3.9

»Skarissa«, stieß Skar abfällig hervor. »Ich hätte mir denken können, dass mit dir etwas nicht stimmt.«

»Na und«, fauchte Marna. Über ihr Gesicht lief Blut und auf ihrer Stirn glänzte eine große, leuchtende Brandblase - aber sie schien das noch nicht einmal zu bemerken. »Ist es vielleicht Frauen nicht gestattet die Satai von Erfolg zu Erfolg zu führen?«

»Wenn das hier ein Erfolg sein soll«, sagte Skar bitter und deutete hinter sich in das brennende Chaos, auf die wabernde Wand aus Hitze und alles verschlingenden Flammen, »dann möchte ich nicht wissen, was für dich ein Misserfolg ist.«

Er packte sie an der Schulter und riss sie hoch. »Und jetzt komm mit«, sagte er grob. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Lass mich los«, fauchte sie und es stand nichts als Trotz in ihrem Gesicht geschrieben - bis sie sich von ihm losmachte und umdrehte. Ihr Gesicht verwandelte sich von einem Moment auf den anderen in eine Grimasse aus Schrecken und Furcht. »Oh mein Gott«, stammelte sie vollkommen fassungslos angesichts des Grauens und der Zerstörung, die der Frarr mit seinen wenigen Angriffen angerichtet hatte. »Bei allen Göttern. Ich dachte, das Elfte Buch übertreibt...« Ihre Stimme zitterte und zum ersten Mal, seit Skar die Herrscherin der Satai kennen gelernt hatte, glaubte er eine Spur echter Furcht in ihren Augen zu erkennen.

»Was hat dieses verfluchte Buch damit zu tun?«, schrie Skar sie an. Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. »Rede, verdammt noch mal!«

Ein lautloses Zittern schien durch den gold gewebten Stoff ihrer Kleidung und den blutrot getränkten Brustharnisch zu fließen, wie das Beben eines verwundeten Tieres, das den Schmerz abschüttelt und sich wieder aufrichtet. »Es ist wahr ... Es ist alles wahr«, stammelte sie, »das Buch ist tatsächlich der Schlüssel zu allem.«

Ihr Gesicht lag im Schatten seines drohend vorgebeugten Oberkörpers und war nicht mehr als eine konturlose weiße Fläche, in der nur die Augen wie zwei matte Kristalle aufblitzten, und trotzdem glaubte Skar in ihnen eine solche Fassungslosigkeit zu erkennen, dass es ihn selbst schauderte.

»Wo ist dieses Buch?«, keuchte Skar. Er unterstrich seine hastigen Worte mit einer befehlenden, schnelle Geste. »Wo zum Teufel ist das Elfte Buch!«

Marnas mandelförmige Augen wandten sich ihm wieder zu. Es stand Entsetzen in ihnen, aber auch etwas anderes: die Entschlossenheit die Situation zu ihren Gunsten zu entscheiden, mochte sie auch noch so verzweifelt erscheinen. »Es ist nicht hier«, sagte sie rasch, aber mit vor Aufregung zitternder Stimme. »Ich habe es nach Nemesis bringen lassen.«

Ihr Blick irrte an Skar vorbei zu dem großen Tempel hinter ihnen, von dem sie höchstens noch fünfzig Schritte entfernt waren, wanderte nach links und blieb an einem kleineren, aber geradezu strahlend gestalteten Nebengebäude hängen. Ihr Gesicht wirkte noch immer bleich vor dem Hintergrund des bislang von den Flammen verschont gebliebenen Tempels - doch ihre Mundwinkel zogen sich plötzlich abfällig und voller Verachtung zusammen.

»Es ist im Tempel«, brüllte Skar, dem ihr verstohlener Blick nicht entgangen war. »In diesem gottverdammten Tempel!« Er packte sie am Arm und schleifte sie mit sich, raus aus dem flammenden Inferno und direkt auf das Portal der Tempelanlage zu, vor dem wie gezirkelt angelegte Blumenbeete davon kündeten, dass hier ein beschauliches Leben mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail gepflegt wurde - normalerweise. Doch davon konnte im Moment überhaupt nicht die Rede sein. Überall schwelte und brannte es und der Gestank glimmenden Leders und angekokelter Kleidung vermischte sich mit dem Odem der Feuersbrunst, deren Ausläufer bis in die Vorgärten des Tempels geschlagen waren und die heilige Ordnung der liebevoll gepflegten Pflanzen und Blumen von einer Sekunde auf die andere in ein zerknicktes und unansehnliches Durcheinander verwandelt hatte.

Marna hätte ihr Schwert ziehen und ihn angreifen können, aber sie war zu klug und vielleicht auch zu geschockt dazu, um diesen Moment zu einem Befreiungsversuch zu nutzen. Skar kochte vor Wut und er wollte nichts weiter, als mit Esanna, Kama und dem Buch von hier verschwinden, und sie musste spüren, dass er sich durch nichts aufhalten lassen würde, was ihn nicht wirklich gleich im ersten Ansatz zu Boden schmetterte. Sie stürmten an zwei Satai vorbei, die gekrümmt vor Schmerzen am Boden lagen, aber immerhin noch lebten. Skar verschwendete nicht einmal einen Blick an sie, sondern hatte nur Augen für die Gestalt, die wenige Meter hinter ihnen lag.

»Kama!«, schrie er. »Verdammt!«

Er hielt Marnas Handgelenk so fest umklammert, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als mit ihm in die Hocke zu gehen, als er sich neben den Nahrak hinkniete.

»Kama«, stammelte Skar. »Bist du in Ordnung?«

Die Lippen des Nahrak formten Worte, die vom Brüllen des Feuers hinweggerissen wurden, und seine Hände vollführten hektische, sinnlos erscheinende Bewegungen.

»Wo ist Esanna?«, brüllte Skar so laut, dass seine Stimme mühelos das Tosen und Dröhnen um sie herum übertönte. Im ersten Moment war der Blick des Nahrak leer und alles, was er darin las, war Angst. Dann blitzte Erkennen in seinen Augen auf; er keuchte, stemmte sich in eine halb sitzende, halb liegende Position hoch und umklammerte seinen Oberarm so fest, dass Skar überrascht zusammenzuckte. »Das Buch!«, keuchte er. »Such das Buch! Und dann flieh!«

»Nicht ohne dich«, sagte Skar, löste seine Hand und richtete sich auf. »Hilf mir, Marna. Wir müssen ihn von hier fortbringen.«

»Wen glaubst eigentlich vor dir zu haben«, zischte Marna. »Ich bin doch keinen Lastenträger.«

»Das ... Buch«, stammelte Kama. »Lass mich hier ... liegen. Nimm das Buch ... und flieh. Sie wollen nur dich!«

»Da könnte etwas Wahres dran sein«, sagte Marna und beugte sich zu Kama hinab. Zuerst glaubte Skar, sie wollte ihm helfen, doch schon bei ihren nächsten Worten erkannte er seinen Irrtum.

»Tu mir einen Gefallen und bring diesen stammelnden Idioten zum Schweigen«, sagte sie, während sie sich wieder aufrichtete. Jede Spur von Gefühl war aus ihrer Stimme gewichen und ließ ein Gefühl der Kälte und Distanz entstehen und ganz am Rande seines Verstands begriff Skar plötzlich, wie diese noch recht junge Frau die Herrschaft über die Satai hatte an sich reißen können.

»Ein Rufer«, sagte sie anerkennend, während sie sich von Kama wegdrehte, der offensichtlich wieder das Bewusstsein verloren hatte - schnell aber nicht so schnell, als dass Skar nicht noch einen Blick auf das glänzende Stück Metall in ihren Händen hätte erhaschen können. »Ich habe gar nicht geglaubt, dass es so etwas wirklich gibt.«

»Was soll das?«, sagte Skar scharf. »Leg das sofort weg!« Marna schüttelte den Kopf. »Aber nicht doch«, sagte sie so leise, dass ihre Stimme fast in dem Krach und Tosen um sie herum unterging, »ich kenne mich aus mit diesen Teilen. Das Studium der geheiligten Bücher war mir immer wichtiger als das Erlernen roher Gewalt. Vertrau mir, Skar.« Sie ging einen halben Schritt zur Seite - nicht so weit, dass er sie instinktiv gepackt und zurückgerissen hätte - und drehte sich weiter ab, und bevor er irgendetwas dagegen machen konnte, hantierte sie mit geschickt wirkenden Bewegungen an dem Teil herum.

»Dir vertrauen?« Skar hätte beinahe laut losgelacht.

In diesem Moment kehrte der Frarr zurück. Die Quorrl und Satai waren zu routinierte Krieger, um dem Monstrum kampflos das Feld zu lassen. Wer noch auf den Beinen war und eine Armbrust oder einen Bogen zur Hand hatte, bezog Stellung, nutzte ein totes Pferd, einen Baum oder die Leichen seiner Kameraden als Deckung. Der Drache schoss heran wie die Leib gewordene Verheißung alles Übel und alle Not auf dieser Welt mit dem Tod zu ahnden, und sein Feueratem fegte mit unbändiger Gewalt über die Bogenschützen hinweg, schmorte sie mitsamt ihrer Deckung weg, brannte sie wie Ungeziefer aus, bevor sie auch nur dazu kamen, einen einzigen gezielten Schuss abzugeben. Skar starrte gleichermaßen fasziniert wie entsetzt auf das Vernichtungswerk des Untiers, das nicht gewillt zu sein schien von seinem Wüten abzulassen, bis sämtliche Quorrl und Satai vernichtet waren. Kaum hatte es mit seinem heißen Atem eine Schneise der Vernichtung in den auseinander gerissenen Tross gebrannt, da zog es auch schon wieder ab und drehte über dem Tempel eine lang gestreckte Kurve, die es unweigerlich erneut in Angriffsposition bringen würde. Überall lagen Tote und Sterbende und die Schreie und das Wimmern der Verwundeten sangen eine fürchterliche Begleitmusik zu dem schrecklichen Bild. Nur knapp die Hälfte der Krieger, die sie zum Tempel geleitet hatten, hatten die mehrfachen Angriffe überlebt und bis auf die wenigen, die rechtzeitig in die Tempelanlage geflüchtet waren, war keiner ohne mehr oder weniger schlimme Brandwunden davongekommen. Skar beobachtete einen wie eine lodernde Feuersäule brennenden Mann, der wie von einem Schwerthieb getroffen zu Boden ging, sich mühsam hochstemmte, erneut fiel und auf Händen und Füßen weiterkroch, weg von der wabernden Wand aus Hitze und Flammen, obwohl es doch sinnlos war; schließlich brach der Todgeweihte nur wenige Schritte vor ihnen endgültig zusammen, das Gesicht eine Maske aus Schmerz und Grauen und die kohlschwarze Hand flehend nach vorne gestreckt.

Schaudernd wandte sich Skar ab.

Kama wimmerte und seine rechte Hand fuhr wie in Agonie nach oben und dann schlug er wieder die Augen auf. »Nicht«, stöhnte er voller Schrecken, als er sah, was Marna in den Händen hielt. »Nimm es ... ihr weg, Skar. Nur ich darf den Frarr rufen - oder wieder wegschicken.«

Es dauerte einen Augenblick, bevor Skar überhaupt begriff, was der Nahrak meinte. Marna hätte seine kurzfristige Unachtsamkeit ausnutzen können, um zu fliehen oder ihn anzugreifen; aber sie tat nichts dergleichen, sondern stand vollkommen in sich versunken da und hantierte konzentriert an dem Teil herum, das sie als den Rufer bezeichnet hatte. Ihre Finger glitten über das glänzende Stück Metall, als würde sie es liebkosen.

Mit einer schnellen und kraftvollen Bewegung packte Skar ihr Handgelenk und verdrehte es, bis sie den Rufer fallen ließ und er mit einem metallischen Geräusch auf einen Stein aufschlug und aus seinem Sichtfeld rollte.

»Es ist zu spät«, zischte sie.

»Wozu zu spät?«, fragte Skar voller Panik.

Sie gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem abfälligen Schnauben lag. »Sieh selbst!«, triumphierte sie.

In Skar krampfte sich alles zusammen, als er einen Blick in den Himmel warf und den Feuerdrachen erneut auf sie zusausen sah. Es war genau wie bei seinem letzten Angriff - und doch ganz anders. Der Frarr rauschte heran und das Schlagen der mächtigen Drachenschwingen löste ein Pulsieren gewaltiger Energien aus, pflanzte sich weiter wie der magische Atem der Zeit, der ungehindert über alles gleitet und alles mit sich reißt, gleichgültig, ob sich ihm jemand entgegen stellen will oder nicht: ein faszinierender wie tödlicher Anblick, der in ihm die sichere Erwartung auslöste, dass die nächste Feuerwelle auch ihn, Kama und Marna treffen würde. Während er wie gelähmt dastand, zweifelte er keine Sekunde daran, dass das Untier das Vernichtungswerk mit seinem feurigen Odem vollenden wollte, getrieben von einem unbändigen Willen zur Zerstörung - oder von dem, was Kamas Ruf in ihm ausgelöst hatte, und damit von einer Absicht geleitet, die Skar selbst dann nicht begreifen konnte, wenn der Nahrak geglaubt hatte sie auf diesem Weg befreien zu können.

Doch er war noch nicht ganz heran, da schien eine unsichtbare Faust in den Nacken des Frarr zu schlagen; es sah aus, als würde ein Blitz aus der Rückseite des Drachenhalses hervorzucken und eine Woge finsterer, zerstörerischer Macht herausschleudern. In Sekundenschnelle wurde aus dem Blitz eine gleißende, verzehrende Lohe, die sich rasend ausbreitete und zurückschlug auf den Drachen wie eine Woge brüllenden, verzehrenden Feuers. Die rechte Schwinge des Ungeheuers verwandelte sich in eine einzige, gigantische Flamme und aus seinem zielgerichteten Flug wurde ein unkontrolliertes Trudeln, als er mit immer noch kraftvollen Flügelschlägen Höhe zu gewinnen suchte.

Skar starrte mit einem unterdrückten Keuchen auf die brennende Bestie. Der Frarr hatte den Tod tausendfach verdient; er war ein Monster, dazu bestimmt, Tod und Vernichtung unter die Gegner seiner Herren zu bringen. Und doch empfand Skar im Angesicht seines Todeskampfs keine Erleichterung, sondern eher Entsetzen. Es war der Frarr gewesen, der sie aus der Höhle des Khtaám gerettet hatte, und wie er es auch drehte und wendete, so war er doch ein Verbündeter - und plötzlich hatte er Angst vor dem, was geschehen mochte, wenn der Drache endgültig vernichtet war.

Der Frarr hatte mittlerweile tatsächlich an Höhe gewonnen, aber dieser Erfolg war nicht mehr als ein letztes Aufbäumen seiner gewaltigen Kräfte gegen sein unabwendbares Schicksal. Die Flammen griffen auf seinen Körper über, entzündeten seinen Schwanz und sprangen auf den zweiten, bislang noch intakten Flügel über. Der Drache krümmte sich in irrsinnigem Schmerz, die brennende Schwinge auf und nieder schlagend und stieß einen Schrei aus, der wie unglaubliches Krachen und Donnern und Beben über das Tal fuhr; gleichzeitig zog eine Sturmbö auf, schlug wie ein zorniger Donnergott in die Flammen, um sie weiter aufzureißen und den Herzschlag der Vernichtung zu beschleunigen Die Wolken selbst schienen in Flammen zu stehen und der Schrei des Drachen hallte wider voll entsetzlichen Schmerzes und einer Verzweiflung, die nicht geringer war als die seiner Opfer. In einem letzten, vergeblichen Aufbäumen gewann das mittlerweile lichterloh brennende Ungeheuer nochmals an Höhe, dann lief ein schmerzhaftes Zucken durch den gewaltigen Körper und es begann wie ein von einem Pfeil durchbohrter Vogel zu Boden zu rasen. Direkt auf sie zu.

Für einen unglaublich kurzen Moment glaubte Skar das riesige Knochengerüst des Ungeheuers unter der grünen Lederhaut zu erkennen, nachgezeichnet in weiß und rot glühenden Linien und dann schoss die heiße Flammenzunge des Drachen hervor, als könne er selbst angesichts seines eigenen Todes nicht von seinem Vernichtungswerk lassen. Eine unsichtbare Sense raste über sie hinweg und traf die Krieger, die sich vor dem Tempel in Sicherheit gebracht hatten, mähte sie nieder wie Korn und ließ Männer und Tiere in einer bizarren Explosion aus Schmerzens- und Angstschreien, stürzenden Körpern und splitterndem Eisen zusammenbrechen.

Dann war der Frarr heran; ein wildes, tödlich verletztes Ungeheuer, ein brennender Gigant, der mit der Gewalt seines massigen Körpers auf den Tempel zustürzte. Einen schrecklichen Herzschlag lang glaubte Skar, der Drache wüsste sehr genau, wer ihm den Tod gebracht hatte, und er wollte sichergehen, dass diese Tat nicht ungesühnt blieb, doch dann jagte der heiße Ausläufer des Todes an ihm vorbei und schlug inmitten der Tempelanlage ein. Der Boden unter ihnen erbebte, als das gewaltige Ungeheuer die Holzkonstruktion durchbrach und Balken wie dürre Zweige zerbrach.

Skar wurde wie von einer Riesenfaust von den Beinen gerissen und ein paar Schritt weit durch die Luft geschleudert, bevor er krachend zu Boden ging. Mühsam rappelte er sich wieder auf, halb benommen, aber von einer Erregung erfasst, die ihn keinen Schmerz spüren ließ. Es blieb ihm keine Zeit, auch nur einen einzigen Gedanken zu fassen: Eine grellweiße, lodernde Flammenwand erhob sich dort, wo er eben noch gestanden hatte und er begriff, dass er sofort von hier verschwinden musste, wenn er noch eine Chance haben wollte zu überleben - und das Elfte Buch an sich zu bringen.

Von Marna war keine Spur zu sehen. Aber immerhin lag Kama nach wie vor an der Stelle, an der er ihn zurückgelassen hatte, und wie es aussah, war die flammende Vernichtung über ihn hinweggegangen, ohne ihm weiteren Schaden zuzufügen. Skar war mit einem Satz bei ihm und zog ihn in den recht zweifelhaften Schutz eines kleinen, aber ausladenden Baumes - mehr konnte er für ihn in diesem Moment nicht tun. Einem Impuls folgend, den er selber nicht verstand, drehte er sich dann um und rannte, ohne zu zögern, auf den Tempel zu, in dessen Mitte der brennende Frarr wie ein leibhaftig gewordener Höllenbote lag. Es war ein unglaublicher Anblick. Explosionen zerrissen die Lederhaut des Monsters und flammende Hautfetzen wurden wie lebende Wurfgeschosse durch die Luft geschleudert. Die Kreatur selber musste die Hitze eines Hochofens verströmen und es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass von ihr keine Gefahr mehr ausging - sofern sie den Gesetzen unterlag, die für jedes andere normale Wesen auf Enwor galten.

Die flimmernde Hitze versengte seine Haare und dichter, beißender Rauch nahm ihm den Atem. Dennoch war Skar erleichtert: Der Gebäudeteil, auf den Marna geblickt hatte, als sie vom Elften Buch gesprochen hatte, war bislang nahezu unversehrt. Doch ob er es lange bleiben würde, stand zu bezweifeln. Die tanzenden Flammen warfen blutrote Lichtreflexe vom brennenden Hauptgebäude auf die übrigen Holzbauten und tauchten sie in flirrendes, zerrissenes Licht. Funken stoben von der Einschlagstelle in alle Richtungen auf und beißende Flammen schossen in die Nacht empor. Aus dem geborstenen Dach schlugen Feuerlohen wie glühende Speerspitzen in den Himmel. Schwärzer, fettiger Rauch stieg von dem toten Drachen auf und Millionen winziger, rot glühender Funken regneten wie feurige Käfer auf die benachbarten Gebäude hinab. Wenn nicht im letzten Moment ein Wunder geschah, würde das Feuer auf alles Brennbare überspringen und den ganzen Tempelkomplex in Schutt und Asche legen.

Obwohl das unglaubliche Schauspiel eine Art morbider Faszination auf ihn ausübte, riss sich Skar unverzüglich von dem Anblick los. Es blieb kaum noch Zeit, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Das Buch ist tatsächlich der Schlüssel zu allem, hallte Marnas Satz in ihm wider. Er musste es unbedingt in seine Hände bekommen. Mit Riesensätzen jagte er auf den Eingang des seitlichen Tempels zu, in dem er das Buch vermutete - es lag weit genug vom Hauptgebäude entfernt, um bislang von den Flammen verschont geblieben zu sein - schlug die Tür mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite ...

... und erstarrte angesichts des unglaublichen Schauspiels, das sich ihm bot.

Die Verheerung war hier weitaus weniger schlimm, als er erwartet hatte. Ein Schwall unangenehmer Wärme schlug ihm entgegen und ein Knistern und Prasseln im Hintergrund gemahnte ihn, dass auch hier bereits der Funke der Vernichtung übergesprungen war, der sich in wenigen Minuten zu einem tosenden Inferno entfachen konnte. Doch noch wirkte der erstaunlich große Raum, in den er gestolpert war, unversehrt. Seine Wände waren mit unzähligen Bildern geschmückt und mit Miniaturen, die in kleinen, halbrunden Nischen untergebracht waren und Menschen in fremdartigen Gewändern zeigten. Überall brach sich das Licht blitzend auf Gold und edlen, geschliffenen Steinen und von der Decke wölbten sich schwere Bahnen aus dunkelrotem Samt wie ein gewebter Wolkenhimmel.

Doch das war es nicht, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Es waren der Satai und der Quorrl, die in unmittelbarer Nähe des aufwändig geschnitzten Schreins in der Mitte des Raumes standen, und das Mädchen, das der Satai mit festem Arm umklammert hielt.

Esanna!

»Der Verräter«, schrie der Satai. Er stieß Esanna zur Seite und stürmte auf ihn zu.

Doch der Quorrl war schneller. Wie ein zum Leben erwachter Alptraum jagte er ansatzlos auf Skar zu und war bei ihm, kaum dass dieser sein Tschekal gezogen hatte. Mit einem bösartigen Knurren hob der Reptilienkrieger sein Zackenschwert, um es auf Skar niedersausen zu lassen. Skar wich dem Koloss mit einer blitzschnellen Bewegung aus, drehte sich ansatzlos einmal um die eigene Achse und trat seinen Stiefel mit voller Wucht ins Gesicht des Geschuppten. Der Kopf des Quorrl schlug zurück, aber der Gigant taumelte nicht nach hinten, ja, er schwankte nicht einmal. Das war sein Verderben. Mit einer präzisen Bewegung riss Skar sein Tschekal nach oben und legte alle Kraft in den einen, entscheidenden Schlag. Der Sternenstahl spaltete die Schuppen auf seiner Brust und wühlte sich tief ins Fleisch hinein, riss eine entsetzliche, bis auf die Knochen klaffende Wunde, die vom Rippenansatz bis fast zum Hals reichte und damit der Wunde des gestern seinen schweren Verletzungen erlegenen Satai glich, um dann noch tiefer und breiter aufzuklaffen, denn Skar ließ die Klinge beim Zurückgleiten zwei schnelle Drehungen zu rechten und zur linken Seite machen.

Während der Quorrl mit einem stumpfen, unmenschlichen Laut in sich zusammenbrach, war auch schon der Satai heran.

»Stirb«, schrie der junge Krieger außer sich. Sein Schwert wischte Skars eigene Klinge fast mühelos zur Seite - der Mann war unglaublich schnell und erstaunlich geschickt - und ließ seine Waffe genau in die Richtung von Skars Herz vorzucken. Skar spürte, wie das Tschekal über seinen Brustharnisch schrammte, während er sich gleichzeitig mit einer Seitwärtsbewegung der blitzschnell vorgetragenen Attacke zu entziehen versuchte.

Aber er war zu langsam. Die Klinge riss seinen Harnisch auf und strich über seine Brust, und einen schrecklichen Augenblick lang glaubte Skar schon das Schwert seinen Körper durchbohren zu fühlen, denn unter normalen Bedingungen wäre es tiefer eingedrungen und hätte ihn vielleicht sogar ansatzlos getötet, ebenso schnell und überraschend, wie er den Quorrl erledigt hatte. Aber zu seiner Überraschung drang die Klinge seines Gegners nicht tiefer; es war das in Skars Brust eingegrabene Zeichen, das wie ein riesiger Diamant über seinem Herzen saß und ihn vor dem wütenden Angriff schützte, als sei es ihm nur zu diesem einzigen Zweck mit auf den Weg gegeben worden.

Das Tschekal seines Gegners prallte zurück, als wäre es auf harten Stein geschlagen, und wäre es aus einem anderen Material als aus Sternenstahl gefertigt worden, wäre es zweifelsohne zerborsten. Der Satai stieß ein überraschtes Keuchen aus, ließ sich durch die unerwartete Wendung des Kampfes aber nicht irritieren. Sein Schwert beschrieb eine kompliziert kreisende Bewegung, ein Angriffsschema, das Skar unbekannt war und dessen Ablauf selbst sein geübtes Auge kaum zu folgen vermochte.

Im nächsten Moment krachten ihre Klingen auch schon aufeinander, federten zurück, schlugen erneut aufeinander, immer und immer wieder. Skar begriff, dass er auf einen zumindest ebenbürtigen Gegner gestoßen war - und das, wo ihm jetzt keine Zeit mehr blieb, wo jede Sekunde zählte, wo dicker Rauch aus dem roten Samt hervorquoll, der wie ein künstlicher Himmel über ihnen hing, wo das lauter werdende Knistern und Prasseln ihn daran erinnerte, dass das Feuer nun auch endgültig auf dieses Gebäude übergegriffen hatte und sein unaufhaltsames Zerstörungswerk mit rasender Geschwindigkeit fortsetzen würde.

Er musste dem ein Ende bereiten. Ohne zu zögern, wich er einen Schritt zurück, tat so, als würde er stolpern und nun endgültig in so ernsthafte Bedrängnis geraten, dass er sich kaum noch zu wehren verstand. Der junge Satai fiel darauf herein. Mit einem triumphierenden Schrei setzte er nach, um Skar den Todesstoß zu versetzen. Der rasierklingenscharf geschliffene Stahl seines Tschekals jagte in einer eleganten Bewegung an Skars Schwert vorbei und direkt auf seinen Hals zu, um ihm den Kopf von den Schultern zu trennen.

Doch diesmal war Skar vorbereitet. Er tauchte im allerletzten Moment unter der Klinge seines Gegners weg. Sein Tschekal zuckte vor und hieb in das Bein seines Angreifers, von seiner wütenden Kraft so stark getragen, dass er es fast mit einem Schlag durchtrennte. Der Satai stieß einen gellenden Schrei aus, knickte ein und stürzte zu Boden.

Ein Teil des samtenen Kunsthimmels folgte ihm; polternd und qualmend sauste er auf den schwer verletzten Satai hinab, grub eine brennende Spur in seinen Rücken und krachte erstickend auf ihn. Aber das war erst der Anfang. Mit dumpfem Grollen löste sich ein Teil der Deckenverkleidung und überschüttete Skar mit einer Wolke aus Dreck und Funken sprühenden Partikeln, und bevor er auch nur einen Schritt zur Seite machen konnte, war er eingehüllt in eine Feuerwolke, die sich nur allzu schnell als Todesfalle erweisen konnte.

Die flammende Vernichtung hatte ihn eingeholt; brennendes Gebälk löste sich aus seiner Verankerung und rutschte ein Stück tiefer - eine tödliche Bedrohung, die ihn jederzeit erschlagen konnte. Aber das war nicht das Schlimmste. Als er mit einem verzweifelten Sprung zurückwich, peitschte ein Teil des brennenden Samtes auf seinen Kopf zu und schlug ihm mitten ins Gesicht. Skar stieß einen überraschten Schrei aus und riss die Hände hoch, um sich mit einer hastigen Bewegung das Gesicht freizuwischen. Doch immer mehr brennende Partikel überfluteten ihn und einige von ihnen zischten in seine Augen. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckte ihn, den er nicht einmal hätte unterdrücken können, wenn er es gewollt hätte. Er kämpfte nicht dagegen an, sondern ließ ihm im Gegenteil freien Lauf, brüllte seine Qual heraus und verwandelte sie in Zorn und den Zorn in wütende Kraft, die es ihm ermöglichte, sich herumzuwerfen und mit einem Satz den Balken zu entkommen, die jetzt dort hinabstürzten, wo er eben noch gestanden hatte: krachende Vernichtung, die den Boden aufriss und Funken sprühen ließ, als wollte sie ihn gleich hier und jetzt mit ins Verderben reißen.

Er kam nicht dazu, sich zu orientieren. Es war ein erstickter Hilferuf Esannas, der ihn zusammenzucken ließ und die Gewissheit, dass sie verloren war, wenn er ihr nicht beistand. Mit einer schwungvollen Bewegung wirbelte er herum und in den Raum hinein, der voller Qualm aber ohne aufschießende Flammen war, einer Todesfalle gleich, die noch nicht vollends zugeschnappt war, aber aus der es schon bald kein Entrinnen mehr geben würde.

Fassungslos starrte er auf das Bild, das sich ihm bot. Der schwer verletzte Satai hatte den brennenden Samt abstreifen können und war, während Skar damit beschäftigt gewesen war, sein Augenlicht zu retten, in den Raum gekrochen, auf das Mädchen zu - das wohl versucht hatte zuvor die Tür zu erreichen und damit während des erbarmungslosen Kampfes kurz hinter ihm gewesen sein musste. Doch jetzt versuchte Esanna in einem bizarren Abwehrkampf dem ihr nachrobbenden Satai mit der klaffenden Beinwunde zu entkommen. Es wäre ihr auch zweifelsfrei gelungen, wenn sich ihr Verfolger nicht immer wieder mit erschreckender Geschwindigkeit hätte vorschnellen lassen und ihr dabei mehrmals so nahe kam, dass sein Messer blutige Kratzer in ihre Beine hackte. Wer die Verfolgungsjagd letztlich gewinnen würde, war vollkommen unklar; aber darauf wollte es Skar auch nicht ankommen lassen. Mit einem erstickten Schrei sprang er nach vorne und stieß sein Schwert in den Körper des Kriegers; er drehte mehrmals die Klinge herum, fast wie im Blutrausch, auch noch, nachdem ein endgültiges Zucken durch den Körper des Satai gegangen war und ihm danach klar war, dass der Mann tot war.

»Skar«, schrie Esanna mit schreckensweiten Augen, während sie sich hustend aufrichtete und den Ärmel ihres Gewands vors Gesicht drückte, um sich vor dem Rauch zu schützen. »Hör auf! Es ist vorbei.«

Er riss die Klinge zurück und starrte Esanna an, als sähe er sie zum ersten Mal. In gewisser Weise stimmte das sogar: Es war ihm für ein paar Herzschläge lang so, als würde die Maske, die das Mädchen normalerweise trug, in sich zusammenbrechen, als sähe er hinter die Natur des Offensichtlichen, in eine unermessliche Tiefe, kalt, fremdartig und erschreckend, die ihn mit sich zu reißen versuchte in einen alles verschlingenden Strudel und doch gleichzeitig abstieß, ja, ausspie wie einen Fremdkörper, der er ja auch war und immer bleiben würde, und das trotz der engen Verbundenheit, trotz des eingewobenen Seins in eine höhere Gewalt, die alles umspannte und nichts umschlang, die allem innewohnte und doch kein Bestandteil war von irgendetwas - Dann zerstob die Vision. Vor ihm stand nichts weiter als ein fünfzehnjähriges, vollkommen verängstigtes Mädchen, schluchzend und am ganzen Körper bebend, und mit der berechtigten Furcht von dem flammenden Inferno verschlungen zu werden.

»Wir müssen das Buch retten«, brüllte Skar gegen das tosende Chaos an. »Es muss hier irgendwo sein.«

»Ja«, stieß Esanna bebend hervor. »Ich habe es gesehen. Es liegt auf dem Schrein.«

Skar warf einen Blick in die angegebene Richtung. Die Luft waberte vor Hitze und die dunklen Rauchpartikel, winzigen Todesboten gleich, schwirrten jetzt überall herum und bissen sich in seiner Kehle fest, als wollten sie ihn ersticken. Ohne zu zögern, packte er Esanna bei der Hand und zog sie mit sich.

Das Buch lag aufgeschlagen inmitten des bereits glimmenden Schreins. Es war ein schwerer, großer Band, eingebunden in goldverziertes Leder, und als er es in die Hand nahm, spürte er nicht nur sein beachtliches Gewicht, sondern auch die angenehm kühle und glatte Oberfläche dutzender von Edelsteinen, die in das Leder einbettet waren. Er richtete sich so hastig auf, dass ihn ein hämmernder Kopfschmerz beinahe wieder hinabgezwungen hätte; wenn er nicht durch die Flammen starb, würde ihn der giftige Rauch schneller in die Knie zwingen, als ihm lieb war - was für eine Ironie des Schicksals, dass er dem wütenden Angriff des Feuerdrachen entkommen war, nur um dann doch noch ein Opfer der Flammen zu werden.

»Nur weg hier«, brüllte er.

Esanna nickte, eine seltsam fließende Bewegung, die er durch den erstickenden Qualm nur schemenhaft wahrnahm. »Dort hinten«, schrie sie. »Es gibt einen Hinterausgang.« Hand in Hand stürzten sie in die von ihr angegebene Richtung.

Sie kamen nicht weit.

Er spürte kaum, wie ihn die Druckwelle, die durch das Zusammenstürzen der vorderen Gebäudeseite ausgelöst wurde, erreichte und zu Boden schleuderte. Er fiel, rollte haltlos über den Boden und prallte schmerzhaft gegen einen brennenden Balken. Seine Hand umklammerte immer noch das Elfte Buch. Esanna schrie irgendetwas, das er nicht verstand, und plötzlich waren überall Flammen und Rauch. Dort, wo die Feuersäule das Dach bereits zerstört hatte, gähnte eine gewaltige, gezackte Öffnung, aus deren Rändern Flammen schlugen. Die trockenen Balken brannten wie Zunder und das Feuer breitete sich mit unheimlicher Geschwindigkeit aus, viel schneller, als es eigentlich möglich war. Er hustete, stemmte sich mühsam auf Hände und Knie hoch und hielt nach Esanna Ausschau, unfähig auch nur eine einzige, weitere Bewegung zu vollbringen.

Dann entdeckte er sie; ihre Gestalt war nicht mehr als ein flirrender dunkler Schemen inmitten wütender Flammen. Er wollte nach ihr rufen, aber aus seiner Kehle drang nur ein heiserer Laut, und erst dann begriff er, dass sie durch die flirrende Hitze auf den Hinterausgang zutorkelte, nur wenige Schritte von ihm entfernt und doch so unendlich weit weg, dass er fürchtete sie nicht mehr zu erreichen - denn der Rauch und die Hitze hatten sich in seinen Lungen festgebissen und drohten seine verzweifelte Gegenwehr im wahrsten Sinne des Wortes im Ansatz zu ersticken.

Aber dann richtete er sich zu seiner eigenen Verblüffung endgültig auf und irgendetwas in ihm, eine Kraft, die nicht aus ihm selber zu kommen schien, sondern nur durch ihn geleitet wurde, ließ ihn sich vorwärts quälen, auf den Ausgang zu, durch den Esanna bereits in ein Nachbargebäude verschwunden war. Für einen endlosen, schrecklichen Moment sah Skar den stobenden Funkenregen, mit dem ein weiteres Stück des Daches neben ihm zusammenbrach, und die brennenden Holzstücke, die neben ihm auf den Boden donnerten.

Dann war er draußen.

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