An der Schleuse klirrte es gedämpft, während die Mechaniker der Transferstation die bewegliche Verbindung zwischen Station und Raumschiff herstellten. Die Bordsprechanlage begann zu summen. „Pugnacious hier Transferstation 70 Ophiuchi. Verbindung hergestellt und unter Druck. Sie können jetzt Ihre Schleuse öffnen.“
„Wird gemacht“ antwortete Jason und betätigte den Schalter, der die elektronische Sperre außer Betrieb setzte, so daß beide Schleusentüren gleichzeitig geöffnet werden konnten.
„Endlich wieder festen Boden unter den Füßen!“ sagte einer der Techniker der Fähre, als er die Schleuse betrat, und seine Kameraden lachten, als habe er einen guten Witz gemacht. Nur einer lachte nicht — der Pilot, der den rechten Arm in Gips trug.
Niemand erwähnte den Gipsverband, aber der Pilot wußte, warum die anderen lachten.
Der Pilot tat Jason nicht leid. Meta warnte alle Männer, die ihr zu nahe traten. Offenbar hatte er ihre Warnung nicht ernst genommen. Deshalb hatte sie ihm wirklich den Arm brechen müssen. Pech gehabt, dachte Jason und verzog keine Miene, als der andere an ihm vorbeiging und in der Station verschwand.
„Wir haben hier ein Frachtstück für die Pugnacious“, verkündete ein Angestellter, der aus dem Verbindungsschlauch schwebte. „Wollen Sie dafür quittieren?“
Jason unterschrieb die Quittung und trat zur Seite, als zwei Männer die große Kiste durch die Schleuse bugsierten. Als Meta herankam, versuchte er eben eine Brechstange unter die Eisenbänder zu schieben.
„Was hast du da?“ erkundigte sie sich, nahm ihm die Brechstange aus der Hand und sprengte das erste Band mit einem kurzen Ruck.
„Nicht übel“, lobte Jason sie, „aber ich wette, daß die beiden anderen schwerer sind.“ Meta machte sich an die Arbeit. „Die Kiste enthält ein Werkzeug, das wir unbedingt brauchen. Ich wollte, ich hätte es damals besessen, als ich auf Pyrrus gelandet bin…“
Meta öffnete den Deckel und starrte das metergroße eiförmige Ding auf Rädern an. „Was ist das — eine Bombe?“
„Nein! Es ist viel wichtiger.“ Jason ließ den Gegenstand aus der Kiste rollen.
Sie hatten einen glatten, metallglänzenden Körper vor sich.
Das Ding war mit dem breiten Ende nach unten auf sechs Rädern montiert und wies an der Spitze ein Kontrollpult mit zahlreichen Knöpfen und einem Lautsprecher auf. Als Jason den Schalter EIN betätigte, leuchteten Lämpchen auf.
„Was bist du?“ fragte er.
„Ich bin eine Bibliothek“, antwortete eine metallische Stimme.
„Was sollen wir damit?“ fragte Meta und wandte sich schulterzuckend ab.
„Das kann ich dir gleich erzählen.“ Jason hielt sie auf, obwohl er damit rechnen mußte, daß sie gewalttätig werden würde. „In diesem Ding steckt alles, was wir wissen müssen.
Erinnerst du dich noch an unsere Suche nach Berichten über die Geschichte deines Planeten? Wir brauchten Tatsachen und hatten keine — aber jetzt haben wir sie zur Verfügung.“
„In welcher Beziehung soll dein Spielzeug uns helfen können?“
„Dieses kleine Spielzeug hat neunhundertzweiundachtzig-tausend Credits und die Fracht gekostet.“
Meta starrte ihn an. „Dafür kann man eine ganze Armee bewaffnen…“
„Ich habe mir gleich gedacht, daß dich das beeindrucken würde. Aber vielleicht begreifst du endlich, daß es Probleme gibt, die nicht mit Waffengewalt zu lösen sind. Wir landen bald auf einem neuen Planeten und wollen an der richtigen Stelle nach Erz suchen. Dazu brauchen wir keine Waffen, sondern vor allem Informationen über Mineralogie, Anthropologie, Ökologie und Exobiologie, um nur einige Gebiete zu nennen…“
„Diese Wörter hast du dir selbst ausgedacht.“
„Das würde dir so passen! Du machst dir wahrscheinlich keine richtige Vorstellung von dem Wissensumfang, der in dieser Bibliothek gespeichert ist.“ Jason wandte sich an die Maschine. „Bibliothek, erzähl uns von dir.“
„Eine Darstellung für den Fachmann oder für den Laien?“
fragte die Maschine.
„Lieber die einfachere.“
„Nun, Freunde, Sie sehen hier das verbesserte Modell 427-1587 vor sich, das alle bisher gebauten Maschinen dieser Art bei weitem übertrifft. Mein Informationsspeicher enthält die gesamte Bibliothek der University of Haribay, die mehr Bücher besitzt, als ein Mensch in seinem Leben zählen könnte.
Trotzdem ist mein Informationsspeicher nicht größer als eine Männerfaust, denn jeweils zehn Quadratmillimeter haben eine Kapazität von 545 Millionen Bits. Man braucht nicht einmal zu wissen, was ein Bit ist, um zu erkennen, wie eindrucksvoll diese Zahl ist. Dort sind Geschichte, Philosophie, Naturwissenschaften und Linguistik gespeichert. Interessieren Sie sich zum Beispiel für das Wort ›Käse‹ in sämtlichen galaktischen Sprachen nach der Zahl ihrer Benutzer, heißt es…“
Jason drehte sich nach Meta um — und stellte fest, daß sie verschwunden war.
„Das Ding kann mehr, als nur ›Käse‹ übersetzen“, murmelte er vor sich hin und drückte auf den Knopf AUS.
„Wartet nur ab!“
Einen Tag vor dem Übertritt aus dem Hyperraum in das System, zu dem Felicity gehörte, berief Jason eine Versammlung ein.
„Wir sind hierher unterwegs“, begann er und wies auf eine Karte an der Wand. Die Pyrraner hörten gespannt zu, wie sie es von militärischen Einsatzbesprechungen her gewöhnt waren.
„Der Planet heißt ›Felicity‹ und ist der fünfte Planet eines namenlosen Sterns der Klasse Fi; dieser Stern ist heller als die Sonne von Pyrrus und strahlt mehr Ultraviolett aus.
Neun Zehntel des Planeten sind mit Wasser bedeckt. Von einigen vulkanischen Inseln abgesehen, gibt es nur eine Landmasse, die als Kontinent bezeichnet werden kann. Hier.
Ihr seht selbst, daß der Kontinent einem Dolch gleicht, dessen Spitze nach unten zeigt, während der Handschutz etwa hier in der Mitte angebracht zu sein scheint. Diese Linie ist jedoch in Wirklichkeit eine gigantische Felsklippe, die den Kontinent von einer Seite zur anderen durchschneidet — eine ununterbrochene, drei bis zehn Kilometer hohe Felswand.
Die Felswand und die Berge dahinter beeinflussen das kontinentale Wetter. Feuchtwarme Luft strömt vom Äquator heran, steigt an der Klippe hoch, kann das Hindernis nicht überwinden und kondensiert sich als Regen. Die Leute der John Company haben sich nicht für das Land im Süden interessiert, obwohl es dort Wasser, Siedlungen und Landwirtschaft zu geben scheint. Die Magnetometer haben dort nicht ausgeschlagen — aber hier oben am Griff des Dolchs sind sie verrückt geworden.
Unser Bergwerk muß dort inmitten der trostlosesten Landschaft errichtet werden, die man sich vorstellen kann. Es gibt kaum Wasser, und die wenigen Niederschläge fallen meist als Schnee auf dieser Hochebene, die praktisch keine Jahreszeiten kennt, weil die Achse von Felicity fast senkrecht steht. Zu dieser Umgebung kommt noch, daß die Bewohner der Hochebene gefährlicher als alle Lebensformen auf Pyrrus sind.
Wir müssen uns in ihrer Mitte niederlassen, eine Siedlung gründen und das Bergwerk errichten. Hat jemand einen Vorschlag zu machen, wie dieser Plan sich am besten durchführen ließe?“
„Ich weiß etwas“, behauptete Clon und erhob sich langsam.
Er war ein Riese mit niedriger Stirn, dichten Augenbrauen und gewaltigem Unterkiefer. Seine Reflexe waren ausgezeichnet, aber jeder Gedanke, der durch diesen harten Schädel dringen mußte, kam nur langsam zum Vorschein.
„Ich weiß etwas“, wiederholte Clon. „Wir bringen sie alle um. Dann stören sie uns nicht mehr.“
„Vielen Dank für den Vorschlag“, antwortete Jason ruhig.
„Dein Stuhl steht hinter dir, so ist’s recht. Dein Vorschlag mag attraktiv sein, aber wir wollen keinen Völkermord, denn wir versuchen diesen Planeten zu öffnen, nicht für immer zu schließen. Wir müssen dieses Problem mit dem Kopf, nicht mit den Fäusten lösen.
Ich schlage vor, daß wir ein offenes Lager in der Nähe der ersten Siedlung errichten, mit den Eingeborenen Verbindung aufnehmen und herausbekommen, was sie gegen Fremde haben. Wer eine bessere Idee hat, soll sich jetzt melden.
Niemand? Gut, dann landen wir dort und warten auf den ersten Kontakt. Wir wissen, wie es der ersten Expedition ergangen ist, deshalb nehmen wir uns sehr in acht, damit es uns nicht ähnlich geht.“
Der ursprüngliche Landeplatz war leicht zu finden, denn die spärliche Vegetation reichte nicht aus, um die versengte kreisrunde Fläche innerhalb eines Jahres zu bedecken. Die zurückgelassenen schweren Maschinen ließen das Magnetometer ausschlagen, und die Pugnacious sank an dieser Stelle zu Boden. Die Steppe wirkte völlig unbelebt, als Jason neben Rhes und Kerk aus der Schleuse trat.
„Kaum Schwerkraft“, stellte Kerk fest, während er sich langsam umsah. „Bestimmt nicht mehr als ein g. Nach Pyrrus komme ich mir federleicht vor.“
„Ich schätze, daß wir eineinhalb g haben“, warf Jason ein.
„Aber das ist schon wesentlich besser als zwei g.“
Die erste Gruppe, insgesamt zehn Männer, verließ das Schiff und begann die nähere Umgebung zu untersuchen. Die Männer blieben so nahe beieinander, daß sie sich mühelos verständigen konnten, aber sie waren trotzdem so weit voneinander entfernt, daß sie sich nicht behinderten oder die Sicht nahmen. Sie bewegten sich langsam und achteten nicht auf den eisigen Wind, der Sandkörner vor sich hertrieb und Jasons Gesichtshaut rötete.
„Zweihundert Meter südöstlich bewegt sich etwas“, sagte Metas Stimme in ihren Kopfhörern. Meta gehörte zu den Beobachtern, die an Bord zurückgeblieben waren.
Sie drehten sich danach um und waren auf alles vorbereitet.
Die Ebene wirkte so leblos wie zuvor, aber plötzlich zischte ein Pfeil durch die Luft auf Kerk zu. Seine Pistole lag schußbereit in seiner Hand, und er schoß den Pfeil so gelassen aus der Luft, wie er einen angreifenden Stechflügel erledigt hätte. Dann warteten sie alle gespannt.
Ein Angriff, überlegte Jason sich, oder nur ein Ablenkungsversuch? Wer sollte sie so bald nach der Landung angreifen? Aber warum nicht?
Er wollte sich mit der Pistole in der Hand umdrehen, als er einen Schlag auf den Kopf bekam. Er spürte nicht mehr, daß er zusammensackte, sondern glaubte in eine endlose Dunkelheit zu fallen.