15. Versprechungen

Der Hufschmied hörte zu, als Geschichtentauscher den Brief von Anfang bis Ende vorlas.

»Erinnert Ihr Euch an die Familie?» fragte Geschichtentauscher.

»Das tue ich«, sagte Makepeace Smith. »Der Friedhof hat beinahe mit ihrem ältesten Jungen angefangen. Ich habe seinen Leichnam mit eigenen Händen aus dem Fluß geholt.«

»Nun denn, werdet Ihr ihn also als Euren Lehrling aufnehmen?«

Ein Junge von vielleicht sechzehn Jahren kam mit einem Eimer voll Schnee in die Schmiede. Er musterte den Besucher, zog den Kopf ein und schritt zu dem Kühlfaß neben dem Herd hinüber.

»Ihr seht, daß ich bereits einen Lehrling habe«, sagte der Schmied.

»Der sieht mir schon recht groß aus«, meinte Geschichtentauscher.

»Er kommt voran«, bejahte der Schmied. »Stimmt es nicht, Bosey? Bist du bald bereit, auf eigene Faust weiterzumachen?«

Bosey lächelte ein wenig, unterdrückte es und nickte. »Jawohl, Sir«, sagte er.

»Ich bin kein leichter Meister«, meinte der Schmied.

»Alvin hat ein gutes Herz. Er wird hart für Euch arbeiten.«

»Aber wird er mir auch gehorchen? Ich liebe es, wenn man mir gehorcht.«

Geschichtentauscher blickte wieder Bosey an, der damit beschäftigt war, Schnee in das Faß zu schaufeln.

»Ich sagte schon, der Junge hat ein gutes Herz«, erwiderte Geschichtentauscher. »Er wird Euch gehorchen, wenn Ihr ihn gerecht behandelt.«

Der Schmied erwiderte seinen Blick. »Ich pflege gerecht zu sein und schlage die Jungen nicht, die ich aufnehme. Habe ich jemals Hand an dich gelegt, Bosey?«

»Niemals, Sir.«

»Seht Ihr, Geschichtentauscher. Ein Lehrling kann aus Furcht gehorchen oder aus Habgier, aber wenn ich ein guter Meister bin, dann gehorcht er mir, weil er weiß, daß er auf diese Weise etwas lernen wird.«

Geschichtentauscher grinste den Schmied an. »Es gibt keine Bezahlung«, sagte Geschichtentauscher. »Die wird sich der Junge selbst verdienen. Und er bekommt auch seine Schulausbildung.«

»Ein Schmied braucht keine Buchstaben, wie ich weiß.«

»Es wird nicht lange dauern, dann wird Hio Teil der Vereinigten Staaten werden«, sagte Geschichtentauscher. »Dann wird der Junge wählen müssen, schätze ich, und die Zeitungen lesen. Ein Mann, der nicht lesen kann, weiß immer nur, was andere Leute ihm erzählen.«

Makepeace Smith sah Geschichtentauscher mit einem beinahe verstohlenen Grinsen an. »Ach ja? Und seid nicht Ihr es, der mir das erzählt? Weiß ich das nicht also nur deshalb, weil andere Leute, nämlich Ihr, es mir erzählen?«

Geschichtentauscher lachte und nickte. Damit hatte der Schmied ins Schwarze getroffen. »Ich ziehe durch die Welt und erzähle Geschichten«, sagte Geschichtentauscher, »daher weiß ich, daß man mit dem Klang einer Stimme viel erreicht. Alvin liest schon sehr viel für sein Alter, da wird es ihm nicht schaden, ein bißchen die Schule zu schwänzen. Aber seine Ma besteht darauf, daß er lesen und schreiben und rechnen kann wie ein Gelehrter. Also müßt Ihr mir versprechen, daß Ihr Euch nicht gegen ihn und seine Ausbildung stellt, wenn er sie haben will, und dabei wollen wir es belassen.«

»Darauf habt Ihr mein Wort«, sagte Makepeace Smith. »Und das braucht Ihr auch nicht aufzuschreiben. Ein Mann, der sein Wort hält, braucht nicht zu lesen und zu schreiben. Aber ein Mann, der seine Versprechen erst aufschreiben muß, den muß man den ganzen Morgen im Auge behalten. Das ist eine Tatsache, wie ich weiß. Wir haben dieser Tage auch Rechtsanwälte in Hatrack.«

»Die Geißel der zivilisierten Menschheit«, meinte Geschichtentauscher. »Wenn jemand die Leute nicht mehr dazu bekommt, seine Lügen zu glauben, dann heuert er jemanden an, der für ihn berufsmäßig lügt.«

Darüber lachten sie beide, während hinter ihnen das Feuer in seinem Ziegelkamin brannte und draußen die Sonne auf halbgeschmolzenen Schnee herunter schien. Ein Kardinalvogel flog über den grasbewachsenen, mit Dung übersäten Boden vor der Schmiede. Für einen Moment blendete er Geschichtentauschers Augen, so erstaunlich wirkte sein Anblick vor den Weiß- und Brauntönen des Spätwinters.

In diesem Augenblick des Erstaunens über den Flug des Vogels wußte Geschichtentauscher plötzlich, daß es noch eine ganze Weile dauern würde, bevor der Entmacher den jungen Alvin hierherkommen ließ. Und wenn er kam, dann würde er wie ein Kardinalvogel außerhalb der Jahreszeit wirken, der die Leute hier überall verblüffte, die glauben würden, daß er ebenso natürlich sei wie ein fliegender Vogel, ohne zu wissen, welch ein Wunder jede einzelne Minute doch war, die der Vogel in der Luft blieb.

Geschichtentauscher schüttelte sich, und die Vision des Augenblicks verschwand wieder. »Dann ist es also abgemacht, und ich werde ihnen schreiben, daß sie den Jungen schicken sollen.«

»Ich erwarte ihn am ersten April. Nicht später!«

»Wenn Ihr von dem Jungen nicht verlangen wollt, daß er das Wetter beherrscht, solltet Ihr doch etwas beweglicher sein, was das Datum angeht.«

Der Schmied knurrte und winkte zum Abschied. Alles in allem eine erfolgreiche Begegnung. Geschichtentauscher ging mit einem guten Gefühl davon — er hatte seine Pflicht erfüllt. Es würde leicht sein, einem nach Westen ziehenden Siedler einen Brief mitzugeben — jede Woche zogen mehrere Wagen durch die Stadt Hatrack.

Obwohl es schon eine sehr lange Weile her war, seit er das letzte Mal hier durchgekommen war, kannte er noch den Weg von der Schmiede zum Gasthof. Es war eine vielbereiste Straße. Der Gasthof war sehr viel größer als früher, und ein Stück wegaufwärts gab es mehrere Geschäfte. Ein Ausrüster, ein Sattler, ein Schuster. Eben jene Art von Diensten, für die Reisende Verwendung hatten.

Kaum hatte er den Fuß auf die Veranda gesetzt, als sich die Tür öffnete und die alte Peg Guester herauskam, die Arme weit ausgebreitet, um ihn zu umarmen. »Ach, Geschichtentauscher, Ihr seid so lange fortgewesen, kommt herein, kommt nur herein!«

»Es ist schön, Euch wiederzusehen, Peg«, sagte er.

Horace Guester knurrte ihn hinter der Theke der Gastwirtschaft an, wo er gerade einige durstige Gäste bediente. »Was ich hier drin nicht gebrauchen kann, das ist noch so einen Abstinenzler, der bloß Tee trinkt!«

»Dann habe ich gute Nachricht für Euch, Horace«, erwiderte Geschichtentauscher fröhlich. »Den Tee habe ich nämlich inzwischen auch aufgegeben.«

»Was trinkt Ihr denn dann, etwa Wasser?«

»Wasser und das Blut fettiger alter Männer«, erwiderte Geschichtentauscher.

Horace gestikulierte seiner Frau. »Halt mir bloß diesen Mann vom Leib, Old Peg, hast du gehört?«

Old Peg half ihm dabei, seine Kleider abzulegen.

»Schaut Euch doch bloß an«, sagte Old Peg und blickte ihn abschätzend an. »An Euch ist doch nicht einmal mehr genügend Fleisch, um daraus einen Eintopf zu kochen.«

»Die Bären und Panther lassen mich in der Nacht in Ruhe, sie suchen sich lieber üppigere Beute«, behauptete Geschichtentauscher.

»Kommt herein und erzählt mir Geschichten, während ich das Abendessen für die Gäste koche.«

Es gab viel Gerede und Geplapper, vor allem als Altpapi hereinkam, um zu helfen. Er wurde allmählich gebrechlich, doch kümmerte er sich immer noch um die Küche, was allen Gästen zum Vorteil gereichte, die hier aßen; Old Peg meinte es zwar gut und arbeitete auch schwer, aber manche Menschen hatten eben das Talent und andere nicht. Doch es war nicht das Essen, weswegen Geschichtentauscher gekommen war. Nach einer Weile begriff er, daß er das Thema selbst ansprechen mußte. »Wo ist Eure Tochter?«

Zu seiner Überraschung versteifte sich Old Peg etwas und ihre Stimme wurde kalt und hart. »Sie ist nicht mehr so klein. Sie hat ihren eigenen Willen, und das würde sie Euch auch auf den Kopf zusagen.«

Und dir gefällt es nicht sehr, dachte Geschichtentauscher. Doch sein Geschäft mit der Tochter war wichtiger als aller Familienstreit. »Ist sie immer noch eine…«

»Eine Fackel? O ja, sie tut ihre Pflicht, aber es ist kein Vergnügen für die Leute, zu ihr zu kommen. Schnippisch und kalt ist sie. Sie hat den Ruf erworben, eine scharfe Zunge zu haben.«

Einen Augenblick lang hellte sich Old Pegs Miene auf. »Sie war einmal so ein weichherziges Kind.«

»Ich habe noch nie gesehen, daß ein weiches Herz hart geworden wäre«, sagte Geschichtentauscher. »Jedenfalls nicht ohne guten Grund.«

»Nun, was immer ihr Grund sein mag, ihr Herz hat sich jedenfalls verhärtet wie ein Wassereimer in der Winternacht.«

Geschichtentauscher zügelte seine Zunge und sprach nicht davon, daß Eis immer wieder zusammenfror, wenn man es aufschlug, daß man es aber nur nach innen zu bringen brauchte, damit es sich aufwärmte und auftaute, daß es eine wahre Freude war. Es hatte keinen Sinn, sich in einen Familienstreit einzumischen. Geschichtentauscher wußte genug über die Art und Weise, wie die Menschen lebten, um diesen besonderen Streit als Naturereignis hinzunehmen wie kalte Winde und kurze Tage im Herbst. Die meisten Eltern hatten nicht viel Verständnis für halberwachsene Kinder.

»Ich muß etwas mit ihr besprechen«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich werde es schon riskieren, daß sie mir den Kopf abreißt.«


Er fand sie in Dr. Whitleys Arztzimmer, wo sie gerade seine Bücher führte. »Ich wußte gar nicht, daß du eine Buchhalterin bist«, sagte er.

»Und ich wußte nicht, daß Ihr viel für die Heilkunst übrig habt«, erwiderte sie. »Oder seid Ihr nur gekommen, um das Wundermädchen zu begutachten, das Rechnen und Schreiben kann?«

O ja, sie war so scharfzüngig, wie sie nur sein konnte. Geschichtentauscher konnte begreifen, wie ein solcher Witz einige Leute befremden mochte, die erwarteten, daß eine junge Frau die Augen senkte und leise sprach, um nur ab und an unter tief gesenkten Augenlidern emporzublicken. Peggy hatte nichts von dieser jungen Damenhaftigkeit an sich. Sie sah Geschichtentauscher offen ins Gesicht.

»Ich bin nicht gekommen, um geheilt zu werden«, sagte Geschichtentauscher. »Oder um mir meine Zukunft vorhersagen zu lassen. Oder auch nur, um meine Bücher führen zu lassen.«

Aber da war es auch schon: Sobald ein Mann ihr geradeheraus antwortete, anstatt gleich den Kamm hochzustellen, da ließ sie ein Lächeln aufblitzen, das in seiner Lieblichkeit einer Kröte die Warzen hätte abschwatzen können. »Ich kann mich nicht erinnern, daß Ihr sonderlich viel zu addieren oder abzuziehen gehabt hättet«, meinte sie. »Ich glaube, null plus null ergibt null.«

»Das siehst du völlig falsch, Peggy«, widersprach Geschichtentauscher. »Mir gehört diese ganze Welt, aber die Leute sind mit ihren Zahlungen ziemlich im Rückstand.«

Wieder lächelte sie und legte nun die Bücher des Arztes beiseite. »Ich führe ihm einmal im Monat die Bücher, und er bringt mir aus Dekane Sachen zu lesen.«

Sie sprach über die Dinge, die sie las, und Geschichtentauscher begann zu erkennen, daß ihr Herz sich nach Orten sehnte, die weit jenseits von Hatrack River lagen. Er schaute auch andere Dinge — daß sie, da sie eine Fackel war, die Leute hier zu gut kannte und glaubte, daß sie an fernen Orten Menschen mit wahren Edelsteinseelen vorfinden würde, die niemals ein Mädchen enttäuschen würden, das ihnen direkt ins Herz blicken konnte.

Sie ist jung, das ist alles. Laß ihr Zeit, dann wird sie schon lernen, die Güte zu lieben, die sie vorfindet, und den Rest zu vergeben.

Nach einer Weile trat der Arzt ein, und sie plauderten ein wenig. So wurde es später Nachmittag, bis Geschichtentauscher wieder allein mit Peggy war und ihr die Fragen stellen konnte, die zu stellen er gekommen war.

»Wie weit kannst du sehen, Peggy?«

Er konnte es beinahe mitansehen, wie die Vorsicht sich über ihre Miene legte wie ein dicker Samtvorhang. »Ich schätze, Ihr wollt mich damit wohl nicht fragen, ob ich eine Brille brauche«, meinte sie.

»Ich habe mir nur Gedanken über ein Mädchen gemacht, das mir einst in mein Buch hineinschrieb: ›Ein Macher ist geboren.‹ Ich fragte mich, ob sie noch immer ein Auge auf diesen Macher behält, so dann und wann, um zu sehen, wie es ihm ergeht.«

Sie wandte den Blick ab und sah zu dem hohen Fenster hinauf. Die Sonne stand niedrig, und der Himmel draußen war grau, doch ihr Gesicht war voller Licht, wie Geschichtentauscher recht genau bemerkte. Manchmal brauchte man keine Fackel zu sein, um in das Herz eines Menschen zu blicken.

»Ich frage mich auch, ob diese Fackel einmal einen Dachbalken gesehen hat, der auf ihn stürzte«, sagte Geschichtentauscher.

»Ob sie das wohl getan hat«, sagte sie.

»Oder einen Mühlstein.«

»Könnte sein.«

»Und ich frage mich, ob sie nicht irgendeine Möglichkeit gehabt hat, diesen Dachbalken säuberlich in zwei Stücke zu teilen und diesen Mühlstein auseinanderbrechen zu lassen, damit ein gewisser alter Geschichtentauscher eine Laterne mitten durch diesen Stein hindurchscheinen sehen konnte.«

Tränen glitzerten in ihren Augen, nicht, daß sie gleich weinen würde, aber sie sah direkt in die Sonne hinein. »Ein Stück seines Mutterkuchens, in Staub gerieben, und man kann die eigene Kraft des Jungen zu einigen unbeholfenen Zaubern verwenden«, sagte sie leise.

»Aber nun versteht er ein wenig von seinem eigenen Talent, und er hat aufgelöst, was du für ihn getan hast.«

Sie nickte.

»Es muß einsam sein, ihn aus solcher Ferne zu beobachten«, sagte Geschichtentauscher.

Sie schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Ich habe die ganze Zeit Leute um mich.«

Dann sah sie Geschichtentauscher an und lächelte trüb. »Es ist fast eine Erholung, etwas Zeit mit diesem Jungen zu verbringen, der nicht das geringste von mir will, weil er nicht einmal weiß, daß ich existiere.«

»Ich weiß es aber«, sagte Geschichtentauscher. »Und ich will auch nicht das geringste von dir.«

Sie lächelte. »Ihr alter Betrüger«, sagte sie.

»Also gut, ich will doch etwas von dir, aber nichts für mich selbst. Ich bin diesem Jungen begegnet, und auch wenn ich nicht in sein Herz hineinblicken kann wie du, so glaube ich doch, daß ich ihn kenne. Ich glaube, daß ich weiß, was er werden könnte, was er tun könnte, und ich möchte, daß du weißt, daß du, solltest du jemals meine Hilfe in irgendeiner Weise brauchen, mir nur mitzuteilen brauchst, was ich tun soll, und wenn es in meiner Macht steht, so werde ich es tun.«

Sie antwortete nicht, sah ihn auch nicht an.

»Bisher brauchtest du keine Hilfe«, fuhr Geschichtentauscher fort, »aber nun hat er seinen eigenen Willen, und da wirst du für ihn nicht immer die Dinge tun können, die er braucht. Die Gefahren werden nicht immer nur von Dingen herrühren, die auf ihn herabstürzen oder ihn körperlich verletzen. Er befindet sich in ebenso großer Gefahr vor dem, was er selbst zu tun beschließt. Ich sage dir nur, wenn du eine solche Gefahr erkennen solltest und mich brauchst, um dir zu helfen, so werde ich kommen, egal was geschehen mag.«

»Das ist mir ein Trost«, sagte sie. Ihre Worte waren ehrlich gemeint, wie Geschichtentauscher wußte; doch sie fühlte noch mehr, als sie sagte. »Und ich wollte dir mitteilen, daß er hierher kommt, am ersten April, um eine Lehre bei dem Schmied zu beginnen.«

»Ich weiß, daß er kommt«, sagte sie, »aber es wird nicht am ersten April sein.«

»Ach nein?«

»Oder überhaupt in diesem Jahr.«

Die Furcht um den Jungen stach Geschichtentauscher ins Herz. »Ich schätze, ich bin wohl doch gekommen, um die Zukunft kennenzulernen. Was steht ihm bevor? Was wird kommen?«

»Es können alle möglichen Dinge geschehen«, sagte sie, »und ich wäre eine Närrin, zu raten, was genau passiert. Ich sehe die ganze Zeit tausend offene Wege vor ihm. Aber es gibt nur sehr wenige davon, die ihn bis zum April hierherführen werden, aber sehr viele, an deren Ende er tot daliegt, mit der Axt eines Roten Mannes im Schädel.«

Geschichtentauscher lehnte sich über den Schreibtisch des Doktors und legte seine Hand auf ihre. »Wird er überleben?«

»Solange ich noch einen Atemzug tun kann«, erwiderte sie.

»Und ich auch«, antwortete er.

Schweigend saßen sie einen Augenblick da, schauten einander an, eine Hand auf die andere gelegt, bis sie plötzlich in Lachen ausbrach und wegsah.

»Meistens begreife ich den Witz, wenn die Leute lachen«, meinte Geschichtentauscher.

»Ich habe mir nur gerade überlegt, daß wir wirklich eine ziemlich armselige Verschwörung schmieden, nur wir beide gegen all die Feinde, denen dieser Junge gegenüberstehen wird.«

»Das ist wahr«, meinte Geschichtentauscher, »aber wir haben gute Gründe; so daß die ganze Natur sich mit uns zusammen verschwören wird, meinst du nicht?«

»Und Gott ebenfalls«, fügte sie entschieden hinzu.

»Dazu kann ich nichts sagen«, meinte Geschichtentauscher. »Die Prediger und Priester scheinen ihn so mit ihren Dogmen in die Enge getrieben zu haben, daß der arme alte Vater kaum noch Platz hat, um sich zu rühren. Jetzt, da sie die Bibel endlich sicher gedeutet haben, wollen sie alles, nur nicht, daß er noch ein weiteres Wort spricht oder die Macht seiner Hand auf dieser Welt offenbart.«

»Ich habe die Macht seiner Hand vor einigen Jahren bei der Geburt des siebenten Sohnes eines siebenten Sohnes gesehen«, erwiderte sie. »Nennt es Natur, wenn Ihr wollt, da Ihr ja alles mögliche von den Philosophen und Zauberern gelernt habt. Ich weiß nur, daß er so eng mit meinem Leben verbunden ist, als wäre wir demselben Mutterschoß entsprungen.«

Geschichtentauscher überlegte sich seine nächste Frage nicht, sie perlte unbedacht von seinen Lippen. »Bist du froh darüber?«

Sie blickte ihn mit schrecklicher Trauer in den Augen an. »Nicht oft«, sagte sie. Daher sah sie so müde aus, daß Geschichtentauscher sich nicht mehr beherrschen konnte, er schritt um den Tisch, stellte sich neben ihren Stuhl und hielt sie fest wie ein Vater seine Tochter, hielt sie sehr lange fest. Er wußte nicht zu sagen ob sie weinte oder sich nur festhielt. Sie sagten kein einziges Wort. Schließlich ließ sie los und wandte sich wieder dem Kontobuch zu. Er ging davon, ohne das Schweigen zu brechen.

Geschichtentauscher schlenderte zum Gasthof hinüber, um das Abendessen zu sich zu nehmen. Es gab Geschichten zu erzählen und Arbeiten zu erledigen, um seinen Unterhalt zu verdienen. Und doch schienen alle Geschichten neben jener einen zu verblassen, die er nicht erzählen konnte, jener Geschichte, deren Ende er nicht kannte.


Auf der Weide um die Mühle stand ein halbes Dutzend Wagen, von Farmern bewacht, die von sehr weit hergekommen waren, um Mehl von hoher Qualität zu kaufen. Ihre Frauen würden nicht länger über Mörser und Stößel schwitzen müssen, um grobes Mehl für hartes und klumpiges Brot zu mahlen. Die Mühle war in Betrieb, und alle in einigen Meilen Umkreis würden ihr Getreide zur Stadt Vigor Church bringen.

Das Wasser strömte durch die Mühlrinne, und das große Rad drehte sich. In der Mühle wurde die Kraft des Rads durch Zahnräder weiterbefördert, um den oberen Mühlstein zu drehen. Der Müller schüttete den Weizen auf den Stein. Der obere Stein glitt darüber und mahlte ihn zu Mehl. Der Müller strich es für einen zweiten Durchgang glatt, dann bürstete er es in einen Korb, den sein Sohn für ihn hielt, ein zehnjähriger Junge. Sein Sohn schüttete das Mehl in ein Sieb und gab das gute Mehl in einen Tuchsack. Was im Sieb blieb, leerte er in ein Silofaß. Dann kehrte er an die Seite seines Vaters zurück, um den nächsten Weizenkorb zu holen.

Ihre Gedanken glichen einander in bemerkenswerter Weise, wie sie so schweigend zusammen arbeiteten. Genau diese Arbeit möchte ich weiterhin tun, dachte jeder. Am Morgen aufstehen, zur Mühle kommen und den ganzen Tag an seiner Seite arbeiten. Es machte nichts, daß der Wunsch keine Wirklichkeit werden konnte. Es machte nichts, daß sie einander vielleicht nie wiedersehen würden, wenn der Junge erst einmal gegangen war, um am Ort seiner Geburt seine Lehre anzutreten. Es verstärkte nur die Schönheit des Augenblicks, der schon bald Erinnerung, der schon bald ein Traum werden würde.


ENDE
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