Es verging noch mehr als eine halbe Stunde, ehe Legis und Herger kamen. Mork und einige andere hochgestellte Quorrl begleiteten sie. Skar kannte sich in der Physiognomie der Quorrl nicht aus, aber Morks Gesichtsausdruck erschien ihm finsterer als am vergangenen Abend, und der Blick, mit dem das gewaltige Schuppenwesen ihn musterte, verhieß nichts Gutes. Insgeheim mußte er zugeben, daß er Angst vor dem Quorrl hatte. Aber vielleicht erging es Mork ebenso, und vielleicht dachte er auch an den Hieb, den er Skar versetzt hatte. Nicht viele überlebten es, einen Satai zu schlagen.
Laynanya stand auf, als Legis und ihre Begleiter näher kamen, und Skar folgte ihrem Beispiel. Die beiden Errish wechselten ein paar rasche Worte in einer Skar unbekannten Sprache, und Legis deutete erst auf Herger, dann auf Skar und dann wieder auf den Schmuggler. In Hergers Gesicht zuckte es.
»Wie ich sehe«, sagte er, »hast du die letzte Nacht in angenehmerer Gesellschaft verbracht als ich.«
Es dauerte fast eine Sekunde, bis Skar begriff, daß die Worte ihm galten. Er nickte, lächelte nervös und musterte Herger mit einem raschen Blick. Der Hehler sah schlecht aus: Unter seinen Augen lagen dunkle, graue Ringe, und seine Haut hatte einen wächsernen Glanz, der verriet, daß er in der vergangenen Nacht nur wenig Schlaf gefunden hatte. An seinen Schläfen waren zwei winzige verkrustete Wunden.
»Sprichst du nicht mehr mit jedem?« fuhr Herger spitz fort, als Skar nicht antwortete.
»Unsinn«, knurrte Skar.
Aber Herger hatte nicht einmal unrecht - Skar wollte jetzt nicht reden, nicht mit Herger und nicht über das, was sie miteinander zu besprechen hatten, wenn es überhaupt etwas zu besprechen gab. Die Gegenwart der Quorrl verunsicherte ihn. Er spürte die Drohung, die von Mork und seinen Begleitern ausging. Und er fühlte die Spannung, die in der Luft lag. Die Quorrl waren nicht gekommen, um Laynanya oder ihm einen Höflichkeitsbesuch abzustatten.
»Legis bringt schlechte Neuigkeiten«, sagte Laynanya plötzlich. »Die mich betreffen?«
Die Errish nickte. »Ich fürchte«, sagte sie. Plötzlich war sie wieder Laynanya, die Errish und Wortführerin der Rebellen, nicht mehr die Frau, mit der er die letzte Stunde geredet hatte. »Eine unserer Patrouillen hat Reiter gesichtet.« Ihre Stimme hatte plötzlich einen leisen, warnenden Unterton, einen Klang, der Mork und den anderen Quorrl sicher entging, Skar aber auffiel. Er begriff plötzlich, daß die Quorrl nichts von seinen Beweggründen wußten und es wohl auch nicht wissen sollten, und widerstand in letzter Sekunde der Versuchung zu nicken. Vielleicht würden sich die Quorrl insgeheim fragen, warum sie ihre Meinung so plötzlich änderte, aber das war Laynanyas Problem. Wenn sie es für richtig hielt, das Spiel so zu spielen, würde er es mitspielen.
»Dann ist es vielleicht besser, wenn wir gleich aufbrechen«, sagte er. »Wenn ihr es erlaubt.« Sein Blick suchte den des Quorrl, aber die riesigen pupillenlosen Augen des Schuppenkriegers blieben starr.
»Ihr seid nicht unsere Gefangenen, Skar«, sagte Laynanya tadelnd. »Aber ich will dich nicht belügen - je eher ihr geht, desto besser für uns und für euch. Du wirst jedoch Verständnis haben, wenn ich dich bitte, bis Sonnenuntergang zu warten.«
Skar sah demonstrativ zur Höhlendecke hinauf. »Und wann«, fragte er, »ist das?«
»In etwa vier Stunden«, erwiderte nicht Laynanya, sondern Legis. »Bis dahin seid ihr natürlich unsere Gäste.«
Herger lachte rauh auf. »Danke«, sagte er. »Ich habe eine Kostprobe eurer Gastfreundschaft bekommen.« Er rieb sich demonstrativ mit dem Handrücken über die Lippen und starrte Mork an. Der riesige Quorrl blickte finster zurück und bleckte die Zähne. Sein Raubtiergebiß funkelte wie eine überdimensionale Bärenfalle, und für einen Augenblick sah er wirklich wie ein gewaltiges, kaum gezähmtes Raubtier aus, das sich nur aus Versehen in Kettenhemd und Rüstung verirrt hatte. Herger wurde blaß und wich einen halben Schritt zurück.
Skar unterdrückte ein Grinsen.
Mork war der mit Abstand intelligenteste Quorrl, dem er je begegnet war.
Aber das besagte nicht viel. Skar wußte kaum etwas über Quorrl - im Grunde wußte niemand wirklich etwas über die Schuppenkrieger aus dem Norden.
»Mork!« Laynanyas Stimme war scharf; ein Verweis, der den Quorrl zusammenzucken und sofort wieder ernst werden ließ. Skar bedachte seinerseits Herger mit einem strafenden Blick und wandte sich wieder an die Errish.
»Wir brauchen Pferde«, sagte er. »Unsere sind draußen auf der Ebene zurückgeblieben. Ihr gebt uns welche?«
Die beiden Errish tauschten einen raschen Blick. »Ihr... könnt natürlich Pferde haben«, sagte Laynanya nach kurzem Zögern. »Aber wir haben euch einen anderen Vorschlag zu machen. Ihr wollt nach Elay, und wir sind bereit, euch dorthin zu bringen. Die Daktylen können bei Sonnenaufgang dort sein.«
Nach allem, was sie miteinander beredet hatten, überraschte ihn diese Eröffnung nun doch, aber Laynanya sprach weiter, ehe er eine Zwischenfrage stellen konnte.
»Mork und ich haben beraten, während ihr geschlafen habt. Euer Streit ist nicht der unsere, aber ihr seid auch nicht unsere Feinde. Wir werden euch helfen - soweit es in unseren Kräften steht.« Die Wahl ihrer Worte und die Art, in der sie sprach, ließen Skar aufhorchen. Die Worte schienen weniger Herger und ihm als vielmehr den Quorrl zu gelten. Laynanyas Position schien nicht ganz so unumstritten zu sein, wie er bisher angenommen hatte. »Ihr solltet unser Angebot überlegen«, warf Legis ein. Auch ihre Stimme hatte einen leicht nervösen Unterton, und ihr Blick flackerte. »Die Daktylen bringen euch in einer Nacht nach Elay. Zu Pferd braucht ihr Wochen. Ganz abgesehen davon, daß sie euch unterwegs erwischen.«
»Wir sind bisher ganz gut ohne euch durchgekommen«, murrte Herger Skar drehte sich unwillig um und sah ihn scharf an. »Halt endlich den Mund«, sagte er. »Niemand zwingt dich mitzukommen.« Herger lächelte abfällig. »Natürlich nicht. Diese Quorrl-Banditen werden mir ein Pferd und Vorräte geben, wenn ich sie darum bitte, wie? Und ein halbes Dutzend Pfeile. In den Rücken.«
»Es wäre Verschwendung, dich mit einem Pfeil zu bedenken«, sagte Mork trocken. »Ich würde dich an die Daktylen verfüttern.«
»Es ist genug, Mork«, mischte sich Laynanya ein. Sie sprach scharf, aber trotzdem meinte Skar, einen amüsierten Unterton in ihrer Stimme zu vernehmen. »Skar hat recht«, fuhr sie zu Herger gewandt fort. »Du bist ein freier Mann. Wenn du es willst, dann bekommst du ein Pferd und genug Lebensmittel für zwei Wochen und kannst gehen, wohin du willst.«
Herger schürzte die Lippen, »Unsinn«, murrte er. »Ich begleite Skar. Und ich nehme an, ein paar von euch auch.«
Laynanya nickte ungerührt. »Natürlich. Oder könnt ihr die Daktylen allein reiten? Außerdem würdet ihr nicht in die Stadt kommen. Elay ist kein Bauerndorf, in das man sich nach Belieben einschleichen kann. Legis und ein paar Männer werden euch begleiten und euch den Weg in die Stadt zeigen. Danach seid ihr auf euch allein gestellt. Das ist alles, was wir euch an Hilfe bieten können. Und es ist schon mehr, als wir eigentlich dürften.«
»Ihr habt eine seltsame Art, euch nicht einzumischen«, antwortete Herger.
»Herger!« sagte Skar warnend. Aber der Hehler ignorierte ihn. »So wie ich die Sache sehe, schickt ihr uns auf dem schnellsten Wege nach Elay und hofft, daß wir dort eure Arbeit verrichten. Gelingt es uns, bis zu Vela vorzudringen, habt ihr den Nutzen davon - wenn nicht, verliert niemand etwas. Außer uns, versteht sich. Wir sind dann tot.«
»Wir sind hier nicht auf dem schwarzen Markt in Anchor, Herger«, sagte Legis verärgert. »Du brauchst nicht zu feilschen. Und es spielt gar keine Rolle, ob du recht hast oder nicht.«
Herger fuhr auf, aber Skars Geduld riß endgültig. Er fuhr herum, packte den Hehler grob bei der Schulter und drückte kurz und hart zu. Hergers Gesicht verzog sich schmerzhaft.
»Es reicht«, sagte Skar. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber es reicht. Du wirst jetzt den Mund halten, oder unsere Wege trennen sich hier.«
»Worauf ich hinauswill?« Herger schüttelte Skars Hand ab und rieb sich die schmerzende Schulter. »Das will ich dir sagen, Skar. Wahrscheinlich hast du die letzten Stunden mit dieser Errish verbracht und angenehm geplaudert, aber ich hatte das Vergnügen, mich in Gesellschaft der Quorrl zu befinden. Wenn du glaubst, sie wären unsere Freunde oder auch nur unsere Verbündeten, dann täuschst du dich. Sie hassen uns, und sie hassen die Errish. Dieser Mork würde Bauchschmerzen vor Lachen bekommen, wenn sie uns erwischen und am höchsten Turm der Stadt aufhängen würden.«
Skar hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, Herger eine schallende Ohrfeige zu versetzen, aber er beherrschte sich. »Gut«, erwiderte er, so ruhig er konnte. »Du hast gesagt, was du sagen wolltest. Und jetzt laß uns gehen.« Er wandte sich abermals um und sah Laynanya an. »Wir nehmen dein Angebot an.«
»Das habe ich gehofft.« Laynanya bewegte sich unruhig. »Und nun entschuldigt mich - meine Zeit ist begrenzt. Legis wird euch zu euren Quartieren begleiten und euch alles erklären, was zu erklären nötig ist.« Sie drehte sich halb um, zögerte mitten im Schritt und sah Skar noch einmal an. »Vielleicht sehen wir uns wieder«, sagte sie. »Ganz egal, wie euer Unternehmen ausgeht - ihr seid willkommen bei uns.«