3. Das Bachhaus

Die Luft im Bachhaus war kühl und schwer, dunkel und feucht. Manchmal, wenn Kleinpeggy dort ein Nickerchen machte, wachte sie plötzlich keuchend auf, als stünde alles unter Wasser. Sie träumte auch von Wasser, wenn sie nicht hier war — das war auch einer der Gründe, weshalb manche Leute meinten, sie sei eher eine Sickerin als eine Fackel. Doch wenn sie draußen träumte, wußte sie immer, daß sie träumte. Hier aber war das Wasser wirklich.

Kaltes Wasser sprang aus dem Berg hervor und strömte durch das Haus, den ganzen Weg über im Schatten von Bäumen, die so alt waren, daß der Mond eigens durch ihre Zweige fuhr, nur um ein paar gute, alte Geschichten zu hören. Deshalb kam Kleinpeggy immer hierher, selbst wenn Papa sie gerade einmal nicht haßte. Nicht wegen der Feuchtigkeit der Luft, auf die hätte sie gut verzichten können, sondern wegen der Art, wie das Feuer sofort aus ihr wich und sie keine Fackel zu sein brauchte. Wie sie nicht in all die dunklen Ecken hineinzublicken brauchte, wo die Leute sich selbst versteckten.

Sie versteckten sich selbst vor ihr, als würde es etwas nützen. Was immer sie an sich selbst am wenigsten mochten, versuchten sie in irgendeine dunkle Ecke zu drängen, doch sie wußten nicht, wie all diese dunklen Stellen in Kleinpeggys Augen loderten. Sogar als sie noch so klein gewesen war, daß sie ihren Maisbrei in der Hoffnung ausgespuckt hatte, noch einmal an der Brust saugen zu dürfen, hatte sie schon alle Geschichten gekannt, die die Leute um sie herum verborgen hielten. Sie sah jene Ereignisse ihrer Vergangenheit, die zu vergessen sie sich am meisten wünschten, und sie sah auch jene Geschehnisse ihrer Zukunft, vor denen sie sich am meisten fürchteten.

Deshalb pflegte sie hierher ins Bachhaus zu kommen. Hier brauchte sie diese Dinge nicht zu sehen. Nicht einmal die Dame in Papas Erinnerung. Hier gab es nichts außer der feuchten, kühlen Luft, um das Feuer zu ersticken und das Licht zu dämpfen, damit sie — nur für ein paar Minuten am Tag — ein kleines, fünfjähriges Mädchen mit einer Strohpuppe namens Bugy sein konnte und nicht an die Geheimnisse der Erwachsenen denken mußte.

Ich bin nicht böse, sagte sie sich. Wieder und wieder, doch diesmal funktionierte es nicht, weil sie wußte, daß sie es doch war.

Also gut, sagte sie sich, ich bin böse. Aber ich werde nicht mehr böse sein. Ich werde die Wahrheit sagen, wie Papa es will, oder ich sage überhaupt nichts.

Selbst mit ihren fünf Jahren erkannte Peggy, daß sie, wenn sie diesen Schwur halten sollte, sich besser stehen würde, überhaupt nichts zu sagen.

Also sagte sie nichts, nicht einmal zu sich selbst, lag einfach nur dort auf einem moosbewachsenen, feuchten Tisch, Bugy mit der Faust so fest umklammernd, daß es zum Ersticken gereicht hätte.

Ching ching ching.

Kleinpeggy wachte auf und wurde eine kurzen Augenblick lang ganz zornig.

Ching ching ching.

Wurde zornig, weil niemand zu ihr gesagt hatte: Kleinpeggy, du hast doch nichts dagegen, wenn wir diesen jungen Schmied dazu überreden, sich hier niederzulassen, oder?

Überhaupt nichts, Papa, hätte sie gesagt, wenn man sie gefragt hätte. Sie wußte, was es bedeutete, eine Schmiede zu haben. Das eigene Dorf würde gedeihen, Leute von anderen Orten kämen herbei, und dann würde das große Haus ihres Vaters ein Waldgasthof werden, und wo es einen Gasthof gab, dort würden alle Wege eine kleine Umleitung machen, um dort vorbeizukommen — Kleinpeggy wußte all das, so sicher wie die Kinder von Farmern das Leben der Farm kannten. Ein Gasthof neben einer Schmiede war eine Herberge, die florieren würde. Also hätte sie gesagt: Klar doch, laßt ihn bleiben, teilt ihm Land zu, ziegelt seinen Kamin, beköstigt ihn umsonst, laßt ihn mein Bett haben, damit ich mit Cousin Peter das Bett teilen kann, der ständig versucht, mir unter mein Nachthemd zu schielen, all das werde ich dulden — solange ihr ihn nicht neben das Bachhaus setzt, damit ich immer dann, wenn ich mit dem Wasser ein bißchen alleinsein möchte, nicht dieses Poltern, Donnern, Zischen, Brüllen hören muß und ein Feuer riechen, das zum Himmel emporlodert, um ihn schwarz zu färben.

Natürlich war der Strom der beste Ort, um eine Schmiede zu errichten. Bis auf das Wasser aber hätte man sie überall sonst bauen können. Das Eisen wurde mit dem Schifferwagen direkt aus New Netherland gebracht, und die Holzkohle — na, es gab jede Menge Farmer, die bereit waren, Holzkohle gegen einen guten Hufbeschlag einzutauschen. Aber Wasser, das war etwas, das der Schmied brauchte und das keiner ihm bringen würde, daher schickte man ihn natürlich hügelabwärts neben das Bachhaus, wo sein Chingchingching sie aufwecken und das Feuer in sie zurücktreiben konnte, am einzigen Ort, an dem sie gelernt hatte, es herunterbrennen zu lassen, bis es beinahe zu kalter, feuchter Asche geworden war.

Donnergrollen.

Im nächsten Augenblick war sie schon an der Tür. Sie mußte den Blitz sehen und erwischte gerade noch den letzten Funken des Lichts, wußte aber, daß es mehr geben würde. Es war doch bestimmt noch nicht spät, oder hatte sie etwa den ganzen Tag geschlafen? Bei all diesen schwarzbäuchigen Wolken konnte sie das nicht feststellen — möglicherweise war es auch schon das Ende der Abenddämmerung. Die Luft prickelte von Blitzen, die nur darauf warteten, loszuschießen. Sie kannte dieses Gefühl, wußte, daß es bedeutete, daß der Blitz in der Nähe einschlagen würde.

Sie sah hinunter, um festzustellen, ob der Stall des Hufschmieds noch immer voller Pferde war. In der Tat, er hatte seine Arbeit noch nicht beendet; der Weg würde sich in Schlamm verwandeln, so daß der Farmer mit seinen beiden Söhnen auf West Fork hier festsaß. Nicht daran zu denken, daß sie sich in diesem Wetter auf den Heimweg machen würden, da der Blitz drohte, im Wald einen Brand zu entfachen oder einen Baum auf sie stürzen zu lassen oder ihnen einfach nur ordentlich eins überzubraten, bis sie tot im Kreis herumlagen wie jene fünf Quäker damals, von denen die Leute immer noch sprachen. Manche fragten sich, ob Gott die Quäker niedergestreckt hatte, um sie zum Schweigen zu bringen, weil das ja niemand anders konnte, während andere überlegten, ob Gott sie in den Himmel aufgenommen hatte wie den ersten Lordprotektor Oliver Cromwell, der im Alter von siebenundneunzig vom Blitz getroffen worden und dann verschwunden war.

Nein, dieser Farmer und seine beiden großen Jungen würden noch eine Nacht bleiben. Schließlich war Kleinpeggy die Tochter eines Gastwirts, nicht wahr? Papoosen lernten zu jagen, Pickaninnis erlernten Lasten zu schleppen, Farmerskinder lernten, das Wetter vorherzusagen, und die Tochter eines Gastwirts lernte festzustellen, welche Leute über Nacht bleiben würden, noch bevor sie es selbst wußten.

Ihre Pferde scharrten unruhig im Stall, schnaubten und warnten einander vor dem Sturm. In jeder Gruppe von Pferden, überlegte sich Kleinpeggy, mußte es ein ganz besonders dummes Tier geben, so daß alle anderen ihm mitteilen mußten, was los war. Schlimmer Sturm, sagten sie gerade. Wir werden alle durchgeweicht, wenn der Blitz uns nicht vorher erschlägt. Und das dumme Pferd wieherte immer wieder und fragte: Was ist das für ein Lärm, was ist das für ein Lärm?

Dann brach über ihr der Himmel auf und schüttete Wasser auf die Erde. Der Regen riß den Bäumen Blätter ab, so heftig war er. Und kam auch so dicht herunter, daß Kleinpeggy für eine Weile nicht einmal mehr die Schmiede erkennen konnte und dachte, daß sie vielleicht in den Strom hineingespült worden sei. Altpapi hatte ihr erzählt, wie dieser Strom bis hinunter zum Hatrack River führte und wie sich der Hatrack in den Hio ergoß und der Hio sich durch die Wälder bis zum Mizzipy schob, der bis zum Meer hinunterströmte. Altpapi hatte auch erzählt, wie das Meer soviel Wasser soff, daß es davon Verdauungsstörungen bekam und die riesigsten Rülpser hervorbrachte, die man je gesehen hatte, und daß daraus Wolken entstanden. Nun also würde die Schmiede hinunterströmen, würde verschlungen und wieder hervorgerülpst werden, und eines Tages, wenn sie sich gerade um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerte, würde eine Wolke aufbrechen und diese Schmiede fein säuberlich herunterplumpsen lassen, zusammen mit dem ollen Makepeace Smith, der immer noch ching ching ching machte.

Dann gab der Regen ein kleines bißchen nach; sie blickte hinunter, um nachzusehen, ob die Schmiede noch dastand. Doch sie sah etwas ganz anderes: Feuerfunken weitab im Wald, flußabwärts in Richtung Hatrack, unten, wo die Furt war, nur daß es heute, bei diesem Regen, nicht die leiseste Chance gab, die Furt zu überqueren. Funken, ganz viele Funken, und sie wußte, daß jeder einzelne von ihnen auf einen Menschen hinwies. Sie dachte kaum daran, etwas zu tun, sie mußte einfach nur das Herzensfeuer dieser Leute sehen; vielleicht die Zukunft, vielleicht die Vergangenheit, alle Visionen lebten gemeinsam im Feuer des Herzens.

Was sie nun erblickte, galt für alle Herzen gleichermaßen: Ein Wagen mitten auf dem Hatrack, bei steigendem Wasser und alles, was sie besaßen, in diesem Wagen.

Kleinpeggy sprach nicht viel, aber jedermann hier kannte sie nur als Fackel, daher hörte jeder zu, wenn sie etwas über Schwierigkeiten sagten. Vor allem über diese Art von Schwierigkeiten. Gewiß, die Siedlungen in diesen Gegenden waren inzwischen ziemlich alt, ein gutes Stück älter als Kleinpeggy selbst, aber man hatte noch nicht vergessen, daß ein Wagen, der von den Fluten fortgespült wurde, für alle ein Verlust bedeutete.

Sie flog förmlich den grasbewachsenen Hügel hinunter, sprang über Maulwurflöcher und rutschte an den steilen Stellen hinab, so daß seit ihrer Entdeckung jener fernen Herzensfeuer keine zwanzig Sekunden verstrichen waren, bis sie auch schon in der Schmiedewerkstatt davon berichtete. Dieser Farmer aus West Fork wollte zuerst, daß sie wartete, bis er eine seiner Geschichten von noch schlimmeren Stürmen erzählt hatte, doch Makepeace wußte Bescheid über Kleinpeggy. Er hörte ruhig zu, dann befahl er den beiden Jungen, ihre Pferde zu satteln, ob mit oder ohne Beschlag; an der Hatrack-Furt waren Leute in der Klemme, da durfte man keine Zeit verlieren. Kleinpeggy bekam nicht einmal mehr Gelegenheit, sie davonreiten zu sehen — Makepeace hatte sie bereits ins große Haus geschickt, um ihren Vater und alle Knechte und Gäste dort zu holen. Keinen gab es unter ihnen, der nicht auch schon einmal alles, was er besaß, in einen Wagen geladen und gen Westen gebracht hatte; keiner, der nicht schon einmal einen reißenden Fluß durchquert und dabei fast seine ganze Habe verloren hatte. Sie machten sich alle sofort ans Werk. Denn so war das damals: Die Menschen bemerkten die Schwierigkeiten anderer ebenso schnell, als wären es ihre eigenen.

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