Reverend Thrower gestattete sich selbst nur wenige Laster, eines davon aber war es, das Freitagsessen bei den Weavers einzunehmen. Die Bezeichnung Freitagabendessen war allerdings treffender, da die Weavers Kaufleute und Warenhersteller waren und mittags nur eine kleine Mahlzeit zu sich nahmen. Man sagte von Eleanor Weaver, daß sie einen alten Baumstamm nehmen und ihn dazu bringen konnte, so lieblich zu schmecken wie Kanincheneintopf. Doch nicht nur das hervorragende Essen lockte Thrower Weaver, den die Leute ›Brustwehr des Herrn‹ nannten, denn er war ein Kirchgänger, der seine Bibel kannte, so daß man eine gehaltvolle Konversation pflegen konnte, nicht ganz so erhaben wie die Unterhaltung mit hochgebildeten Kirchenmännern natürlich, aber immerhin gepflegter als alles andere sonst in dieser finsteren Wildnis.
Sie aßen gewöhnlich in einem Raum hinter dem Geschäft der Weavers, der sowohl als Küche wie als Werkstatt und Bibliothek diente. Eleanor rührte gelegentlich den Topf um, und der Duft von gekochtem Wild und vom frischgebackenem Brot vermischte sich mit den Gerüchen des hinteren Seifensiederschuppens und des Talgs, das sie hier für das Kerzenmachen verwendeten. »Oh, wir sind etwas von allem«, hatte Brustwehr Weaver beim ersten Besuch des Reverend Thrower gesagt. »Wir stellen Dinge her, die jeder Farmer hier für sich selbst herstellen kann — aber wir machen es besser, und wenn sie uns die Sachen abkaufen, erspart ihnen dies stundenlange Arbeit, so daß sie mehr Zeit haben, um Land zu roden, es zu bebauen und zu bepflanzen.«
Der Laden selbst, der den vorderen Teil des Gebäudes ausmachte, war bis zur Decke mit Regalen bestückt, die angefüllt waren mit Dingen, die von Wagen aus dem Osten herbeigeschafft worden waren. Baumwolltuche aus den Spinnereien und Dampfwebereien von Irrakwa, Zinnteller und eiserne Töpfe und Herde aus den Schmelzereien von Pennsylvania und Suskwahenny, prächtige Töpferwaren und kleine Kommoden und Kisten der Zimmerleute New Englands und sogar ein paar kostbare Gewürzsäcke, die in New Amsterdam aus dem Orient angeschifft worden waren. Weaver hatte einmal gestanden, daß es die ganzen Ersparnisse seines Lebens gekostet hatte, die Waren zu kaufen, und daß es keineswegs sicher sei, daß er hier, in diesem dünn besiedelten Land, zu Wohlstand gelangen würde. Doch Reverend Thrower hatte den ständigen Wagenstrom vom unteren Wobbish und vom Tippy-Canoe bemerkt und sogar einige wenige, die weit aus dem Westen, aus dem Land des Noisy River gekommen waren.
Nun, da sie darauf warteten, daß Eleanor verkündete, das Wildbret sei fertig, stellte Reverend Thrower ihm eine Frage, die ihm schon eine Weile zu schaffen gemacht hatte.
»Ich habe gesehen, was die Leute wegschleppen«, meinte Reverend Thrower, »und ich kann mir nicht im leisesten denken, womit sie Euch bezahlen. Niemand hier macht irgendwelches Bargeld, und es gibt auch nicht viel einzutauschen, was man wieder im Osten verkaufen könnte.«
»Sie bezahlen mit Talg und Holzkohle, mit Asche und gutem Holz, und natürlich mit Nahrung für Eleanor und mich und… wer immer noch kommen mag.«
Nur ein Narr hätte nicht bemerkt, daß Eleanor schon rund genug geworden war, um die Hälfte der Schwangerschaft hinter sich gebracht zu haben. »Aber hauptsächlich«, sagte Weaver, »kaufen sie auf Kredit.«
»Kredit! An Farmer, deren Skalps im nächsten Winter in Fort Detroit ebensogut gegen Musketen oder Schnaps eingetauscht werden könnten?«
»Es wird weitaus mehr über das Skalpieren geredet, als daß skalpiert würde«, meinte Brustwehr Weaver. »Die Roten hier sind nicht dumm. Sie wissen von den Irrakwa, und wie sie im Kongreß von Philadelphia ebenso ihre Sitze bekommen wie die Weißen. Sie wissen, wie sie Musketen erwerben, Pferde, Farmen, Felder und Städte, genau wie in Pennsylvania oder Suskwahenny oder New Orange. Sie wissen von den Cherriky von Appalachee und wie die dort ihr Land bebauen und Seite an Seite mit Tom Jeffersons Weißen Rebellen kämpfen, um ihr Land unabhängig vom König und den Cavaliers zu halten.«
»Möglicherweise ist Euch aber auch der ständige Zustrom vom Flachbooten aufgefallen, die den Hio hinauffahren, und die Wagen, die nach Westen kommen, und die gefällten Bäume und die Blockhäuser, die überall entstehen.«
»Ich vermute, teilweise habt Ihr wohl recht, Reverend«, meinte Weaver. »Ich schätze, die Roten könnten sich in die eine Richtung ebenso entwickeln wie in die andere. Vielleicht versuchen sie, uns alle umzubringen, vielleicht versuchen sie aber auch, sich niederzulassen und mit uns zusammenzuleben. Mit uns zu leben, wäre nicht gerade leicht für sie — sie sind das Stadtleben nicht sonderlich gewohnt, während es für die Weißen die natürlichste Sache von der Welt ist. Aber gegen uns zu kämpfen, das muß noch schlimmer sein, denn wenn sie das tun, werden sie den Tod finden. Vielleicht glauben sie ja, daß sie Weiße umbringen können, um damit andere abzuschrecken. Aber sie wissen ja auch nicht, wie es in Europa zugeht, wie der Traum vom eigenen Land die Leute dazu bringen kann, fünftausend Meilen weit zu reisen, um schwerer zu arbeiten als jemals zuvor in ihrem Leben und um Kinder zu begraben, die in der Heimat vielleicht hätten überleben können, weil es immer noch besser ist, sein eigener Herr zu sein als irgendeinem anderen Herrn zu dienen. Bis auf Gott den Herrn.«
»Und so ist das mit Euch auch?» fragte Thrower. »Alles riskieren, nur für Land?«
Weaver blickte seine Frau Eleanor an und lächelte. Sie erwiderte das Lächeln nicht, wie Thrower bemerkte, doch zugleich bemerkte er auch, daß ihre Augen schön und tief waren, als kannte sie Geheimnisse, die sie ernst machten, auch wenn sie in ihrem Herzen eigentlich fröhlich sein mochte.
»Nicht Land, wie die Farmer es besitzen, ich bin kein Farmer, das kann ich Euch verraten«, erwiderte Weaver. »Es gibt auch andere Möglichkeiten, Land zu besitzen. Versteht Ihr, Reverend Thrower? Ich gewähre ihnen jetzt Kredit, weil ich an dieses Land glaube. Wenn sie kommen, um mit mir Handel zu treiben, lasse ich mir von ihnen den Namen all ihrer Nachbarn nennen und lasse sie grobe Karten von den Farmen und Flüssen zeichnen, wo sie leben, und von den Wegen und Flüssen auf ihrem Weg hierher. Ich lasse sie Briefe mitbringen, die andere geschrieben haben, und ich schreibe ihnen ihre Briefe und schaffe sie zurück nach Osten zu den Menschen, die sie zurückgelassen haben. Ich weiß, wo alles und jedermann sich im ganzen oberen Wobbish und Noisy River Land befindet und wie man dorthin gelangt.«
Reverend Thrower blinzelte und lächelte. »Mit anderen Worten, Bruder Weaver, Ihr seid die Regierung.«
»Sagen wir es einmal so: Sollte die Zeit kommen, da eine Regierung nützlich wäre, wäre ich bereit zu dienen«, antwortete Brustwehr. »Und in zwei, drei Jahren, wenn immer mehr Leute vorbeiziehen und immer mehr anfangen, Dinge wie Ziegel und Töpfe und Steingut herzustellen, Schränke und Fässer, Bier und Käse und Viehfutter, nun, wohin werden die sich wohl wenden, um alles zu verkaufen oder zu kaufen? An den Laden, der ihnen Kredit gewährte, als ihre Frauen sich noch nach dem Tuch für ein buntes, helles Kleid sehnten oder als sie einen Eisentopf oder einen Ofen brauchten, um die Winterkälte abzuhalten.«
Philadelphia Thrower zog es vor, nicht zu erwähnen, daß er etwas weniger Vertrauen in die Wahrscheinlichkeit hegte, daß die dankbaren Leute Brustwehr-Gottes Weaver treu blieben. Und außerdem, dachte Thrower, könnte ich ja auch irren. Und selbst wenn Brustwehr nicht alles verwirklichen sollte, wovon er träumt, so wird er ein gutes Werk getan und dabei geholfen haben, dieses Land für die Zivilisation zu erschließen.
Das Essen war fertig. Eleanor verteilte das Ragout. Als sie eine prächtige weiße Schüssel vor ihn stellte, mußte Reverend Thrower lächeln. »Ihr müßt sehr stolz auf Euren Gatten sein und auf alles, was er vollbringt.«
Anstatt jedoch unterwürfig zu lächeln, wie Thrower es erwartet hatte, platzte Eleanor fast lauthals lachend los. Brustwehr-Gottes dagegen war nicht so zurückhaltend. Er prustete nur so. »Reverend Thrower, Ihr macht mir wirklich Spaß«, meinte Brustwehr. »Wenn ich bis zu den Ellenbogen in Kerzentalg stecke, steckt Eleanor bis zu ihren in Seife. Wenn ich den Leuten ihre Briefe schreibe und sie verschicke, zeichnet Eleanor Landkarten und hält die Namen für unser kleines Zensusbuch fest. Es gibt nichts, was ich täte, bei dem Eleanor mir nicht zur Seite stünde, und nichts, was sie täte, bei dem ich ihr nicht zur Seite stünde. Vielleicht mit Ausnahme ihres Kräutergartens, für den sie sich mehr interessiert als ich. Und das Bibellesen, für das ich mich mehr interessiere als sie.«
»Nun, es ist gut, daß sie ihrem Gatten eine rechtschaffene Hilfe ist«, meinte Reverend Thrower.
»Wir sind einander Hilfen«, erwiderte Brustwehr-Gottes.
Er sagte es lächelnd, und Thrower erwiderte sein Lächeln, doch der Geistliche war ein wenig enttäuscht, daß Brustwehr so ein Pantoffelheld war, um in aller Offenheit einzugestehen, daß er nicht Herr seines eigenen Geschäfts oder seines eigenen Heims war. Doch was konnte man angesichts der Tatsache schon anderes erwarten, daß Eleanor in dieser seltsamen Familie Miller aufgewachsen war? Man konnte von der ältesten Tochter von Alvin und Faith Miller wohl kaum erhoffen, daß sie sich ihrem Ehegatten so fügte, wie der Herr es vorgesehen hatte.
Das Wildbret jedoch war das beste, das Thrower jemals gekostet hatte. »Sehr gut«, bemerkte er. »Ich hätte nicht geglaubt, daß Wildbret so schmecken kann.«
»Sie schneidet vorher das Fett ab«, erklärte Brustwehr, »und gibt etwas Huhn dazu.«
»Jetzt, da Ihr es erwähnt«, sagte Thrower, »schmecke ich es in der Brühe durch.«
»Und das Wildfett wandert in die Seife«, fügte Brustwehr hinzu. »Wir werfen niemals etwas fort, sofern wir es noch irgendwie verwenden können.«
»Genau wie der Herr es will«, bemerkte Thrower. Dann machte er sich ans Essen. Er aß gerade seine zweite Schüssel Ragout, als er eine Bemerkung machte, die er für ein scherzhaftes Kompliment hielt. »Mrs. Weaver, Eure Küche ist so gut, daß ich schon fast an Zauberei glauben könnte.«
Thrower hatte allenfalls ein leises Lachen erwartet. Statt dessen senkte Eleanor den Blick so verschämt, als hätte er sie des Ehebruchs bezichtigt, und Brustwehr-Gottes richtete sich steif auf. »Ich muß Euch doch bitten, dieses Thema in diesem Haus nicht zu erwähnen«, sagte er.
Reverend Thrower versuchte sich zu entschuldigen. »Ich habe es doch nicht ernst gemeint«, sagte er. »Unter rational denkenden Christen ist so etwas doch ein Scherz, nicht wahr? Es gibt soviel Aberglauben, und ich…«
Eleanor stand auf und verließ das Zimmer.
»Was habe ich nur gesagt?» fragte Thrower.
Brustwehr seufzte. »Ach, das konntet Ihr unmöglich wissen«, erklärte er. »Es ist ein Streit, der schon lange vor unserer Heirat begonnen hat, als ich in diese Gegend kam.
Ich begegnete ihr, als sie mit ihren Brüdern kam, um mir beim Bau meiner ersten Blockhütte zu helfen — die heutige Seifensiederscheune. Sie begann damit, etwas Speerminze auf meinen Boden zu verstreuen und irgendeinen Reim aufzusagen, und ich schrie sie an, damit aufzuhören und mein Haus zu verlassen. Ich zitierte ihr die Bibel, die Stelle, wo es heißt, du sollst eine Hexe nicht am Leben lassen. Das war eine reichlich unangenehme halbe Stunde, das dürft Ihr mir glauben.«
»Ihr habt sie eine Hexe genannt, und sie hat Euch doch geheiratet?«
»Bis dahin haben wir uns noch einige Male unterhalten.«
»Sie glaubt doch nicht mehr an so etwas, oder?«
Brustwehr zog die Augenbrauen zusammen. »Das ist keine Präge des Glaubens, sondern eine Frage des Tuns, Reverend. Sie tut es nicht mehr. Als Ihr sie mehr oder weniger dessen beschuldigt habt, hat sie das erregt. Denn Ihr müßt wissen, sie hat mir versprochen, es nicht mehr zu tun.«
»Aber als ich mich entschuldigt habe, warum hat sie da…«
»Nun, so ist das eben. Ihr habt Eure Denkweise, aber Ihr könnt ihr nicht erzählen, daß Anrufungen und Kräuter und Beschwörungen keine Macht besäßen, denn sie hat selbst einiges mitangesehen, was Ihr nicht einfach wegerklären könnt.«
»Aber ein Mann wie Ihr, der so bibelfest und weltgewandt ist, Ihr könntet doch Eure Frau davon überzeugen, den Aberglauben ihrer Kindheit aufzugeben.«
Brustwehr legte seine Hand sanft auf Reverend Throwers Hand. »Reverend, ich muß Euch etwas sagen, von dem ich nicht geglaubt hätte, daß ich es jemals einem Erwachsenen mitteilen müßte. Ein guter Christ weigert sich, diese Dinge in seinem Leben zuzulassen, weil der einzige rechte Weg die verborgenen Kräfte ins Leben einzuführen, das Gebet und die Gnade des Herrn Jesus Christus ist. Aber nicht etwa deswegen, weil es nicht funktionieren würde.«
»Aber das tut es doch auch nicht«, wandte Thrower ein.
»Die Mächte des Himmels sind wirklich, auch die Schau der Engel und ihre Besuche sowie alle Wunder, die in der Schrift bezeugt werden. Doch die Mächte des Himmels haben überhaupt nichts damit zu tun, daß junge Paare sich verlieben oder mit dem Heilen von Diphtherie oder damit, Hühner dazu zu bringen, mehr Eier zu legen, oder mit den all den anderen albernen kleinen Dingen, die die unwissenden gemeinen Leute mit ihrem sogenannten geheimen Wissen anstellen. Es gibt nichts, was sich durch Rutengehen oder Beschwörungen oder sonst etwas tun ließe, das man nicht durch einfache wissenschaftliche Untersuchung erklären könnte.«
Brustwehr antwortete lange nichts. Das Schweigen verunsicherte Thrower, doch wußte er nicht, was er noch sagen sollte. Ihm war noch nie der Gedanke gekommen, daß Brustwehr möglicherweise an solche Dinge glauben könnte — eine neue, verblüffende Perspektive. Schließlich war es eine Sache, sich der Hexerei zu enthalten, weil sie Unfug war, aber eine ganz andere, an sie zu glauben und sich ihrer zu enthalten, weil sie unrechtmäßig war. Für Thrower war die Verachtung der Hexerei eine bloße Angelegenheit der Vernunft, während sie für Brustwehr und Eleanor ein erhebliches Opfer darstellte.
Bevor er eine Möglichkeit gefunden hatte, diesen Gedanken zu äußern, lehnte sich Brustwehr jedoch auf seinem Stuhl zurück und wechselte das Thema.
»Schätze, Eure Kirche ist fast fertig.«
Erleichtert folgte Reverend Thrower Brustwehr auf sichereren Boden. »Gestern ist das Dach fertig geworden, und heute haben sie alle Bretter an den Wänden befestigen können. Morgen wird sie mit Fensterläden versehen, und wenn wir sie erst lackiert und die Türen eingehängt haben, wird sie so wasserdicht sein wie man es sich nur denken kann.«
»Ich lasse das Glas für die Fenster per Schiff kommen«, sagte Brustwehr. Dann zwinkerte er. »Ich habe nämlich das Problem des Transports auf dem Eriesee gelöst.«
»Wie habt Ihr das denn geschafft? Die Franzosen versenken doch jedes Boot, selbst wenn es aus Irrakwa kommt.«
»Ganz einfach. Ich habe das Glas in Montreal bestellt.«
»Französisches Glas für die Fenster einer britischen Kirche!«
»Einer amerikanischen Kirche«, berichtigte ihn Brustwehr. »Und Montreal ist auch eine Stadt in Amerika. Außerdem mögen die Franzosen zwar versuchen, uns loszuwerden, bis dahin stellen wir jedoch einen Markt für ihre Manufakturen dar, daher hat der Gouverneur, der Marquis de la Fayette, nichts dagegen, daß seine Leute einen Handelsgewinn machen, solange wir noch hier sind. Sie verschiffen die Ware um den Michigansee herum und bringen sie dann den St. Joseph hinauf und den Tippy-Canoe hinunter.«
»Werden sie es vor dem schlechten Wetter noch schaffen?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Brustwehr, »sonst bekommen sie nämlich keine Bezahlung.«
»Ihr seid ein erstaunlicher Mann«, sagte Thrower. »Aber ich wundere mich doch, daß Ihr dem britischen Protektorat so wenig Loyalität entgegenbringt.«
»Nun, so ist das eben«, meinte Brustwehr. »Ihr seid unter dem Protektorat aufgewachsen, daher denkt Ihr noch immer wie ein Engländer.«
»Ich bin Schotte, mein Herr.«
»Dann eben Brite. In Eurem Land wurde doch jeder, von dem das Gerücht umging, er würde die geheimen Künste ausüben, sofort ins Exil geschickt, kaum daß man sich um einen Prozeß bemüht hätte, nicht wahr?«
»Wir versuchen gerecht zu sein — aber die kirchlichen Gerichte sind schnell, und es gibt keine Möglichkeit des Einspruchs.«
»Nun, dann denkt doch einmal darüber nach. Wenn jeder, der ein Talent für die geheimen Künste besaß, in die amerikanischen Kolonien verbannt wurde, wie solltet Ihr da jemals in Eurer Jugend auch nur die Spur von Hexerei kennenlernen?«
»Ich habe sie nicht kennenlernt, weil es so etwas nicht gibt.«
»In Britannien gibt es so etwas nicht. Aber es ist der Fluch der guten Christen in Amerika, weil wir bis zum Hals in Fackeln, Rutengängern, Sumpfstampfern und Hexern stehen, und hier kann kein Kind auch nur vier Fuß groß werden, ohne irgendwann einmal gegen den Abwehrzauber eines anderen zu prallen oder zum Opfer des Allessagen-Zaubers irgendeines Tunichguts zu werden, so daß es alles ausspricht, was ihm gerade in den Sinn kommt, und im Umkreis von zehn Meilen jedermann beleidigt.«
»Ein Allessagen-Zauber! Also wirklich, Bruder Brustwehr, Ihr wißt doch sicherlich selbst, daß schon eine Spur Schnaps ebensoviel erreichen kann.«
»Nicht bei einem zwölfjährigen Jungen, der nie in seinem Leben auch nur einen Tropfen davon angerührt hat.«
Offensichtlich sprach Brustwehr aus eigener Erfahrung, doch das änderte nichts an den Tatsachen. »Es gibt immer auch andere Erklärungen.«
»Es gibt jede Menge Erklärungen, die man sich für alles mögliche ausdenken kann«, meinte Brustwehr. »Aber ich will Euch eins sagen. Ihr könnt getrost gegen die Zauberei predigen und werdet immer noch eine Gemeinde behalten. Aber wenn Ihr weiterhin sagt, daß Zauberei nicht funktioniert, nun, ich schätze, dann werden die meisten Leute sich wohl fragen, warum sie den ganzen Weg zur Kirche zurücklegen müssen, nur um sich die Predigt eines Narren anzuhören.«
»Ich muß die Wahrheit so sagen, wie ich sie sehe«, warf Thrower ein.
»Ihr könntet aber auch beispielsweise mitzusehen, wie ein Mann in seinem Geschäft betrügt, aber deshalb müßt Ihr doch seinen Namen nicht gleich von der Kanzel herab nennen, oder? Nein, mein Herr, Ihr würdet weiterhin einfach Ehrlichkeit predigen und darauf hoffen, daß Eure Appelle irgendwann durchdringen.«
»Ihr wollt damit sagen, daß ich einen indirekten Zugang wählen sollte.«
»Dort draußen steht ein wirklich prächtiges Kirchengebäude, Reverend Thrower, und es wäre nicht halb so prächtig, wenn da nicht Euer Traum gewesen wäre, wie es zu sein hat. Aber die Leute hier denken, daß es ihre Kirche ist. Sie haben das Holz gehauen, sie haben sie gebaut, sie steht auf Gemeindeland. Und es wäre wirklich eine Schande, wenn Ihr so stur wäret, daß sie Eure Kanzel einfach einem anderen Prediger überantworten sollten.«
Lange Zeit starrte Reverend Thrower auf den leeren Teller vor sich. Er dachte an die Kirche, nicht im ungestrichenen, rohen Zustand, in dem sie sich jetzt noch befand, sondern wie sie fertig war, mit Bänken und hoch aufragender Kanzel. Es geht nicht nur um den Ort, sagte er sich, sondern auch darum, was ich hier vollbringen kann. Ich würde meine christliche Pflicht vernachlässigen, wenn ich es zuließe, daß dieser Ort unter die Herrschaft von abergläubischen Toren wie Alvin Miller und seiner Familie gerät. Wenn meine Mission darin besteht, das Böse und den Aberglauben zu vernichten, dann muß ich unter den Unwissenden und Abergläubischen leben. Nach und nach werde ich ihnen das Wissen um die Wahrheit bringen. Und wenn ich die Eltern nicht überzeugen kann, so kann ich mit der Zeit immerhin die Kinder bekehren. Mein Amt ist eine Lebensaufgabe, warum sollte ich es da wegwerfen, nur um für wenige Augenblicke die Wahrheit zu sagen?
»Ihr seid ein weiser Mann, Bruder Brustwehr.«
»Ihr auch, Reverend Thrower. Ich glaube, selbst wenn wir hier und dort unterschiedlicher Meinung sein mögen, so wollen wir auf lange Sicht doch dasselbe. Wir wollen, daß dieses ganze Land zivilisiert und christlich wird. Und keiner von uns hätte etwas dagegen, wenn Vigor Church einmal zu Vigor City würde, ja wenn Vigor City zur Hauptstadt des ganzen Landes Wobbish würde. Drüben in Philadelphia redet man sogar schon davon, Hio dazu einzuladen, sich als Staat zu konstituieren und sich anzuschließen, und Appalachee wird man mit Sicherheit ein solches Angebot machen. Warum nicht auch eines Tages Wobbish? Warum nicht eines Tages ein Land haben, das sich von einem Meer zum anderen erstreckt, mit Weißen und Roten, in dem jeder von uns die Freiheit hat, die Regierung zu wählen, die wir haben wollen?«
Es war ein guter Traum. Und Thrower konnte sich selbst auch darin sehen. Der Mann, der das Kanzelamt der größten Kirche in der größten Stadt des Landes innehielt, würde zum geistlichen Führer eines ganzen Volkes werden. Einige Minuten lang glaubte er so sehr an seinen Traum, daß ihm, nachdem er Brustwehr freundlich für die Mahlzeit gedankt und das Haus verlassen hatte, schier die Luft wegblieb, als er sehen mußte, daß Vigor Township im Augenblick lediglich aus Brustwehrs großem Laden und seinen Außengebäuden bestand, aus einer eingezäunten Gemeindeweide, auf der ein Dutzend Schafe grasten, und aus dem Rohbau einer großen neuen Kirche.
Und dennoch — die Kirche war fast fertig, die Wände waren da, das Dach war gedeckt. Er war ein rational denkender Mensch. Er mußte erst etwas Konkretes sehen, bevor er an einen Traum glauben konnte, doch diese Kirche war nun schon konkret genug, und zusammen mit Brustwehr würde er auch den Rest des Traumes Wirklichkeit werden lassen können. Diese Kirche war groß genug, damit sich dort die Menschen einer großen Stadt trafen. Und was sollte während der Woche geschehen? Er würde seine Bildung nur vergeuden, wenn er in dieser Gegend nicht eine Schule für die Kinder errichtete. Ihnen das Lesen beizubringen, das Schreiben, das Rechnen, und vor allem das Denken, um allen Aberglauben aus ihrem Geist zu entfernen, damit nichts anderes übrigblieb als reines Wissen und der Glaube an den Heiland.
In Gedanken vertieft bemerkte er nicht, daß er nicht auf die Farm von Peter McCoy flußabwärts zuging, wo ihn in der alten Blockhütte sein Bett erwartete. Statt dessen schritt er die Anhöhe zum Kirchengebäude empor. Erst als er ein paar Kerzen entzündet hatte, begriff er, daß er tatsächlich vorhatte, die Nacht hier zu verbringen. Diese halbfertige Kirche war sein Zuhause wie kein anderer Ort auf Erden. Der harzige Geruch erweckte in ihm das Verlangen, Hymnen zu singen, die er noch niemals gehört hatte, und so saß er summend da, die Seiten des Alten Testaments umblätternd, ohne überhaupt wahrzunehmen, daß das Papier mit Worten bedruckt war.
Er hörte sie erst, als sie den Holzboden betraten. Dann hob er den Blick und sah zu seiner Überraschung Mistress Faith, gefolgt von den achtzehnjährigen Zwillingen Wastenot und Wantnot. Die beiden Jungen trugen eine große Holzkiste. Es dauerte einen Augenblick, bevor er begriff, daß die Kiste einen Altar darstellen sollte. Es war ein recht schöner Altar, wunderschön gebeizt, das Holz war so eng verfugt, daß jeder Schrankmacher stolz darauf gewesen wäre. Und in die Bretter, die den oberen Teil des Altars umgaben, waren zwei Kreuzreihen eingebrannt.
»Wo wollt Ihr ihn hinhaben?» fragte Wastenot.
»Vater hat gesagt, wir sollen ihn heute abend herbringen, jetzt, da die Wände und das Dach fertig sind.«
»Vater?» fragte Thrower.
»Er hat ihn ausdrücklich für Euch angefertigt«, sagte Wastenot. »Und der kleine Al hat die Kreuze selbst eingebrannt, weil er hier ja nicht mehr weiter arbeiten durfte.«
Inzwischen stand Thrower bei ihnen und konnte genauer feststellen, daß der Altar liebevoll angefertigt worden war. So ein Werk hätte er von Alvin Miller am wenigsten erwartet. Und die vollkommen gleichmäßigen Kreuze sahen überhaupt nicht wie die Arbeit eines sechsjährigen Kindes aus.
»Hierhin«, sagte er und führte sie an die Stelle, wo er sich den Altar vorgestellt hatte. Auf dem hellen Holzboden wirkte der dunkel gebeizte Altar so vollkommen, daß Thrower die Tränen in die Augen traten. »Sagt ihnen, daß er wunderschön ist.«
Faith und die Jungen lächelten so breit, wie sie nur konnten. »Ihr seht also, daß er nicht Euer Feind ist«, sagte Faith, und Thrower konnte nur zustimmend nicken.
»Ich bin auch nicht sein Feind«, entgegnete er. Und er sagte nicht: Ich werde ihn mit Liebe und Geduld besiegen, aber ich werde siegen, und dieser Altar ist ein sicheres Zeichen dafür, daß er sich im tiefsten Inneren seines Herzens heimlich danach sehnt, daß ich ihn von der Finsternis der Unwissenheit erlöse.
Sie hielten sich nicht lange auf, sondern schritten schnell durch die Nacht wieder zurück nach Hause. Thrower stellte seine Kerze auf den Boden neben den Altar — niemals darauf, da das nach Papismus aussehen würde — und kniete zu einem Danksagungsgebet nieder. Die Kirche war weitgehend fertig, und schon stand ein wunderschöner Altar darin, erbaut von dem Mann, den er am meisten gefürchtet hatte, die Kreuze eingebrannt von dem seltsamen Kind, das den zwanghaften Aberglauben dieser unwissenden Menschen am stärksten symbolisierte.
»Du bist so voller Stolz«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um, lächelte bereits, denn er war immer froh, wenn der Besucher erschien. Aber der Besucher lächelte nicht. »So voller Stolz.«
»Verzeiht mir«, sagte Thrower. »Ich bereue es bereits. Und dennoch — kann ich denn etwas gegen meine Freude ausrichten angesichts dessen, welch großes Werk hier begonnen wurde?«
Der Besucher berührte sanft den Altar, seine Finger suchten die Kreuze. »Das hat er gemacht, nicht wahr?«
»Alvin Miller.«
»Und der Junge?«
»Die Kreuze. Ich hatte schon so sehr befürchtet, daß sie Diener des Teufels sein könnten…«
Der Besucher musterte ihn scharf. »Und weil sie nun einen Altar gebaut haben, meinst du, das würde das Gegenteil beweisen?«
Ein Schauer der Furcht durchlief ihn, und Thrower flüsterte: »Ich glaubte nicht, daß der Teufel das Zeichen des Kreuzes benutzen könnte…«
»Du bist eben so abergläubisch wie alle anderen«, erwiderte der Besucher kühl. »Die Papisten bekreuzigen sich die ganze Zeit. Glaubst du, das wäre ein Zauber gegen den Teufel?«
»Wie soll ich dann überhaupt irgend etwas wissen können?» fragte Thrower. »Wenn der Teufel einen Altar herstellen und ein Kreuz ziehen kann…«
»Nein, Thrower, mein lieber Sohn, es sind keine Teufel, weder der eine noch der andere. Du wirst den Teufel schon erkennen, wenn du ihn siehst. Wo andere Menschen Haare auf dem Kopf haben, hat der Teufel die Hörner eines Stiers. Wo andere Menschen Füße haben, besitzt der Teufel die gespaltenen Hufe eines Ziegenbocks. Wo andere Menschen Hände besitzen, hat der Teufel die großen Pranken eines Bären. Und einer Sache sei dir sicher: Wenn er kommt, wird er keine Altäre für dich bauen.«
Dann legte der Besucher beide Hände auf den Altar. »Das ist jetzt mein Altar«, sagte er, »egal, wer ihn gebaut hat, ich kann ihn zu meinem Zwecke nutzen.«
Thrower weinte vor Erleichterung. »Jetzt ist er geweiht, Ihr habt ihn geheiligt.«
Und er streckte eine Hand vor, um den Altar zu berühren.
»Halt!» flüsterte der Besucher. Obwohl es beinahe ohne Stimme geschah, besaß sein Wort die Kraft, die Wände zum Beben zu bringen. »Hör mich erst an«, sagte er.
»Ich höre Euch immer zu«, erwiderte Thrower. »Obwohl ich nicht weiß, weshalb Ihr einen solch unwürdigen Wurm wie mich dazu auserwählt haben solltet.«
»Selbst ein Wurm kann durch die Berührung des Fingers Gottes wachsen«, sagte der Besucher. »Nein, versteh mich nicht falsch — ich bin nicht der Herr der Heerscharen. Bete mich nicht an.«
Doch Thrower konnte sich nicht beherrschen. Er weinte vor Hingabe, kniete vor diesem weisen und mächtigen Engel nieder. Ja, ein Engel, daran hegte Thrower keinen Zweifel, obwohl der Besucher keine Flügel besaß und Kleider trug, wie man sie im Parlament erwartet hätte.
»Der Mann, der den Altar erbaut hat, ist verwirrt. Nach Mord steht ihm der Sinn, und wenn er hinreichend herausgefordert wird, wird dieser Drang hervortreten. Und der Junge, der die Kreuze gemacht hat, ist tatsächlich so außergewöhnlich, wie du glaubst. Doch ist er bisher noch keinem Leben zum Guten oder zum Bösen geweiht worden. Beide Pfade liegen noch offen vor ihm, und er ist noch offen für jede Beeinflussung. Verstehst du mich?«
»Ist das meine Arbeit?» fragte Thrower. »Soll ich alles andere vergessen und mich der Aufgabe ergeben, das Kind der Rechtschaffenheit zuzuführen?«
»Wenn du allzu ergeben wirkst, werden seine Eltern dich ablehnen. Statt dessen solltest du dein Amt so ausüben, wie du es vorhattest. Doch in deinem Herzen wirst du alles auf dieses außergewöhnliche Kind ausrichten, um es für meine Sache zu gewinnen. Denn wenn er vierzehn Jahre geworden ist und mir immer noch nicht dient, werde ich ihn vernichten.«
Schon der bloße Gedanke, daß Alvin Junior etwas zustoßen oder daß er getötet werden könnte, war für Thrower unerträglich. Er erfüllte ihn mit einem solchen Gefühl des Verlusts, wie es kein Vater und keine Mutter hätte empfinden können. »Ich werde alles tun, was ein schwacher Mensch vermag, um das Kind zu retten«, rief er, und die Qual verwandelte seine Stimme beinahe in einen Schrei.
Der Besucher nickte, lächelte sein schönes und liebevolles Lächeln und streckte Thrower die Hand entgegen. »Ich vertraue dir«, sagte er leise. Seine Stimme war wie heilendes Wasser auf einer brennenden Wunde. »Ich weiß, daß du Gutes tun wirst. Und was den Teufel angeht, so brauchst du ihn nicht zu fürchten.«
Thrower griff nach der dargebotenen Hand, um sie mit Küssen zu bedecken; doch als er sie berühren wollte, griff er ins Leere: Der Besucher war wieder verschwunden.