10

„Darf ich fragen, wohin wir unterwegs sind?“ erkundigte Jason sich, als die Kolonne sich langsam in Bewegung setzte und zwischen den Hügeln talwärts ritt.

„Nein“, antwortete Temuchin kurz. Damit war der Fall erledigt.

Sie ritten weiter, überquerten unzählige Wasserläufe, die sich zu Bächen und kleinen Flüssen vereinigten, und drangen in ein Gebiet vor, in dem die ersten verkümmerten Bäume wuchsen. Am Spätnachmittag, als sie die letzten Hügel hinter sich ließen, sah die Landschaft bereits anders aus. Vereinzelte Bäume und Buschgruppen bedeckten die Ebene, und in der Ferne war ein größerer Wald zu erkennen. Temuchin hielt bei diesem Anblick an und hob die Hand.

„Schlaft“, befahl er. „Wir reiten in der Abenddämmerung weiter.“

Jason ließ sich das nicht zweimal sagen; er lag bereits im Gras unter einem Busch, als die anderen noch in den Sätteln hockten. Auch sein Morope war von den ungewohnten Anstrengungen dieses Tages so erschöpft, daß es einschlief, ohne vorher zu grasen.

Der Himmel war bereits dunkel, aber Jason bildete sich ein, eben erst die Augen geschlossen zu haben, als Ahankk ihn wachrüttelte.

Sie ritten hintereinander her; Temuchin an der Spitze der Kolonne, Jason als vorletzter. Ahankk bildete die Nachhut, und Jason wußte nur zu gut, wer hier bewacht wurde. Hier hinten war er gut aufgehoben und konnte nichts anstellen — tat er es doch, würde Ahankk dafür sorgen, daß er nicht lange Gelegenheit dazu hatte. Jason ritt schweigend weiter und versuchte möglichst harmlos zu wirken.

Selbst als sie tiefer in den Wald eindrangen, bewegten sie sich völlig lautlos. Die Moropen schnaubten nicht einmal, Ihr Zaumzeug knarrte nicht, und die Waffen der Männer klirrten erst recht nicht. Ein geisterhafter Zug durchquerte den Wald in Regen und Dunkelheit. Dann ritten Jasons Vordermänner plötzlich langsamer, und er sah, daß sie eine Lichtung erreicht hatten, an deren Rand ein Gebäude stand.

Die Soldaten waren nur noch wenige Meter davon entfernt, als vor ihnen eine Tür geöffnet wurde. Ein Mann erschien darin; er hob sich deutlich von dem beleuchteten Hintergrund ab.

„Fangt ihn — tötet die anderen!“ befahl Temuchin, und die Angreifer stürzten vor.

Jason war nicht weit von der Tür entfernt, aber alle anderen schienen sie vor ihm zu erreichen. Der Mann stieß einen heiseren Schrei aus und wollte die Tür schließen, aber drei Angreifer hielten sie auf und drängten ihn zurück. Diese drei Soldaten warfen sich zu Boden und blieben liegen, bis die Bogenschützen hinter ihnen ihr grausiges Werk vollendet hatten. Als Jason den einzigen großen Raum im Erdgeschoß des Hauses betrat, war der Kampf bereits zu Ende; überall lagen Tote und Sterbende.

Nur ein Mann lebte noch — der Mann, der zuerst auf der Schwelle gestanden hatte. Er war großgewachsen, trug Jacke und Hose aus selbstgewebtem Stoff und setzte sich mit einem langen Stab gegen die Eindringlinge zur Wehr. Ein einziger Pfeil hätte genügt, um ihn zu töten, aber die Barbaren wollten ihn lebend fangen und hatten noch nie mit dieser einfachen Waffe Bekanntschaft gemacht. Einer von ihnen saß bereits auf dem Boden und umklammerte sein linkes Bein; ein zweiter wurde vor Jasons Augen entwaffnet, so daß sein Schwert in die nächste Ecke flog. Der Tiefländer kämpfte mit dem Rücken zur Wand und war deshalb fast unangreifbar.

Jason wußte, wie ihm beizukommen war. Er sah sich um, sah eine Schaufel mit langem Stiel an der Wand stehen und griff danach. Er nahm den Platz des Mannes ein, der eben entwaffnet worden war, benützte die Schaufel wie einen Stab und zwang seinen Gegner dazu, einen Schritt in seine Richtung zu treten. Das genügte bereits.

Ahankk, der mit Jason hereingekommen war, trat von der Seite auf den Mann zu und schlug ihm seine Streitaxt an die Schläfe. Der Farmer sackte bewußtlos zusammen. Jason ließ die Schaufel fallen und griff nach dem Stab; er war fast zwei Meter lang und bestand aus zähem Holz, das an den Enden von Eisenringen zusammengehalten wurde.

„Was ist das?“ fragte Temuchin, der den Ausgang des Kampfes beobachtet hatte. „Dieser Stab ist eine einfache, aber wirkungsvolle Waffe“, erklärte Jason.

„Und du kannst mit ihr umgehen? Ich dachte, du wüßtest nichts über die Tiefländer.“ Temuchins Gesicht blieb ausdruckslos, aber Jason erkannte, daß er sich eine gute Ausrede einfallen lassen mußte, wenn er nicht zu den übrigen Leichen gelegt werden sollte.

„Ich weiß auch nichts von ihnen. Aber ich habe diese Waffe als Kind kennengelernt. Jeder in… meinem Stamm gebraucht sie.“ Er verschwieg allerdings, daß er damit nicht die Pyrraner, sondern die Bewohner seines Heimatdorfs auf Porgorstorsaand meinte. Dort durften nur Adlige und Soldaten Waffen tragen, aber das Volk verließ sich auf den einfachen Stab, der ebenso wirkungsvoll sein konnte.

Temuchin schien mit dieser Erklärung zufrieden zu sein, denn er wandte sich wortlos ab.

Die Nomaden plünderten inzwischen die Farm. Das Vieh hatte seinen Stall unter dem gleichen Dach, und alle Tiere waren umgebracht worden, als die Soldaten ins Haus eindrangen. Wenn Temuchin den Befehl gab, alle zu töten, wurde dieser Befehl genauestens befolgt.

„Fesselt den Gefangenen und bringt ihn her“, sagte Temuchin dann.

Die Soldaten schütteten dem Farmer mehrere Eimer Wasser ins Gesicht, bis er wieder zu Bewußtsein kam. Dann fesselten sie ihm die Hände auf den Rücken und schleppten ihn vor Temuchin.

„Sprichst du die Zwischensprache?“ wollte Temuchin von ihm wissen. Als der Farmer etwas Unverständliches antwortete, schlug der Nomadenführer ihn ins Gesicht; der Mann fuhr zusammen, sprach aber im gleichen Dialekt weiter.

„Der Narr kann nicht sprechen“, stellte Temuchin fest.

„Vielleicht verstehe ich ihn“, meinte einer der Offiziere.

„Seine Sprache erinnert an die des Schlangenclans im Osten.“

Tatsächlich war eine Verständigung möglich. Der Farmer begriff, daß er ein toter Mann war, falls er sich weigerte, den Fremden zu helfen. Temuchin versprach ihm nichts für seine Hilfe, aber der Tiefländer befand sich in schlechter Verhandlungsposition und stimmte rasch zu.

„Sag ihm, daß wir zu den Soldaten wollen“, befahl Temuchin, und der Gefangene nickte eifrig. Als Farmer betrachtete er Soldaten, die nur kamen, um Steuern einzutreiben, als natürliche Feinde.

„Dort soll es viele Soldaten geben — zwei Hände, vielleicht sogar fünf. Sie sind bewaffnet und leben in einem befestigten Lager. Sie haben irgendwelche Waffen, aber ich werde aus der Beschreibung, die dieser Kerl davon gibt, nicht recht schlau.“

„Fünf Hände Männer“, wiederholte Temuchin langsam. Er lächelte. „Ich habe Angst.“

Die Nomaden brüllten vor Lachen, und Jason sah sich verständnislos um. Das Lachen verstummte sofort, als zwei Soldaten herankamen, die ihre Kameraden stützten. Einer von ihnen hüpfte auf einem Bein heran, um nicht mit dem anderen auftreten zu müssen. Als er vor Temuchin stand, erkannte Jason den Mann, der im Kampf mit dem Farmer am linken Bein verwundet worden war.

„Was hast du?“ fragte Temuchin ernst.

„Mein Bein.. .“, antwortete der Mann keuchend.

„Zeig es mir“, befahl der Kriegsherr, und das Bein wurde rasch freigelegt.

Die Kniescheibe war zersplittert und hatte an einigen Stellen die Haut durchbrochen. Der Krieger mußte unglaubliche Schmerzen haben, aber er wimmerte nicht einmal. Jason erkannte, daß mehrere komplizierte Operationen nötig gewesen wären, um das Bein wieder beweglich zu machen. Er fragte sich, welches Los dem Verwundeten in dieser barbarischen Umgebung bevorstand.

„Du kannst nicht gehen, du kannst nicht reiten, du kannst nicht kämpfen“, stellte Temuchin fest.

„Das weiß ich“, antwortete der Mann und richtete sich auf.

„Aber wenn ich sterben muß, will ich im Kampf sterben und mit meinen Daumen begraben werden. Wenn ich keine Daumen habe, kann ich kein Schwert halten, um in der Unterwelt mit den Dämonen zu kämpfen.“

„So soll es geschehen“, erwiderte Temuchin und zog sein Schwert. „Du warst ein guter Soldat, und ich wünsche dir für kommende Schlachten alles Gute. Ich kämpfe selbst mit dir, denn es ist eine Ehre, von einem Kriegsherrn besiegt zu werden.“

Der Zweikampf war blutiger Ernst, und der Verwundete kämpfte gut. Aber er war zu unbeweglich, so daß Temuchin ihm nach kurzer Zeit sein Schwert ins Herz stoßen konnte.

„Ich habe einen zweiten Verwundeten gesehen“, stellte Temuchin fest. Er hielt noch immer das blutige Schwert in der Hand. Der Mann mit dem gebrochenen Arm trat vor.

„Der Arm heilt von selbst“, behauptete er und wies auf seine Schlinge. „Die Haut ist nicht verletzt. Ich kann reiten und kämpfen, aber keinen Bogen halten.“

„Wir brauchen jeden Mann“, entschied Temuchin. „Du reitest mit uns weiter. Wir brechen auf, sobald dieser Mann begraben ist.“ Er wandte sich an Jason.

„Du bleibst jetzt in meiner Nähe“, befahl er ihm. „Wir suchen nach diesem festen Platz, wo es Soldaten gibt. Die Wiesel haben bisher nur einsam gelegene Häuser überfallen, weil sie nicht den Mut hatten, mehr als zwei oder drei Moropen nach unten zu schicken.. Aber sie haben auch mit Soldaten gekämpft und dabei Schießpulver erbeutet. Als ich dieses Pulver angezündet habe, ist es nur verbrannt, anstatt zu knallen.

Trotzdem schwören die Wiesel, es sei explodiert, und ich glaube ihnen. Sobald wir Schießpulver erbeutet haben, mußt du es zur Explosion bringen.“

„Wird gemacht“, versprach Jason ihm.

Sie ritten bis nach Mitternacht durch den Wald, bevor ihr Gefangener unter Tränen zugab, daß er sich in der Dunkelheit verirrt hatte. Temuchin schlug ihn nieder und befahl seinen Männern widerwillig eine Rast bis zum frühen Morgen. Der Regen hatte wieder begonnen, und Jason verbrachte einige ungemütliche Stunden unter tropfenden Zweigen.

Im Morgengrauen ging der Ritt weiter durch den Nebel. Der Gefangene klapperte vor Angst und Kälte, bis sie endlich auf einen Fußpfad stießen, der ihm bekannt vorkam. Dann strahlte er wieder und deutete eifrig nach vorn.

Plötzlich waren dort Stimmen zu hören. Zweige knackten laut.

Temuchins Krieger erstarrten augenblicklich, und er hielt dem Gefangenen sein Messer an die Kehle. Die Stimmen wurden lauter; dann bogen zwei Männer um einen Felsen. Sie gingen einige Schritte weiter, bevor sie merkten, daß sie nicht länger allein waren. Doch dann war es für sie zu spät.

„Was haben sie da in der Hand?“ fragte Temuchin.

Jason glitt aus dem Sattel und ging auf den ersten Toten zu.

Der Mann trug einen Brustharnisch aus Stahl und einen Stahlhelm; seine übrige Bekleidung unterschied sich kaum von der des Farmers. An seinem Gürtel hing ein kurzes Schwert.

Das Ding in seiner Hand war ein primitiver Vorderlader.

„Das ist ein ›Gewehr‹“, erklärte Jason dem Nomadenhäuptling und hob die Waffe auf. „Es wird mit Schießpulver geladen und schleudert ein Stück Metall fort, das tödlich sein kann. Pulver und Ladung werden hier hineingestopft. Zieht man dann diesen Hebel zurück, erzeugt dieser Stein einen Funken, der das Pulver entzündet, so daß die Ladung aus dem Rohr geschleudert wird.“

Als Jason den Kopf hob, stellte er fest, daß Temuchins Krieger ihn mit gezückten Schwertern beobachteten. Er ließ das Gewehr fallen und zog zwei Beutel aus dem Gürtel des Toten. „Das habe ich mir gedacht: einer enthält Kugeln und Stoffetzen, der andere Pulver.“ Er reichte Temuchin den kleinen Beutel.

„Das ist nicht viel Schießpulver“, meinte der Nomadenführer enttäuscht.

„Für diese Gewehre braucht man nicht viel. Aber ich bin davon überzeugt, daß es dort mehr gibt, wo diese Männer hergekommen sind.“

„Das glaube ich auch“, stimmte Temuchin zu und ließ seine Männer weiterreiten, nachdem die beiden Leichen in einem Gebüsch am Weg versteckt worden waren.

Zehn Minuten später erreichten sie den Rand einer großen Lichtung, die an einer Seite von einem Fluß begrenzt wurde.

Am Ufer stand ein massives Steingebäude, aus dessen Mitte ein hoher Turm aufragte. Zwei Gestalten waren auf dem Turm zu sehen.

„Der Gefangene sagt, daß hier Soldaten leben“, übersetzte der Offizier.

„Frag ihn, wie viele Eingänge es gibt“, befahl Temuchin.

„Er weiß es nicht“.

„Töte ihn.“

Ein Schwert zuckte herab, und die Leiche wurde ebenfalls versteckt.

„An dieser Seite ist nur eine kleine Tür und eine Anzahl kleiner Öffnungen zu sehen, durch die hinausgeschossen werden kann“, stellte Temuchin fest. „Das gefällt mir nicht.

Zwei Männer sollen die Rückseite ansehen und mir dann berichten. Was ist das runde Ding auf der Mauer?“

„Ich weiß es nicht — aber ich kann raten. Es könnte eine Kanone sein, die größere Metallbrocken verschießt.“

„Das habe ich mir gedacht“, sagte Temuchin und runzelte nachdenklich die Stirn. Dann gab er einige kurze Befehle.

Zwei Männer stiegen ab und verschwanden geräuschlos im Unterholz. Sie konnten sich auf kahlen Ebenen verbergen und waren hier im Wald so gut wie unsichtbar. Temuchin wartete schweigend auf ihre Rückkehr.

„Alles wie erwartet“, stellte er fest, als die Späher ihm berichtet hatten. „Der einzige andere Eingang führt zum Fluß und ist ebenso klein. Bei Dunkelheit könnten wir das Fort leicht einnehmen, aber ich will nicht so lange warten. Kannst du mit dieser Waffe umgehen?“ fragte er Jason.

Jason nickte zögernd, weil er ahnte, was Temuchin vorhatte — er hatte es bereits erraten, als er zwei Männer mit einem der toten Soldaten zurückkommen sah. Da Jason keine gute Ausrede einfiel, meldete er sich freiwillig für diese Aufgabe, bevor er dazu gezwungen wurde.

Er zog die Uniform des Gefallenen an. Die Blutflecken wurden mit Lehm beschmiert, um sie einigermaßen zu verdecken. Inzwischen regnete es wieder, was Jason nur recht sein konnte. Während er sich umzog, ließ er sich von dem sprachkundigen Offizier immer wieder „Aufmachen — schnell!“ vorsagen, bis er die beiden einfachen Worte richtig beherrschte. Nur keine komplizierten Redewendungen! Falls die Besatzung einige Fragen stellte, bevor sie öffnete, war er so gut wie tot.

„Verstehst du, was du zu tun hast?“ fragte Temuchin.

„Ganz einfach“, antwortete Jason mit gespielter Zuversicht.

„Ich nähere mich dem Tor von links, während ihr rechts wartet.

Ich rufe den Soldaten zu, sie sollen das Tor öffnen. Sie öffnen es. Ich betrete das Fort und sorge dafür, daß das Tor offenbleibt, bis ihr kommt.“

„Wir beeilen uns.“

„Das weiß ich, aber ich werde mich trotzdem sehr allein fühlen.“ Jason blies das Pulver von der Zündpfanne und füllte trockenes Pulver nach. Er wollte wenigstens einmal schießen können. Ein Stück Leder schützte die Pfanne vor Regenwasser.

„Ich kann nur einmal schießen, weil ich nicht nachladen kann“, erklärte er Temuchin. „Und ich halte nicht viel von diesem Schwert. Leihst du mir das Messer, das ich dir geschenkt habe?“

Temuchin nickte wortlos und gab es Jason, der das Messer in den Gürtel steckte. Der Helm fiel ihm fast über die Augen, aber das war ihm durchaus recht. Er wollte sein Gesicht so wenig wie möglich zeigen.

„Geh jetzt“, forderte Temuchin ihn ungeduldig auf. Jason nickte ihm zu und verschwand im Wald.

Bevor er fünfzig Meter gegangen war, hatte ihn das tropfnasse Unterholz bis auf die Haut durchnäßt. Er stapfte fluchend weiter und fragte sich, wie er dazu gekommen war, diesen verrückten Auftrag anzunehmen, nur um etwas Schießpulver zu erbeuten. Er starrte durch den Regen. Das Fort ragte vor ihm aus dem Dunst auf. Noch zwanzig Meter zu gehen. Er stolperte am Ufer entlang weiter und hätte am liebsten nachgesehen, ob das Pulver in der Zündpfanne seines Vorderladers wirklich noch trocken war; aber das wäre unklug gewesen, deshalb blieb er nicht stehen.

Die beiden Posten auf dem Wachttunn schienen ihn nicht gesehen zu haben; sie ließen sich jedenfalls nichts anmerken.

Jason stapfte näher und hielt dabei sein Gewehr umklammert.

Nun sah er bereits die grob behauenen Steinquader des Forts, zwischen denen der Mörtel abbröckelte, und das Tor aus dicken Holzbohlen mit eisernen Beschlägen.

Er hatte die Mauer schon fast erreicht, als einer der Wächter sich nach vorn beugte und ihm etwas zurief. Jason winkte nur und ging weiter.

Als der Mann nochmals rief, antwortete Jason:

„Aufmachen!“ Er brüllte das Wort heraus, um einen falschen Akzent zu überdecken. Dann stand er vor dem Tor, wo ihn die Wachtposten nicht mehr sehen konnten. Aus der Schießscharte rechts neben ihm wurde ein Gewehrlauf geschoben.

„Aufmachen — schnell!“ rief Jason und schlug mit dem Gewehrkolben ans Tor. „Aufmachen!“ Er blieb ans Holz gelehnt stehen, wo ihm keine Gefahr von dem Gewehr drohte, und hämmerte weiter gegen das Tor.

Im Innern des Forts waren Stimmen und Schritte zu hören, aber Jasons Herz schlug so laut, daß es alle anderen Geräusche zu übertönen drohte. Endlich ein willkommenes Gerassel — die Sicherungsketten wurden abgenommen, und Jason hörte, daß sich ein Riegel langsam bewegte. Er spannte den Hahn seines Gewehrs, um sofort schießen zu können. Als das Tor aufschwang, warf er sich dagegen und stieß es völlig auf.

Er bewegte sich weiter und erreichte den offenen Innenhof jenseits des Torbogens. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, daß er den Mann hinter dem Tor außer Gefecht gesetzt hatte — er sank jedenfalls zu Boden. Mehr fiel ihm nicht auf, denn er merkte, daß sein eigenes Ende bevorstand.

Ein halbes Dutzend Soldaten standen ihm mit schußbereiten Gewehren gegenüber. Jason stieß einen lauten Schrei aus und stürzte sich auf die Männer, die vor Überraschung zu schießen vergaßen. Bevor er sein Messer zog, feuerte er noch seine Muskete ab und sah, daß ein Gegner in die Brust getroffen zusammensank.

Der Nahkampf war turbulent. Jason schlug dem nächsten Soldaten das Gewehr über den Kopf, trat nach einem anderen und stach blindlings um sich. Einer der Männer fiel gegen ihn, und Jason benützte ihn als Schild, während er die Angreifer abwehrte.

Er spürte einen stechenden Schmerz im Bein und an den Rippen; kurz darauf dröhnte sein Helm von einem schweren Schlag. Jason merkte, daß er fiel, und blieb liegen. Über ihm erschien ein Mann mit gezücktem Schwert; Jason parierte den Hieb und revanchierte sich mit einem Stich, der den anderen schreiend zusammensinken ließ. Inzwischen war der Kampf bereits entschieden.

Ein Nomade landete im Hof. Er mußte aufs Tor zugaloppiert sein und die letzten Meter im Sprung zurückgelegt haben.

Jason merkte, daß Temuchin selbst als erster gekommen war.

Der rotbärtige Barbar schwang sein Schwert und zwei Angreifer nieder. Damit war der Ausgang des Kampfes gewiß.

Sobald keine unmittelbare Gefahr mehr bestand, raffte Jason sich auf und suchte einen sicheren Platz an der Mauer. Sein Kopf dröhnte noch immer, und als er den Helm abnahm, sah er eine tiefe Beule im Metall. Er betastete vorsichtig seinen Kopf; kein Blut — alles in Ordnung. Aber er blutete aus zwei Schnittwunden am Oberkörper und am Bein. Besonders die erste Wunde blutete heftig, aber da er sein Verbandsmaterial in der Satteltasche zurückgelassen hatte, mußte er warten, bis er zu seinem Reittier zurückkam, bevor er die Wunden versorgen konnte.

Als Temuchin im Hof des Forts erschienen war, hatte Jason nicht mehr am Ausgang des Kampfes gezweifelt. Die Soldaten dieser Garnison hatten nie mit Barbaren kämpfen müssen, und ihre primitiven Musketen waren dabei eher hinderlich. Die Besatzung starb, während die Nomaden anscheinend nur einen Gefallenen zu beklagen hatten, der am Tor lag, wo ihn eine Kugel getroffen hatte.

Die Nomaden gingen von einem Gefallenen zum anderen und sammelten ihre Siegeszeichen ein. Temuchin erschien mit einem blutigen Schwert in der Hand im Innenhof und deutete auf die Leichen am Tor.

„Drei davon gehören dem Jongleur“, sagte er zu einem seiner Männer. „Die restlichen Daumen gehören mir.“ Der Krieger verbeugte sich und zog seinen Dolch. Temuchin wandte sich an Jason. „Hier gibt es viele Räume mit allen möglichen Dingen. Zeig mir das Schießpulver.“

Jason erhob sich rasch, viel schneller, als er eigentlich wollte, und merkte erst dann, daß er noch immer das Bowiemesser umklammert hielt. Er wischte es an der Kleidung eines Gefallenen ab und streckte es Temuchin entgegen, der es ihm wortlos aus der Hand nahm. Der Nomadenführer ging ins Fort voraus, und Jason bemühte sich, ihm ohne Humpeln zu folgen.

Ahankk und ein weiterer Offizier bewachten die Tür eines Lagerkellers. Temuchins Nomaden durften das Fort und die Leichen der Gefallenen plündern, aber hier hatten sie nichts zu suchen. Jason betrat den Raum und blieb am Eingang stehen.

Er sah Körbe mit Musketenkugeln, aufgestapelte faustgroße Kanonenkugeln, Musketen, Schwerter und einige Fässer.

„Die Fässer sehen richtig aus“, stellte Jason fest und hielt Temuchin auf, der an ihm vorbeigehen wollte. „Halt, nicht weitergehen! Siehst du die Körner auf dem Boden? So sieht Schießpulver aus, das verschüttet worden ist, und es kann explodieren, wenn man darauf tritt. Ich mache den Weg frei.“

Jede Bewegung schmerzte, aber Jason biß die Zähne zusammen, während er einen meterbreiten Pfad freikehrte. Das offene Faß enthielt tatsächlich Schießpulver. Er ließ die groben Körner durch die Finger rieseln und verschloß das Loch; dann nahm er das Faß behutsam auf und trug es zu Ahankk hinüber.

„Laß es nicht fallen, geh vorsichtig damit um, zünde es nicht an und sieh zu, daß es trocken bleibt“, sagte er dabei. „Und laß neun Männer herunterkommen, die den Rest holen. Sie sollen ebenso vorsichtig damit umgehen.“

Ahankk wandte sich ab, und in diesem Augenblick krachte es draußen. Jason rannte die wenigen Stufen hinauf, sah ins Freie und stellte fest, daß ein großes Stück des Wachtturms fehlte. Die Trümmer fielen in den Schlamm, und der Regen ließ die Staubwolke rasch kleiner werden. Die Mauern des Forts bebten noch, als in der Ferne wieder eine Detonation zu hören war. Einer der Krieger kam laut schreiend durchs Tor gerannt.

„Was sagt er?“ fragte Jason.

Temuchin ballte die Fäuste. „Viele Soldaten kommen. Sie schießen ein großes Geschütz ab. Viele Hände Soldaten, mehr als er zählen kann.“

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