Die vier Leibwächter schleppten Jason herein und ließen ihn auf den Marmorfußboden fallen, wo er sich langsam aufrichtete.
„Hinaus befahl Temuchin seinen Männern und versetzte Jason einen Fußtritt an die Schläfe. Als Jason wieder auf die Beine kam, zeichnete sich dort eine große Beule ab.
„Ich nehme an, daß du einen Grund für diese Behandlung hast“, meinte er ruhig.
Temuchin ballte wütend die Fäuste und stapfte schweigend durch den großen Raum. Er blieb an einem der hohen Fenster stehen und sah auf die Stadt hinab; dann griff er nach den schweren Vorhängen, riß sie mit der Stange vom Fenster und schleuderte sie durch die geschlossenen Scheiben. Im gepflasterten Innenhof tief unter ihm klirrte Glas.
„Ich habe verloren!“ brüllte der Nomadenführer.
„Du hast gesiegt“, verbesserte Jason ihn. „Was soll das alles?“
„Wir wollen uns nichts vormachen.“ Temuchins Zorn war eisiger Gelassenheit gewichen. „Du hast gewußt, was passieren würde.“
„Ich habe gewußt, daß du siegen würdest — und du hast gesiegt. Die feindlichen Heere sind vor dir geflohen. Deine Stämme besetzen das Tiefland, und deine Offiziere herrschen in den Städten. Und du herrscht hier in Eolasair, wie es dem Herrn der Welt gebührt.“
„Spiel nicht mit mir, Dämon. Ich habe gewußt, daß es dazu kommen würde. Aber ich hätte nicht gedacht, daß es so rasch kommen würde. Du hättest mir mehr Zeit geben sollen.“
„Warum?“ Jason erkannte, daß Temuchin nicht länger zu täuschen war. „Du hast damit gerechnet, daß du alles gewinnen und trotzdem alles verlieren würdest.“
„Richtig.“ Temuchin starrte aus dem Fenster. „Aber ich habe geglaubt, nur mein Leben stünde auf dem Spiel. Nun sehe ich, daß unser aller Leben in Gefahr ist.“ Er drehte sich nach Jason um. „Nimm mich, aber laß meine Leute wie bisher weiterleben.“
„Das kann ich nicht.“
„Du willst nicht!“ brüllte Temuchin, rannte auf Jason zu und schüttelte ihn wie einen leeren Sack. Dann kam er wieder zur Besinnung. „Du hast es von Anfang an gewußt“, stellte er ruhig fest. „Trotzdem hast du es geschehen lassen. Weshalb?“
„Aus verschiedenen Gründen.“
„Zum Beispiel?“
„Die Menschheit kann recht gut ohne dich und deinesgleichen auskommen, Temuchin. Es hat in unserer Geschichte genügend Kriege gegeben. Das Blutvergießen muß ein Ende haben.“
„Ist das der einzige Grund?“
„Es gibt noch andere. Ich wollte erreichen, daß die Fremden ihr Bergwerk auf der Ebene anlegen können. Dieses Ziel ist erreicht.“
„Ich habe gesiegt und trotzdem verloren. Dafür muß es ein Wort geben.“
„Richtig, du hast einen ›Pyrrhussieg‹ errungen. Ich wünschte, ich könnte dich bedauern, aber du tust mir nicht leid.
Du gleichst einem gefangenen Raubtier, Temuchin. Ich kann deine Kraft und deine Geschmeidigkeit bewundern — aber ich bin trotzdem froh, daß du in die Falle gegangen bist.“ Jason machte einen Schritt in Richtung Tür, ohne Temuchin aus den Augen zu lassen.
„Du entkommst mir nicht, Dämon“, stellte der Nomadenführer fest.
„Warum? Ich kann dir nicht mehr schaden — und nicht mehr helfen.“
„Und ich kann dich nicht töten. Ein Dämon ist bereits tot und kann nicht nochmals umgebracht werden. Aber das menschliche Fleisch, das du trägst, läßt sich foltern. Und das werde ich tun. Du hast eine lebenslängliche Folter vor dir. Das ist nur ein geringer Ausgleich für alles, was ich verloren habe — aber mehr habe ich nicht zu erhoffen. Ich warne dich, Dämon, wir…“
Jason hörte nicht mehr zu, sondern rannte mit gesenktem Kopf durch die Tür in den Korridor hinaus. Die beiden Wachen hörten seine raschen Schritte, drehten sich um und senkten ihre Lanzen. Er blieb nicht stehen und rutschte statt dessen mit den Füßen voraus unter den Waffen hindurch. Die beiden Männer fielen übereinander; einer von ihnen wollte Jason festhalten und schrie auf, als dieser ihm mit einem kurzen Schlag das Handgelenk brach. Jason raffte sich auf, sprang mit riesigen Sätzen zehn, zwölf Treppenstufen auf einmal hinunter und riskierte dabei jedesmal einen Sturz. Dann hatte er die große Eingangshalle erreicht und lief durch das unbewachte Portal in den Hof hinaus.
„Haltet ihn auf!“ brüllte Temuchin vom Fenster aus den Wachen zu. „Bringt ihn zurück!“
Jason rannte auf den nächsten Ausgang zu und wich aus, als dort plötzlich Soldaten auftauchten. Nun erschienen überall Bewaffnete. Er sah die hohe Mauer vor sich und zog sich daran hoch, als die Schritte seiner Verfolger hinter ihm erklangen.
Zu spät! Fünf oder sechs Hände griffen gleichzeitig nach seinen Beinen. Jason schlug mit den Füßen um sich, aber die Soldaten zogen ihn wieder von der Mauer.
„Bringt ihn mir!“ rief Temuchin vom Portal her. „Bringt Ihn zu mir. Er ist mein.“