Das Land wurde steinig, als sie nach Norden ritten. Die Hügel, die den Fluß auf seiner nördlichen Seite flankiert hatten, wurden von Meile zu Meile flacher, und wo anfangs noch rissiger Lehm und Sand gewesen waren, lag nun harter Granit unter den Hufen ihrer Pferde. Sie ritten den ganzen Nachmittag und bis weit in den Abend hinein, ohne daß Herger noch ein einziges Wort gesprochen hätte. Skar war ein paarmal nahe daran, von sich aus das Eis zu brechen und das Wort an Herger zu richten, überlegte es sich jedoch jedesmal im letzten Moment wieder anders. Hergers Verhalten erinnerte ihn an das eines Kindes, das seinen Willen nicht durchsetzen konnte und nun mit Bockigkeit reagierte. Es war nicht so, daß er Hergers Furcht nicht verstand - im Grunde teilte er sie sogar -, aber die Art, in der der Hehler ihr Ausdruck verlieh, machte ihn rasend. Er hätte es noch begriffen, wenn Herger ihn im Stich gelassen und allein davongeritten wäre - halbwegs hatte er es sogar erwartet. Was er nicht erwartet hatte, war, daß Herger trotzdem bei ihm blieb und sich wie ein Kind benahm und schmollte.
Aber gab es überhaupt etwas an Herger, das er verstehen konnte?
Das Land veränderte sich weiter. Bald ritten sie durch ein bizarres Labyrinth aus Granit und Felsen, zwischen denen sich nur noch wenige dürre Büsche mit braunen Wurzelfingern festgekrallt hatten. Die Luft roch seltsam steril, und der Wind trug Wolken eines feinkörnigen, braunen Staubes heran, der sich in ihren Haaren festsetzte, unter ihre Kleider kroch und in den Augen brannte.
Erst als die Sonne vollends versank und das Grau der Dämmerung vom Schwarzblau der Nacht abgelöst wurde, hielten sie an; einfach da, wo sie waren, ohne nach einem besonderen Lagerplatz Ausschau zu halten.
Skar sprang von seinem Pferd, bewegte ein paarmal die Arme und Schultern, um das taube Gefühl aus seinen Gliedern zu vertreiben, und trat an die Bahre mit dem bewußtlosen Quorrl. Seine Hoffnung, daß der Krieger noch einmal erwachen und ihnen weitere Informationen geben würde, hatte sich nicht erfüllt, aber der Zustand des Quorrl hatte sich sichtlich gebessert: Aus dem fiebergeplagten Koma des Wesens war ein tiefer, erschöpfter Schlaf geworden, und als Skar sich herabbeugte und ihm prüfend die Hand auf die Stirn legte, glühte diese nicht mehr.
Er löste den Wasserschlauch von seinem Sattel, trank einen winzigen Schluck und träufelte dem Quorrl ein paar Tropfen der kostbaren Flüssigkeit ins Gesicht.
»Warum nimmst du ihn nicht in den Arm und wiegst ihn ein wenig?« fragte Herger bissig.
Skar verschnürte seinen Schlauch und hängte ihn wieder an den Sattel, ehe er sich zu Herger umwandte. »Wenn ich wüßte, daß es ihm hilft, dann würde ich es tun«, sagte er ernsthaft. »Aber ich glaube, daß das nicht nötig ist. Mit ein wenig Glück wird er auch so durchkommen. Er hat eine unglaubliche Konstitution.«
»Ich hoffe, daß das auch auf dich zutrifft«, sagte Herger. »Du wirst die Kraft von zehn Satai brauchen, wenn seine Brüder und Schwestern über uns herfallen.« Er schnaubte, schwang sich von seinem Pferd und machte ein paar Schritte. Ein halb unterdrückter Schmerzenslaut kam über seine Lippen. Er hatte den Ritt weit weniger gut verkraftet als Skar. Elf Tage lang hatte er mitgehalten, aber nun schienen seine Kräfte erschöpft zu sein. Er bewegte sich sehr vorsichtig; wahrscheinlich hatte er sich wundgeritten. Vielleicht war auch das ein Grund mehr für seine Gereiztheit. Schwäche und Furcht liegen nahe beieinander.
»Du haßt die Quorrl, nicht wahr?« fragte Skar.
Herger schenkte ihm einen trotzigen Blick. »Du nicht?«
»Nicht so wie du, Herger. Ich fürchte sie, so wie jeder, aber Furcht und Haß sind zwei verschiedene Dinge. Du solltest sie nicht verwechseln.«
Herger gab ein undeutbares Geräusch von sich, schüttelte den Kopf und wandte sich um, um mit wenigen ungelenken Schritten in der hereinbrechenden Nacht zu verschwinden. Skar dachte einen Moment daran, ihn zurückzurufen, tat es aber dann doch nicht, sondern begann statt dessen, die Pferde abzusatteln und das Nachtlager vorzubereiten. Es ging fast über seine Kräfte, die Trage mit dem Quorrl allein loszubinden und vorsichtig zu Boden sinken zu lassen. Als er es geschafft hatte, war er so erschöpft, daß er sich zitternd gegen die Flanke seines Pferdes lehnen und sekundenlang nach Atem ringen mußte. Sein Herz hämmerte. Die kurze Belastung hatte seinen geschundenen Muskeln alles abverlangt, und für einen winzigen Moment klangen Hergers Worte noch einmal in ihm auf. »Die Kraft von zehn Satai ...« Er hatte nicht einmal mehr die Kraft eines normalen Mannes. Wenn er sich täuschte und sie in eine Falle ritten, dann waren sie verloren. Er würde kaum mehr die Energie aufbringen, sich freizukämpfen. Aber die Schwäche verging, und mit ihr verblaßten auch die Gedanken an Kampf und Tod. Skar hatte in den letzten Monaten zu oft mit dem Leben abgeschlossen, um derartige Ideen noch ernstnehmen zu können.
Als er das Feuer entzündete, kam Herger zurück. Skar konnte sein Gesicht im zuckenden Schein der Flammen nicht deutlich erkennen, aber irgend etwas darin schien sich geändert zu haben; ein schwer zu bestimmender, neuer Ausdruck, den Skar noch nicht an ihm bemerkt hatte.
Herger blieb im Schatten eines Felsblocks stehen, starrte eine Zeitlang wortlos zu Skar herüber und ließ sich dann auf der anderen Seite des Feuers nieder.
»Es tut mir leid«, sagte er leise.
Skar sah auf. »Was?«
Herger versuchte zu lächeln, aber es mißlang ihm. Dadurch wurde seine Verlegenheit noch deutlicher. »Ich war ungerecht«, murmelte er hilflos. »Aber du -«
Skar winkte ab und zog einen glimmenden Ast aus dem Feuer, um damit zu spielen. »Daran bin ich gewöhnt«, sagte er leichthin. »Jedermann ist ungerecht zu uns Satai.«
»Und das versuchst du auszugleichen - an dem da?« fragte Herger mit einer Geste auf den Quorrl. Seine Stimme klang um eine Winzigkeit schärfer, als sie hätte klingen dürfen, und Skar spürte, daß Hergers Zorn keineswegs erloschen war, sondern weiterbrodelte. Herger versuchte einzulenken, aber er hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um Skar zu täuschen. Was er tat, tat er aus einem ganz bestimmten Grund. Trotzdem entschied sich Skar, das Spiel - wenigstens für den Moment - mitzuspielen. »Er ist keine Gefahr«, sagte er. »Weder jetzt noch in absehbarer Zeit. Selbst wenn er gesund wird, ist er noch auf Wochen hinaus zu schwach, um auch nur einem Kind gefährlich werden zu können.«
»Und dann?« fragte Herger lauernd.
»Dann wird er längst nicht mehr bei uns sein.«
»Aber vielleicht wird er Kinder töten, Skar. Und Erwachsene. Männer, Brüder, Söhne oder Töchter. Und das Blut derer, die er erschlägt, wird in Wirklichkeit an deinen Händen kleben.« Skar spürte wieder die Welle heißer Wut, die ihn schon einmal überkommen hatte, als Herger von ihm verlangt hatte, den Quorrl zu töten. »Oder an deinen«, sagte er, mühsam beherrscht. »Ich habe es dir schon einmal gesagt - töte ihn, wenn du willst. Ich werde dich nicht daran hindern.«
Aber dieses Mal wirkten die Worte nicht. Herger hatte Zeit genug gehabt, darüber nachzudenken, und er schien zu einem Schluß gekommen zu sein, der Skar nicht gefiel.
»Du machst es dir ein wenig zu leicht, findest du nicht?« sagte er ruhig.
»Weil ich mich weigere, für dich zu morden?«
»Es ist kein Mord«, sagte Herger. »Wir führen Krieg mit diesen Wesen, Skar, und du bist Satai. Ich bin nur ein einfacher Krämer, kein Soldat.« Er sprach so schnell und glatt, daß Skar merkte, wie genau er sich die Worte überlegt hatte. »Du hast dich vor Jahrzehnten entschieden, mit der Waffe in der Hand zu leben, und niemand hat dich dazu gezwungen. Wir haben Krieg, und du bist der Soldat - nicht ich.«
»Es ist nicht mein Krieg«, antwortete Skar.
»Meiner auch nicht. Ich habe ihn nicht angefangen - so wenig wie du oder er. Trotzdem wird uns niemand danach fragen, wenn wir zufällig zwischen die Fronten geraten oder einer Quorrl-Patrouille über den Weg laufen.«
Skar warf den Ast ins Feuer zurück und sah zu, wie er verbrannte. Er spürte genau, daß hinter Hergers Worten mehr steckte, daß sie nur Auftakt und Vorbereitung zu etwas anderem waren. Aber er wußte nicht, zu was.
»Vielleicht hast du recht«, murmelte er. »Aber ich habe jetzt keine Lust, darüber zu reden. Ich bin müde.«
Herger wirkte für einen winzigen Moment verwirrt. Offenbar hatte er mit dieser Art von Reaktion nicht gerechnet. Aber er fing sich sofort wieder und war nicht geneigt, so rasch aufzugeben. »Du glaubst wirklich daran, hier irgendwo Rebellen zu treffen?« fragte er. »So eine Art Untergrundarmee, die sich geschworen hat, die alte Feindschaft zu vergessen und gemeinsam gegen die Errish zu ziehen?« Er gab sich Mühe, möglichst spöttisch zu sprechen, aber seine Erschöpfung ließ seine Stimme zittern und verdarb ihm den Effekt.
»Warum nicht?« fragte Skar ruhig. »Auch der Löwe und die Antilope fliehen gemeinsam vor dem Feuer. Warum sollten nicht Quorrl und Menschen gemeinsam gegen eine Gefahr stehen, die sie beide bedroht?«
»Weil es idiotisch ist«, stieß Herger hervor. »Weil es eine idiotische und kindische Vorstellung ist, Quorrl und Menschen Schulter an Schulter kämpfen zu sehen - noch dazu gegen eine Gefahr, von der sie keine Ahnung haben. Das ist romantisches Wunschdenken, das nicht zu dir paßt.«
Skar nickte. »Sowenig wie die Vorstellung eines kleinen Hehlers und Schmugglers, der plötzlich seine Existenz und sein Leben aufs Spiel setzt, um mir zu helfen«, sagte er ruhig.
Herger schnaubte. »Ich habe meine Gründe, dir zu folgen. Aber ich glaube kaum, daß du sie verstehen würdest.«
Skar senkte den Blick und starrte nachdenklich in die Flammen. Er hatte Herger nichts von den beiden toten Hornkriegern erzählt, aber er glaubte auch nicht, daß das etwas geändert hätte. Nicht wirklich. Vielleicht hätte der Schrecken ein wenig tiefer gesessen, vielleicht hätte es ein paar Stunden oder auch Tage länger gedauert - aber Hergers Reaktion wäre so oder so gekommen. »Was willst du eigentlich?« fragte er in einer Mischung aus Zorn und Resignation. »Es steht dir frei zu gehen, jetzt, morgen ... wann immer du willst.«
»Gehen!« wiederholte Herger abfällig. »Wohin denn? Zurück nach Anchor, wo die Thbarg bereits auf mich warten? Oder in irgendeine andere Stadt? Ich gehöre zu dir, Skar, ob du willst oder nicht. Auf meinen Kopf ist der gleiche Preis ausgesetzt wie auf deinen.«
»Es war deine Entscheidung, mir zu helfen«, gab Skar ungerührt zurück. Er war beinahe froh, daß Herger ihm - wenn auch indirekt - Vorwürfe machte. »Du hättest mich an Tantor ausliefern und ruhig deiner Wege gehen können.«
Herger atmete hörbar ein. »Es scheint dir Spaß zu machen, mich bewußt falsch zu verstehen«, sagte er. »Ich bereue nicht, mit dir gekommen zu sein. Ich gebe zu, daß ich dir kein Wort geglaubt hätte, wenn ich nicht den Zwerg und dieses schwarze Ungeheuer mit eigenen Augen gesehen hätte. Aber ich bin hier, und ich glaube dir, und ich werde dir helfen - wenn du dir helfen läßt. Alles, was ich will, ist, daß wir diese Bestie hier zurücklassen und so schnell wie möglich verschwinden. Dieses Land ist verflucht.« Skar sah auf. Herger sprach mit einem Mal vollkommen ernst, und der Ausdruck in seinen Augen unterstrich seine Worte noch. Furcht. Was Skar sah, war Furcht, eine Angst, die weit über die Angst vor dem Quorrl oder vor Velas Soldaten hinausging. »Was soll das heißen - verflucht?«
Herger druckste herum. »Verflucht eben«, murmelte er. »Ich weiß nicht viel darüber - niemand weiß das. Aber es heißt, daß hier seltsame Dinge geschehen. Nichts lebt hier, und viele, die hierherkamen, sind nicht mehr zurückgekommen.«
»Unsinn«, sagte Skar. Aber es war nur eine instinktive Reaktion auf Hergers Worte, nicht seine Überzeugung. Er hatte nie an Flüche oder die Macht von Verwünschungen geglaubt, aber er hatte gelernt, auf die Warnung zu hören, die sich hinter den meisten Legenden verbarg. Auch wenn es manchmal nur die Warnung vor dem Unbekannten war.
»Es ist wahr«, fuhr Herger fort. »Ich ... habe nichts davon gesagt, weil du mir nicht geglaubt hättest. Du hättest gedacht, ich wollte dich nur davon abhalten, nach Norden zu reiten. Aber es ist wahr. Vielleicht ist es nur dummes Geschwätz, wie du es nennen würdest -«
»Das ist es ganz und gar nicht«, sagte eine Stimme irgendwo hinter Skar.
Skar sprang so schnell auf die Füße, daß er - vom Schwung seiner eigenen Bewegung mitgerissen - nach vorn taumelte und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Herger stieß einen überraschten Laut aus, fuhr herum und trat instinktiv ins Feuer, um die Flammen zu löschen. Brennendes Holz und Funken stoben in einer lautlosen Explosion auf, und für zwei, drei Sekunden wurde es eher heller als dunkler.
Skar fing sich im letzten Moment, federte herum, um aus dem Licht zu kommen, und riß sein Schwert aus der Scheide.
Aus der Dunkelheit jenseits des Lagers erklang ein leises, amüsiertes Lachen. »Eine eindrucksvolle Vorstellung, Satai. Aber unnötig. Wenn wir euch hätten töten wollen, hätten wir es schon getan.«
Einer der dunklen Schatten dort draußen bewegte sich, kam näher und wuchs zu einer schlanken, in blaugraues Tuch gekleideten Gestalt heran. Tuch von der Farbe der Nacht, dachte Skar. Eine perfekte Tarnung. Und so unsichtbar wie seine Kleidung, so lautlos waren die Bewegungen des Mannes. Er kam näher, blieb zwei Schritte vor Herger stehen und musterte erst ihn, dann Skar mit einem langen, nachdenklichen Blick. Sein Gesicht war verhüllt, so daß nur ein schmaler Streifen über den Augen sichtbar blieb, und selbst dieser war mit Ruß eingeschwärzt. Auf dem dunklen Turban um seinen Kopf blitzte ein kaum fingerbreites Diadem, ein gerilltes Stahlband mit einem einzelnen blassen Kristall - der einzige Teil seiner Kleidung, der nicht matt war und das Licht des Feuers reflektierte, so daß er für einen Moment wie ein drittes, leuchtendes Auge wirkte. Es erschien Skar unlogisch, daß jemand, der solchen Wert auf Tarnung legte, ein so verräterisches Schmuckstück trug.
»Du bist Skar?« fragte der Fremde. »Ein Satai, wie ich sehe.« Skar nickte, obwohl die Worte nicht als Frage gedacht waren. Er versuchte, an dem Fremden vorbei in die Dunkelheit zu sehen, aber dort draußen war nichts als Nacht und Schatten. Trotzdem war Skar sicher, daß der Fremde nicht allein gekommen war. »Ich habe euch schon eine ganze Weile belauscht«, fuhr der Mann fort. »Laut genug wart ihr ja.«
»Wer bist du?« fragte Skar.
»Mein Name ist Legis. Aber es spricht sich besser, wenn du die Waffe wegsteckst. Ich glaube nicht, daß wir eure Feinde sind.« Skar senkte das Tschekal, steckte es jedoch noch nicht wieder zurück. »Du glaubst?«
Legis lachte leise. Seine Stimme war in Wirklichkeit nicht so rauh, wie sie klang. Seine Nervosität und der schwere Schleier vor seinem Gesicht ließen sie dunkler klingen, als sie war. Skar senkte die Waffe tiefer, trat einen Schritt näher und musterte Legis eingehend. Der schwere Wollmantel fiel lose auf Legis' Knöchel herab - aber nicht einmal er konnte die weichen Formen seiner Figur vollends verbergen. Legis war eine Frau.
Sie hielt seinem Blick ein paar Sekunden stand, lachte erneut und machte eine rasche Geste, deren Bedeutung Skar nicht zu erraten vermochte. »Bist du zufrieden?« sagte sie spöttisch. »Und um deine Frage zu beantworten - wie gesagt, ich habe euch schon eine Weile belauscht. Mir scheint, daß ihr vor den gleichen Leuten davonlauft wie wir.«
»Gemeinsame Feinde bedeuten nicht Freundschaft«, sagte Skar unsicher.
Statt einer Antwort hob Legis die Hände an den Kopf, löste den Schleier von ihrem Gesicht und atmete hörbar erleichtert ein. »Das stimmt«, antwortete sie mit einiger Verzögerung. »Ich sagte ja auch nur, daß ich glaube, nicht euer Feind zu sein - nicht, daß ich es weiß. Wir werden sehen.« Sie blickte ihn eine Sekunde lang kühl an, wandte sich um und klatschte in die Hände. Skar spannte sich, bemühte sich aber gleichzeitig, keine unbedachte Bewegung zu machen. Aus der Nacht traten weitere Gestalten hervor - drei, vier, schließlich ein halbes Dutzend breitschultriger, geschuppter Giganten.
Herger stieß einen krächzenden Laut hervor und sprang auf die Füße. Seine Hand zuckte zum Schwert, führte die Bewegung jedoch nicht zu Ende. »Quorrl!« keuchte er.
Legis lächelte amüsiert. »Wie du siehst, können der Löwe und die Antilope sehr wohl gemeinsam kämpfen«, sagte sie. »Aber frage mich jetzt bitte nicht, wer von uns der Löwe und wer die Antilope ist.« Sie wandte sich wieder an Skar. »Es wäre wirklich besser, wenn du dein Schwert wegstecken würdest, Skar«, sagte sie. Ihre Stimme war ruhig wie zuvor, aber diesmal war es eindeutig ein Befehl, und Skar gehorchte. Sein Blick tastete nervös über die massigen Gestalten der Quorrl. Die Schuppenkrieger hatten in einem weit auseinandergezogenen Halbkreis zwischen ihnen und den Pferden Aufstellung genommen. Einer von ihnen kniete neben der Trage mit dem Bewußtlosen und machte sich an seiner Schulter zu schaffen.
»Also hat er die Wahrheit gesagt«, meinte Skar.
»Wer?« fragte Legis. »Der Krieger?«
Skar nickte. »Er sagte, wir sollten nach Norden gehen. Er sprach von Rebellen, aber wir waren nicht sicher.«
»Rebellen ...« Legis wiederholte das Wort auf sehr eigentümliche Weise, und ein Schatten schien über ihr Antlitz zu huschen. Aber Skar war sich nicht sicher. Der breite, geschwärzte Streifen über ihren Augen machte es schwer, ihre Züge richtig auszumachen. Wenigstens war zu erkennen, daß sie nicht so jung war, wie Skar erst vermutet hatte.
»So könnte man es nennen«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Und er hat euch zu uns geschickt?«
Skar nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nicht direkt«, sagte er hastig, als er den fragenden Ausdruck in Legis' Augen sah. »Er ... hat im Fieber geredet. Ich war mir nicht sicher, ob er die Wahrheit sprach.«
»Und trotzdem seid ihr hierhergekommen?« fragte Legis erstaunt. »Ein ziemliches Risiko.« Wieder schwieg sie einen Moment. Sie wandte sich um, tauschte einen Blick mit einem der Quorrl-Krieger und fuhr sich mit einer unbewußten Geste über die Stirn; eine Bewegung, als sei sie es gewohnt, von Zeit zu Zeit eine lästige Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen.
»Wo habt ihr ihn gefunden?«
»Am Fluß«, antwortete Skar. »Einen Tagesritt von hier. Es hat eine Schlacht gegeben, unten an der Furt. Er war der einzige Überlebende.«
»Und ihr habt ihn mitgenommen - dreißig Meilen durch unbekanntes Land voller Gefahren.« Ein seltsamer Ton, dessen Bedeutung Skar nicht klarwurde, schwang in ihrer Stimme mit.
»Warum? Als Geisel? Oder habt ihr gedacht, er würde euch helfen, wenn ihr auf Quorrl trefft?«
Ihr Blick war mit einem Mal lauernd geworden, aber Skar schwieg. Und Legis schien auch nicht mit einer Antwort zu rechnen. Sie wandte sich um, ging mit raschen Schritten zu den Quorrl-Kriegern zurück und begann, gedämpft mit ihnen zu sprechen. Skar konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber einer der Schuppenkrieger deutete mehrmals auf ihn und Herger, was Legis jedesmal mit einem energischen Kopfschütteln quittierte. Der Quorrl war erregt, das war trotz seines ausdruckslosen Fischgesichts deutlich zu erkennen, und er sprach laut, nur eine Winzigkeit davon entfernt, loszuschreien.
Skar verfolgte den Disput eine Weile, ehe er zu Herger zurückging. Der junge Hehler hatte die ganze Zeit kein Ton gesagt, aber jede Bewegung Legis' und der Quorrl aus angstvoll geweiteten Augen verfolgt. Seine Hand lag noch immer auf dem Griff seines Schwertes, obwohl er genau wissen mußte, wie nutzlos die Waffe war.
Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, schwieg aber. Die Quorrl starrten - mit Ausnahme des einen, der noch immer mit Legis stritt - zu ihnen herüber, und Skar war sicher, daß mindestens einer unter ihnen war, der ihre Sprache sprach und jedes Wort mißtrauisch verfolgte. Die Quorrl verhielten sich ruhig, aber die Tatsache, daß sie noch nicht angegriffen hatten, bedeutete nicht, daß sie es nicht nachholen würden - Legis' Worte hatten freundlich geklungen, aber Skar hatte die unausgesprochene Drohung darin sehr wohl bemerkt. Und auch er konnte sich eines immer stärker werdenden Gefühls der Furcht nicht erwehren, während er die stumm dastehenden Krieger betrachtete. Es waren Giganten, selbst für Quorrl-Verhältnisse. Legis mußte ihre Begleiter sehr sorgfältig ausgewählt haben - jeder einzelne war einen guten Kopf größer als Skar und so breitschultrig, daß sich ein normal gewachsener Mann bequem dahinter hätte verstecken können. Die Schwerter und Streitäxte in ihren Fäusten wirkten wie Spielzeuge. Skar bezweifelte, daß er auch nur mit einem einzigen von ihnen fertig geworden wäre.
Herger fingerte unruhig an seinem Schwert herum. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und auf seiner Stirn perlte kalter Schweiß.
»Mach jetzt nur keinen Fehler«, zischte Skar ihm zu, ohne die Quorrl aus den Augen zu lassen. »Eine falsche Bewegung, und wir sind tot.«
»Das sind wir sowieso«, stammelte Herger. »Sie werden uns umbringen, Skar. Sieh dir diese Bestien doch an. Sie ... sie werden sich gleich auf uns stürzen.«
»Schweig!« zischte Skar. »Du redest uns noch um Kopf und Kragen!«
»Das tut er nicht«, sagte Legis ruhig. Skar zuckte zusammen, drehte sich halb um und starrte die Frau durchdringend an. Herger hatte trotz seiner Erregung leise gesprochen. Aber Legis schien über ein sehr feines Gehör zu verfügen.
»Ich ...«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, Satai«, fuhr sie gelassen fort. »Im Gegenteil - ich bin dafür, von Anfang an für klare Verhältnisse zu sorgen. Dein Freund haßt uns, aber das ist seine Sache.« Sie kam wieder näher, diesmal in Begleitung des Quorrl, mit dem sie bisher geredet hatte. Neben der kleinwüchsigen Frau wirkte der Krieger noch gewaltiger: ein grauer Koloß aus Schuppen und Knochen, der wie ein zum Leben erwachter Berg über ihr aufragte und Skar und Herger aus ausdruckslosen Augen anstarrte.
»Die Theorie, die du vorhin entwickelt hast«, fuhr Legis, an Herger gewandt, fort, »ist nicht uninteressant - von deinem Standpunkt aus. Aber ein wenig kurzsichtig - ich hätte dir mehr Intelligenz zugetraut. Auch ich wurde nicht mit dem Schwert in der Hand geboren, aber ich ergreife es, wenn es notwendig ist.« Herger erbleichte noch mehr. Vergeblich versuchte er, dem Blick der dunklen Augen Legis' standzuhalten. »Ich ... verstehe nicht...«, murmelte er.
Legis verzog abfällig die Lippen. »Du verstehst sehr gut«, sagte sie. »Und spiele bitte nicht den Narren - dazu bist du nämlich nicht klug genug. Und du beleidigst mich, wenn du glaubst, ich würde darauf hereinfallen.«
»Wie lange hast du uns schon belauscht?« fragte Skar.
»Lange genug«, antwortete Legis knapp.
»Du scheinst jedes Wort gehört zu haben«, murmelte Skar. »Mein Kompliment - es geschieht nicht oft, daß sich jemand so lange in meiner Nähe aufhält, ohne daß ich es merke.«
Legis lächelte flüchtig. »Aus dem Munde eines Satai stellen diese Worte wohl ein besonders großes Lob dar, wie?« sagte sie. »Wir mußten lernen, mit den Schatten zu gehen und so leise wie der Wind zu sein, wenn wir überleben wollen. Und um deine Frage zu beantworten - wir waren schon hier, als ihr gekommen seid.« Sie schwieg einen Moment, um sich über Skars offenkundige Verblüffung zu amüsieren. »Dein Freund wäre um ein Haar über mich gestolpert, als er wutentbrannt in die Nacht hinausgestürmt ist. Wir beobachten euch schon seit Tagesanbruch. Ihr wart nicht sehr vorsichtig für Männer, die auf der Flucht sind.«
»Ihr?« fragte Skar. »Wer ist das - ihr? Du lebst doch nicht allein mit diesen Quorrl hier draußen.«
Legis hob ungeduldig die Hand. »Deine Fragen werden beantwortet werden, ebenso wie die Frage, was mit euch geschehen wird. Aber nicht von mir und nicht hier und jetzt. Ihr werdet uns begleiten.«
»Wohin?«
»Zu unserem Lager. Es ist nicht weit von hier. Und nun kommt - wir haben schon zuviel Zeit verloren.« Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sie sich um und sagte ein paar Worte in der Sprache der Quorrl. Ihr Begleiter unterstrich den Befehl mit einer raschen Geste. Skar beobachtete die Art, in der er sich bewegte, genau. Alles an dem Quorrl schien Kraft zu sein; er kam Skar wie ein Kraftpaket auf zwei Beinen vor, das beim geringsten Anstoß explodieren konnte.
Skar bückte sich, hob seine Decke auf und rollte sie zusammen, aber Legis rief ihn mit einem knappen Befehl zurück, als er zu seinem Pferd gehen wollte.
»Die Tiere bleiben hier«, sagte sie. »Nehmt ihnen das Zaumzeug ab und laßt sie laufen. Sie werden ihren Weg finden. Um den Krieger kümmern wir uns.«
Skar runzelte verwirrt die Stirn. »Aber -«
»Ihr werdet gehorchen«, unterbrach ihn Legis, plötzlich scharf und mit erhobener Stimme. Der riesige Quorrl hinter ihr drehte sich herum und sah Skar unbewegt an. Fünf, zehn, fünfzehn endlose Sekunden lang bohrte sich sein Blick in den Skars. Auf seinen Zügen zeigte sich nicht die geringste Regung, aber gerade das war es, was Skar erschreckte. Der Quorrl hatte es nicht nötig zu drohen - er war eine Drohung, allein durch seine gewaltige Erscheinung. Skar atmete innerlich auf, als sich der Quorrl - nach einer Ewigkeit, wie es ihm vorkam - umwandte und zu seinen Kameraden hinüberging. Skar wußte, daß er das stumme Duell nicht mehr länger durchgehalten hätte. Hätte der Quorrl nur noch wenige Atemzüge ausgeharrt, hätte Skar den Blick vor ihm senken müssen; zum ersten Mal in seinem Leben.
Verwirrt - ein Gefühl irgendwo zwischen Irritation und mit Unglauben gemischter Furcht - trat er einen Schritt zurück und sah sich beinahe hilfesuchend um. Herger schien von dem wortlosen Kampf zwischen Skar und dem Quorrl nicht einmal etwas gemerkt zu haben, aber Legis war das stumme Duell keineswegs entgangen.
»Mork, der Kommandant unserer Quorrl-Truppen«, sagte sie. »Ich glaube, ich brauche ihn dir nicht mehr vorzustellen.«
Skar schüttelte wortlos den Kopf. Er hatte den Namen des Quorrl nicht gewußt, wohl aber bemerkt, daß er der Anführer der Geschuppten war. Ein Mann wie er war einfach zum Führer geboren. Niemand würde es wagen, ihn anzuzweifeln - nicht wegen seiner körperlichen Stärke; das war bei Quorrl nichts Außergewöhnliches - es gab allein unter dem halben Dutzend, das Legis begleitete, zwei, die ebenso groß und vielleicht noch breitschultriger waren als er -, sondern einfach deshalb, weil dieses Wesen Willenskraft und Macht ausstrahlte wie kaum jemand, dem Skar zuvor begegnet war.
Mühsam wandte Skar den Blick von der Stelle, wo Mork verschwunden war. »Ein ... erstaunlicher Mann«, sagte er. Seine Stimme verriet mehr von seiner Erregung, als er wollte.
Legis nickte. »Ein gefährlicher Mann«, fügte sie hinzu. »Er ist stark und wild, wie man sich einen Quorrl vorstellt, aber auch intelligent. Du solltest ihn nicht unterschätzen.« Sie befestigte den Schleier wieder vor dem Gesicht und nahm mit einer raschen Bewegung das Diadem vom Kopf. Ihre Gestalt schien wieder mit dem Grau der Nacht zu verschmelzen.
»Und wer bist du?« fragte Skar.
»Eine Errish«, antwortete Legis. »Der Krieger hat die Wahrheit gesagt - aber nun komm. Du wirst alles erfahren, wenn wir im Lager sind. Und wir müssen es vor Sonnenaufgang erreichen.« Diesmal folgte ihr Skar widerspruchslos. Einer der Krieger blieb zurück und trat sorgsam das Feuer aus; zwei andere ergriffen die Trage mit ihrem bewußtlosen Kameraden und trugen sie zwischen sich, als wäre sie gewichtslos.
Herger drängte sich eng an Skar. Er schwieg, aber sein Blick irrte unstet zwischen den vor ihnen gehenden Quorrl und der blauverhüllten Gestalt der Errish hin und her. Seine Rechte war noch immer um den Schwertgriff gekrampft, jetzt aber nur noch deshalb, um ihr Zittern zu verbergen.
Sie gingen etwa hundert Schritte in östlicher Richtung und blieben auf ein Zeichen von Legis stehen. Die Errish und Mork verschwanden hinter einem mächtigen, halbrunden Felsbuckel, den Skar erst wahrnahm, als sein Schatten die beiden Gestalten verschluckte. Sie blieben eine Zeitlang dort.
Skar wartete. Er glaubte ein schwaches Geräusch zu hören - ein Schleifen von Leder und Metall über Stein -, dann trug der Wind einen scharfen, fremdartigen Geruch heran.
Hinter dem Felsen wuchs ein bizarrer Schatten auf. Im ersten Augenblick glaubte Skar, einen Riesen vor sich zu haben - einen gewaltigen, zweieinhalb Meter hohen Giganten in einem ledernen Mantel. Dann trat eine zweite gleiche Gestalt ins schwache Sternenlicht heraus, und Skar erkannte, was sie vor sich hatten. »Daktylen!« keuchte er ungläubig.
Herger fuhr zusammen und wich einen halben Schritt zurück, gab aber keinen Laut von sich. Skar starrte weiter auf die gewaltigen Flugechsen. Er hatte von diesen Tieren gehört und sie sogar einmal - wenn auch nur von weitem - selbst gesehen, aber es war das erste Mal, daß er den geflügelten Bestien so nahe gegenüberstand. Sie waren weit über zweieinhalb Meter groß, titanische, häßliche Reptilienvögel mit Fledermausflügeln und Hammerköpfen, die ihn und Herger aus winzigen roten Augen musterten. Im ersten Moment erinnerten sie ihn an die gewaltigen Hoger, auf die Del und er in der Nonakesh-Wüste gestoßen waren, aber als sie näher kamen, erkannte er Unterschiede. Sie waren knochiger, und ihr Echsen-Erbe trat deutlicher zutage. Ihr Körper war schlank und bewegte sich auf zwei muskulösen Beinen; sie waren eher zum Laufen als zum wirklichen Fliegen geeignet.
Auf ihren Rücken waren Sättel, und als eines der Tiere in einer spielerischen Bewegung die Flügel entfaltete und damit schlug, berichtigte Skar seine Meinung. Die gewaltigen ledrigen Schwingen teilten die Luft mit ungeheurer Macht; der Luftzug ließ Skar taumeln.
»Ich hoffe, ihr seid beide schwindelfrei«, sagte Legis spöttisch. Skar registrierte erst jetzt, daß der Quorrl und sie wieder hinter dem Felsen hervorgetreten waren. Sowohl sie als er führte jeder eine der gewaltigen Flugechsen am Zügel.
»Ihr wollt...«
»Fliegen«, bestätigte Legis ungerührt. »Es sind sechzig Meilen bis zu unserem Lager. Dachtet ihr, wir laufen bis dorthin?« Skar schluckte schwer. Die Sättel waren Beweis genug gewesen, aber er hatte sich an die Hoffnung geklammert, daß die Errish und ihre Begleiter die Daktylen als Reittiere benutzten; so, wie die Ehrwürdigen Frauen auf ihren Drachen ritten. Aber sie würden fliegen. Er hatte davon gehört, daß einige besonders wilde Quorrl-Stämme aus dem Norden Daktylen als Flugtiere benutzten, aber er hatte es nicht geglaubt. Er hatte es nicht glauben wollen.
»Du wirst mit mir fliegen«, bestimmte Legis. »Dein Freund ist leichter - er kann mit einem der Krieger reiten. Und nun kommt.« Skar bewegte sich zögernd auf die Errish und ihr schwarzes Ungeheuer zu. In seinem Magen war plötzlich ein eisiger, harter Klumpen.