greift man jedoch auf etwas ähnliches wie Mörser und Stößel zurück, und zwar auf einen Stoßblock, der an einem biegsamen Pfahl befestigt ist, und einen Mörser- oder Amboßblock. An dem Pfahl befestigt man ein Seil oder mehrere Seile. Zieht man daran, senkt sich der Stoßblock in den Mörserblock. Durch seine Biegsamkeit bedingt, schnellt der Pfahl wieder in die Höhe und ist zum nächsten Stoß bereit. Viel verbreiteter sind natürlich Getreidemühlen, die, wenn sie groß sind, von zwei Männern bedient werden; für die kleineren reichen zwei Jungen. Es gibt auch Handmühlen, an denen Frauen arbeiten.

Die normalen Getreidemühlen arbeiten nach folgendem Prinzip: Sie bestehen aus einem Podest, zwei Steinen, einem darüberhängenden Balken und einer Stange. Die beiden Steine sind runde Mühlsteine. Der untere Mühlstein hat eine kleine Nabe auf der Oberfläche, die in eine ausgehöhlte Vertiefung des oberen Steins paßt. Das hält die Steine zusammen. Er ist zusätzlich mit kreisförmigen flachen Furchen ausgestattet, durch die das Gemahlene zwischen den Steinen entweicht und in dem stabilen kastenähnlichen Podest landet, um von dort aus in einen Vorratsbehälter oder einen Sack abgefüllt zu werden. Der obere Stein hat zwei Öffnungen, ein trichterförmiges Loch in der Mitte, durch das das Getreide eingeführt wird, und ein Loch in Randnähe, wo man die Stange einführt. Diese Stange wird von den beiden Arbeitern bedient. Das obere Ende ist in den darüberhängenden Balken eingepaßt, was für die Hebelkraft sorgt; außerdem wird so natürlich für Halt gesorgt, was die Bedienung der Stange erleichtert. Die Handmühle arbeitet nach einem ähnlichem Prinzip, sie wird natürlich mit einem kleinen Holzgriff bewegt. Das von diesen Mühlen hergestellte Mehl wird gesiebt und danach meistens noch einmal gemahlen, gelegentlich sogar mehrere Male. Als Sieb dient normalerweise ein Stück Tierhaut, das auf einen Holzreifen aufgespannt ist. Die Löcher stößt man mit einem heißen Draht in die Haut.

Natürlich schreiben die wenigsten Goreaner Blitz und Donner der Getreidemühle der Priesterkönige zu. Solche Dinge dienen den hübschen Mythen, denen sie entwachsen sind. Allerdings halten einige der niederen Kasten, insbesondere Bauernkasten – vor allem in abgelegenen Gegenden – es durchaus für möglich, daß solche Naturphänomene Anzeichen von Streit unter den Priesterkönigen sind, für das Aufeinanderprallen ihrer Waffen, das Gepolter ihrer Streitwagen, den Galopp ihrer Tharlarion und dergleichen. Man hat sogar schon von gebildeteren Goreanern gehört, die darüber spekulierten, daß ein Blitz durch den Zusammenstoß von Wolken am Himmel entsteht. Das gilt natürlich nicht für Angehörige der Kaste der Schrift gelehrten oder der Hausbauer. Es soll sogar Menschen geben, die das Knistern beim Streicheln des Fells eines Jagdsleens mit einem Blitzschlag in Zusammenhang bringen.

Der Wagen vor uns wurde kurz erhellt, und mir fiel ein schmaler, zylinderförmiger, verschlossener Eimer mit ›Schmiere‹ auf, der mit seinem Riemen am Haken neben der Verkleidung der Hinterachse hing. Der dazugehörige Pinsel ragte durch ein Loch im Deckel. Solches Zubehör ist bei goreanischen Wagen nichts Ungewöhnliches. Bei der ›Schmiere‹ in solchen Behältern handelt es sich nicht um mineralische Schmiere, sondern eine Mixtur aus Pech und Talg. Mit dem Pinsel aufgetragen, benutzt man sie wie mineralische Schmiere, von der es auf Gor nur geringe Vorkommen gibt; sie schmiert die beweglichen Teile des Wagens, insbesondere die Achsen. Man benutzt sie auch für metallene Federn, obwohl die nur selten Verwendung finden. Einige wenige goreanische ›Kutschen‹ und Mietwagen sind auf Lederriemen aufgehängt, die aus mehreren Schichten bestehen. Das sorgt zwar für eine einigermaßen holperfreie Fahrt, aber die schwingenden Bewegungen können – falls man sich nicht daran gewöhnt – zu Übelkeit und sogar zu Seekrankheit führen. Das scheint vor allem freien Frauen zu passieren, die für ihre Zartheit berüchtigt und anfällig für eingebildete Beschwerden sind.

Bemerkenswerterweise verschwinden diese ›Zartheit‹, diese anmaßende Zerbrechlichkeit und die mit ihr einhergehenden ›Beschwerden‹ in dem Augenblick, da man sie in die Sklaverei führt. Vermutlich liegt es daran, daß sie in diesem Augenblick dort sind, wo sie hingehören, an dem Platz, den die Natur für sie vorgesehen hat. Vielleicht spielt es dabei auch eine Rolle, daß sie, wenn sie auf den Knien zu ihren Herren aufsehen, sogleich begreifen, daß er für solche Dinge nur wenig Verständnis hat. Was dieses Thema angeht, können die Umstände für große Unterschiede sorgen. Zum Beispiel ist bekannt, daß dieselbe Frau, die das widerwärtige Spektakel einer freien Reisenden bietet, die in einem ledergefederten Wagen fährt, als gefesselte, in einem Sack transportierte Sklavin, die zwischen den Sitzbänken zu Füßen der Passagiere liegt, sich doch sehr zurückhält.

Der Gerechtigkeit willen muß man allerdings zugeben, daß die meisten Goreaner die einfache, holprige Fahrt in einem ungefederten Wagen dem schnelleren Vorankommen in einem ledergefederten Mietwagen vorziehen. Im Licht des Blitzes hatte ich nicht nur den ›Schmiereimer‹ an seinem Haken gesehen, sondern auch zwei Kinder auf einer aufgehängten großen Haut. Sie starrten ängstlich über den Rand hinweg. Ihre Augen schienen sehr groß zu sein. Solche aufgespannten Transporthäute unter dem Wagen sind nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich hingegen ist es, auf ihnen Kinder oder sonstige Passagiere zu befördern. Normalerweise dienen sie zum Transport von Brennmaterial, das unterwegs gesammelt wird. Die Kinder hielten sich dort unten zweifellos nur auf, damit sie vor dem Sturm geschützt waren.

Beim nächsten Blitz konnte ich sie nicht mehr sehen. Offenbar hatten sie beschlossen, die Köpfe einzuziehen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Ich mußte an die Straßenräuber denken, die sich nun im Gewahrsam des Kutschers und dessen Begleiters befanden, die den Wagen von ›Septimus Entrates‹ lenkten. Vielleicht war es der Name des Kutschers gewesen oder des Besitzers des ursprünglichen Wagens, der den Straßenräubern in ihre Falle mit den entfernten Straßenbegrenzungssteinen gegangen, die Böschung hinuntergerutscht und im Graben umgekippt war. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich den Namen noch nie gehört. Es war ein ungewöhnlicher Name. Er ließ einen an die vielen Städte am Vosk denken, an Namen, die die kulturellen Vermischungen vieler solcher Orte widerspiegelten, so unterschiedliche Einflüsse wie die der Insel-Ubarate Cos und Tyros auf der einen und die jener südlichen Städte wie Venna und Ar auf der anderen Seite.

Mit dem Beutewagen der Straßenräuber als Ersatz für ihren zerstörten Wagen harten sie ihre Fahrt fortgesetzt. Die beiden Männer hatten einen guten Eindruck gemacht. Ich mußte daran denken, wie die Räuber mitten in ihrem Beutezug innegehalten und den Rückzug angetreten hatten, nachdem sie erfuhren, daß der Wagen einen Heimstein transportierte. Die Hüter eines Heimsteins sind für gewöhnlich furchterregende Gegner. Nur wenige Männer stellen sich einer solchen Person in den Weg; erst recht würden sie sie nicht bedrohen oder gar angreifen. Die Warnung, daß er einen Heimstein transportierte, war ein deutlicher Hinweis gewesen, daß der Kutscher ihre Absichten durchschaute. Es war diese Ankündigung gewesen, die mich darin bestärkt hatte, mich einzumischen. Ich fragte mich, ob sie tatsächlich einen Heimstein transportierten oder ob es nur eine List gewesen war, um die Räuber zu vertreiben. Wie dem auch sei, auf jeden Fall waren der Kutscher und sein Begleiter nun wesentlich besser dran als zuvor. Sie besaßen ein zusätzliches Tharlarion, drei gefüllte Geldbeutel und drei Kerle, die nackt, gefesselt und am Hals angebunden hinter dem Wagen herstolperten und die sie an den Herrn einer Arbeitskette verkaufen konnten, möglicherweise für einen Silbertarsk das Stück. Ich hoffte nur um ihretwillen, daß sie den Verbrechern vor Einbruch der Dämmerung Kapuzen übergestülpt hatten, denn das war erforderlich, wenn sie es bis zu einem Käufer schaffen wollten. Falls man sie erkannte, würde man sie auf der Stelle hinrichten.

Das war knapp gewesen, vor ein paar Ehn auf der Straße. Ein bißchen harte Arbeit würde den Banditen bestimmt nicht schaden. Im Süden, in der Nähe von Venna, gab es meines Wissens mehrere solcher Arbeitsketten. Die Stadt setzte ihre Mauern instand. Auf dem Weg nach Norden war mir öfter zu Ohren gekommen, daß Ionicus aus Cos, der Besitzer mehrerer solcher Ketten, zur Zeit kaufte. Solche Ketten sind unpolitisch. Nur so war es überhaupt möglich, daß Venna, ein Verbündeter von Ar, die Dienste einer solchen Kette in Anspruch nahm, obwohl ihr Besitzer aus Cos stammte.

Wenn es schon die Cosianer nicht störte, gab es meiner Meinung nach auch keinen Grund, warum sich die Bürger Vennas darüber aufregen sollten, wenn sie nun billige Arbeitskräfte brauchten.

Der Brauch, Gefangene nackt auszuziehen, ist auf Gor weit verbreitet. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Es demütigt den Gefangenen und freut denjenigen, der ihn gefangen hat. Es macht dem Gefangenen klar, daß er sich in der Gewalt eines anderen befindet. Außerdem erschwert es den Versuch, Waffen zu verbergen. Auf Gor gibt es keine allgemein gebräuchliche Gefangenenkleidung, keine ›Gefängnisuniform‹. Während andere Kulturen ihre Gefangenen auf bestimmte Weise kleiden, um sie als Gefangene zu kennzeichnen und andere auf ihren Status aufmerksam zu machen, erreicht man dieses Ziel auf Gor durch den völligen oder zumindest beinahe völligen Verzicht auf Kleidung. Diese Nacktheit des Gefangenen macht jedermann auf seinen Status aufmerksam. Und sollte dem Gefangenen trotzdem die Flucht gelingen, sieht er sich dem zusätzlichen Problem der Beschaffung geeigneter Kleidung gegenüber. In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht auch erwähnen, daß die meisten Goreaner etwas gegen Verbrecher haben. Also stört es sie in keiner Weise, ihnen die Kleidung vorzuenthalten. Für sie ist es ein Zeichen, daß man den Übeltäter erwischt hat und er nun damit rechnen muß, daß er so behandelt wird, wie er es verdient.

Diese Anmerkungen beziehen sich natürlich hauptsächlich auf freie Verbrecher und nicht etwa Kriegsgefangene oder Sklaven. Nimmt man Kriegsgefangenen die Kleidung weg, ist dies im allgemeinen nur eine vorübergehende Maßnahme; man will sie absondern, da viele goreanische Soldaten und vor allem Söldner keine Uniformen tragen. Außerdem soll verhindert werden, daß sie Waffen verbergen. Ob nun Sklaven Kleidung tragen oder nicht, obliegt ihrem Herrn. Zum Beispiel werden in den Häusern der Sklavenhändler oder auf Sklavenmärkten schöne Frauen fast immer nackt gehalten.

Wieder erhellte ein Blitz die Dunkelheit, und mein Blick fiel erneut auf den ›Schmiereimer‹ voller Pech und Talg, der an seinem Haken baumelte. Alles in allem würden sich die Straßenräuber bestimmt glücklich schätzen, im Süden einer Arbeitskette zugeführt zu werden. Vielleicht ließ man sie sogar nach einer gewissen Zeit wieder frei, wenn man zu der Ansicht kam, daß sie ihren Preis mehrmals eingebracht hatten und man außerdem der Meinung war, daß sie hart arbeitende und ausreichend fügsame Mustergefangene gewesen waren. Wegen des Sturms und des damit verbundenen Regens und Winds hatte keiner der Reisenden eine andere Art der Bestrafung vorgeschlagen, die man unter der Bezeichnung ›Wagengerechtigkeit‹ kennt und die durchaus auch Anwendung findet. Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber man braucht dazu das Pech, den Talg und Feuer. Wie ich schon sagte, Goreaner haben nicht viel für Verbrecher übrig.

Ich holte mein Bündel von dem Wagen, neben dem ich herging, ließ ihn weiterfahren und eilte dann zur linken Straßenseite. Hinter mir fuhr das nächste Gefährt vorbei. Ich blickte in die Höhe. Beim nächsten Blitz sah ich das Felsplateau, das von der Herberge Zum Krummen Tarn gekrönt wurde. Wind und Regen stürmten gegen meine rechte Körperseite an. Ich verließ die Straße. Ein breiter, mit Schotter bedeckter Vorplatz grenzte an die Herberge. Er war mindestens je fünfzig Meter breit und lang, genug Platz, daß sogar ein von zehn Tharlarion gezogener Wagen wenden konnte. Vor mir an einem Pfahl hing eine Laterne. Ich hielt darauf zu. Im Licht der Blitze erkannte ich mehrere Wege, die sich über das Plateau zogen. Sie führten zu Rastplätzen, auf denen Wagen ihr Lager aufschlagen konnten.

Zu meiner Linken, auf der dem Wind abgewandten Seite, standen mehrere dicht zusammenstehende Wagen. Unmittelbar vor mir gab es noch mehr; sie waren aus dem Regen gedreht. Durch die Sohlen meiner Sandalen fühlte ich den Schotter des Wendeplatzes. Ich blieb bei einigen der Wagen stehen. Dann ging ich weiter auf die Laterne zu. Sie krönte einen Pfahl, der an der rechten Ecke der Wagenbrücke aufragte, die über einen Graben führte; auf der anderen Seite, ein Stück hinter der Brücke, befand sich das Herbergstor. Im Licht des nächsten Blitzes sah ich zwei Mädchen, die unter dem Rand der Segeltuchplane eines Wagens hervorspähten. Sie entdeckten mich ebenfalls, voller Angst. Als der Himmel das nächste Mal erleuchtet wurde, lag die Plane wieder gerade da. Ich hatte kaum mehr als ihre Augen gesehen, zweifelte aber keinen Augenblick lang, daß sie Kajirae waren. Sie hatten den Eindruck von Frauen gemacht, die gelernt hatten, daß der Mann ihr Herr war. Ich ging über den nassen Kies auf die linke Seite der Wagenbrücke zu. Dort blieb ich stehen, um über den Graben zu blicken. Seine Breite betrug etwa vierzig Meter. Der Boden bis zur Staumauer, die zu niedrig war, um einem Mann Deckung zu gewähren, war leicht abschüssig. Am Fuß der Mauer befanden sich ungefähr alle zwanzig Schritte Öffnungen, damit Regenwasser in den Graben abfließen konnte. Die Neigung des Bodens hätte es sehr erschwert, den Graben auszutrocknen. Natürlich wäre es zu schaffen gewesen, die Männer hätten eben unter einem Unterstand arbeiten müssen, der sie vor Geschossen wie Pfeilen oder von Schleudern abgefeuerten Stahlkugeln schützte; besser wäre es natürlich gewesen, diese Arbeit von Belagerungsingenieuren ausführen zu lassen, aus dem Schutz eines Tunnels heraus. Natürlich hätten beide Unternehmungen viele Männer und noch mehr Zeit erfordert; es wäre eine Ingenieurleistung von erheblichem Ausmaß erforderlich gewesen.

Natürlich gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, eine solche Aufgabe zu bewältigen. Zum Beispiel konnte man versuchen, den Graben mit Hilfe von Pontons oder Flößen mit darauf befestigten Belagerungsleitern zu überwinden. Oder ihn einfach zuzuschütten. Das Aushungern einer Garnison ist für gewöhnlich keine besonders wirksame Methode. Das hat verschiedene Gründe. Normalerweise haben die Verteidiger große Mengen an Vorräten eingelagert, oftmals genug für ein oder sogar zwei Jahre; Wasser beziehen sie aus innenliegenden Belagerungszisternen oder durch Regen oder den Wassergraben. Meistens haben die Belagerer nach einiger Zeit die Lebensmittelvorräte der Umgebung erschöpft, und es kommt vor, daß sie lange vor den Belagerten unter Hunger leiden. Eine zeitlich unbegrenzte Belagerung erfordert eine weitreichende und leistungsstarke Logistik, Vorräte müssen erworben, transportiert und beschützt werden. Sicher hängt viel von der Anzahl der Belagerer und der Belagerten sowie der Art des Festungswerks und dergleichen ab. Falls die Belagerten nicht genügend Kämpfer haben, um die Mauern zu bemannen, werden ihre Reihen so dünn sein, daß sie einen Angriff von mehreren Seiten mit nachfolgendem Sturm förmlich herausfordern. Doch statistisch gesehen sind Belagerungen fast immer ein Fehlschlag. Darum haben Städte auch hohe Mauern. Innerhalb der Stadt gibt es zusätzlich eine uneinnehmbare Zitadelle, in die sich die Verteidiger zurückziehen können. Dort werden sie selbst dann noch sicher sein, wenn die Stadt um sie herum bis auf die Grundmauern niederbrennt.

Von Belang ist vielleicht noch die Tatsache, daß Belagerungen nie sehr lange dauern, meistens brechen die Angreifer sie nach wenigen Wochen ab. Sie erkennen entweder die Sinnlosigkeit ihres Tuns oder erleben das Unbehagen gekürzter Rationen; es ist auch schon vorgekommen, daß der Kriegskontrakt ihres Befehlshabers abgelaufen oder die Dienstverpflichtung der Männer vorbei ist. Manchmal wollen die Soldaten – vor allem, wenn es sich um steuerpflichtige Bürgersoldaten handelt – auch einfach nur wieder nach Hause, um ihre Geschäfte fortzuführen oder die herbstliche Ernte einzuholen. Meiner festen Überzeugung nach sind mehr Städte und Dörfer einer List oder Bestechung zum Opfer gefallen als Frontalangriffen. Ein guter Hauptmann kennt die politischen Meinungsverschiedenheiten innerhalb des belagerten Gemeinwesens und versucht sie sich nutzbar zu machen; er macht Versprechungen, nach seinem Sieg die eine oder andere Fraktion an die Macht zu bringen. Die verräterische Gruppe wird den Eroberer später vermutlich sogar als Befreier begrüßen, was in diesem Augenblick vermutlich sogar ihre ehrliche Überzeugung ist.

Dietrich von Tarnburg, einer der bekanntesten Söldnerführer von Gor, hat den Ruf, großes Geschick in solchen Dingen zu haben. Er hat zweifellos mehr Städte mit Gold als mit Eisen erobert. Das verteilte Gold wird natürlich hinterher durch einen großzügigen Griff in die betreffende Stadtkasse zurückgeholt, ganz zu schweigen vom Verkauf aller möglichen Güter wie kostbarer Teller, Teppiche, Kleider, Wandteppiche, eingelegter Holzarbeiten, Silber- und Golddraht, Kunstobjekte, Juwelen, Tharlarion, Tarsk und natürlich Frauen. Diese Gewinne erhält man auch durch die Erhebung einer ›Befreiungssteuer‹, und es ist dann Sache der neuen Machthaber, sie mit guter Miene willkommen zu heißen und sie vor der Bevölkerung zu rechtfertigen.

Das schäumende dunkle Wasser in dem Graben hatte fast die Bohlen der Brücke erreicht.

Die Laterne an dem Pfosten zu meiner Rechten schaukelte wild im Sturm.

Ein Blitz erhellte die Dunkelheit, und einen kurzen Augenblick lang war die Palisade auf der höchsten Stelle des Plateaus zu sehen.

Die Blitze kamen nun immer häufiger.

Die Bohlen der Brücke waren feucht und rutschig. Ihre Breite betrug etwa zwei Meter vierzig; zwei Wagen paßten nicht nebeneinander. Sie führte zu einem überdachten Tor, dem sich vermutlich ein ebenfalls überdachter Hof und ein dahinterliegendes zweites Tor anschlossen. Solche inneren und äußeren Tore sind selten zur gleichen Zeit geöffnet. In dem überdachten Wegstück befanden sich zweifellos Schießscharten, an den Seiten und direkt im Dach. Zwei gewaltige Seile, deren Durchmesser mehr als fünfundzwanzig Zentimeter betrug, ragten von der oberen Torhälfte zur Brücke, wodurch es möglich war, den hinteren Teil nach Gutdünken zu heben und zu senken. War die Brücke oben, bedeckte und beschützte sie das Tor, und die Herberge war von der Außenwelt abgeriegelt, eine Insel in einem kleinen See.

Derartige Herbergen können auch als Festungen dienen, wovon aber nur selten Gebrauch gemacht wird. Man kann sie als einfacher Reisender betreten und gegen Bezahlung dort übernachten. So gesehen stehen sie allen offen, obwohl es nicht ungewöhnlich ist, wenn sie in der Nacht verschlossen sind. Doch wie bereits erwähnt können sie als Festungen benutzt werden. Mehr als eine solche Herberge wurde in unzugänglichen Gegenden als Zufluchtsort vor marodierenden Soldaten oder Räuberbanden benutzt. Es ist auch schon vorgekommen, daß sie von den Überresten besiegter Truppen in Beschlag genommen wurden, als Ort, an dem man eine verzweifelte letzte Schlacht schlagen kann. In abgelegenen, unruhigen oder barbarischen Gegenden dienen solche Herbergen als Außenposten, als Festungen, von denen aus man die Umgebung befrieden kann. Innerhalb der Palisade gab es bestimmt Platz für mehrere Wagen. Ich konnte schlecht schätzen, wie viele es hier wären.

Außerdem gab es hier bestimmt irgendwo einen überdachten Tarnturm, allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, daß er jetzt beleuchtet war. Sie sind nicht nur ein Hinweis auf den Standort der Herberge und ihrer Annehmlichkeiten, sondern bieten auch eine sichere Annäherung, die nicht durch Tarndraht behindert wird. Natürlich steuert man den Vogel auf die linke Seite des Lichts. Von der Tradition her findet auf Gor der Verkehr auf der linken Seite statt. So ist der Schwertarm stets auf die Entgegenkommenden gerichtet – falls man Rechtshänder ist, aber das sind die meisten Goreaner.

Links vor der Brücke stand ein Wagen. Die hintere Plane war nach unten gezogen. Der Regen perlte von ihr ab. Unter dem Wagen hockte eine zusammengekrümmte kleine Gestalt, die ein Stück Segeltuch um Kopf und Schultern gelegt hatte. Im Wagen hielten sich vermutlich ein Mann und seine freie Gefährtin auf. Zweifellos war die Anwesenheit der kleinen Gestalt unter dem Wagen, die dort in der Kälte hockte, auf die Anwesenheit der freien Gefährtin im Wagen zurückzuführen, vorausgesetzt sie war nicht auf irgendeine Weise ungehorsam gewesen. Ich hatte keinerlei Zweifel, daß das Mädchen bei weitem schöner und anziehender als die freie Gefährtin war. Das sagte einem schon ihr Status. Freie Frauen hassen solche Individuen und versäumen nur wenige Gelegenheiten, sie leiden zu lassen. Ich fragte mich, ob der Bursche im Wagen das Mädchen bloß zu seinem Vergnügen gekauft hatte oder es als Möglichkeit betrachtete, seine Gefährtin zu ermuntern, sich in ihrer Beziehung etwas mehr zu bemühen. Falls der Plan Erfolg zeigte, war er in diesem Fall vielleicht so anständig, sich des Mädchens zu entledigen und sie auf einem Markt zu verkaufen.

Ich ging in die Hocke. Erst da sah ich die schwere Kette, die durch einen unter dem Wagen angebrachten Ring führte. Ein Ende verschwand zwischen den Falten des Segeltuchs, in Halshöhe, vermutlich mit einem Schloß an einem Kragen befestigt. Das andere Ende verschwand hinter der Gestalt, vermutlich um ihre überkreuzten Knöchel zu fesseln. Als sie meinen Blick spürte, kniete sie sich hin; die Hände kamen unter der Plane hervor, die Handflächen stützten sich auf den Kies, der Kopf senkte sich und deutete Gehorsam an.

»Oh!« stieß sie leise hervor, als ich das Segeltuch zurückschob. Auf allen vieren hockend blickte sie auf. Die Kette, die durch den Ring führte, war zweimal um ihren Hals geschlungen und dort mit einem Vorhängeschloß verschlossen. Sie diente ebenfalls dazu, die Knöchel zu fesseln, die wie erwartet überkreuzt und eng aneinandergekettet waren. So kann die Gefangene nicht laufen. Es ist allgemein üblich, Gefangene so zu fesseln, daß sie nicht aufstehen können. Das dient nicht nur der Sicherheit, sondern ist auch ein Symbol ihres rechtmäßigen Platzes. Unter dem Tuch war sie nackt und schön. Wie ich es mir gedacht hatte.

Sie schaute zu mir hoch. Ihr Körper wurde nun dem Regen ausgesetzt. Ihr Haar war schon naß; es war sehr dunkel und fiel ihr über die Schultern. Sie kniete nun auf dem Segeltuch, mit dem sie sich bedeckt hatte. Ich schob sie zurück und nahm ihre Hände. Sie waren klein, von wunderschöner Zartheit und weiblich. Außerdem waren sie kalt. Ich rieb sie eine Zeitlang. Dann legte ich sie zurück auf ihre Oberschenkel. Ich berührte ihren Körper, ganz zärtlich, verteilte den Regen auf ihrer Haut. Sie erbebte, Schultern und Brüste nun ganz feucht und glitschig vom Regen.

»Du bist hilflos«, sagte ich zu ihr. »Du wirst keinen Lärm machen.«

»Meine Knöchel sind aneinandergekettet«, flüsterte sie.

Ich legte sie auf den Rücken, etwas tiefer in den Schutz des Wagens. Die Kette glitt ein Stück durch den Ring über uns. Das Holz quietschte. Anscheinend bewegte sich dort oben jemand. Der Bursche, dem der Wagen gehörte, drehte sich vermutlich im Schlaf um oder wandte sich seiner Gefährtin zu. Aber dann wurde es wieder ruhig, es war nichts mehr zu hören bis auf den Wind, den Regen und das ferne Grollen des Donners.

Unsere Gesichter berührten sich fast. »Du bist eine Sklavin«, flüsterte ich.

Plötzlich blitzte es, Donner krachte ohrenbetäubend.

Ich sah ihre Augen, näherte mich ihr, nahm ihren Kopf und gab ihr einen Kuß, wie es nur ein Sklavenherr konnte.

Ich zog mich zurück.

Sie sah zu mir hoch, wild, voller Angst, voller Begierde. »Ja«, flüsterte sie leidenschaftlich, hilflos. »Ich bin eine Sklavin. Ich bin eine Sklavin!« Dann stemmte sie sich mir entgegen, schlang die Arme um mich und drückte die Lippen gierig und dankbar auf die meinen.

Ich legte sie zurück auf den Rücken.

Dann liebkoste ich sie, und sie wand sich auf dem nassen Segeltuch, dort unter dem Wagen, begleitet von den niedergehenden Blitzen und dem krachenden Donner.

Sie war klein, nackt und anschmiegsam. Ihr Schenkel trug das Brandzeichen, wie ich herausfand, als ich sie herumdrehte und zuerst abtastete. Im Licht des nächsten Blitzes sah ich es dann, das zierliche kleine ›Kef‹ für ›Kajira‹, manchmal auch Stab oder Frond genannt. An ihrem Hals, unter der Kette, befand sich der normale, enge goreanische Sklavenkragen.

»Meine Knöchel sind zusammengekettet«, schluchzte sie leise und verzweifelt.

Dem entnahm ich, daß sie noch nicht lange Sklavin war. Sie kannte sich noch nicht gut in den Liebeskünsten aus.

Sie stöhnte leise auf.

Ich schob ihre Beine hoch und glitt zwischen sie; sie umfaßten mich eng. Ich hob das Mädchen an und ließ es wieder herunter. Es stöhnte wieder und packte mich fester.

Der Sturm war wild.

Eine Zeitlang später befreite ich mich von ihr.

Es gibt natürlich mehrere Methoden, sich um eine Frau mit gefesselten Knöcheln zu kümmern. Ich hatte mich nur einer bedient.

»Falls es Fragen gibt, hat man dir Schweigen befohlen, und du warst hilflos«, sagte ich ihr. Was sogar der Wahrheit entsprach. »Es war jemand, der zufällig vorbeikam.« Solche Dinge sind nicht ungewöhnlich, vor allen Dingen, wenn die Sklavinnen keinen Eisengürtel tragen und damit allen zur Verfügung stehen.

»Ich kann nicht glauben, was ich eben gefühlt habe«, flüsterte sie.

»Du mußt solche Gefühle erdulden, wenn dein Herr sie dir zuteil kommen lassen will.«

»Ja, Herr!«

Meiner Meinung nach sind Ausmaß und Natur solcher Gefühle eine normale Funktion der betroffenen Individuen. Natürlich spielen auch andere Faktoren eine Rolle. In diesem speziellen Fall spielte vermutlich die Fesselung eine Rolle. Fesselt man die Frau, und sei es auch nur symbolisch, intensiviert das aus psychologischen und körperlichen Gründen den Orgasmus. Freien Frauen ist dies weitgehend unbekannt, auch wenn viele von ihnen es anscheinend vermuten. In der Realität können sie diese Erfahrung natürlich erst dann machen, wenn sie sich selbst gefesselt auf den Knien wiederfinden. Die bedeutsamste Fessel ist natürlich die Natur der Sklaverei selbst, bei der die Frau weiß, daß der Mann ihr überlegen ist und sie sich ihm in jeder Hinsicht unterordnen muß. Dies regelt die natürliche, biologische Beziehung zwischen den Geschlechtern, und zwar in einem organisierten, sozialen, zivilisierten Zusammenhang.

»Oh, kauft mich, Herr! Kauft mich!« flehte sie mich an.

»Nur eine Sklavin bittet darum, gekauft zu werden.«

»Ich bin eine Sklavin«, sagte sie. »Das hat mir der Sklavenherr beigebracht, der mich vor Wochen gefangen hat!«

»Vermutlich bist du nicht zu verkaufen.«

»Mein Herr macht sich nichts aus mir«, erzählte sie. »Er hat mich nur gekauft, um seine Gefährtin zu ärgern, die schrecklich gemein zu mir ist. Tagsüber überläßt er mich sogar Fremden, für ein Tarskstück.«

»Bemüht und sorgt sich seine Gefährtin jetzt mehr um ihn?« wollte ich wissen.

»Ich glaube nicht,«

»Vielleicht sollte sie diejenige sein, die angekettet unter den Wagen gehört.«

»Sie ist eine freie Frau!« protestierte das Mädchen entsetzt.

»Dein Herr verlangt ein Tarskstück für deine Dienste?«

»Ja.«

»Öffne den Mund!«

Sie gehorchte, und ich zog eine Münze aus der Tasche, ein schmales dreieckiges Achtel einer Kupfertarnscheibe, und schob sie ihr in den Mund.

»Die ist für deinen Herrn«, sagte ich. Viele Goreaner, vor allem Angehörige der niederen Kasten, tragen bei Besorgungen die Münzen im Mund. Kleidungsstücke haben nur selten Taschen.

Sie sah mich an.

Ich zog das Segeltuch wieder hoch und legte es ihr um die Schultern, um sie vor der Wut des Sturms zu beschützen.

Als ich ihr die Münze in den Mund gelegt hatte, hatte ich nicht nur den Preis ihres Herrn bezahlt, der durchaus angemessen war, sondern gleichzeitig verhindert, daß sie mich weiterhin belästigte.

Ich gab ihr noch einen Kuß. Das Wasser, das ihr die Wangen hinunterlief und das ich für Regen gehalten hatte, schmeckte salzig.

Ich kroch unter dem Wagen hervor und nahm mein Bündel auf.

Sie sah mir nach. Dank der Münze in ihrem Mund wußte sie, daß sie nun still zu sein hatte.

Ich sah zu dem Felsplateau hoch, zu der Palisade. Dort hing vom Querbalken eines hohen Pfostens das große Schild in der Form eines Vogels mit geierähnlichem Hals und verzerrtem rechten Bein mit ausgestreckten Krallen an seinen Ketten und schwankte im Sturm, das Zeichen der Herberge Zum Krummen Tarn.

Ein Blick über die Schulter verriet mir, daß das Mädchen mir noch immer hinterhersah.

Ich zeigte auf den Kies vor ihr.

Sofort kniete sie nieder und senkte gehorsam den Kopf auf den Boden.

Dann wandte ich mich ab und betrat die Brücke, die zum Tor führte. Das Mädchen hatte ich da bereits schon vergessen. Schließlich war sie eine Sklavin, und sie war bezahlt worden.

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