„Ziemlich dumm, sich von einem Sägevogel erwischen zu lassen“, stellte Brucco fest und half Jason dinAlt, sich die aufgeschlitzte Jacke aus Metallgewebe über den Kopf zu ziehen.
„Ziemlich dumm, sich auf diesem Planeten zu einem geruhsamen Mahl niederzulassen“, knurrte Jason unwillig. Er streifte die Jacke ab und zuckte zusammen, als seine rechte Seite schmerzte. „Ich wollte nur meine Suppe essen, und der Teller ist mir dazwischengeraten, als ich schießen mußte.“
„Nur ein Kratzer“, stellte Bracco fest „Die Säge ist von den Rippen abgeprallt, anstatt sie zu durchdringen. Glück gehabt“.
„Allerdings, sonst wäre ich jetzt tot. Seit wann gibt es Sägevögel in der Kantine?“.
„Wer auf Pyrrus lebt, muß stets auf das Unerwartete gefaßt sein; das wissen schon die Kinder.“ Brucco desinfizierte die Wunde, und Jason biß die Zähne zusammen. Das Visorphon summte, dann erschien Metas besorgtes Gesicht auf dem Bildschirm.
„Jason, ich habe gehört, daß da verwundet bist.“
„Ich sterbe“, erklärte er ihr.
Brucco runzelte die Stirn. „Unsinn. Nur ein Schnitt, vierzehn Zentimeter lang, keine Giftstoffe.“
„Ist das alles?“ fragte Meta. Der Bildschirm wurde wieder dunkel.
„Ja, das ist alles“, wiederholte Jason erbittert „Nur ein Liter Blut und ein Pfund Fleisch. Muß ich ein Bein verlieren, um Anspruch auf Mitgefühl zu haben?“
„Wer sein Bein im Kampf verliert, kann mit unserem Mitgefühl rechnen“, erklärte Brucco und verband die Wunde.
„Aber wer es in der Kantine verliert, weil er einen Sägevogel nicht gesehen hat, würde höchstens ausgelacht.“
„Genug!“ wehrte Jason ab und zog sich die Jacke wieder an.
„Ich weiß schon, was ich hierzulande zu erwarten habe, und ich glaube nicht, daß ich mich eine Minute lang nach Pyrrus zurücksehnen werde.“
„Verläßt du uns?“ fragte Brucco schnell.
„Du brauchst kein trauriges Gesicht zu machen. Enzelheiten werden erst um fünfzehn Uhr verraten, wenn die anderen anwesend sind.“ Jason nickte Brucco zu und ging hinaus, wobei er seine Seite so wenig wie möglich zu bewegen versuchte.
Hier ist wirklich eine Veränderung fällig, überlegte er sich, als er durch ein Fenster im Schutzwall auf den tödlichen Dschungel hinabsah. Lichtempfindliche Zellen mußten seine Bewegung wahrgenommen haben, denn ein Zweig schnellte nach vorn und ließ Dutzende von Dornen gegen das Panzerglas prasseln. Jasons Reflexe waren unterdessen so durchtrainiert, daß er keinen Muskel bewegte.
Wenn es Veränderungen geben sollte, mußte er dafür sorgen, daß sie eintraten. Er hatte sich eingebildet, die Probleme dieses Planeten gelöst zu haben, als er den Pyrranern bewies, daß sie selbst an diesem endlosen Kampf schuld waren, den die Natur gegen sie führte. Ein Teil der Bewohner dieser letzten Stadt des Planeten hatten die Realitäten ihres Lebens erkannt und waren weit genug fortgezogen, um dem Haß zu entgehen, der schwer auf der Stadt lastete. Aber die Zurückgebliebenen wollten nicht einsehen, daß nur ihr Haß den Krieg schürte, so daß der Gegner immer stärker wurde.
Das Ende war unausbleiblich. Jason wollte eine weitere Veränderung vorschlagen. Er fragte sich, wie viele damit einverstanden sein würden.
Jason erschien erst zwanzig Minuten nach fünfzehn Uhr in Kerks Büro; er war aufgehalten worden, weil er eine wichtige Nachricht erwartete. Als er den Raum betrat, sah er den gleichen Ausdruck auf allen Gesichtern: Ärger. Pyrraner besaßen wenig Geduld und erst recht keinen Sinn für das Geheimnisvolle. Sie waren sich ähnlich — und doch so unterschiedlich.
Kerk, grauhaarig und untersetzt, beherrschter als die anderen, weil er im Umgang mit Bewohnern anderer Planeten Selbstbeherrschung gelernt hatte. Dies war der Mann, der überzeugt werden mußte, denn er war der eigentliche Führer der Pyrraner.
Brucco, hakennasig und hager, mit einem ständig mißtrauischen Gesichtsausdruck. Als Arzt, Forscher und Ökologe war er der einzige Experte für pyrranische Lebensformen. Er mußte mißtrauisch sein. Zum Glück war er Wissenschaftler genug, um sich von Tatsachen überzeugen zu lassen.
Und Rhes, Führer der Outsider, die sich diesem tödlichen Planeten erfolgreich angepaßt hatten. Er war nicht wie die anderen von Haß erfüllt, und Jason rechnete mit seiner Unterstützung.
Meta, stolz und schön, aber auch stärker als die meisten Männer. Weiß dein eiskalter Verstand, was Liebe ist? Oder duldest du den fremden Jason dinAlt nur aus Besitzerstolz in deiner Nähe? Er wüßte es gern. Aber nicht gleich jetzt.
Jason schloß die Tür hinter sich und lächelte. „Hallo, Freunde“, begann er, „ihr entschuldigt doch, daß ich euch habe warten lassen?“ Er fuhr rasch fort, ohne ihren wütenden Gesichtsausdruck zu beachten: „Ihr freut euch bestimmt, wenn ich euch erzähle, daß ich völlig pleite bin.“
„Du hast Millionen auf der Bank“, stellte Kerk fest, „ohne sie ausgeben zu können.“
„Ich habe sie trotzdem ausgegeben“, teilte Jason ihm mit.
„Ich habe ein Raumschiff gekauft. Es ist jetzt hierher unterwegs.“
„Warum?“ fragte Meta für alle Anwesenden.
„Weil ich Pyrrus verlasse. Ich nehme dich und so viele andere wie möglich mit.“
Jason wußte, was sie jetzt dachten. Pyrrus war schließlich ihre Heimat; gefährlich und tödlich — aber immerhin ihr Planet.
Deshalb mußte er diesen Gedanken attraktiv machen. Der Appell an ihre Vernunft kam später.
„Ich habe einen Planeten entdeckt, der gefährlicher als Pyrrus ist“, behauptete er.
Brucco lachte ungläubig, und die anderen schienen erstaunt.
„Soll das eine besondere Attraktion sein?“ erkundigte Rhes sich, der nichts von Gewalttätigkeiten hielt. Jason nickte grinsend und machte sich daran, die anderen zu überzeugen.
„Dieser Planet ist tödlich, weil dort die gefährlichste Lebensform auftritt. Sie ist schneller als ein Stechflügel, rücksichtsloser als ein Hornteufel, stärker als ein Klauenhabicht — die Liste hat kein Ende. Ich habe den Planeten entdeckt, den diese Lebewesen bewohnen.“
„Du meinst Menschen, nicht wahr?“ fragte Kerk zögernd.
„Ja. Diese Menschen sind gefährlicher als Pyrraner, denn hier hat es eine natürliche Auslese mit dem Ziel der Verteidigung gegeben. Was haltet ihr von einem Planeten, dessen Bewohner seit Jahrtausenden gelehrt werden, anzugreifen, zu töten und zu zerstören, ohne die Folgen zu beachten? Wie müßten die Überlebenden dieses Völkermordens eurer Meinung nach aussehen?“
Die anderen dachten darüber nach und schienen nicht viel davon zu halten. Jason sprach rasch weiter.
„Ich spreche von einem Planeten namens ›Felicity‹, der diesen Namen aus unerklärlichen Gründen erhalten hat. Vor einigen Monaten habe ich eine kleine Meldung gelesen, in der berichtet wurde, daß eine ganze Bergwerkssiedlung zerstört worden sei. Das ist ziemlich schwierig. Erschließungsteams sind gut ausgebildet und auf Überraschungen gefaßt — und die Teams der John Company sind zäher als die anderen.
Außerdem spielt die John Company nicht mit kleinen Einsätzen.
Ich habe mich mit einigen Freunden in Verbindung gesetzt und ihnen großzügige Spesen bewilligt. Sie haben einen Überlebenden aufgetrieben, der sich seine Informationen gut bezahlen ließ. Ich habe sie hier.“ Er hielt ein Blatt hoch.
„Und was steht darauf?“ erkundigte Brucco sich ungeduldig.
„Nur Geduld“, mahnte Jason. „Der Mann ist Ingenieur und drückt sich in seiner trockenen Art recht begeistert aus.
Offenbar gibt es auf Felicity reiche Erzlagerstätten, die in einem begrenzten Gebiet dicht an der Oberfläche liegen. Sie müßten im Tagbau zu gewinnen sein, und dieser Ingenieur weist besonders auf die großen Uranvorkommen hin. Trotzdem scheint die John Company nicht die Absicht zu haben, nach Felicity zurückzukehren. Sie hat sich einmal die Finger verbrannt und kann auch auf anderen Planeten Erz abbauen, ohne befürchten zu müssen, daß Barbaren auf Drachen auftauchen, in endlosen Wellen angreifen und alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt.“
„Was soll das heißen?“ fragte Kerk.
„Keine Ahnung; so hat es der Überlebende geschildert. Die Siedlung ist offenbar von Reitern angegriffen und zerstört worden.“
„Klingt nicht sehr einladend“, murmelte Kerk. „Wir können hierbleiben und unsere eigenen Lagerstätten ausbeuten.“
„Ihr beutet sie seit Jahrhunderten aus, habt fünf Kilometer tiefe Schächte vorgetrieben und fördert nur noch zweitklassiges Erz — aber das ist nicht der wichtigste Punkt. Ich denke an die Pyrraner, die sich den neuen Umweltbedingungen bisher nicht angepaßt haben. Was soll aus ihnen werden?“
Die anderen schwiegen verbissen.
„Eine gute Frage, nicht wahr? Ich kann euch sagen, was dieser Stadt bevorsteht. Versucht aber bitte, mich nicht zu erschießen. Ihr seid inzwischen soweit, daß ihr euch beherrschen könnt. Den Leuten in der Stadt möchte ich die Wahrheit vorläufig noch nicht erzählen. Sie würden nicht hören wollen, daß sie auf diesem Planeten zum Tode verurteilt sind.“
Ein Elektromotor summte, als Metas Pistole aus dem Halfter kroch, in der Luft verharrte und wieder zurücksprang. Jason drohte ihr lächelnd mit dem Zeigefinger; sie wandte sich wortlos ab. Die anderen hatten sich besser beherrscht.
„Das ist nicht wahr“, behauptete Kerk. „Täglich verlassen Leute die Stadt…“
„Und kehren unweigerlich wieder zurück“, fuhr Jason fort.
„Wer die Stadt verlassen konnte, hat es getan; nur die Unverbesserlichen sind zurückgeblieben.“
„Es gibt andere Möglichkeiten“, warf Brucco ein. „Wir könnten eine neue Stadt bauen und…“
Ein Erdbebenstoß erschütterte das Gebäude, das sich unter ihnen bewegte. In einer Wand erschien ein langer Riß; das dort angebrachte Fenster bestand aus Panzerglas, aber selbst dieses Glas war der Belastung nicht gewachsen. Es zersplitterte, und im gleichen Augenblick stieß ein Stechflügel durch die Öffnung in den Raum. Der Vogel wurde in der Luft zerfetzt, als vier Schüsse gleichzeitig fielen.
„Ich beobachte das Fenster“, sagte Kerk und rückte seinen Stuhl zur Seite. „Weiter, Brucco.“
„Richtig… nun, ich wollte sagen… wir könnten zum Beispiel eine zweite Stadt weit von hier entfernt errichten. Die Lebensformen von Pyrrus sind nur in der Nähe des Schutzwalls tödlich. Wir könnten diese Stadt aufgeben und…“
„Und die neue Stadt würde bald ebenso belagert werden. Du kennst die hiesigen Lebensformen besser als ich, Brucco — habe ich recht?“
Jason wartete, bis Brucco widerstrebend genickt hatte.
„Wir alle wissen, daß es nur eine mögliche Lösung gibt“, fuhr Jason fort. „Diese Leute müssen Pyrrus verlassen und sich auf einem anderen Planeten ansiedeln, auf dem sie nicht ständig um ihr Leben zu kämpfen haben. Jeder Planet wäre besser als Pyrrus; ihr lebt schon lange hier, daß euch nicht mehr auffällt, wie schrecklich es hier ist. Ich habe euch gezeigt, daß die meisten Lebensformen telepathisch sind und daß euer Haß sie erst dazu bringt, euch zu bekämpfen. Das seht ihr ein, aber eure Lage bessert sich trotzdem nicht, weil es genügend Pyrraner gibt, deren Haß verhindert, daß dieser Kampf endlich aufhört. Ihr seid wirklich stur und unbelehrbar! Als vernünftiger Mensch müßte ich euch hier sitzenlassen, aber ihr habt mir einmal das Leben gerettet, und ich hoffe, daß wir eine gemeinsame Zukunft haben. Außerdem gefallen mir eure Mädchen.“
Meta warf ihm einen verächtlichen Blick zu.
„Gut, kommen wir also zur Sache. Wir haben es hier mit einem Problem zu tun. Wenn ihr auf Pyrrus bleibt, kommt ihr unweigerlich um. Es gibt nur einen Ausweg: wir müssen einen anderen Planeten finden. Bewohnbare Planeten sind selten, aber ich weiß einen. Die Eingeborenen sind nicht sehr freundlich, aber das müßte Pyrraner erst recht begeistern. Mein Raumschiff ist hierher unterwegs. Wer will mich begleiten?
Kerk? Die Pyrraner sehen dich als ihren Führer an — jetzt kannst du sie führen!“
Kerk starrte Jason an. „Du beschwatzt mich immer, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht tun wollte.“
„Das ist nur ein Beweis geistiger Reife“, versicherte Jason ihm. „Hilfst du mir also?“
„Ja. Ich habe keine Lust, einen anderen Planeten zu besiedeln, aber ich sehe keinen besseren Ausweg.“
„Gut. Und du, Brucco? Wir brauchen einen Arzt.“
„Sucht euch einen anderen. Tecca fliegt bestimmt mit. Ich bleibe in der Stadt, solange sie existiert.“
„Das kann dich das Leben kosten.“
„Vermutlich — aber meine Aufzeichnungen sind unzerstörbar.“
Jason wußte, daß jeder Überredungsversuch zwecklos war; er wandte sich an Meta. „Wir brauchen dich als Pilotin unseres Schiffes.“
„Ich werde hier gebraucht.“
„Es gibt genügend andere Piloten. Du hast sie selbst ausgebildet. Und wenn du hierbleibst, muß ich mir eine andere Frau suchen.“
„Ich bringe sie um. Gut, ich fliege mit.“
Jason grinste zufrieden. „Damit ist alles geregelt“, stellte er fest. „Brucco bleibt hier, und ich vermute, daß Rhes ebenfalls bleiben will, um die Übersiedlung der Städter zu leiten.“
„Du hast falsch vermutet“, erklärte Rhes ihm. „Die Übersiedlung klappt auch ohne mich, und ich habe keine Lust, ewig ein Hinterwäldler zu bleiben. Dieser neue Planet interessiert mich.“
„Ausgezeichnet. Nun zu den Tatsachen. Das Schiff kommt in zwei Wochen, und wir müssen möglichst alles vorbereitet haben, damit wir gleich starten können. Ich fordere die Bevölkerung auf, sich freiwillig zu melden. In der Stadt leben noch etwa zwanzigtausend Menschen, aber wir können nicht mehr als zweitausend mitnehmen — das Schiff ist ein ehemaliger Truppentransporter namens Pugnacious —, und wir müssen uns die besten Leute aussuchen. Sobald die Siedlung gegründet ist, holen wir nach und nach die anderen ab.“
Jason war verblüfft, aber Kerk schien mit diesem Ergebnis gerechnet zu haben.
„Hundertsechsundachtzig Freiwillige — darunter Grif, ein Neunjähriger — von zwanzigtausend? Unmöglich!“
„Auf Pyrrus ist alles möglich“, sagte Kerk.
„Ja, nur auf Pyrrus“, stimmte Jason zu. Er ging langsam auf und ab, weil ihn die hohe Schwerkraft behinderte, und schlug sich mit der Faust in die offene Handfläche. „Dieser Planet und seine Bewohner haben wirklich den ersten Preis verdient, wenn es um Sturheit geht. ›Ich hier geboren. Ich hier bleiben. Ich hier sterben!‹“ Er ließ sich in einen Sessel fallen.
„Gut, dann retten wir sie eben auch gegen ihren Willen“, fuhr er entschlossen fort. „Wir fliegen mit den hundertsechs-undachtzig Freiwilligen nach Felicity, erobern den Planeten und beginnen den Erzabbau — und holen die Zurückgebliebenen zu uns. Das tun wir!“
Er sank im Sessel zusammen und sah nicht auf, als Kerk hinausging.
„Hoffentlich…“, murmelte er vor sich hin.