3.5

Auf dem Weg zum anderen Ufer und die Böschung hinauf zählte er fünf tote Satai, aber es mochten noch mehr im Schlick oder im kniehohen Schilf liegen, ohne dass er ihrer mit einem flüchtigen Blick gewahr wurde. Zu seiner Überraschung waren die Toten allesamt noch sehr jung, halbe Kinder, und er fragte sich, ob ihre Kriegsherren nicht ganz bewusst viel Nachwuchs heranzogen für den Vernichtungsfeldzug gegen die Quorrl. Wenn, dann würde damit auch das Besondere der Satai verloren gehen, ihre Würde und das Wissen um ihre Einmaligkeit; wenn Satai erst einmal nicht mehr als gewöhnliche, nur etwas besser ausgebildete Krieger waren, war es mit ihrer Vormachtstellung in der Rangordnung Enwors bald vorbei.

Er hätte gerne überprüft, was für Waffen sie trugen, ob sie auch kunstvoll verzierte Tschekal in den Kampf geführt hatten wie der Tote, dessen Schwert er trug, oder die schmucklosen Waffen, die zu seiner Zeit üblich gewesen waren. Aber jemand hatte sorgfältig alle Waffen der Krieger zusammengesucht und abtransportiert. Das war an sich nicht ungewöhnlich und doch gab es ihm zu denken: Bei den Diggern hatten neben zertrümmerten auch noch brauchbare Waffen gelegen und auch einige der toten Quorrl hatten noch ihre Zackenschwerter in den Händen gehalten. Eine der möglichen Ursachen dafür war, dass jemand aufgetaucht war, der es den Satai unmöglich gemacht hatte, ihre Toten zu bergen und alle funktionsfähigen Waffen vom Ort der Auseinandersetzung zu entfernen. Aber wer?

»Was stehst du hier herum, alter Mann«, sagte Esanna plötzlich dicht hinter ihm. »Passen dir die Beinkleider nicht, die du dem Toten abgenommen hast?«

Skar wandte sich betroffen zu ihr um. Er kam sich ertappt vor; er hatte einem der toten Satai die Hose von den Beinen gezogen und war in den grob gewebten, schwarzen Stoff geschlüpft, bevor Esanna überhaupt Anstalten gemacht hatte ihm zu folgen und den Fluss zu durchqueren. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätte sich einen Kommentar dazu verbissen.

»Vielen Dank der Nachfrage«, sagte er dennoch. »Der Stoff hat tagelang im Wasser gelegen und spannt etwas am Gesäß - aber sonst kann ich nicht klagen.«

Esanna musterte ihn spöttisch. »Ich hatte schon ganz vergessen, wie du mit einer Hose aussiehst«, sagte sie. »Auch wenn sie noch etwas tropft, Hoher Satai.«

»Sie wird schon trocknen«, sagte Skar fast grob.

»Sollten wir nicht langsam sehen, dass wir von diesem Schlachtfeld möglichst schnell verschwinden?«, fragte sie dann.

»Keine schlechte Idee«, sagte Skar, obwohl er gerne noch nach weiteren toten Satai gesucht hätte. Vielleicht würde er ja bei einem von ihnen etwas finden, ein vergessenes Tschekal zum Beispiel oder irgendetwas anderes, das ihn einen Stein zu dem Puzzle hinzufügen ließ, mit dem er die Geschichte der Satai in den letzten dreihundert Jahren zu rekonstruieren versuchte. Aber andererseits standen sie hier nach wie vor wie auf einem Präsentierteller und gingen mit jeder weiteren Minute, die sie sich hier aufhielten, ein unnötiges Risiko ein.

»Sollen wir dort den Pfad hinaufgehen?«, fragte Esanna und zeigte vorwärts auf eine von Menschen, Quorrl und Wild ausgetretene Spur.

»Ja, natürlich.« Wenn er nicht aufpasste, würde das Digger-Mädchen noch die Führung übernehmen.

Esanna lief bereits los und ihr ganzer Körper drückte Entschlossenheit und Anspannung aus; offensichtlich wollte sie den beim Anblick der Toten wieder erwachten Schmerz des gerade erlebten Verlustes mit energischem Handeln überspielen. Wenn es ihr half - bitte schön. Während seine Sinne nach wie vor aufs Äußerste gespannt waren, begann in ihm gleichzeitig die bewusste Konzentration nachzulassen. Die letzten Tage waren ihm wie ein wochenlanges Martyrium erschienen und verlangten nun ihren Tribut. Seine Beine fanden wie von selbst den Weg, seine Augen registrierten jede Auffälligkeit seiner Umgebung und seine Ohren nahmen jedes noch so winzige Geräusch wahr, das nicht eindeutig zuzuordnen war, aber sein Verstand trieb ab aus seiner Umgebung und tauchte ein in eine traumähnliche Unendlichkeit.

Wie lange es dauerte, bis er sich träge mit dem Handrücken über die Augen fuhr und versuchte die Benommenheit wegzublinzeln, die ihn jetzt mit aller Macht gefangen hielt, wusste er nicht. Wie aus einem tiefen Schlaf erwacht spähte er aufmerksam nach beiden Seiten. Der Wald, der diesen Teil jenseits des Flusses beherrschte, wuchs an dieser Stelle wie ein grüner Teppich den Hang hinauf und gewährte ihnen Deckung, aber er bot auch genügend Verstecke für einen möglichen Hinterhalt; er kam sich belauert und beobachtet vor.

So ganz abwegig war sein Gefühl nicht. Es dauerte kaum mehr als ein paar Minuten, bis sie eine kleine Lichtung passierten, auf der schon wieder Spuren eines Kampfes zu sehen waren, zwei, drei Tage alt vielleicht, und damit etwas jünger als die Spuren am Fluss: ein zerbrochenes Schwert, der Kadaver eines Pferdes, halb im braunen Morast des Bodens eingesunken, Teile einer Rüstung, ein Schild ... Sein Bedürfnis zu überprüfen, wer hier gegen wen gekämpft hatte, hielt sich in Grenzen. Der Leichnam eines Quorrl und die total verstümmelte Leiche eines Mannes, dessen zerfetztes Satai-Gewand kaum noch als solches erkennbar war, sprachen eine deutliche Sprache. Ob auch Digger an dem Kampf beteiligt waren oder nicht, wollte Skar gar nicht näher überprüfen; die Gewissheit hätte nur Esanna unnötig verstört und sein Verständnis der Zusammenhänge keineswegs verbessert. Obwohl er nun sicher sein konnte, dass die Kämpfe über mehrere Tage verteilt stattgefunden hatten und vielleicht noch jetzt, in diesem Augenblick in ihrer Nähe mit unverminderter Bitterkeit tobten, konnte er sich immer noch nicht richtig zusammenreißen und brachte kaum ein paar einsilbige Worte zustande, als Esanna aufgebracht den grausigen Fund der zweiten Kampfstätte kommentierte.

Es war schließlich sein Instinkt, die hoch entwickelten Sinne des Kriegers, die ihn aufschrecken ließen. Vor ihnen war irgendetwas. Er hatte es die ganze Zeit über befürchtet, aber mit einem irrationalen Teil seines Verstandes auch gehofft: Die Stille des Waldes wich Geräuschen, die nur von Menschen und Pferden stammen konnten, die sich irgendwo vor ihnen, nicht weit entfernt, bewegten. Es war kein Waffengeklirr dabei und es war weder das Aufeinanderschlagen von Schwertern noch die Schreie Getroffener zu hören, und doch war Skar mit einem Mal wieder hellwach und gleichzeitig sicher, dass die Geräusche nicht von ein paar harmlosen Bauern oder Reisenden stammten. Er hielt mitten im Schritt inne und warf Esanna einen warnenden Blick zu. »Wir sind nicht mehr alleine«, flüsterte er. »Vor uns ist jemand.«

Esanna nickte und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Offensichtlich waren ihre Sinne viel schärfer entwickelt, als Skar vermutet hatte, denn auch sie schien die vielen kleinen Geräusche richtig gedeutet zu haben, die von der Anwesenheit anderer Menschen kündeten, das ferne Huftrampeln, das durch den Wald hallte und so ganz anders klang als das von durchs Unterholz preschendem Wild, und die kaum wahrnehmbaren menschlichen Stimmen, die wie ein ferner, aber keinesfalls fröhlicher Singsang klangen.

»Was ist das?«, fragte sie leise.

Skar hielt den Kopf schräg und lauschte konzentriert. »Es ist kein Kampf, wenn du das meinst. Ich höre nur wenige Geräusche; vielleicht zwei Reiter, die sich leise unterhalten.«

»Quorrl oder Menschen?«, fragte Esanna nervös.

»Natürlich Menschen«, sagte Skar rasch, »und sie scheinen sich nicht sehr schnell zu bewegen. Es ist eher so ... als wären sie gerade stehen geblieben, vielleicht, um eine Rast einzulegen.«

»Umso besser für uns, dann können wir sie mühelos überraschen«, flüsterte Esanna. »Und nun komm schon und lass uns gehen.«

Skar schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Ich werde nachsehen gehen, mit wem wir es zu tun haben. Du wartest solange hier...«

»Ich denke doch gar nicht daran!«

»Still jetzt«, sagte Skar ärgerlich und dennoch so leise, dass Esanna ihn gerade noch verstehen konnte. »Es fehlt noch, dass sie auf uns aufmerksam werden, weil wir hier einen vollkommen nutzlosen Streit führen. Und vergiss nicht: Wo ein paar Menschen sind, können auch noch mehr sein.«

»Und Quorrl«, fügte Esanna aufgebracht hinzu, »und da willst du mich allein hier stehen lassen? Kommt nicht infrage.«

Skar seufzte. Er hatte ganze Armeen befehligt, die blind jedem seiner Befehle gefolgt waren, aber einem jungen Mädchen eine einfache Anweisung zu geben und zu erwarten, dass es sie dann auch noch befolgte, war eine ganz andere Sache - das zumindest hatte sich im Lauf der letzten dreihundert Jahre nicht geändert.

»Mach, was du willst«, sagte er schließlich verärgert.

»Aber mach keinen Krach dabei und stör mich nicht.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drückte er sich durch das Gebüsch, so lautlos und so wenig Spuren verursachend wie eine Raubkatze, die sich an ein Opfer anschleicht. Als er einen Wildpfad erreichte, der auf die Quelle der Geräusche zuführte, kam er zügiger voran, aber gleichzeitig erhöhte sich seine Wachsamkeit, denn gleich musste er die Reiter erreicht haben. Es entging ihm natürlich nicht, dass ihm Esanna folgte, und wenn sie auch nicht über seine Erfahrung verfügte, so musste er doch zugeben, dass sie sich dabei äußerst geschickt verhielt. Der schmale, wohl von Rotwild geschlagene Pfad, dessen Verlauf er folgte, war abschüssig und wurde mit jedem Schritt rutschiger, aber auch gleichzeitig breiter, wodurch er fast schneller vorankam, als ihm lieb war: Nicht nur einmal rutschte er ein paar Schritte weit nach vorne und musste sich mühevoll ausbalancieren.

Dann hatte er auch schon den Rand des Unterholzes erreicht und drückte vorsichtig ein paar Zweige auseinander, die ihm die Sicht nach vorne versperrten. Bevor er dazu kam, einen vorsichtigen Blick auf die Szene zu werfen, die sich vor ihm abspielte, spürte er Esannas Hand auf der Schulter, dann an seiner Seite und im nächsten Augenblick sah er sie auch schon vor sich, wie sie an ihm vorbeirutschend mit einem Aufschrei auf den morastigen Weg plumpste.

»Ich hatte doch gesagt, du sollst keinen Krach machen«, murmelte Skar. Aber statt sich in den Schutz des Gebüschs zurückzuziehen, folgte er Esanna und sprang mit einem Satz aus seiner Deckung hervor, während sein Tschekal wie von selbst den Weg in seine Waffenhand fand.

Er brauchte es nicht. Es war lediglich ein Reiter in seinem Blickfeld: ein Satai, seiner um Arm- und Beinschilde erweiterten Kleidung nach zu schließen, die allerdings blutbesudelt und ramponiert war. Sein Pferd, ein von Natur aus wohl eher kräftiger Brauner, taumelte vor Schwäche und wäre fast gestürzt, als sein Reiter es auf dem morastigen Boden herum und in Esannas Richtung zwang. Das Fell des Tieres war mit weißem, flockigem Schweiß und Blut bedeckt und aus seinem Maul tropfte heller Schaum.

Sein Reiter konnte oder wollte darauf keine Rücksicht nehmen, was angesichts seines Zustands auch kein Wunder war. Seine ehemals strapazierfähige Kleidung war zerfetzt und mit etwas verschmiert, was Skar auf den ersten Blick für eine abstoßende Mischung von Schlamm, Blut und Dreck hielt. Sein rechter Arm hing nutzlos und sonderbar falsch und verdreht von der Schulter und musste gebrochen sein, sein Brustharnisch war geborsten und über und über von Blut besudelt, als sei ihm eine frische Brustwunde zugefügt worden. Er hockte weit nach vorne gebeugt im Sattel und schien sich nur noch mit letzter Kraft auf dem Rücken des Tieres zu halten. Als sein Pferd schräg und versetzt näher tänzelte, bemerkte Skar seinen rasselnden und von einem furchtbaren Laut begleiteten Atem; es war ein Wunder, dass es seinen Reiter noch nicht abgeworfen hatte. Skar war mit wenigen Schritten bei dem Tier und griff blitzschnell zu, um seinen wankenden und fast aus dem Sattel gestürzten Reiter in letzter Sekunde aufzufangen. »Die Quorrl«, stöhnte der Mann. »Vorsicht... sie sind noch in der Nähe.«

»Was ist passiert?«, fragte Skar leise, während er den Mann vorsichtig auf den Boden gleiten ließ und sich an den Verschlüssen des Harnischs zu schaffen machte, um sich seine Wunde anzusehen - falls es für eine Hilfeleistung nicht sowieso schon zu spät war.

Der Satai hob mühsam den Kopf, um Skars Blick zu suchen. »Du musst... Marna... warnen«, brachte er mit bebender, erschöpfter Stimme hervor, die Worte nicht viel mehr als ein Flüstern, das Skar mehr erriet als verstand. »Marna?«

»Ja«, nickte der Satai mühsam.

Skar hatte endlich die Verschlüsse des Harnischs geöffnet und zog den Brustpanzer vorsichtig ab. Das, was darunter zum Vorschein kam, erschreckte ihn: Es war eine klaffende, gezackte Wunde, und obwohl die Wucht des tödlichen Hiebs vom Harnisch wohl größtenteils aufgefangen worden war, war sie viel zu tief, um sie mit einfachen Mitteln schließen zu können.

»Die Quorrl... sie sammeln sich«, stieß der Satai hervor. »Skar!«, schrie Esanna neben ihm entsetzt auf. »Er ... er stirbt!«

Skar gab ihr insgeheim Recht. Der dunkle Fleck auf der Brust des Satais wuchs rasch und selbst wenn er sofort in die Hände eines begnadeten Heilers gekommen wäre, wäre er wohl kaum noch zu retten gewesen. Das Einzige, was er selbst noch tun konnte, war ein Wort des Trostes oder der Zuversicht zu spenden - aber er wusste nicht, wie viel Zeit ihnen noch blieb, bis die Quorrl auftauchten, von denen der Mann gesprochen hatte. »Wo sammeln sie sich?«, fragte er deshalb.

»Nicht weit... von hier...« Der Mann versuchte weiterzusprechen, aber seine Worte kamen immer stockender und die Pausen dazwischen, in denen er qualvoll nach Atem und Kraft rang, wurden länger. Sein Körper zitterte. Plötzlich schrie er, bäumte sich auf und warf sich zurück, so abrupt und heftig, dass er Skars Griff entglitt und rücklings in den Morast stürzte. Er hustete qualvoll und versuchte sich herumzuwälzen; offensichtlich war ihm das, was er sagen wollte, wichtiger als alles andere und wahrscheinlich war es ihm trotz seiner Benommenheit nur zu bewusst, dass es für ihn keine Aussicht auf Rettung gab. Er keuchte, als Skar ihn in die Arme nahm und so sanft und vorsichtig wie möglich ein Stück aufrichtete, aber es schien genau das zu sein, was er selber wollte. Seine Lippen stammelten immer wieder ein einzelnes, immer und immer wiederkehrendes Wort und als Skar ihm mit einem seiner Ärmel das Gesicht abwischte, hob er die Hand und krallte die Finger in seine Schulter. Sein Blick flackerte, irrte an Esanna vorbei und blieb auf Skars Gesicht hängen. Für einen kurzen Moment klärte sich sein Blick noch einmal auf.

Endlich verstand Skar das Wort. »Nemesis«, brachte der Satai plötzlich erstaunlich kraftvoll hervor, »Nemesis.«

»Was ist mit Nemesis?«, fragte Skar rasch. Er fürchtete, dass es nur ein letztes Aufbäumen war, das diesen Mann noch einmal zu Wort hatte kommen lassen, und wenn er etwas erfahren wollte, dann musste er so schnell wie möglich nachbohren.

Und doch - die Antwort kam von ganz anderer Seite. »Nemesis ist die Kriegshauptstadt der Satai«, sagte Esanna tonlos. »Sie liegt nur ein paar Tagesritte von hier entfernt.« Der Blick des Verletzten irrte zwischen Skar und Esanna hin und her. »Bei allen Göttern«, stammelte der Mann, »wer ... wer bist du. Wieso ... kennst du Nemesis nicht?« Skar verstand die Panik in seiner Stimme. Er selbst trug die Kleidung eines Satais, aber jedes Mitglied dieser besonderen Kriegerkaste würde, ja musste seine Kriegshauptstadt kennen. Kannte er sie nicht, war aber wie ein Satai gekleidet - dann war er ein Spion oder Schlimmeres.

»Es ist schon gut«, sagte Skar. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin Skar, der Mann, auf den ihr alle gewartet habt. Der Skar. Nach dreihundert langen Jahren hat mich der Ruf ereilt, weil die Zeit der Wende gekommen ist, ganz so, wie es im Elften Buch geschrieben steht. Ich bin wiedergekommen, um euch zu retten.«

Es war nur eine spontane Eingebung gewesen, die ihn diese Worte hatte sprechen lassen, aber offensichtlich die richtige. Er war sich nicht sicher, aber er glaubte ein schwaches, zufriedenes Aufblitzen im Blick des Sterbenden zu erkennen, der mit der Zuversicht des vor dem großen Übergang stehenden Menschen Dinge zu erfassen und zu glauben schien, die einem in der Mitte des Lebens Stehenden nur ein müdes Lächeln Wert gewesen wären: Der Große Skar, wieder auferstanden nach dreihundert Jahren, niemand sonst hätte diesen Unsinn so schnell und ohne Widerwort geglaubt.

Doch die Erleichterung auf den Zügen des Mannes hielt nicht lange an; plötzlich lief eine nervöse, zuckende Bewegung über sein Gesicht, und die Hand, die sich in Skars gekrallt hatte, krampfte sich für einen kurzen Augenblick noch einmal fester in seinen Arm - dann erschlaffte sie endgültig. Ein reißender Laut erklang und der Satai verlor mit einem letzten, beinahe erleichterten Seufzer das Bewusstsein.

»Ist er ... ist er tot?«, fragte Esanna.

Skar schüttelte erst den Kopf, nickte dann aber. Seine Hand suchte wie von selbst die Halsschlagader des Mannes, um zu überprüfen, ob seine Annahme richtig war. Wie erwartet spürte er nichts mehr; das Leben war aus dem Krieger gewichen. »Er ist tot«, sagte er leise und richtete sich auf. »Es tut mir Leid.«

»Es ist ja auch nicht wirklich wichtig«, sagte Esanna mit belegter Stimme. »Nachdem die Quorrl meinen ganzen Clan niedergemacht haben und nachdem wir gerade gesehen haben, was für ein Blutbad sie am Fluss angerichtet haben - was bedeutet da schon der Tod eines einzelnen Mannes!« Sie wandte sich ab und Skar glaubte ein leises Schluchzen zu hören. Er verstand sie nur zu gut. Der Schmerz, den die Quorrl ihr mit dem Tod ihrer Angehörigen zugefügt hatten, würde erst in einigen Tagen, vielleicht sogar erst in Wochen zur vollen Intensität anschwellen, nämlich dann, wenn der Schock nachließ und sie begriff, dass die Menschen ihres Dorfes wirklich und unwiederbringlich tot waren. Skar hatte den Toten mittlerweile zurückgleiten lassen und richtete sich nun langsam auf. Sein Blick suchte den Esannas, aber es war das Pferd des Satais, das ihn durch ein leichtes Wiehern ablenkte und seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Behutsam näherte er sich dem Tier und redete beruhigend auf es ein. Der Braune hatte einen Kratzer an der Flanke, schien aber, entgegen seinem ersten Eindruck, sonst unverletzt zu sein; das meiste Blut auf seinem Körper, stammte von seinem Reiter - oder vielleicht auch von den Gegnern des soeben Gestorbenen.

»Zu Pferd kommen wir leichter voran als zu Fuß«, sagte er.

»Das meinst du doch nicht im Ernst«, sagte Esanna. »Sieh dir doch mal das Tier an: Es ist fertig, vollkommen ausgebrannt.«

Skar war es mittlerweile gelungen, den Zügel des Tieres zu fassen und nun strich er mit der anderen Hand beruhigend über seine Nüstern. »Ist ja schon alles gut«, murmelte er und an Esanna gewandt: »Wir gönnen dem Tier und uns eine Rast. Die Sonne geht sowieso gleich unter. Ich werde den Braunen trockenreiben und mich um seine Verletzung kümmern und morgen sehen wir dann weiter.«

»Morgen werden wir dann doch zu Fuß weitergehen müssen«, seufzte Esanna.

»Nein, das glaube ich nicht«, sagte Skar. »Ich verstehe eine Menge von Pferden und auch ein bisschen von Heilkunst. Der Braune hier ist noch jung und seine Fesseln verraten, wie ausdauernd er ist. Ich bin sicher, dass wir ihn morgen dazu bewegen können, uns beide zu tragen - schließlich sind wir auch zusammen nur unwesentlich schwerer als ein Satai in voller Kampfmontur mit randvoll gepackten Satteltaschen.«

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