Der Aufgang, von dem Legis gesprochen hatte, war eine steile, kaum zwei Fuß breite Treppe, die an der Außenseite eines der mächtigen Stützpfeiler emporführte. Sie brauchten fast eine Stunde, bis sie sie erreichten. Legis führte ihn auf einem scheinbar sinnlosen Zickzack-Kurs durch die Höhle, jede Deckung und jedes Versteck, das sich ihnen unterwegs bot, ausnutzend. Zwei- oder dreimal kam eine der gewaltigen Raubechsen in ihre Nähe, aber sie hatten Glück - vielleicht war auch der Errish doch noch mehr von ihrer einstigen Macht geblieben, als sie bisher zugegeben hatte, und sie lenkte die Tiere ab; Skar schien es ein paarmal, als rede sie mit den Bestien, während sie stumm und wie in Trance dastand und aus weit geöffneten, starren Augen in die Dunkelheit hineinblickte. Er fragte nicht danach, und auch Legis sprach kaum ein Wort, ehe sie die Treppe erreichten.
Legis keuchte vor Erschöpfung, als sie neben dem gewaltigen Granitpfeiler anlangten. Mit einem erleichterten Seufzer ließ sie sich gegen den rauhen Stein sinken, hob die Hände und fuhr sich erschöpft durch das Gesicht. Ihre Haut glänzte vor Schweiß, obwohl es hier unten bitter kalt war.
»Wie geht es ... weiter?« fragte Skar stockend. Auch sein Herz raste. Auf dem Weg hierher hatte er eine neue Definition des Wortes Angst kennengelernt. Sein Atem schmeckte bitter. Legis deutete mit einer Kopfbewegung nach oben. »Wir sind direkt unter dem Palast«, sagte sie. »Die Treppe mündet in einen Lagerraum. Er steht leer und ist fast vergessen.«
Wieder hatte Skar das Gefühl, daß in ihren Worten irgendein Fehler war, aber wieder entglitt ihm der Gedanke, bevor er ihn fassen konnte. Sein Blick wanderte die steinerne Säule empor. Sie hatte einen Durchmesser von gut hundert Fuß und strebte senkrecht in die Höhe, um irgendwo über ihnen mit der Decke zu verschmelzen. Und es war nur eine von einem ganzen Wald steinerner Streben, die das Gewicht des Felsens und des Palastes darüber trugen. Die Treppe war roh aus dem Fels herausgemeißelt worden. Es gab kein Geländer - nur den glatten Stein auf der linken und einen bodenlosen Abgrund auf der rechten Seite. Skar wurde es schon fast vom Hinsehen schwindelig.
»Keine Wachen?« fragte er zweifelnd.
Legis verneinte. »Damals jedenfalls nicht«, schränkte sie aber nach einem Moment des Überlegens ein. »Die Männer, die uns gefangennahmen, haben hier unten auf uns gewartet. Aber sie waren froh, wieder von hier verschwinden zu können - wir konnten ein paar ihrer Gespräche belauschen, ehe sie uns wegbrachten. Die Drachen sind wild, und sie reagieren zornig auf die Anwesenheit von Fremden hier unten. Selbst wir gehen nicht oft hierher. Vela wird ihre Männer nicht lange schützen können. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Sie lächelte schwach, setzte den Fuß auf die unterste Stufe und blieb noch einmal stehen. »Die Quorrl«, sagte sie. »Wer hat sie getötet? Du weißt es.«
Skar schwieg.
»Es war der Wolf«, vermutete Legis. »Combats Wächter. Er ist hier, nicht wahr?«
Skar nickte widerwillig. »Ja«, gestand er. »Er war die ganze Zeit über in meiner Nähe. Ihr hättet nicht mitkommen sollen.«
»Dann hätte er uns draußen getötet«, antwortete Legis. Sie schien noch mehr sagen zu wollen, drehte sich aber dann wortlos um und wollte weitergehen.
Diesmal war es Skar, der sie zurückhielt. »Er wird auch dich töten, Legis«, sagte er ernst, »wenn du in meiner Nähe bleibst. Laß mich allein! Ich kenne den Weg jetzt und werde das letzte Stück allein gehen. Es nutzt keinem, wenn du dich auch noch opferst.«
»Eine edle Geste, Satai«, antwortete Legis. Sie sprach ein wenig zu laut, und der Spott in ihrer Stimme war bewußt verletzend, vielleicht weil sie glaubte, dies sei die einzige Art, ihn umstimmen zu können. »Aber sie kommt zu spät. Und ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Er ist mir immer noch lieber als ein Leben als Verfolgte.« Damit streifte sie seine Hand von ihrem Arm ab und stieg rasch die Stufen empor.
Skar folgte ihr. Legis hatte recht - es war wirklich nicht mehr als eine Geste gewesen. Selbst wenn sie gewollt hätte - es gab kein Zurück mehr. Weder für sie noch für ihn.
Er schob den Gedanken mit einem ärgerlichen Knurren beiseite und lief rasch hinter der Errish auch die schmalen Stufen hinauf. Der Stein war ausgetreten und so glatt, daß Skar bei jedem Schritt Angst hatte, den Halt unter den Füßen zu verlieren. Seine Linke tastete an der glatten Felswand neben ihm entlang, während er den anderen Arm weit ausgestreckt über das Nichts hielt, um die Balance zu halten. Er vermied es krampfhaft, nach rechts zu sehen, sondern hielt den Kopf so, daß er immer nur die Felswand und die nächsten drei oder vier Stufen im Blickfeld hatte. Aber er spürte die Tiefe. Ihr Sog wurde stärker, mit jedem Schritt, den sie weiter hinaufgingen, und nach einer Weile brach ihm kalter Schweiß aus den Poren.
Sie mußten sich mehr als eine halbe Meile auf der steilen Spirale in die Höhe bewegt haben, als Legis stehenblieb und zu ihm zurückblickte. Ihr Atem ging keuchend.
»Es ist nicht mehr weit«, sagte sie mühsam. »Sei von jetzt an vorsichtig. Keinen Laut mehr. Wir sind direkt unter dem Tempel.« Skar sah zum ersten Mal nach oben. Über ihnen, noch vier, fünf Windungen dieses bizarren, steinernen Schneckenhauses entfernt, wölbte sich ein Himmel aus Granit; schwarzer, zernarbter Fels, von einer Unzahl titanischer Säulen getragen, und dazwischen ... Skar blieb so abrupt stehen, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte. Zwischen den Pfeilern, dünn und im schwachen Licht dieser unterirdischen Welt mehr zu erahnen als wirklich zu erkennen, spannten sich schwarze Fäden, die, Spinnweben gleich, ineinander verflochten waren und Knoten, Netze und Verdickungen bildeten. Manche waren zerrissen und pendelten lose im Zugwind, andere waren zu dicken Klumpen verwachsen wie geschmolzenes Pech, das Fäden zieht.
»Was ... ist das?« fragte er.
Legis blieb abermals stehen, sah ungeduldig zurück und runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
Skar deutete auf das schwarze Gewebe. »Dies. Was ist das? War es schon immer hier?«
Legis' Blick folgte seinem Fingerzeig. Sie schwieg ein paar Sekunden, schüttelte den Kopf und sah wieder zu ihm hinunter. »Immer nicht«, sagte sie langsam. »Aber als ich das letzte Mal hier unten war, hat es begonnen.« Sie zögerte. »Inzwischen ist es mehr geworden. Viel mehr. Warum fragst du?«
Skar schüttelte hastig den Kopf. »Aus keinem Grund«, sagte er rasch. »Es war ... reine Neugierde.«
Auf Legis' Gesicht erschien ein zweifelnder Ausdruck, aber sie schwieg und ging weiter.
Skar starrte wie gebannt auf das ölig glänzende Gewebe, während sie höher stiegen. Allmählich begann alles einen Sinn zu ergeben. Skar wußte noch nicht, welchen, aber er fühlte, daß er der Lösung des Rätsels jetzt ganz nahe war. Noch wenige Teile, und er hatte das Mosaik zusammen.
Die Säule verbreiterte sich über ihnen und ging wie das Dach eines gewaltigen steinernen Pilzes in die Höhlendecke über. Legis sah sich im Gehen um, legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete mit der anderen Hand nach oben. Die Treppe endete abrupt vor einer gezackten, roh aus dem Felsen gebrochenen Öffnung. Legis bückte sich, verschwand in der Dunkelheit und hantierte eine Weile an einem metallenen Riegel herum. Dann ertönte ein leises Quietschen. Es war ein Laut, als bewege sich ein rostiges Scharnier in einer uralten Angel. »Komm jetzt«, ertönte ihre Stimme aus der Dunkelheit.
Skar folgte Legis, blieb aber dicht hinter dem Eingang des Stollens noch einmal stehen und warf einen Blick in die gähnende Tiefe. Sie mußten eine halbe Meile hoch sein, vielleicht noch mehr. Der erstarrte Steinwald war zu einer winzigen Spielzeuglandschaft geworden. Von den Drachen war keine Spur mehr zu sehen. Er versuchte dem Lauf der Treppe mit Blicken zu folgen, aber das Bild verschwamm fast sofort vor seinen Augen, und dafür stieg Übelkeit in ihm auf. Hastig wandte er sich ab und kroch hinter der Errish her.
Der Gang führte etwa zehn Meter geradeaus und endete vor einer niedrigen, metallbeschlagenen Holztür. Er war wirklich aus dem gewachsenen Felsen herausgemeißelt worden, nicht gebrannt oder auf magische Weise entstanden wie die Tunnel in Tuan; eine schier unglaubliche Arbeit.
Skar richtete sich mit einem erleichterten Seufzen auf, als er die Tür hinter sich hatte. Das graue Irrlicht, das die Höhle erhellte, blieb hinter ihnen zurück, aber durch ein vergittertes Fenster unter der Decke fiel flackernder gelber Schein. Sie waren im Keller des Palastes, und draußen mußte bereits heller Tag herrschen. Skar überlegte - sie waren kurz vor Sonnenaufgang in die Höhle eingedrungen, und es mußte, wenn sein Zeitgefühl nicht ebenfalls durcheinandergekommen war, jetzt ungefähr Mittag sein. Keine gute Zeit, um in eine streng bewachte Festung einzudringen. Aber auch eine Zeit, zu der niemand mit einem solchen Vorhaben rechnen würde.
Er bewegte Arme und Schultern, um seine verspannten Muskeln zu entkrampfen, und sah sich neugierig um. Der Raum war klein; ein asymmetrisches Rechteck von zehn auf fünfzehn Schritten Größe, dessen Decke auf der einen Seite höher als auf der anderen war. Die Winkel, in denen die Wände zusammenstießen, waren nicht klar zu erkennen; es war, als würde Skars Blick von einem unsichtbaren Spiegel abgelenkt und genarrt. Er kannte diese Art von Architektur, aber er hatte gehofft, sie niemals wiedersehen zu müssen.
»Und jetzt?« fragte er.
Legis deutete zur Tür. »Dahinter liegen die Vorratskeller«, sagte sie. »Es ist selten jemand hier. Aber weiter oben müssen wir vorsichtig sein.«
»Was heißt das, weiter oben?« fragte Skar.
»Die Privatgemächer der Margoi liegen im Westturm«, erklärte Legis.
»Gibt es Wachen?«
Legis verneinte. »Niemand muß die Margoi bewachen«, sagte sie tadelnd. Sie zögerte, sah ihn unsicher an und schlang die Finger ineinander. »Du willst wirklich zu ihr?«
Skar sah überrascht auf. »Ein bißchen spät für solche Überlegungen, nicht?« fragte er.
»Oh, es ist nicht das, was du denkst«, sagte Legis rasch. »Aber was tust du, wenn Vela nicht hier ist? Wenn die Margoi selbst auf dem Thron sitzt und Vela ihre Fäden im verborgenen zieht?« Auch Skar hatte schon daran gedacht, aber er wußte, daß es nicht so sein würde. Trotz allem blieb Vela berechenbar - sie wollte Macht, und sie würde sich nicht damit begnügen, wie ein Schatten im Hintergrund zu bleiben und ihre Intrigen zu spinnen. Er wußte, daß er Vela entweder auf dem Stuhl der Ehrwürdigen Mutter oder überhaupt nicht finden würde. »Gehen wir«, sagte er, ohne auf Legis' Frage zu antworten.
Sie verließen den Keller. Legis führte ihn durch ein verwirrendes Labyrinth asymmetrischer Stollen und schräger, in unmöglichen Winkeln aufsteigender Treppen; Räume, die dem Blick Schmerzen bereiteten, und Kammern, deren Wände in grauem Nichterkennen verschwammen. Einmal überquerten sie einen Hof, ein schmales, lichtdurchflutetes Zehn- oder Zwölfeck, dessen Boden auf bizarre Weise zu leben schien; und ein paarmal gebot ihm Legis mit hastigen Gesten, in einen Schatten zu huschen und zu schweigen, obwohl er keinen Laut gehört oder ein Zeichen von Leben gesehen hatte. Es war ein gespenstischer Weg. Skar spürte das fremde Leben, die Gegenwart von etwas unsagbar Fremdem, Feindseligem, das sich wie Modergeruch in den schwarzen Wänden eingenistet hatte. Sie waren länger als eine Stunde unterwegs, ohne auf einen einzigen Menschen zu treffen. Schließlich blieb Legis erneut stehen. »Wir sind da«, raunte sie. Skar sah sich neugierig um. Sie waren eine Treppe emporgestiegen und standen in einer winzigen, fensterlosen Kammer. In der gegenüberliegenden Wand war eine Tür.
»Die Kammer der Margoi liegt hinter jener Tür«, flüsterte Legis.
Skar runzelte die Stirn. Das alarmierende Gefühl in seinem Inneren wurde stärker. Es war zu leicht gewesen. Aber wenn es eine Falle war, dann waren sie längst hineingetappt.
»Gut«, raunte er. »Du bleibst hier. Wenn du Lärm hörst oder ich nicht zurückkomme, dann fliehst du.«
Legis schüttelte den Kopf. »Ich begleite dich«, erwiderte sie leise. »Ich will sie sehen.«
»Sei vernünftig«, seufzte Skar. »Ich habe kaum eine Chance, lebend hier herauszukommen. Warum willst du dich ...«
»Wenn du versagst, Skar«, fiel ihm Legis wispernd ins Wort, »dann hat keiner von uns eine Chance, noch lange zu leben. Und wenn sie wirklich so gefährlich ist, wie du glaubst, dann kannst du jede Hilfe gebrauchen, die sich dir bietet.«
Legis' Worte klangen logisch, und Skar widersprach nicht mehr. Es war auch nicht der wahre Grund, warum er allein gehen wollte. Es waren zu viele gestorben, zu viele Unschuldige umgebracht worden, als daß es jetzt noch auf ein Leben mehr oder weniger angekommen wäre. Aber dies hier war sein Kampf. Trotzdem ging er mit einem wortlosen Nicken an Legis vorbei, streckte die Hand nach dem Riege! aus und legte das Ohr an die Tür.
Alles, was er hörte, war das hämmernde Geräusch seines eigenen Herzens. Das Holz war wohl zu dick, um irgendwelche Laute durchzulassen. Er warf Legis einen warnenden Blick zu und schob den Riegel zur Seite. Die Tür schwang lautlos nach innen.
Skar blinzelte. Vor ihnen lag ein gewaltiger, domähnlicher Raum mit gewölbter Decke und schwarzem, spiegelndem Boden. Die Wände waren mit Teppichen und Tüchern verhängt worden, wohl um einen einigermaßen wohnlichen Eindruck zu vermitteln und die fremde Architektur der Stadt zu verbergen.
Ein Gefühl dumpfer Erregung ergriff von Skar Besitz. Er schob die Tür noch weiter auf, schlüpfte hindurch und duckte sich in einen Schatten. Legis huschte lautlos hinterher und kniete neben ihm nieder. Ihre Hand wies zur gegenüberliegenden Seite. Der Raum war beinahe leer. Es gab einen Tisch - eine gewaltige, zwanzig Meter lange Tafel aus schwarzem Stein -, zwei oder drei Dutzend Stühle, die sich um den Tisch herum gruppierten, und ein schmales Bett hinter einem halb durchsichtigen Vorhang in einer Nische.
Und einen Thron. Ein Gefühl eisiger Kälte durchströmte Skar beim Anblick des Möbelstückes. Ein Monstrum von Thron, passend zu diesem Monstrum von Stadt. Ein gewaltiges schwarzes Ding, halb verborgen im Schatten und auf bizarre Weise lebend, lauernd wie ein Raubtier.
Der Thron war nicht leer. Skar konnte nur einen dunklen Umriß erkennen; der Schatten einer Frau, schlank, reglos; das Gesicht war unter einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze verborgen. Aber Skar spürte, daß sie ihn ansah.
»Tritt näher, Skar«, sagte Vela ruhig.
Legis zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Ihre Hand fuhr unter ihren Umhang und erstarrte, als Skar sie warnend ansah. Die Gestalt auf dem Thron lachte leise. »Laß den Scanner dort, wo er ist, du kleine Närrin«, sagte sie. »Ich glaube nicht, daß du ihn schnell genug ziehen könntest. Aber wenn du es versuchen willst...« Velas Schatten bewegte sich. In ihrer Hand glitzerte etwas Kleines, Silbernes. Legis erstarrte.
»Ihr habt lange gebraucht«, fuhr Vela fort. »Ich habe schon vor Stunden mit euch gerechnet. Aber auf alte Freunde wartet man gerne.« Sie stand auf, kam mit gemessenen Schritten die Stufen des Thrones herunter und blieb hinter dem Tisch stehen. »Kommt näher. Es redet sich nicht gut auf so große Entfernung.«
Skar richtete sich ganz langsam auf. Seine Hand lag am Gürtel, nur wenige Zentimeter vom Griff des Tschekal entfernt. Aber er würde es nicht ziehen können.
Langsam, wie betäubt, näherte er sich dem Thron. Er wußte jetzt, warum es so leicht gewesen war. Sie hatte es gewußt. Vielleicht hatte sie ihnen sogar den Weg geebnet, Hindernisse beseitigt, an denen sie niemals vorbeigekommen wären. Sein Blick suchte den Velas, aber unter der Kapuze waren nur dunkle Schatten. Das Silberding in ihrer Hand glitzerte boshaft. Skar hatte die Waffe schon einmal bei ihr gesehen und von ihrer furchtbaren Wirkung gehört. Eine Waffe der Alten. Ein Ding, das Blitze schleuderte und Menschen in Sekunden zu Asche verbrennen konnte.
»Tu es nicht«, sagte Vela. »Ich weiß, wie schnell du bist. Vielleicht könntest du dein Schwert schleudern und mich töten, aber du würdest es nicht mehr erleben. Und du wüßtest deshalb nicht, ob du mich wirklich getötet oder nur verwundet hättest.«
Skar spürte wieder den alten Haß in sich aufsteigen, heißer und brennender als jemals zuvor. Er stand der Frau gegenüber, die sein Leben zerstört hatte, die seine Freunde getötet und sein Vertrauen ausgenutzt hatte, die schuld daran war, daß Del gestorben war.
Und er war hilflos.
Vela trat einen halben Schritt zurück, nahm die Kapuze herunter und kam um den Tisch herum. Ihre Bewegungen wirkten schwerfällig und müde, als müsse sie sich zu jedem Schritt zwingen, und ihre Gestalt war längst nicht mehr so schlank und jugendlich, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie war ...
Legis stieß ein ungläubiges Keuchen aus. »Laynanya!«
Vela kam näher. Ein triumphierendes Lächeln huschte über ihre Züge. Ihre linke Hand lag in einer unbewußten, schützenden Haltung auf ihrem Leib.
»Du Hexe!« keuchte Legis. »Du warst die ganze Zeit draußen bei uns. Du hast -«
»Du magst eine gute Errish sein, Kindchen«, fiel Vela ihr spöttisch ins Wort, »aber von Politik verstehst du leider nur sehr wenig. Das erste, was ich getan habe, war, eure lächerliche Rebellenarmee ins Leben zu rufen. Ich muß mich noch bedanken für deine Hilfe. Du warst -«
Aber Legis hörte schon nicht mehr zu. Sie schrie auf, duckte sich und riß die Hand unter dem Mantel hervor. In ihren Fingern glitzerte ein klobiges silbernes Etwas.
Skar warf sich instinktiv zur Seite und schloß die Augen. Ein weißes, helles, unerträglich helles Licht fraß sich durch seine zusammengepreßten Lider, hüllte Legis ein und verwandelte sie in eine brüllende Fackel. Skar stürzte, schrie vor Schmerz und Haß und schleuderte sein Tschekal. Die Waffe flog in einer geraden, blitzschnellen Bahn auf die Errish zu.
Aber sie erreichte ihr Ziel nicht. Eine Handbreit vor Velas Brust prallte sie gegen ein unsichtbares Hindernis, flog, wie von einem Hieb getroffen, zur Seite und landete klirrend auf dem Boden. Die schlanke Klinge aus Sternenstahl glühte.
»Du Narr«, sagte Vela. Ihre Stimme klang hart. »Du enttäuschst mich, Skar. Nach allem, was du geleistet hast, um hierherzukommen, hätte ich mehr Verstand von dir erwartet. Hast du wirklich geglaubt, daß ich mich nicht zu schützen weiß?« Sie steckte ihre Waffe ein, straffte sich und klatschte in die Hände. Hinter dem Thron traten zwei gewaltige schwarze Gestalten hervor, knöcherne Männer mit reißenden Stacheln an Schulter- und Kniegelenken, mit toten Gesichtern und mit Händen, die nichts anderes waren als mörderische Klauen. Tuan-Krieger.
»Packt ihn«, sagte Vela hart. »Aber behandelt ihn gut! Ich werde später mit ihm reden.«