2.6

Es war wie ein Traum, ein böser, grausamer, nicht enden wollender Traum, aber er war von fürchterlicher Realität und er dauerte nur Minuten, aber sie dehnten sich zu Ewigkeiten der Qual. Skar zwang sich weiter, Schritt für Schritt, und er wäre gestürzt, wenn ihn nicht die beiden Nahrak gestützt hätten. Zuerst wusste er nicht, ob sie ihn nicht doch zurückschleppten in die Höhle, in der sie Kama zurückgelassen hatten, ohne sich auch nur ein einziges Mal von der Schwere seiner Verletzung überzeugt zu haben. Doch dann drang das weißgrünliche Licht durch seine Lider, das er von außen gesehen hatte und das die Nischen anstrahlte wie eine besondere Kostbarkeit, die es zur Schau zu stellen galt.

Nach einer Weile ebbten die krampfhaften Schmerzen ab und sein Atem beruhigte sich wieder - und trotzdem war er nach wie vor auf die Hilfe der Nahrak angewiesen, die sich wie huschende, lautlose Schatten bewegten und so sehr mit ihrer Umgebung verschmolzen, dass er sich ihrer kaum bewusst gewesen wäre, würde er nicht ihren sanften und dennoch kraftvollen Druck auf seinen Armen gespürt haben, mit dem sie ihn erstaunlich rasch vorwärts schoben. »Das Wabengespinst«, sagte einer der Nahrak und in seiner Stimme schwang so viel Entsetzen und Überraschung mit, dass Skar unwillkürlich die Luft anhielt.

»Was ... was ist das?«, krächzte Skar. Er riss so weit wie möglich die Augen auf und erkannte nichts anderes als ein feines Gespinst, das sich mannshoch aus den Nischen vorwölbte, sodass sie ähnlich wie eingewobene Statuen aussahen und doch viel bizarrer; er glaubte feine Bewegungen in dem Netz zu erkennen und auch in dem, was dahinter steckte ...

Vor Jahren hatte er einen Sarkophag in einem Tempel von Karanda gesehen, der den auf eigentümliche Art mumifizierten Leichnam des obersten Priesters der Steppenmenschen enthielt, auch dieser hatte sich bewegt: Ekelhaft krabbelndes Gewürm war über den frisch Einbalsamierten gekrochen und in ihn hinein, bis er nahezu eigenständige Bewegungen vollführt hatte: durchaus gewollt, denn so nahm er, glaubten die Steppenmenschen, Abschied von seiner Priesterschaft und den Gläubigen. Erst wenn seine erzwungenen Bewegungen erlahmten, konnte sein Nachfolger die Weihe empfangen.

Das hier aber war etwas ganz anderes. Die auf dem Boden huschenden Monster waren nicht eingebunden in das Zittern und Beben des Gespinstes, das sich über jede einzelne dieser Statuen zog, und es waren auch sonst keine Kreaturen daran beteiligt. Das Gespinst als solches war es, das lebte, ein filigranes Netz, das sich eng um das hüllte, was immer es verbarg und das mit seinem Beben etwas ausdrücken wollte, das er nicht verstand.

»Vorsiiiiicht!«, schrie der Nahrak und packte seinen Arm mit einer erstaunlichen Kraft, sodass Skar gar nichts anderes übrig blieb, als stehen zu bleiben. Als er begriff, dass er fast ins Leere getreten war, schien sein Herz für einen Moment auszusetzen, um dann mit doppelter Wucht und fast schmerzhaft weiterzuhämmern.

Es war ein unglaublicher Anblick. Direkt unter ihm, nur wenige Zoll von seinen Fußspitzen entfernt, tat sich ein Abgrund auf, wie er gewaltiger nicht hätte sein können. Ein Schwall feuchtwarmer, nach Fäulnis riechender Luft schlug ihm entgegen, der Odem von etwas, das nicht nur einen Modergeruch verströmte, sondern auch so präsent war, dass Skar seine Anwesenheit fast spüren konnte.

Aber das war noch nicht alles. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Skar in die Unendlichkeit unter sich, bevor sein Blick nach oben und dann fassungslos hin und her wanderte. Das sonderbar gebrochene und diffuse Licht machte es unmöglich, Entfernungen richtig einzuschätzen, aber Skar war sich sicher, dass er noch nie so etwas Gigantisches gesehen hatte wie diesen Abgrund und den sich darüber spannenden Höhlenhimmel.

Er hatte geglaubt, dass sie in einen engeren und überschaubareren Bereich des Höhlenlabyrinths geraten waren. Aber das genaue Gegenteil war der Fall: Er war geradewegs in einen so monströsen Bereich dieser unterirdischen Falle gelangt, dass er nicht einmal im Ansatz begriff, wie so etwas existieren konnte, ohne dass sich die Kunde von diesem Weltwunder auf ganz Enwor wie ein Lauffeuer verbreitete - und wie hätte es über die Jahrtausende verborgen bleiben können? Man hätte eine komplette Stadt wie Besh-Ikne oder Went in dieser Höhle verstecken können - vorausgesetzt, sie hätte massiven Boden gehabt.

Aber das hatte sie nicht. Es war nicht mehr als ein schmaler Rand, der sich um diese fast obszöne Öffnung schlängelte, nicht sehr regelmäßig, aber doch breit genug, um die Höhle ohne Gefahr begehen zu können. Die von dem feinen, sich bewegenden Gespinst überzogenen Nischen an den Wänden, die sich zu beiden Seiten von ihm wegschlängelten, waren beklemmend genug, aber diese.... diese übersteigerte Öffnung im Schoß des Berges und der sich darüber wölbende Himmel aus scharfkantigem Gestein überforderten seine Sinne und seinen Verstand.

»Weeeg«, schrie der Nahrak und versuchte Skar zurückzuziehen.

Skar wandte sich zu ihm um, immer noch leicht schwankend, aber mit einer so eindeutig drohenden Bewegung, dass die meisten Menschen automatisch ein paar Schritte zurückgewichen wären, doch die beiden Nahrak dachten gar nicht daran. Sie blieben vollkommen verwirrt und erschrocken stehen - aber weniger seinetwegen als vielmehr wegen dieses unglaublichen Lochs im Boden, in das sie fast hineingestolpert wären und das einen so gigantischen Durchmesser hatte, dass Skar noch nicht einmal den Rand auf der anderen Seite sehen konnte.

»Weeeg«, wiederholte der Nahrak noch einmal, aber statt seiner Aufforderung selbst Folge zu leisten, trat er sogar noch einen Schritt auf ihn zu.

Skar schüttelte den Kopf. Er wollte nicht zurück, hatte es nie gewollt - und nun schon gar nicht mehr, wobei es ihm nicht mehr nur um Esanna ging (war sie vielleicht in diesen unendlichen Abgrund gestolpert?), sondern auch darum, das Geheimnis dieses Schlunds zu ergründen, in dessen Zentrum er den Ursprung der Angriffe vermutete. »Nein«, sagte er, als der Nahrak ihn packen wollte. »Nicht. Lasst mich in Ruhe, beide.«

Schweiß stand auf der Stirn des Mannes und er sah ihn so entsetzt an, als habe Skar endgültig den Verstand verloren, als wäre er bereit freiwillig in den Tod zu gehen. Einen Augenblick glaubte er schon, die beiden würden aufgeben, sich einfach umdrehen, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden, aber das Funkeln in ihren Augen sprach eine andere Sprache.

Es war ausgerechnet der Mann, der bislang noch kein Wort gesagt hatte, der glaubte ihn mit Gewalt umstimmen zu können. Die Hand des Nahrak krallte sich jetzt in Skars Brustharnisch und riss mit erstaunlicher Kraft an ihm. Wäre Skar ausgeruht und unverletzt gewesen, hätte er den Mann mit einem Schlag seiner flachen Hand zurücktaumeln lassen, um dann nachzusetzen und ihn auf eine Art unschädlich zu machen, die ihm keine ernsthafte Verletzung zugefügt hätte. Doch so war seine Abwehr zu langsam und ungeschickt. Statt die Brust des Mannes traf er seine Schulter. Der Nahrak nahm dem Schlag mit einem Seitwärtsschritt die Energie, glitt in einer eleganten und gleichzeitig blitzschnellen Bewegung an Skar vorbei und war in seinem Rücken, bevor der Satai wusste, wie ihm geschah.

In jeder anderen Situation wäre diese Reaktion richtig gewesen. Am Rande des Abgrunds allerdings war sie Selbstmord. Als der Nahrak das begriff und mit einem gewaltigen Satz zurückspringen wollte, war es schon zu spät. Sein Pech war es, dass Skar genau in diesem Moment mit der Kraft eines gereizten Bären den Ellbogen zurückrammte, ohne sich umzudrehen und ohne in diesem Sekundenbruchteil zu erfassen, was diese an sich recht harmlose Abwehr für Folgen haben konnte.

Der Aufprall schleuderte den Mann zurück, ein, zwei Schritt nur, aber zu weit, um ihn noch rechtzeitig Boden unter den Füßen finden zu lassen. Einen verzweifelten Augenblick lang ruderte der Nahrak wie wild mit den Armen in der Luft. Er stieß einen entsetzten Laut aus und schaffte tatsächlich das unglaubliche Kunststück, noch in der Fallbewegung den Oberkörper vorschnellen zu lassen. Seine Hände stießen vor, auf den Rand des verschlingenden Schachts zu.

Als Skar herumschwang, sah er den Mann im wahrsten Sinne des Wortes hinabfahren. Er reagierte langsam und ungeschickt und mit dem Reflex des stark angeschlagenen Kriegers, der auch dann ohne Nachzudenken handelt, wenn es besser gewesen wäre, erst einmal innezuhalten. Mit einem kurzen, schlecht gezielten Satz sprang er vor, auf den Nahrak und damit auf den Abgrund zu. Als seine Füße dicht am Rand aufkamen, rutschte er noch ein Stück weiter auf die verschlingende Finsternis zu, mehr in Gefahr selbst hinabzustürzen, als dem Mann eine Hilfe zu sein.

Der Nahrak hatte es durch seine artistische Leistung geschafft, den sofortigen Absturz zu verhindern und klebte jetzt regelrecht an der Wand. Seine Finger hatten in der fast glatten Wand kaum genügend Halt gefunden, um sein Körpergewicht zu tragen, und wahrscheinlich wäre jeder normale Mensch schon mit einem Aufschrei in der Tiefe verschwunden, aber er schaffte es sogar, Zoll für Zoll seinen Oberkörper nach oben zu schieben.

Seine Schulter war gerade auf der Höhe des Rands, als Skar auf ihn zugeschlittert kam. Für Skar bedeutete es die Rettung, da so sein Fuß Widerstand fand und nicht Gefahr lief, vollends über den Rand zu schlittern.

Der Nahrak war weniger glücklich dran. Skars Schubser mit dem Satai-Stiefel brachte ihn endgültig aus der Balance, zerstörte das fragile Gleichgewicht, in das er seinen Körper ausgependelt hatte und ließ ihn zurückschwingen. Der Mann stieß einen verzweifelten Schrei aus, kein Wunder angesichts der Unendlichkeit unter ihm; doch trotzdem bewies er auch diesmal eiserne Nerven und unglaubliche Geschicklichkeit, indem er seine Hände zurückriss, ein Stück weit hinabrutschte, um dann wieder in einer gezielten Bewegung vorzuschnellen und sich in der Wand zu verkrallen.

Es war allerdings fraglich, ob er es schaffen würde, sich aus dieser Position wieder von selbst nach oben zu hangeln. Skar konnte ihm nicht helfen, zumindest nicht im Augenblick; dazu war er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Wie ein Hochseilartist auf dem Draht breitete er die Arme aus, um sein Gleichgewicht auszubalancieren, damit er nicht Gefahr lief dem Nahrak zu folgen.

»Zur Seite«, zischte der andere Nahrak.

Skar wäre der Aufforderung gerne nachgekommen, aber er registrierte seine Umgebung nur mit einem Teil seines Bewusstseins. Er war fast besinnungslos und fast wahnsinnig vor Angst - einer Angst, die viel größer war, als es angesichts der Situation gerechtfertigt war. Es war fast so, als wäre er nicht mehr Herr seines Willens, als wolle ihn etwas hinabziehen in den Schlund, der ihm wie das weit aufgerissene Maul eines Monsters vorkam. Trotzdem ließ er sich, kaum hatte er das Gleichgewicht wieder gefunden, auf die Knie hinab und streckte die rechte Hand in die lockende Tiefe hinab, nachdem er das Schwert in die Scheide zurückgeschoben hatte. Der Nahrak hatte ein Recht darauf, gerettet zu werden, von ihm gerettet zu werden, denn er war es gewesen, der ihn in diese fürchterliche Lage gebracht hatte...

Er sah den anderen Nahrak neben sich aufragen, spürte seine Hand, mit der er ihn beiseite schieben wollte, auf seinem Nacken. Einem grausamen Reflex folgend, packte er das Handgelenk des Mannes, um es herumzudrehen und den Mann wie eine willenlose Puppe an sich vorbeifliegen zu lassen.

Der Nahrak stieß einen gellenden Schrei aus und versuchte noch im Fall, seinem Körper durch eine schnelle Drehung eine andere Richtung zu verleihen. Aber es war zu spät. Er stürzte hilflos in die Tiefe, ein zappelndes, sich sträubendes Bündel Mensch, ohne die geringste Chance und mit dem sicheren Tod vor Augen.

Auch als Skar sich schon wieder hochgestemmt hatte, hallte sein Schrei noch aus der Tiefe empor. Skar verstand überhaupt nicht, wie es dazu hatte kommen können. Etwas rebellierte in ihm angesichts des unsinnigen Todes dieses Mannes, der nichts anderes gewollt hatte, als ihm zu helfen, und sein Herz jagte, als wäre er um sein Leben gerannt; und ganz beiläufig fragte er sich dabei, wie tief sich der Abgrund eigentlich in die Tiefe bohrte, dass er immer noch den Todesschrei des Nahrak hörte.

In diesem Moment verstummte der Schrei, riss einfach von einem Sekundenbruchteil auf den anderen ab. Es war kein Aufprallgeräusch zu hören, einfach überhaupt nichts mehr. Aber es war klar, was mit einem Menschen passierte, der aus so großer Höhe auf eine harte Oberfläche aufschlug: Er wurde zerrissen, vollkommen zerstückelt und die herumfliegenden Teile seines Körpers würden wie Wurfgeschosse durch die Luft sausen, gefolgt von Hirn- und Knochensplittern, und bei dem Gedanken an den bedauernswerten Nahrak spürte Skar, wie sich eine Eiseskälte in seinem Körper ausbreitete.

Erst nach ein paar weiteren, fassungslosen Herzschlägen begriff er, dass er über den Todessturz den anderen Nahrak vergessen hatte, der noch immer verzweifelt um sein Leben kämpfte.

Ganz vorsichtig schob er sich an den Rand heran, bemüht, nicht die dräuenden Schatten aus seinem Blickfeld zu bannen, die sich unter ihm auftaten. Es kam ihm vor wie ein entsetzlicher, nicht enden wollender Traum, in dem sich Sekunden zu Stunden dehnten und in dem er nicht verantwortlich war für das, was er tat, kaum mehr als ein stummer Beobachter, der seine Handlungen nicht wirklich kontrollieren konnte - und das, obwohl er mit einem anderen, klar gebliebenen Teil seines Bewusstseins durchaus begriff, dass er etwas Schreckliches getan hatte und im Begriff war noch etwas viel Grausameres zu tun.

Der Nahrak war erstaunlich. Mühsam, aber effektiv schob er sich Stück für Stück weiter nach oben. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis er seine Hand über den Rand hinausschob und sich endgültig aus der Gefahrenzone ziehen würde.

Skar schob sich ein Stück vor, weit genug, um sein Vorhaben auszuführen, den Plan in die Tat umzusetzen, den etwas Anderes für ihn bereits die ganze Zeit über verfolgt hatte, und trat ihm mit aller Wucht auf die Hand. Der Mann stieß einen erstickten Schrei aus, schaffte es aber immer noch, sich festzuhalten. Skar musste noch zweimal zutreten, bis er endlich losließ und dem anderen in die Tiefe folgte.

Diesmal war Skar nicht überrascht, wie lange der Schrei des zu Tode stürzenden Nahrak dauerte. Aber er spürte unglaubliches Entsetzen über seine Tat. Ihm war, als wäre er für einen Moment weggetreten, in einen Sekundenschlaf gefallen, um einer vergifteten Eiseskälte Platz zu machen, die sich in seine Seele, in seinen Körper eingeschlichen hatte, um etwas zu tun, was nicht hätte getan werden dürfen. Die innere Qual, das Schuldgefühl, die Selbstanklage und der Geschmack von Schändlichkeit in seinem Mund - auf alles war er gefasst, aber da war noch etwas anderes, ein marterndes Reißen und Zerren, das ihm die Brust zusammenschnürte und die Muskeln verkrampfte, sodass er nur noch schreien wollte, schreien, schreien ...

Ihm wurde übel. In seinem Kopf pochte es und brannte. Ihm war, als würde sein Körper zerbröckeln, in Stücke zerfallen. Verdammt, er war tot gewesen, TOT, und nun war er nur wieder zurückgekehrt, um ein Monster zu werden, um Dinge zu tun, die er sich früher nicht einmal in seinen wildesten Rachephantasien erträumt hatte. Er starrte blind vor sich hin und wurde sich der Leere bewusst, die immer mehr zunahm und sich eng um seine Kehle wand und versuchte ihn herunterzuziehen, hinab in den Schlund, in das lockende Nichts, in den Anfang und das Ende einer ganzen Welt, die hier ihren Ursprung genommen hatte und immer wieder ihren Ursprung nehmen würde, um alles zu überfluten, zu überschütten und mit riesigen Flutwellen zu begraben Er sah und hörte nichts mehr. Er starrte. Er starrte aus seiner Leere in eine Leere. Er starrte aus einem Abgrund in einen Abgrund - von einem Ende zu einem Anfang, von seinem Anfang zu seinem Ende.

Er schob sich vorwärts ... langsam. Die Leere nahm zu. Der Abgrund vertiefte sich. Sein Mund war wie mit flüssigem Blei ausgegossen. Die kleinste Bewegung tat weh. Er hielt inne. Sein Kopf wirbelte. Seine Hände krallten sich in seine nackten Beine.

Aber er sprang nicht. Noch nicht.

Eine neue Plage wand sich wurmgleich aus der Tiefe in sein Bewusstsein empor, ein leises Flüstern, das zur donnernden Gewissheit wurde und ihn durchpulste, als wäre das brennende Schuldgefühl nichts weiter als eine belanglose Nebensächlichkeit. Einen kurzen Augenblick lang versuchte er es niederzukämpfen und zu leugnen, doch dann streckte er die Waffen vor der unbestreitbaren Tatsache, dass er nicht sicher sein konnte, ob er in einer ähnlichen Situation nicht wieder so handeln würde. Es war etwas in ihm, etwas, das ihn als einen willenlosen Spielball betrachtete, und wenn er dieser Gewissheit ihren unausweichlichen Platz einräumte, folgte eine andere: dass er keine Ahnung hatte, was da mit ihm geschah und dass er noch weniger wusste, wie er dem Einhalt gebieten konnte.

Er schauderte. Ein Gefühl eisiger Kälte durchflutete ihn und ganz plötzlich hatte er Angst, panische Angst. Er wusste, dass er dieses fremde Etwas eingeschlossen halten musste, dass er lernen musste es zu kontrollieren, da es sonst nicht nur ihn, sondern noch weit mehr vernichten würde: vielleicht nicht nur ein paar wenige Menschen, sondern etwas, was das labile Gleichgewicht Enwors endgültig zerstören würde.

Er hatte keine Wahl, er musste sich der Auseinandersetzung stellen; nichts außer seiner Vergangenheit, keine einzelne Erfahrung hatte ihn auf eine solche Situation vorbereitet, konnte ihm einen Hinweis darauf geben, wie er sich zu verhalten hatte - nach einem kaltblütigen Mord. Es mochte Gründe geben, dass sein Instinkt (oder was er dafür hielt) ihn so hatte handeln lassen und möglicherweise gab es einen größeren Zusammenhang, der ihn irgendwann würde begreifen lassen, dass diese unmenschliche Tat ihren ganz eigenen Sinn gehabt hatte und letztlich damit richtig gewesen war.

Aber das war Blödsinn. Jeder Mensch hatte eine Grenze, eine allerletzte Barriere, die zu überwinden bedeutete, alle Selbstachtung zu verlieren und sich einem alles verschlingenden Sog auszuliefern. Er war sich durchaus bewusst, dass ihn eine Kraft antrieb, die stärker war als er selbst, und dass sie ihn den Pforten des Irrsinns und des Todes entgegentrieb, nun, nachdem er seine Grenze soeben überschritten hatte - aber das wusch ihn nicht frei von der Schuld, die er auf sich geladen hatte.

Trotzdem - er konnte hier nicht einfach stehen bleiben in dieser gewaltigen, von einer natürlichen Kuppel überspannten Höhle. Er musste tun, was getan werden musste.

Obwohl ihm allein die Vorstellung großen Widerwillen bereitete, schob er seinen Oberkörper weiter vor, sodass er ungehindert hinabblicken konnte - so weit an das Unbeschreibliche heran, das sich vor ihm auftat, wie er es wagte, ohne vom Sog der Tiefe hinabgerissen zu werden. Je näher er rückte, umso weniger verstand er, was er sah, und noch viel weniger verstand er, welchen Sinn dieser abstruse Schacht hatte, der sich wie ein Höllenschlund vor ihm in die klaffende Tiefe bohrte.

Im ersten Moment hatte er das Gefühl, dass vor ihm der Rand der Welt lag, das große Nichts, die Leere, aus der alles Leben kam und in die es zurückkehrte, ein Abgrund, Meilen um Meilen tief, um im Nirgendwo zu enden, in einer Tiefe, aus der es keine Wiederkehr gab. Soweit es die beiden Nahrak betraf, die er hinabgestürzt hatte, traf das ja auch zu. Aber möglicherweise nicht für das Gekrabbel, das er erst in diesem Moment bemerkte.

Und dann sah er auch, warum.

Das Loch dehnte sich zwar unendlich weit in die Tiefe aus, aber die Innenwand war bei weitem nicht so glatt, wie er im ersten Moment geglaubt hatte: Es taten sich zahllose unterschiedlich große und verschieden geformte Vorsprünge und Auswüchse auf, die nicht leer waren, sondern wimmelndes, kreuz und quer schleimendes Leben beherbergten. Zwischen den Vorsprüngen spannten sich schwarze Felswülste wie steinerne Adern, die in scheinbar willkürlichem Hin und Her nach unten führten und sich an vielen Stellen berührten, ohne sich aber regelrecht zu kreuzen; denn dort, wo sie aneinander stießen, glitten sie übereinander wie riesenhafte, bösartige Würmer, die mitten in der Bewegung erstarrt waren.

Auch auf diesen Wülsten waren die schauderhaften Auswüchse der Khtaám am Werk; ein Wuseln, Krabbeln und Schleimen unterschiedlichster Kreaturen, die hin und her huschten, rauf oder runter, als seien die steinernen Adern nichts anderes als Pfade zwischen dieser merkwürdigen Ober- und einer noch viel unfassbareren Unterwelt. Es war ein Anblick, der ihm den Atem stocken ließ, und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, machte sich ein dumpfer, quälender Schmerz in ihm bemerkbar, eine völlig neue Art der Pein, fast, als begriffe er erst jetzt wirklich, was er dort vor sich hatte.

Es war so etwas wie die Brutstätte dieser Monster, die sich da unter ihm auftat. Vielleicht lag sie noch viele Meilen unterhalb dieser gigantischen Höhle, aber sie war hier, dessen war er sich absolut sicher. Die Frage war nur, was er mit seinem Wissen anfing. Einen Augenblick lang war er versucht nach einen Felswulst Ausschau zu halten, der ihn nach unten führen konnte, aber dann verwarf er den Gedanken sofort wieder. Selbst, wenn er besser in Form gewesen wäre, wäre es mehr als fraglich, ob ihm ein Abstieg in dieses gigantische Loch gelingen würde. Es war nicht nur die mehr als riskante Kletterpartie als solche, es waren auch die abertausende kleinerer und größerer Kreaturen, die dort auf den Vorsprüngen lauerten, an denen er gezwungenermaßen vorbeikommen musste - oder in die er sogar treten musste, so dicht, wie dort das Gewimmel war.

Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass auch einige Wächter unter ihnen waren, die nur darauf lauerten, dass sich ein Unbefugter zur Brutstätte durchzuschlagen versuchte, um dann gnadenlos über ihn herzufallen. Skar konnte sich nicht an einen einzigen kollektiven Brutplatz erinnern, der nicht hervorragend gesichert gewesen wäre - dass die Khtaám ihren Stammplatz um ein Vielfaches heftiger verteidigen würden als ein Adler seinen Horst, lag dabei auf der Hand.

Das drängende Pochen in ihm zog ihn sowieso in eine andere Richtung. Es waren die in ihrer Ebenmäßigkeit fast künstlich wirkenden Nischen, deren Fädengeflecht sanft und unregelmäßig, aber in einem erkennbaren Rhythmus pulsierte, die ihn anzogen. Der Anblick hatte bereits beim Betreten der Höhle einen fernen Widerhall in seiner Erinnerung ausgelöst, so als hätten sie einen sehr starken Bezug zu seiner Vergangenheit, obwohl Form und Zusammenhang ganz anders waren ...

Fast behutsam richtete er sich wieder auf, warf noch einmal einen letzten Blick in die Tiefe und in das gespenstische Treiben auf den Steinadern, das so vollkommen selbstverständlich wirkte wie der Verkehr auf den breiten Straßen einer großen Stadt wie Besh-Ikne und doch zehnmal erschreckender und hundertmal widerwärtiger war als alles, was er bislang erlebt hatte, und ging dann ein paar Schritte zurück in Richtung der Nischen, die jetzt eine geradezu morbide Anziehungskraft auf ihn ausübten.

Je näher er kam, umso mehr fiel ihm auf, dass die krabbelnde Flut in diesem Bereich der Höhle vor ihm zurückwich. Es war keine Flucht und es war auch kein Anzeichen von Furcht oder gar Panik in ihren Bewegungen erkennbar, sondern eher das Ausweichen wie vor einem Artgenossen, der vollkommen selbstverständlich respektiert wurde. Was für ein grässlicher, widerlicher Gedanke.

Als er der ersten Nische näher kam, erkannte er, dass das feine Gespinst eher einem Kokon glich als irgendetwas anderem, einer Hülle, wie sie Insekten um ihre Eier spannen. Einen Augenblick fürchtete er, das sich raschelnd bewegende Geflecht würde in allen Nischen gleichzeitig aufplatzen und eine Horrorarmee schwarzer, chitingepanzerter Insektenkrieger mit riesigen Klauen und scharfkantigen Scheren hervorspucken, aber natürlich geschah nichts dergleichen. Trotzdem verstärkte sich seine Unruhe und er spürte, wie sich seine brennende Kehle zuschnürte.

Der Griff zu seinem Schwert brachte ihm diesmal keine Beruhigung; als er es zog und spielerisch in der Hand wog, fühlte er sich sogar unruhiger als zuvor, so als habe er Angst davor, dass er mit ihm irgendeinen Unsinn anstellen konnte. Er hatte keine Wahl, wollte er herausbekommen, was es mit diesen verfluchten eingewebten Nischen auf sich hatte, und dennoch scheute er davor zurück, die Distanz endgültig zu überwinden, die ihn noch von dem Kokon trennte.

Die letzten wenigen Schritte wurden zur aufreibenden Qual. Beim Anblick des feinen Gewebes, das nach unten viel weitmaschiger wurde, als er es von weitem erkannt hatte, spürte er förmlich, wie ihm das rußig trübe Grau unter die Haut kroch und ihm der säuerliche Geruch, der von ihm ausging, Nase und Kehle verklebte. Sein Blick suchte in dem glänzenden, weißen Kokon ein Zeichen, einen Hinweis darauf, was sich dahinter verbergen könnte. Die zitternden, unregelmäßigen Bewegungen des Geflechts schienen nicht von innen zu kommen, sondern von ihm selbst auszugehen; aber ganz sicher war er sich nicht. In jedem Fall war es ein abstoßender Anblick und er brauchte nicht seine Phantasie zu strapazieren, um zu ahnen, dass das hier mehr war als nur ein zufälliges Naturphänomen. Dann, ganz plötzlich, wusste er, was hinter dem Kokon steckte. Die Umrisse, mochten sie auch noch so undeutlich sein, deuteten eindeutig auf eine menschliche Gestalt hin. Er spürte, wie seine innere Verkrampfung mit jeder Sekunde zunahm, als wollte der auf ihm lastende Druck ihn zerstören. Es war etwas in ihm, das genau wusste, was er vorfinden würde, aber sein Verstand weigerte sich immer noch die Botschaft zu akzeptieren.

Skar begann am ganzen Körper zu zittern und auch sein Kopf zitterte so heftig, dass er kaum noch etwas sehen konnte und plötzlich stolperte er einen Schritt zurück, der ihn fast aus dem Gleichgewicht brachte.

Es war ein Trugbild gewesen, konnte gar nichts anderes sein. Er wusste gar nicht, wie er auf eine solch verrückte Idee kommen konnte. Wie konnte er nur glauben, jemand hinter diesem dicht gewobenen Kokon zu erkennen? Das war unmöglich, vollkommen ausgeschlossen.

Und doch ...

Zögernd trat er wieder vor, auf das übel riechende, abstoßende Gespinst zu, das nun stärker pulsierte, als wolle es sich dem Rhythmus seines schnell schlagenden Herzens anpassen. Sein ganzer Körper brodelte vor Empfindungen, die ihn zu überwältigen drohten. Trotzdem nahm er das Hämmern in seiner Brust kaum wahr, ebenso wenig wie das Zucken und Ziehen in seinen Eingeweiden und das leichte Zittern seiner Schwerthand, das seinem Tschekal zu einem unruhigen Eigenleben verhalf.

Er wollte sich umdrehen, weglaufen, seinen verwirrten Gedanken eine Ruhepause schenken, aber eine Kraft, stärker als er, schien ihn anzutreiben, den Pforten des Irrsinns oder des Todes entgegen, und er steckte das Schwert weg, das ihm jetzt sowieso nichts nutzen würde ...

Esanna? Wenn sie es wirklich war ... aber es konnte nicht sein ... er wusste nicht, warum, aber er war sich sicher, dass es nicht das junge Digger-Mädchen war ... es war jemand anderes, ihm nur zu gut Bekanntes ...

Er hatte noch nicht einmal die Gewissheit, dass es wirklich ein Mensch war, der von dem Kokon eingewoben war, geschweige denn ein junges Mädchen. Keiner der Fäden, die sie umgarnten, war dicker als ein Haar, aber sie erschienen Skar sehr fest und irgendwie... lebendig. Vielleicht täuschten sie nur eine dahinter liegende Form vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Vielleicht war es nur eine besonders perverse Form einer Vision, mit der er gefoppt werden sollte.

Aber dieser Gedanke änderte nichts an seinen Empfindungen. Er empfand ein Gefühl abgrundtiefer Trauer und unwiederbringlichen Verlustes. Er suchte nach einer Spur von Leben hinter dem Gespinst oder zumindest nach einer lebendigen Erinnerung an die Zeit ihres gemeinsamen Kampfes und wurde sich ihres Fehlens schmerzhaft bewusst. Neben Del war sie der Mensch gewesen, der ihm für viele, für lange Jahre am nächsten gestanden hatte.

Kiina.

Dreihundert Jahre war es für ihn her, dass er seine Tochter zum letzten Mal gesehen hatte, aber für ihn war diese Zeitspanne nicht mehr als ein Fingerschnippen, und es erschien ihm gerade jetzt als eine Ironie des Schicksals, dass es ausgerechnet Kiina gewesen war, die seinen Tod gerächt und Del getötet hatte.

Kiina. Er hatte nie begriffen, nicht einmal vermutet, dass er glücklich gewesen war, wenn er mit ihr zusammen gewesen war. Sie hatte so viel Kraft und unerschütterliche Hoffnung besessen, selbst in den Momenten größter Verzweiflung nie aufgegeben. Kiina, die Tochter Gowennas.

Er wollte zugreifen, überprüfen, ob das stimmte, was seine Seele nicht infrage stellte, sein Verstand aber nicht fassen konnte, er wollte die Hand vorstrecken, den Kokon zerreißen und sich gleichzeitig davon überzeugen, dass er wirklich die junge Kiina gefangen hielt und sich andererseits aber damit vergewissern, dass es nur eine verrückte Idee war, denn wenn überhaupt ein Mensch hier eingesponnen war, dann sicherlich nicht seine vor langer Zeit verstorbene Tochter. Es waren diese zwei gleich starken Impulse in ihm, die ihn fast wahnsinnig machten ...

Und dann wurde er sich plötzlich der Leere in seinem Inneren bewusst, die immer mehr zunahm und sich eng um seine Kehle wand und versuchte ihn herunterzuziehen, tief hinab in den Schlund, der nur wenige Schritte hinter ihm die Wirklichkeit durchschnitt und hinabreichte bis ins Zentrum des Bösen.

Als ob das noch nicht reichen würde, brach die Erinnerung wie eine Woge über ihm zusammen und er sah sich zurückversetzt in eine andere Zeit, an einen anderen Ort, auf ein Schlachtfeld, auf dem sich der Geruch des Todes mischte mit dem Gestank nach Schweiß, Urin und Blut, und er wusste, dass es eine dunkle Woge gewesen war, die sich in seinen letzten Lebensjahren über Enwor ergossen hatte und weitergeschwappt war, bis auf den heutigen Tag, die nicht eher ruhen würde, bis sie alles mit sich gerissen hatte. Vollkommen deplatziert überkam ihn die Erinnerung, ein Stück seiner Vergangenheit, das ihm wichtig war, aber nicht im Hier und Jetzt seinen Platz haben sollte, obwohl es doch entscheidend sein konnte und irgendetwas - vielleicht - mit dem zu tun hatte, was hier gerade passierte. Er starrte vor sich hin, ohne etwas anderes zu sehen oder zu hören als eine körperlose Stimme aus der Vergangenheit, die Satzbruchstücke ausspuckte, in denen von der Sternenbestie die Rede war und vom Dunklen Bruder, von einer Kreatur, die voller Ungeduld darauf wartete, das Sternenfeuer zu entfachen ...

»Es ist vorbei!«, hatte Kiina gesagt, Stunden vor seinem Tod, und sie hatte es immer wieder gesagt, als hätte sie gehofft, dass es dadurch Wahrheit würde, »Alles wird wieder werden, wie es war. Du ... du wirst doch wieder anders! Es ist doch vorbei! Es gibt keinen Grund mehr für dich, so ... so ... so anders zu sein!«

Er wusste, dass unmöglich dreihundert Jahre vergangen sein konnten, seit sie so mit ihm gesprochen hatte, und doch konnte es nicht anders sein, und in welcher Weise er auch an die Zeit dachte - es waren und blieben dreihundert Jahre, und nun, nach Jahrhunderten, stimmte es einfach nicht mehr, war es schief und verkehrt. Doch das Nachdenken darüber führte zu nichts, denn er hatte keine Ahnung, wie lange er noch dagegen ankämpfen konnte - gegen was auch immer es war, was in ihm die Herrschaft beanspruchte. Er sah das feine Gespinst des Kokons vor sich und spürte, noch bevor es wirklich geschah, die nach ihm greifenden Fäden in sich einsickern, und was immer ihn nun erwarten würde - er befand sich nach wie vor jenseits der Zeitbarriere, dutzende von Jahrzehnten von der jungen Kiina getrennt, die scheinbar alterslos hier überdauert hatte, und es gab keine Möglichkeit für ihn, wieder auf die andere Seite zu gelangen ...

Nie mehr! Die allgegenwärtigen Fäden ließen jeden Zweifel daran verstummen und schließlich musste er einsehen, dass die in ihm schäumenden Erinnerungen nichts weiter waren als alter Ballast, der vielleicht - aber eben auch nur vielleicht - etwas mit der heutigen Situation zu tun hatte. »Die Macht hat die ganze Zeit über in deiner Seele geschlummert, Skar. Es hat immer Männer wie dich gegeben, seit den Zeiten der Alten, und sie haben ihre Macht weitervererbt, meist, ohne auch nur zu ahnen, wer sie waren.« Es war nicht Kiina gewesen, die das gesagt hatte, sondern Yul, eine Errish, die ihm im gleichen Atemzug das Geheimnis der Ehrwürdigen Frauen verraten hatte und noch mehr. »Die Waffen der Alten sind mit ihrer Welt untergegangen, während die Sternengeborenen ihre Schöpfer überdauerten«, hatte sie gesagt. »Denn was sie schufen, war Leben. Leben, das nur einem Zweck diente: zu töten.«

Aber was hatte das mit ihm und Kiina zu tun? Oder mit ihm selbst? Eine Erinnerung schoss durch seinen Geist, blitzschnell, aber nicht ohne Spuren zu hinterlassen. Töten. Nur ein Zweck. Töten.

... UND DASS ER UNSTERBLICH WAR, DENN ES VERMOCHTE SICH ALLEN NUR DENKBAREN VERÄNDERUNGEN ANZUPASSEN.

Töten - auch das hatte ihm die Errish gesagt. Töten. Aber er wusste nicht, was es mit ihm zu tun hatte und was Nur ein Zweck in diesem Zusammenhang zu bedeuten hatte. Es sei denn, er schaffte es, diese Spur aufzunehmen, diesen immer wieder abdriftenden Gedanken, dass er nur einem Zweck diente: zu töten.

Als die logische Schlussfolgerung in Skars Bewusstsein drang, kämpfte er sie nieder und versuchte sie zu vernichten, doch sie wollte nicht sterben, sie wollte ihm zuschreien, dass er schuldig wäre ... und er hörte wieder den Schrei, der plötzlich abriss, erst den einen und dann den anderen, bis die beiden Nahrak tot und zerschmettert unten bei der Brut lagen, die sich wahrscheinlich schon schmatzend und saugend über ihre Überreste hergemacht hatte. Die Konsequenz war ungeheuerlich. War er nur geschaffen worden, um zu töten? Er presste die Hände gegen die Ohren, als könnte er damit das Hämmern in seinen Gedanken eindämmen, dieses Reißen, das seinen Kopf auseinander sprengen wollte. Und wieder behauptete etwas in ihm, DASS ER UNSTERBLICH WAR.

Nein!

ES VERMOCHTE SICH ALLEN NUR DENKBAREN VERÄNDERUNGEN ANZUPASSEN.

Nein! Untersterblichkeit - er hatte sie verweigert, irgendwann, im Angesicht der Sternenbestie, mit der er verschmolzen wäre, hätte er nachgegeben, auf der verbotenen Insel, die kein Mensch betreten durfte, und vielleicht war es gar keine Unsterblichkeit gewesen, sondern so etwas wie Langlebigkeit oder auch nur Lebensverlängerung, die er hätte erlangen können, oder etwas Ähnliches, aber vollkommen anderes, weil sein Menschsein nicht genügte, um es zu verstehen. Aber wieso ... wieso war er dann ... hier? Wenn es wirklich stimmte, dass dreihundert Jahre vergangen waren - und daran zweifelte er keineswegs, nach allem, was er gesehen hatte -, dann war seine Existenz in höchstem Maße widernatürlich. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er tatsächlich wieder geboren worden war; das war zu phantastisch, widersprach zu sehr den Erfahrungen der menschlichen Rasse, als dass er das wirklich akzeptieren konnte. Vielleicht hatte er die ganzen Jahre in einem lebensverlangsamenden Koma gelegen, das den Alterungsprozess während dieser Zeit so sehr verlangsamt hatte, dass er all die Jahre im Tiefschlaf überstanden hatte ...

Seine Gedanken purzelten durcheinander und während er doch gleichzeitig versuchte eine Entscheidung zu treffen und irgendetwas zu tun, stand er gleichzeitig wie erstarrt da. Er war bleich, fast grau im Gesicht, fühlte sich aber dennoch erhitzt und seine Augen blickten glasig starr, als wüte ein Fieber in ihm, und dann zwang ihn wieder die Erinnerung in alte Bahnen, als wollte sie ihm damit etwas mitteilen, eine geheime Botschaft übermitteln ...

Du hast Recht, Skar. Wir können diesen Krieg nicht gewinnen.

War es wirklich die Errish Yul gewesen, die vor unendlich langer Zeit entschieden hatte, wie viel Wahrheit er in einer gewissen Zeit ertragen konnte und wie viel nicht? Vielleicht war die Erinnerung an sie jetzt nicht viel mehr als ein Aufflackern der gegenwärtigen, nicht erträglichen Wahrheit. Vielleicht war da etwas in ihm, das gerade sagte: Du hast Recht, Skar.

Wir können diesen Krieg nicht gewinnen.

Wir? Skar zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Wer war wir? Was hatte Kiina damit zu tun, was jetzt passierte, hier und heute, während er in dieser gigantischen Höhle gefangen war? Was, bei allen Göttern, hatte sie mit diesem Krieg zu schaffen, der bereits überall auf Enwor seine Spuren hinterlassen hatte, einem Krieg, den Satai und Digger gegen die Quorrl führten oder der doch nur die Spitze eines Eisbergs war, und was hatte sie zu tun mit den Khtaám und dieser Höhle und dieser Brut in dem unendlichen Schacht?

Kiina war tot und das war die ganze Wahrheit. Vor dreihundert Jahren war sie ein junges Mädchen gewesen. Was, bei allen Feuerdrachen, sollte sie dann heute sein? Was sollte sie mehr sein als eine bereits vollkommen verweste, zu Staub zerfallene Leiche?

Während er noch fassungslos dastand, mit nicht angespannten und doch bis zum Zerreißen überanstrengten Muskeln, bemerkte er eine Veränderung in dem feinen Gespinst, die beinahe so wirkte, als ergriffe ein feiner Luftzug den Kokon und wirbele ihn durcheinander. Einzelne Fäden stießen aneinander und verklumpten, bildeten ständig wachsende Knotenstellen; wie ein Netz aus der Haut gequollener Adern, die Stück für Stück durch die ständig größer werdenden freien Stellen sichtbar wurden.

Schon nach wenigen Sekunden schälte sich dahinter tatsächlich der Umriss eines Menschen heraus, eines schlanken, nackten Menschen, der in grotesker Erstarrung von dem jetzt gröber gewordenen Geflecht gehalten wurde. Jeder Knochen und jeder Muskel in Skars Körper schrie vor Schmerz, als er sie erkannte.

Kiina!

Es war tatsächlich seine Tochter, und zwar ganz so, wie er sie in Erinnerung hatte - auch wenn er sie nur sehr unvollkommen erkennen konnte, immer noch vollständig verhüllt von dem Netz, dessen Veränderung sich jetzt verlangsamte und dann ganz zum Stillstand kam. Der Anblick traf ihn so, wie er erwartet hatte, nur hundertmal schlimmer. Über seine Wange rann eine Träne und ein salziger Geschmack benetzte seine Lippen, während er gleichzeitig wie erstarrt dastand, unfähig, auch nur die Hand zu heben. Seine Tochter. Sie um Jahrhunderte überdauert zu haben: welch grauenvoller Gedanke. Und doch war da noch etwas anderes, etwas, das ihm einen Hauch von Hoffnung vermittelte, während es doch gleichzeitig so schrecklich war, dass er am liebsten den Gedanken nicht weiterverfolgt hätte: Aber, bedenke, Skar: Die Macht hat die ganze Zeit über in deiner Seele geschlummert. Es hat immer Männer wie dich gegeben, seit den Zeiten der Alten, und sie haben ihre Macht weitervererbt, meist, ohne auch nur zu ahnen, wer sie waren. Wer die Macht weitervererbte, gab damit auch alles Kranke, Verderbte mit, aber auch alle Fähigkeiten und damit eine fast übermenschliche Kraft. Er starrte auf das Wesen, das wie seine Tochter aussah und es deshalb für ihn auch war; und nicht die mitten in der Bewegung erstarrte Puppe, die andere in ihr vielleicht gesehen hätten. Wenn er selbst dreihundert Jahre unbeschadet überstanden hatte - und das, obwohl er sich bereits tot geglaubt hatte -, dann hatte sie es vielleicht auch. Wenn Kiina im Besitz der gleichen Macht wie er selbst war, dann befand sie sich vielleicht in einer Art Dämmerschlaf...

Es war ein so grotesker Gedanke, dass er sich unter normalen Umständen geweigert hätte ihn weiterzuverfolgen. Aber in seiner Situation war nichts mehr normal; er hatte eine Grenze überschritten, von deren Existenz die meisten Menschen noch nicht einmal eine Ahnung hatten und die zu überwinden nichts als Unglück bedeutete - aber er konnte es nicht mehr rückgängig machen. Seine Muskeln spannten sich an, doch sein Körper versagte ihm den Gehorsam; es hatte ihn eine plötzliche und unerwartete Lähmung ergriffen, die nicht bereit war nachzulassen.

Er nahm alle Kraft zusammen und kämpfte gegen die Panik an, die ihn bei dem Gedanken ergriff, sich nie wieder frei bewegen zu können. Er kannte verschiedene Giftsorten, die partielle oder vollständige Lähmungen verursachten, und er konnte sich durchaus vorstellen, dass sein jetziger Zustand die Spätfolge der Khtaám-Angriffe war, bei denen sicherlich giftige Körpersäfte in seine Adern gelangt waren. Seine Hände schienen wie durch weiß glühende Lava zu gleiten und durch seine Arme raste ein unbeschreiblicher Schmerz; aber dann schaffte er es wenigstens, die Finger zu bewegen. Schließlich gelang es ihm im nächsten kleinen Schritt, seine verkrampften Nackenmuskeln zu lockern und seinen Kopf leicht kreisen zu lassen.

Er bedauerte es sofort, denn dadurch kamen die anderen, benachbarten Nischen in sein Blickfeld. Der Anblick überraschte ihn so stark, dass er keuchte. Überall hatte der gleiche Prozess eingesetzt wie bei dem Kokon vor ihm, überall hatte sich das zuvor filigrane Gewebe verklumpt, wodurch eine - wenn auch eingeschränkte - Sicht auf die bislang verborgen gebliebenen eingesponnenen Menschen möglich wurde.

Er hatte sich keine Gedanken gemacht, wer dort gefangen gehalten worden sein könnte. Dass das ein Fehler hätte sein können, hätte er nicht für möglich gehalten. Doch jetzt begriff er seinen Irrtum: So weit sein Auge auch reichte, so viele eingewobene Nischen er auch im Blick hatte; überall war das gleiche Bild, überall waren es junge Frauen, die von dem Netz nur noch unvollständig verhüllt wurden.

Aber es waren nicht irgendwelche Mädchen. Immer und überall blickte er auf den Körper Kiinas, auf das gleiche schmale, blasse Gesicht, auf die exakt identische Haltung des leicht vorgeschobenen Oberkörpers und der eng zusammenstehenden schlanken Beine...

Ein eisiger Splitter schien in sein Herz zu fahren. Er verstand nicht, was er sah, aber er wollte es auch gar nicht verstehen. Irgendwo in einem verborgenen Winkel seines Gehirns regte sich Widerstand, ein letztes Aufbegehren seines Verstandes, der ihn zwang wegzublicken und sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm lag. Es kann nicht sein, flüsterte eine Stimme in ihm, Kiina kann nicht mehrfach existieren. Oder vielleicht doch?, wehrte sich eine andere Stimme. Vielleicht existierst du selbst auch mehrmals. Vielleicht hast du auch in mehreren dieser Kokons gestanden, dreihundert Jahre alt, vielleicht bist du nicht nur der eine Skar, sondern nur einer von der Gattung Skar, und vielleicht gibt es noch andere Skars ...

Skars Mund war weit aufgerissen, aber er wehrte sich; wehrte sich gegen die tanzenden Schatten des Wahnsinns, die nach ihm greifen wollten, um ihn mitzureißen in den Taumel sich überschlagender und gegenseitig auslöschender Gedanken und Gefühle. Die Nische vor ihm und mit ihr die halb freigelegte Kiina verschwand wie im Nebel und ein Gefühl durchflutete ihn, als wollte sich seine ganze Umgebung, als wollte sich die ganze Welt auflösen. Sein Kopf drohte zu bersten und ihm war, als drückten sich zwei riesige Daumen in seine Augen. Alles, was an ihm Körper war, schien sich in seiner Kehle zu konzentrieren, aus der ein Schrei des Entsetzens entweichen wollte.

Dann war es vorbei.

Es hatte sich nichts geändert und er wusste noch immer nicht, was die anderen Kokons in den vielen weiteren Nischen umhüllten - aber er blendete es aus seinem Verstand aus, verschwendete nicht mehr einen einzigen Gedanken daran. Ihn interessierte nur noch, was vor ihm war. Jetzt war es an der Zeit zu überprüfen, was es mit der Kiina vor ihm auf sich hatte; was mit den anderen Nischen war, wer dort in dem jeweiligen Kokon steckte - Kiina 2, Kiina 3, Kiina 4? Bei dem Gedanken daran explodierte erneut ein scharfer Schmerz hinter seiner Stirn -, war im Augenblick vollkommen nebensächlich.

Nach ein paar qualvollen Minuten gelang es ihm, röchelnd und schwer atmend seinen Arm zu heben, während er gleichzeitig seinen verspannten Nacken ein Stück vorwärts zwang. Das Blut in seinen Adern schien dick und zähflüssig wie in einem verstopften Kanal zu fließen und Arme und Beine waren so hart und steif, dass er sich wie eine zum Leben erwachte Statue vorkam. Es war ihm beinahe so, als müsse er jeden einzelnen Finger hochstemmen, doch immerhin kehrte mit jeder Bewegung ein Stück der alten Elastizität zurück.

Seine immer noch verkrampften und schmerzenden Finger fuhren prüfend über das filigrane, unregelmäßige Netz, das Kiinas nackten Körper nur unvollständig bedeckte. Das Gewebe der dünnen Fäden ... Es fühlte sich fast lebendig an. Warm und wie von strömend warmem Blut durchflossen. So ganz anders als die ekelhaften Tentakel der Khtaám und doch auf irgendeine perverse Art und Weise mit ihnen verwandt. Was aber das Merkwürdigste war: Während er über das Gespinst strich, schien Lebenskraft in ihn zurückzukehren. Mit jeder Berührung brach die Starre weiter auf, die ihn bis zuletzt gefangen gehalten hatte, und statt Chaos und Irrsinn begann so etwas wie Entspannung in ihn einzukehren, fast unmerklich zuerst und dann immer deutlicher, bis sich eine warme Trägheit in ihm breit machte, die so gar nicht zu der Situation passte, in der er sich befand.

Seine mittlerweile wieder voll beweglichen Finger verharrten viele Herzschläge lang auf dem dünnen Gewebe. Er konnte Kiina jetzt ganz genau erkennen, beinahe so, als würde er sie durch ein engmaschiges Fischernetz hindurch beobachten. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie es war. Die fein geschwungenen Augenbrauen, die von Gowenna geerbte Mund- und Nasenpartie, die sich bei einem ihrer gar nicht so seltenen Wutanfälle so charakteristisch zusammenzog, dagegen aber so anmutig sein konnte, wenn sie lachte und unbeschwert war, die Haare, die ihr wie üblich etwas wirr ins Gesicht hingen und perfekt zu dem temperamentvollen Funkeln in ihren Augen passten...

Augen, die jetzt allerdings stumpf und starr geöffnet waren, und, obwohl ihre Farbe und Form perfekt mit seiner Erinnerung übereinstimmten, eher an den leblosen Blick eines toten Fisches erinnerten ...

Ihm war, als ersticke er, wenn er in diese Augen blickte. Kiina wirkte blass und fast durchsichtig wie eine wertvolle Porzellanpuppe, wie sie etliche Könige der alten Zeit nach dem Abbild ihrer Kinder hatten anfertigen lassen, doch sie sah dabei vollkommen menschlich und natürlich aus. Nur die Augen ... Er schauderte.

Er wusste nicht, wie lange er so dagestanden und sie stumm betrachtet hatte. Es wurde Zeit, sich davon zu überzeugen, mit wem er es zu tun hatte, aber er hatte Angst Kiina zu berühren - oder das, was so aussah wie sie, so täuschend echt, dass es niemand anders sein konnte als sie selbst. Er verspürte das unendliche Verlangen sie in den Arm zu nehmen und hatte doch Angst menschliche Wärme zu spüren. Er hatte Angst vor der Hoffnung. Vor der bitteren Enttäuschung, die unweigerlich kommen würde.

Ihre weit geöffneten Augen starrten gleichzeitig an ihm vorbei und blickten ihn doch direkt an. Er blinzelte ein paarmal, wich einen halben Schritt zurück. Seine Phantasie ging mit ihm durch. Und doch fürchtete er, es könnte plötzlich ein Zittern durch ihren Körper gehen, sie könnte von einem Moment auf den anderen den Kopf bewegen, ihre jahrhundertealte Benommenheit abschütteln und mit einer kraftvollen Bewegung das Netz zerreißen, um direkt auf ihn zuzugehen.

Nichts dergleichen geschah. Schließlich tat er das Einzige, was einem Krieger anstand. Sein Tschekal glitt wie von selbst aus der Scheide. Mit gleichzeitig schnellen wie geschickten Schnitten schlug er eine kreisförmige Figur in das Netz. Keine Sekunde verschwendete er dabei mit dem Gedanken, ob er damit nicht vielleicht etwas Lebendiges verletzte oder sogar tötete. Die Klinge fuhr dicht unterhalb von Kiinas Hals in das Gewebe, trennte es bis zu ihrem Oberschenkel und schließlich ihrem Knie auf und fuhr dann auf der anderen Seite wieder zu ihrem Hals hinauf.

Wie ein Stück Stoff sackte das netzförmige Gewebe zusammen und glitt auf den Boden. Kiina war frei, nichts behinderte sie mehr. Aber auch ihn hinderte nun nichts mehr sie zu fassen und hinauszuziehen aus dieser Grotte, die zu ihrem Gefängnis geworden war.

Und doch ... Es waren die anderen Kiinas, die ihn an dem zweifeln ließen, was er tat. Was immer es war, was dort vor ihm stand: Es konnte kein Mensch sein. Es gab keine Menschen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, außer vielleicht manche Zwillinge. Soweit er in der schummrigen Beleuchtung aber erkennen konnte, waren es mehr als ein Dutzend Kiinas, die hier auf ihre Erweckung warteten. Wenn er Gewißheit haben wollte, dann brauchte er bloß die Hand auszustrecken. War diese Kiina kalt und hart wie Stein, dann wusste er Bescheid. Wenn nicht - dann würde er weitersehen.

Skar spürte, dass seine Augen feucht wurden. Er begriff es nicht. So viel Leid. So viel Entbehrung. So viel Verzicht. Nur, um nach einem viel zu hektischen Leben von einem See ausgespuckt zu werden hinein in einen unbegreiflichen Wahnsinn, nur um seine Tochter - oder was oder wer auch immer das hier war - an diesem vollkommen verrückten Ort wieder zu begegnen. Die mit ihr verbundenen Gefühle und Erinnerungen brachten nichts weiter als die Erkenntnis, dass nichts im Leben vollständig vorbei war, was einen irgendwann einmal wirklich berührt hatte.

Er streckte behutsam die linke Hand vor.

»Ich würden das nicht tun«, sagte eine Stimme hinter ihm. Skar zuckte zusammen. Die konzentrierte Erregung, die ihn ergriffen hatte, hielt an, als er sich langsam umdrehte, das Tschekal noch immer in der rechten Hand und ein wenig zu hoch, so als wolle er dem Ankömmling klarmachen, dass er auf alles gefasst war.

»Wieso nicht«, hatte er fragen wollen. Aber der Satz blieb ihm im Hals stecken. Denn es war nicht nur Kama, den er zweifelsfrei an der Stimme erkannt hatte und der sich ihm bis auf wenige Schritte genähert hatte.

»Esanna«, stammelte Skar fassungslos.

Das Mädchen nickte müde. Ein tiefer, heftig blutender Riss zog sich von ihrer Stirn bis zu ihrem Kinn hinab und das Blut fiel in großen Tropfen auf ihr Gewand. Sie schien es noch nicht einmal zu bemerken. »Ich bin geflohen und habe mich dabei verirrt«, sagte sie knapp. »Kama hat mich gefunden.« Dann deutete sie auf die Nische hinter ihm. »Wer ist das?«

Skar zuckte zusammen, als hätte man ihn bei einer obszönen Handlung überrascht. »Das geht dich nichts an«, sagte er schroff.

Er erschrak über den Klang seiner eigenen Stimme. Sie war rau und kratzig, aber auch irgendwie böse und es war so viel Hass darin, dass Esanna unwillkürlich zusammenzuckte.

Er wollte ein Wort der Entschuldigung hinzufügen oder wenigstens eine Erklärung, eine Frage, wie es ihr ging, einen Hinweis, dass sie ihre Wunde im Gesicht versorgen musste - aber er brachte nichts heraus. Es schien ihm, als würde sich etwas in ihm splitternd durch seine Schädeldecke bohren und einen fürchterlichen Moment bebte in ihm wieder der gellende Schrei der Nahrak, die er hinab in die Tiefe gestoßen hatte.

Die ganze Zeit über starrte ihn Kama an, eine stumme Anklage, die noch durch die frische Platzwunde auf seinem Kopf verstärkt wurde, genau an der Stelle, an der ihn Skar mit der Breitseite seines Schwerts erwischt hatte.

Es war ihm unmöglich, dem Blick Kamas standzuhalten; er blieb so sehr eingekapselt in sich selbst, dass er nichts anderes zu fühlen imstande war als den Schmerz des Verlustes, den Kiinas Anblick in ihm ausgelöst hatte, und die alles durchdringende Krankheit, die seinen Körper durchfloss, vom Kopf hinab in seine Arme und Beine und Finger und Knochen und gespeist wurde durch das Übel und die Schuld, die er auf sich geladen hatte, und ihm blieb nichts anderes übrig, als in sich selbst zu verharren und immer mehr Teil seines eigenen Untergangs zu werden, der ihn immer stärker herabriss, in eilender Fahrt auf die tiefste Stelle des Schlunds zu, der ihn verschlingen würde, auf ewig ...

»Was ist mit dir los, Skar?«, fragte Esanna. »Was, bei allen Göttern, ist mit dir los?!?«

Da stand dieses schwache, aus einer klaffenden Gesichtswunde blutende Digger-Mädchen vor ihm, schwankend und so erschöpft, dass es sich kaum auf den Beinen halten konnte: Und dann fragte es ihn, was mit ihm los war? Das war grotesk.

»Wo sind Daral und Berat?«, fragte Kama. Seine Stimme klang kein bisschen vorwurfsvoll, sondern nur leicht besorgt, aber das war viel schlimmer, als wenn er Skar bitterste Vorwürfe entgegengeschrien hätte.

»Ich«, begann Skar heiser und kämpfte gegen das Gefühl an, das ihn erbarmungslos immer tiefer in sich hineinzuziehen versuchte und gleichzeitig seine Beine so kraftlos machte, dass er kaum noch stehen konnte, sondern hinabsinken wollte in die Tiefe ...

»Wo sind Daral und Berat?« Kamas Stimme klang jetzt so schneidend, dass Skar abgelenkt wurde von dem lockenden Sog, der ihn mit sich ziehen wollte, immer tiefer, tiefer und tiefer...

»Ich weiß nicht«, sagte Skar. Er hätte Kama die Wahrheit entgegenschreien können oder zumindest die halbe Wahrheit, ihm sagen können, sie seien abgestürzt - doch er brachte es nicht über sich. Die Lüge glitt ihm so leicht über die Lippen ... aber dann erkannte er in Kamas Augen, dass er ihm seine Worte nicht abnahm und Übelkeit hämmerte von innen an seine Schädeldecke.

»Sie seien doch mit dir mitgegangen«, beharrte Kama. »Wo also sind sie geblieben?«

Bei einer anderen Gelegenheit hätte sich Skar über seine Besorgnis gewundert angesichts der Tatsache, dass der Nahrak ohne Skrupel seinen schwer verletzten Männern die Kehlen durchgeschnitten hatte. Doch jetzt wand er sich nur innerlich vor Pein.

»Ich ... ich weiß es nicht.« Skar deutete mit einer krampfhaften Handbewegung in die Richtung dieses monströsen Lochs, in dem es krabbelte und wimmelte, und während er dorthin deutete, wurde er sich auch bereits bewusst, dass es ein Fehler war, dass er ein erbärmlicher Lügner war und er fragte sich, ob er es nicht dem letzten Rest seiner Selbstachtung schuldig war, Kama ganz einfach die Wahrheit zu sagen.

Doch statt Ich habe sie hinabgestoßen herauszuschreien, sagte er nur: »Sie waren da drüben. Ich ... ich habe mich ... um Kiina gekümmert... und dann... dann hörte ich auf einmal diesen Schrei.«

Es war eine erbärmliche Vorstellung und ein Blick in Kamas Augen genügte, um ihn erkennen zu lassen, dass der Nahrak ihm kein Wort glaubte.

»Etwas hat die Khtaám erweckt«, stellte Kama fest.

»Leben gegen Leben. Du hast ihr Leben gegeben, um dir ein bereits verdammtes Leben wieder zu nehmen.«

Skar starrte ihn mit offenem Mund und vollkommen entsetzt an. »Nein«, stieß er hervor. Er begriff nicht, was Kama meinte, nicht wirklich, und doch war da eine Ahnung tief in seinem Herzen, die zu unglaublich war, um sie wirklich fassen zu können. »Sie sind ... es war ein Unglück.«

»Ja«, sagte Kama. »Ein Unglück. Ein Unglück, bei dem du nachgeholfen hast.«

»Ich? Nein ...« Skar warf einen hilflosen Blick auf Esanna, aber das Mädchen schien vor Schreck wie gelähmt zu sein und immer noch tropfte Blut von ihrem Gesicht herab, benetze wie ein Leben verströmender Regen ihr sowieso schon eingerissenes und besudeltes Gewand. Statt von ihr Hilfe zu erwarten, hätte er ihr eigentlich beistehen müssen. »Du hast nachgeholfen, damit Khtaám das da formt«, sagte der Nahrak und deutete an Skar vorbei auf Kiina. »Und das da und das da und das da.« Sein Zeigefinger glitt anklagend von Nische zu Nische.

»Ich habe ... ich habe das nicht gewollt.«

»Ihr Satai nie wolltet etwas. Ihr immer nur töten.« Kama atmete tief durch. »Es reicht. Ich habe Hilfe gerufen. Wir müssen sehen, dass wir so lange leben, bis sie kommt.« Skar verstand immer weniger; wollte ihm Kama etwa drohen und von welcher Hilfe sprach er? Sein Inneres war ein einziges Wirrwarr widersprüchlichster Gefühle und Gedanken und in seinem Mund war der Geschmack bitterer Galle. Er spürte, wie sich ein unbestimmtes Wissen aus den Tiefen seiner Persönlichkeit zu seinem Bewusstsein hochdrängte, und er versuchte dieses Wissen zu ignorieren, aber es nagte unablässig an ihm, gleich einer in die Nebel der Vergangenheit gehüllten schmerzlichen Erinnerung.

»Ich muss ... ich muss mich um Kiina kümmern«, sagte er. »Sie braucht meine Hilfe.«

Schon während er das sagte, wusste er, dass es nicht stimmte. Es gab keine Kiina, um die er sich kümmern musste oder konnte. Es gab ein Dutzend oder mehr Monster, die wie Kiina aussahen, die diese Form aus irgendeinem ihm unbegreiflichen Grund angenommen hatten und vielleicht nicht einmal, um ihn damit zu vernichten, sondern nur aus einem Reflex heraus. Aber das alles waren nichts als wilde Spekulationen und nichts, was ihn wirklich berührte.

Er musste herausbekommen, was es damit auf sich hatte - koste es, was es wolle.

»Geh weg von den Khtaám«, sagte Kama. »Wir müssen zum Treffpunkt.«

Skar brauchte ihn nicht zu fragen, wen oder was der Nahrak in diesem Fall mit Khtaám gemeint hatte. Ein Teil in ihm war sich durchaus bewusst, was Kiina wirklich war. Dass sie sich wie nach einem langen Schlaf erfrischt aus dem Gespinst befreien würde, um ihn dann freudestrahlend zu begrüßen, war eine absurde Vorstellung; viel wahrscheinlicher war es, dass sie etwas genauso Widernatürliches wie die Nachtmahre war, dass irgendetwas Düsteres in eine Hülle geschlüpft war, die ihr nur äußerlich glich - aber er weigerte sich diesen Gedanken weiterzuverfolgen.

Er drehte sich wieder um, noch immer mit gezogenem Schwert und noch immer halb nackt, wie ihm in diesem Moment ganz nebenbei bewusst wurde. Wahrscheinlich bot er einen erschreckenden Anblick: verletzt, verwirrt und am Rande seiner Kraft, aber mit einem Funkeln in den Augen, das ihn immer weitertreiben würde, bis er die Antwort auf seine stumme Frage nach Kiinas Existenz gefunden hatte. Er brauchte nicht lange darauf zu warten. Er hatte kaum seine linke Hand vorgestreckt, um das sich immer mehr verklumpende Netz zu berühren, als es sich auch schon zu ändern begann.

»Tu es nicht«, sagte Esanna. »Geh da weg!«

Aber selbst, wenn er ihrer Aufforderung sofort gefolgt wäre, wäre es zu spät gewesen. In dem kurzen Moment, den er mit Kama und dem Mädchen gesprochen hatte, waren die von seinem Tschekal zerschnittenen Fragmente des Netzes schon wieder aufeinander zugewandert wie eigenständige Wesen, Würmern gleich, die sich über eine Leiche schlängeln auf der Suche nach einer Körperöffnung, in die sie gleiten könnten, um ihr Zerstörungswerk zu beginnen. Skar fühlte sich unangenehm an den Tentakel erinnert, der versuchte hatte durch sein Nasenloch von ihm Besitz zu ergreifen.

Doch in diesem Fall passierte nichts dergleichen. Das Netz schloss sich ganz einfach wieder, als könne es nicht dulden, Kiina unverhüllt dastehen zu lassen. Doch auch nachdem sich seine einzelnen Fragmente wieder vereint hatten, bebten sie wie ein lebendiges Wesen, das in höchste Erregung versetzt worden war. Die Veränderung setzte über den Brüsten Kiinas ein; die Knotenstellen der Fäden begannen stärker zu pulsieren, in einem heftigen Rhythmus, ähnlich dem Trommelschlag eines Trancetanzes, wie ihn einige Völker des Ostens bei der Bestattung ihrer Toten aufführten. Das Netz war jetzt so weitmaschig geworden, dass die nackte Brust auffallend stark betont wurde, zumal auch sie sich zu bewegen begann, ganz langsam und vorsichtig zuerst, sodass es Skar anfangs für eine optische Täuschung hielt, dann aber immer heftiger, bis sie zyklisch zu zucken begann, im Gegenschlag zum Netz, aber nicht minder schnell und damit keineswegs so, wie man es bei einem lebendigen Menschen erwarten konnte.

Skar hätte jetzt seine Hand durch das Netz stecken können, um Kiina zu berühren, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Die vormals haarfeine Struktur des Gespinsts war jetzt einem grobmaschigen Netz gewichen, bei dem einzelne Verknüpfungen bereits die Stärke von Bindfäden erreicht hatten. Gleichzeitig schien sich die Konsistenz des Geflechts zu verändern; es wurde immer dunkler, fast schwarz, glänzte dabei und schien erst faserig zu sein, bevor sich seine Oberfläche veränderte und so glatt wie ein polierter Spiegel wurde.

Es war ein abstoßender Anblick. Als Kiinas Gesicht erst leicht und dann immer stärker zu zucken begann und sich ihr Mund wie zu einem stummen Schrei öffnete, stöhnte Skar benommen auf. Es war nichts Menschliches in diesen Bewegungen und doch erinnerte es ihn so stark an den Menschen, an seine Tochter, die mit ihm gestritten, gekämpft und gelacht hatte, die ebenso wenig bereit gewesen war aufzugeben oder eine Niederlage einfach hinzunehmen wie er selbst, die so unendlich tapfer gewesen war, nachdem mit Elay auch die Errish niedergegangen waren und damit alles, was ihr zuvor Rückhalt geboten hatte.

Sie in diesem Zustand vor sich zu sehen, erfüllte ihn mit Entsetzen.

Eine Hand berührte seine Schulter und im ersten Reflex wollte er sie wegschlagen. Doch dann bemerkte er, dass es nicht Kama war, wie er zuerst geglaubt hatte, sondern Esanna. Ein merkwürdig vertrautes Gefühl stieg in ihm auf, ähnlich jenem, das er empfunden hatte, als er den jungen Del nach einer Schlägerei mit ein paar betrunkenen Stadtsoldaten aus der Gosse aufgelesen hatte und schon kurz darauf den Beistand des jungen Hünen gebraucht hatte, als sie in den Hinterhalt einer Bande von Strauchbanditen geraten waren. Es war ein Gefühl, das ihm Schutz verhieß, obwohl doch er der stärkere und erfahrenere Kämpfer war - damals wie heute.

»Sie hat dir viel bedeutet, nicht wahr?«, fragte Esanna. »Das hat sie«, nickte Skar. »Sie ist... sie war meine Tochter.« Seine Kehle fühlte sich ausgetrocknet und verkrampft an, ein einziger Klumpen aus Schmerz, der ihm den Gehorsam verweigerte. Er schluckte mühsam, räusperte sich und versuchte es dann noch einmal. »So hat sie ausgesehen ... damals ... als ich ... als ich ...«

»Als du gestorben bist?«

Skar starrte weiter wie gebannt auf das Netz, dessen Veränderung immer rascher voranschritt; jetzt, wo es sich wieder vereint hatte, schien es bösartiger zu werden, so als wolle es sich gegen einen neuen Angriff wappnen. Der Anblick erinnerte ihn an eine ähnliche Situation in seiner Vergangenheit. Er hatte so etwas wie dies schon einmal gesehen, in anderer Form und anderem Zusammenhang, aber er wusste nicht mehr, wann und wo.

»Ist sie mit dir ...«

Als Esanna nicht weitersprach und er den Sinn ihrer Frage begriff, schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Sie ist nicht mit mir umgekommen. Sie hat sogar noch ... meinen Mörder getötet.«

»Das weißt du?«, fragte Esanna erstaunt. »Woher?«

Skar zuckte mit den Achseln. »Das hat keine Bedeutung«, behauptete er, während er an die glasklare Vision dachte, die ihm gezeigt hatte, wie Kiina Del mit einer Scannerwaffe der Errish erschossen hatte.

»Was ist dann aus ihr geworden?«

Skar starrte endlose Sekunden auf das immer heftiger pulsierende Netz, das nun vollends schwarz und abstoßend geworden war. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ihr Leben verlief.« Er schluckte hart. »Aber es ist drei lange Jahrhunderte her.«

»Du meinst... da muss sie tot sein?«

»Ja. Natürlich.« Skars Stimme war zu einem fast nicht mehr wahrnehmbaren Flüstern geworden. »Was denn sonst?«

»Es könnte aber auch anders sein«, meinte Esanna.

»Schließlich lebst du auch noch.«

»Nein«, protestierte Skar. »Ich lebe nicht noch, ich lebe wieder.«

»Der aus dem Schaum wieder geborene Skar«, sagte Kama, der bislang dem Gespräch schweigend gefolgt war, ohne aber seine Befremdung verbergen zu können. »Ganz so, wie es das Elfte Buch sagt.«

»Dieses verfluchte Buch«, murmelte Skar. »Kein Mensch wird so einfach wieder geboren. Ich glaube es einfach nicht. Es muss etwas anderes passiert sein.«

»Ja«, sagte Kama. »Es ist etwas anderes passiert.«

»Und was?«, fragte Skar, ohne Kiina auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Die einzelnen Stränge des Netzes glichen mittlerweile fatal gequollenen Adern, aber zumindest war das ekelhafte Zucken von Kiinas Brüsten zu Ende gekommen.

»Das sein nicht einfach zu erklären«, wich der Nahrak aus. »Außerdem wir müssen jetzt gehen.«

»Einfach so?«, fragte Skar. »Ohne abzuwarten, was mit Kiina geschieht?«

»Besser, wir es nicht mehr kriegen mit«, sagte Kama. »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Skar. Er musste einfach wissen, was mit diesem lebenden und atmenden Etwas geschah, das wie seine Tochter aussah. »Ich kann doch jetzt nicht einfach so gehen, ohne zu wissen, was mit ihr geschieht.«

»Und was ist mit den anderen... den anderen, diesen Wesen, in den anderen Nischen?«, fragte Esanna.

»Was soll damit sein?«, fragte Skar.

»Sie sehen alle aus wie deine Tochter«, sagte Esanna. »Aber sie können doch nicht alle deine Tochter sein.« Es war ein Gedanke, dessen Konsequenz Skar bislang ausgewichen war. Er war zufällig an diese Nische getreten. Aber es konnte auch jede andere beliebige Nische die einzig wahre, die echte Kiina beherbergen - oder auch gar keine. Was nicht nur wesentlich wahrscheinlicher war, sondern, wenn er ehrlich war, auch die einzig wirklich denkbare Alternative.

»Wir müssen gehen«, beharrte Nahrak. »Die Zeit des Wachstums ist schon fast abgeschlossen.«

»Des was?«, fragte Esanna entsetzt.

»Es wächst«, sagte der Nahrak nervös. »Wenn es aufhört zu wachsen: Dann bum.«

»Dann will ich mir dieses Bum doch mal ansehen«, sagte Skar grimmig.

»Nein, nein«, stieß Kama hervor. »Auf keinen Fall. Wir gehen jetzt zum Treffpunkt. Bevor es passiert.«

»Das werden wir sehen«, sagte Skar gedankenverloren. Manchmal war es besser, Fakten zu schaffen, statt sich auf einen Streit einzulassen.

Doch dann glaubte er für einen winzigen Moment eine zielgerichtete Bewegung in dem Geflecht wahrzunehmen. Sein Herz machte einen schmerzhaften Sprung. Irgendetwas bewegte sich dort, etwas Unfassbares und Lauerndes ...

Er schob sein Tschekal vor, direkt auf die schwarz verklumpten Fäden zu - und ließ die Klinge schnell und präzise vorschnellen.

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