KAPITEL 9

Sie schlief endlich, bis zur Tagesmitte, und erwachte desorientiert. Sie schielte nach dem Nachmittagslicht, das schräg durch die Fenster des Krankenzimmers einfiel. Der graue Regen war vorüber. Sie berührte ihren Bauch, aus Kummer und zur Beruhigung, rollte sich auf die andere Seite und sah Graf Piotr an ihrem Bett sitzen.

Er trug seine Landkleidung: eine alte Uniformhose, ein gewöhnliches Hemd, eine Jacke, die er nur in Vorkosigan Surleau trug. Er mußte direkt zum Kaiserlichen Militärkrankenhaus gekommen sein. Seine dünnen Lippen lächelten ihr besorgt zu. Seine Augen wirkten müde und bekümmert.

»Liebes Mädchen. Du mußt nicht für mich aufwachen.«

»Das ist schon in Ordnung.« Sie zwinkerte, um den verschwommenen Blick ihrer Augen zu klären und fühlte sich dabei älter als der alte Mann.

»Gibt es hier etwas zu trinken?«

Er goß ihr hastig kaltes Wasser aus dem Hahn über dem Bekken neben dem Bett ein und schaute zu, wie sie trank. »Noch mehr?«

»Das reicht. Hast du Aral schon gesehen?«

Er tätschelte ihre Hand. »Ich habe schon mit Aral gesprochen. Er ruht sich jetzt aus. Es tut mir so leid, Cordelia.«

»Es ist vielleicht nicht so schlimm, wie wir zuerst gefürchtet haben. Es gibt noch eine Chance. Eine Hoffnung. Hat Aral dir von dem Uterusreplikator erzählt?«

»Irgend etwas. Aber der Schaden ist sicher schon geschehen. Unwiderruflicher Schaden.«

»Schaden, ja. Wie unwiderruflich er ist, das weiß niemand. Nicht einmal Hauptmann Vaagen.«

»Ja. Ich habe Vaagen kurz vorher getroffen.« Piotr runzelte die Stirn. »Ein streberischer Kerl. Der Typ des Mannes der neuen Zeit.«

»Barrayar braucht seine Männer der neuen Zeit. Und die Frauen. Seine technologisch ausgebildete Generation.«

»O ja. Wir haben gekämpft und geschuftet, um sie zu schaffen. Sie sind unbedingt notwendig. Sie wissen es auch, manche von ihnen.« Ein Anflug von selbstbewußter Ironie machte seinen Mund weich. »Aber die Operation, die du vorschlägst, diese Plazentaübertragung … das klingt nicht allzu sicher.«

»Auf Kolonie Beta wäre es Routine«, sagte Cordelia mit einem Achselzucken. Wir sind natürlich hier nicht auf Kolonie Beta.

»Aber etwas Direkteres, besser Verstandenes — du wärest in der Lage, schon viel eher noch einmal zu beginnen. Auf lange Sicht gesehen, würdest du tatsächlich weniger Zeit verlieren.«

»Zeit … ist es nicht, was ich zu verlieren fürchte.« Ein bedeutungsloser Begriff, wenn sie jetzt daran dachte. Sie verlor 26,7 Stunden an jedem barrayanischen Tag. »Jedenfalls möchte ich das nicht noch einmal durchmachen. Ich lerne nicht langsam, Sir.«

Über sein Gesicht huschte Bestürzung. »Du wirst anders darüber denken, wenn du dich besser fühlst. Was jetzt wichtig ist — ich habe mit Hauptmann Vaagen gesprochen. Er schien nicht daran zu zweifeln, daß großer Schaden entstanden ist.«

»Nun ja. Unbekannt ist nur, ob nicht auch große Wiederherstellung möglich ist.«

»Liebes Mädchen.« Sein besorgtes Lächeln wurde gezwungener. »So ist es. Wenn das Ungeborene nur ein Mädchen wäre … oder sogar ein zweiter Sohn … dann könnten es wir uns leisten, deinen verständlichen, ja sogar lobenswerten mütterlichen Gefühlen nachzugeben. Aber dieses Ding, wenn es denn lebte, wäre eines Tages Graf Vorkosigan. Wir können es uns nicht leisten, einen mißgebildeten Grafen Varkosigan zu haben.« Er lehnte sich zurück, als hätte er gerade ein zwingendes Argument vorgetragen.

Cordelia hob ihre Augenbrauen: »Wer ist ›wir‹?«

»Das Haus Vorkosigan. Wir sind eines der ältesten der großen Häuser auf Barrayar. Vielleicht nie das reichste, selten das stärkste, aber was uns an Wohlstand gefehlt hat, das haben wir an Ehre wettgemacht. Neun Generationen von Vor-Kriegern. Es wäre ein schreckliches Ende, zu dem es nach neun Generationen damit käme. Verstehst du das nicht?«

»Das Haus Vorkosigan besteht zu diesem Zeitpunkt aus zwei Personen, aus dir und Aral«, merkte Cordelia ebenso amüsiert wie beunruhigt an, »und Grafen Vorkosigan haben während eurer Geschichte öfter ein schreckliches Ende genommen. Ihr seid in die Luft gejagt worden, erschossen, ausgehungert, ertränkt, bei lebendigem Leibe verbrannt, enthauptet, von Krankheiten befallen und um den Verstand gebracht. Das einzige, was ihr nie getan habt, war, im Bett zu sterben. Ich dachte, Schrecken wären euer Repertoire.«

Er lächelte gequält zurück: »Aber wir sind nie Mutanten gewesen.«

»Ich glaube, du mußt noch einmal mit Vaagen sprechen. Die Schädigung des Fötus, die er beschrieben hat, war teratogen, nicht genetisch, falls ich ihn richtig verstanden habe.«

»Aber die Leute werden denken, es handle sich um einen Mutanten.«

»Was, zum Teufel, kümmerst du dich darum, was irgendwelche unwissenden Proleten denken?«

»Andere Vor, meine Liebe.«

»Vor und Proleten: sie sind gleicherweise Ignoranten, das versichere ich dir.«

Seine Hand zuckte. Er öffnete seinen Mund, schloß ihn dann wieder, runzelte die Stirn und sagte schärfer als zuvor: »Ein Graf Vorkosigan war auch nie ein Versuchstier in einem Labor.«

»Na siehst du, er dient Barrayar schon, bevor er überhaupt geboren ist. Kein schlechter Start zu einem Leben der Ehre.« Vielleicht würde am Ende etwas Gutes dabei herauskommen, neues Wissen gewonnen: wenn nicht Hilfe für sie selbst, dann für den Kummer anderer Eltern. Je mehr sie darüber nachdachte, um so mehr fühlte sie, daß ihre Entscheidung richtig war, auf mehr als einer Ebene.

Piotr warf den Kopf in den Nacken. »Dafür, daß ihr Betaner so weich erscheint, hast du eine beängstigend kaltblütige Ader in dir.«

»Eine rationale Ader. Rationalität hat ihre Vorteile. Ihr Barrayaraner solltet es einmal mit ihr versuchen.« Sie biß sich auf die Lippe. »Aber ich glaube, wir eilen den Dingen zu weit voraus, Sir. Es gibt eine Menge von« — Gefahren — »Schwierigkeiten, die noch auf uns zukommen. Eine Plazentaübertragung so spät in der Schwangerschaft ist selbst für Galaktiker heikel. Ich gebe zu, ich wünsche mir, es wäre genug Zeit, um einen erfahreneren Chirurgen einfliegen zu lassen. Aber die Zeit haben wir nicht.«

»Ja … ja … es kann noch sterben, du hast recht. Keine Notwendigkeit zu … aber ich fürchte auch um dich, Mädchen. Ist es das wert?«

Was war was wert? Wie konnte sie das wissen? Ihre Lungen brannten. Sie lächelte ihm erschöpft zu und schüttelte den Kopf, der ihr mit engem Druck in den Schläfen und im Hals schmerzte.

»Vater«, kam eine krächzende Stimme von der Tür. Aral lehnte dort, in einem grünen Pyjama und mit einem tragbaren Oxygenerator, der an seiner Nase angeschlossen war. Wie lange war er dort gestanden? »Ich glaube, Cordelia braucht Ruhe.«

Ihre Blicke trafen sich, über Piotr. Alles Gute, Liebster …

»Ja, natürlich.« Graf Piotr raffte sich zusammen und erhob sich mit knirschenden Gelenken. »Es tut mir leid, du hast völlig recht.« Er drückte Cordelias Hand noch einmal mit seinem trokkenen Altmännergriff. »Schlafe. Du wirst später klarer denken können.«

»Vater!«

»Du solltest dich doch nicht außerhalb des Bettes aufhalten, nicht wahr?«, sagte Piotr abgelenkt. »Geh zurück und leg dich hin, Junge …« Seine Stimme entfernte sich im Korridor.

Aral kam später zurück, als Graf Piotr endgültig gegangen war.

»Hat Vater dich beunruhigt?«, fragte er mit grimmigem Blick. Sie streckte die Hand nach ihm aus, und er setzte sich neben ihr nieder. Sie hob den Kopf vom Kissen und legte ihn in Arals Schoß, mit ihrer Wange auf dem muskulösen Bein unter dem dünnen Pyjama, und Aral streichelte ihr Haar.

»Nicht mehr als sonst«, seufzte sie.

»Ich befürchtete, daß er dich aufregt.«

»Es ist nicht so, daß ich nicht aufgeregt wäre. Ich bin einfach zu müde, um im Korridor hin- und herzurennen und zu schreien.«

»Aha. Er hat dich also aufgeregt.«

»Ja.« Sie zögerte. »In gewisser Weise hat er recht. Ich hatte so lange Angst und wartete auf den Schlag, von irgendwo her, von nirgendwo her, egal, von wo her. Dann kam die gestrige Nacht, und das Schlimmste war geschehen, vorbei … ausgenommen, daß es noch nicht vorbei ist. Wenn der Schlag vollständiger gewesen wäre, dann könnte ich jetzt aufhören, aufgeben. Aber das wird weiter und immer weiter gehen.« Sie rieb ihre Wange an dem Stoff. »Hat Illyan irgendwas Neues berichtet? Ich dachte, ich hätte seine Stimme dort draußen gehört, vorhin.«

Seine Hand fuhr fort, ihr Haar in einem gleichmäßigen Rhythmus zu streicheln. »Er hat die vorläufige Schnell-PentaVernehmung von Evon Vorhalas abgeschlossen. Er untersucht jetzt das alte Waffenlager, wo Evon das Soltoxin gestohlen hat. Es sieht so aus, als hätte sich Evon nicht so ad hoc auf sich allein gestellt ausrüsten können, wie er behauptet. Ein Waffenmajor, der dort verantwortlich war, ist verschwunden, unerlaubte Entfernung von der Truppe. Illyan ist sich noch nicht sicher, ob der Mann eliminiert wurde, um Evon den Weg freizumachen, oder ob er tatsächlich Evon geholfen hat und dann untergetaucht ist.«

»Vielleicht hat er nur Angst. Falls es ein Pflichtversäumnis war.«

»Er sollte wohl Angst haben. Wenn er diese Sache in irgendeiner Weise bewußt begünstigt hat …« Seine Hand ballte sich in ihrem Haar zusammen, und als er sich dessen bewußt wurde, murmelte er: »Verzeih!« und fuhr fort, sie zu liebkosen. Cordelia, die sich ganz wie ein verletztes Tier fühlte, kroch tiefer in seinen Schoß, ihre Hand auf seinem Knie.

»Was Vater anlangt — wenn er dich wieder aufregt, dann sende ihn zu mir. Du solltest dich nicht mit ihm befassen müssen. Ich habe ihm gesagt, daß es deine Entscheidung war.«

»Meine Entscheidung?« Ihre Hand ruhte bewegungslos. »Nicht unsere Entscheidung?«

Er zögerte. »Was immer du willst, ich unterstütze dich.«

»Aber was willst du? Etwas, das du mir nicht sagst?«

»Ich kann es nicht ändern, ich verstehe seine Ängste. Aber … da gibt es noch etwas, das ich noch nicht mit ihm besprochen habe, und über das ich auch nicht mit ihm sprechen werde. Zum zweiten Kind werden wir vielleicht nicht so leicht kommen wie zum ersten.«

Leicht? Das nennst du leicht?

Er fuhr fort: »Einer der weniger bekannten Nebeneffekte einer Soltoxin-Vergiftung ist eine testikulare Schädigung, im Mikrobereich. Sie könnte die Zeugungsfähigkeit bis zum Punkt Null reduzieren. Warnt mich zumindest der Arzt, der mich untersucht hat.«

»Unsinn«, sagte Cordelia. »Alles, was man braucht, sind irgendwelche zwei Körperzellen und ein Replikator. Wenn nach der nächsten Bombe dein kleiner Finger und meine große Zehe alles sind, was man von uns von der Wand abkratzt, dann könnte man davon bis ins nächste Jahrhundert kleine Vorkosigans reproduzieren. So viele davon, wie die uns Überlebenden meinen, sich leisten zu können.«

»Aber nicht auf natürliche Weise. Nicht ohne Barrayar zu verlassen.«

»Oder Barrayar zu verändern. Verdammt!« Seine Hand zuckte zurück, so bissig war ihr Ton. »Wenn ich nur darauf bestanden hätte, von Anfang an den Replikator zu benutzen, dann wäre das Baby nie dem Risiko ausgesetzt gewesen. Ich wußte, daß es sicherer war, ich wußte, daß es den Replikator gab …« Ihre Stimme versagte.

»Pst, pst. Wenn ich nur … nicht das Amt angenommen hätte. Dich in Vorkosigan Surleau gelassen hätte. Diesen mörderischen Idioten Carl um Gottes willen begnadigt hätte. Wenn wir nur in getrennten Räumen geschlafen hätten …«

»Nein!« Ihre Hand ballte sich auf seinem Knie. »Und ich weigere mich, in den nächsten fünfzehn Jahren in einem Luftschutzbunker zu leben. Aral, dieser Planet muß sich ändern. Das ist unerträglich.«

Wenn ich doch nur nie hierhergekommen wäre.

Wenn doch nur … Wenn doch nur … Wenn doch nur …

Monitore, ein Operationstisch mit einem Auffangbecken darunter, ein Techniker, der einen Tank mit einer sprudelnden klargelben Flüssigkeit überprüfte. Das war nicht, sagte sie sich unnachgiebig, der Punkt ohne Wiederkehr. Das war einfach der nächste logische Schritt.

Hauptmann Vaagen und Dr. Henri standen in sterilisierter Kleidung auf der anderen Seite des Operationstisches und warteten. Neben ihnen befand sich der tragbare Uterusreplikator, ein Kanister aus Metall und Plastik von einem halben Meter Höhe, versehen mit Bedienungsfeldern und Zugangsöffnungen. Die Lichter an seinen Seiten glühten grün und bernsteingelb. Er war gereinigt und sterilisiert worden, seine Nährmittel- und Sauerstofftanks waren aufgeladen und bereit … Cordelia betrachtete den Replikator mit tiefer Erleichterung. Die primitive barrayaranische Art der Schwangerschaft nach dem Motto ›Zurück zu den Affen!‹ war doch nichts anderes als die totale Niederlage der Vernunft im Kampf mit der Emotion. Sie hatte so sehr gewünscht, zu gefallen, sich anzupassen, zu versuchen, barrayaranisch zu werden … Und jetzt bezahlt mein Kind den Preis. Nie wieder!

Dr. Ritter, der Chirurg, war groß und dunkelhaarig, mit olivbrauner Haut und langen, schlanken Händen. Cordelia hatte seine Hände von dem ersten Augenblick an gemocht, als sie sie sah. Sie waren zuverlässig.

Ritter und eine medizinisch-technische Assistentin nahmen über dem Operationtisch ihre Plätze ein und schoben das Schwebebett unter ihr weg, Dr. Ritter lächelte ihr beruhigend zu. »Sie sind in großartiger Verfassung.«

Natürlich bin ich in guter Verfassung, wir haben ja noch nicht mal angefangen, dachte Cordelia gereizt. Dr. Ritter war spürbar nervös, obwohl die Spannung irgendwie an seinen Ellbogen aufhörte. Der Chirurg war ein Freund von Vaagen, den Vaagen zur dieser Aufgabe gedrängt hatte, nachdem sie einen ganzen Tag damit verbracht hatten, eine Liste erfahrener Männer durchzugehen, die es abgelehnt hatten, diesen Fall anzunehmen.

Vaagen hatte es Cordelia erklärt: »Wie bezeichnet man vier riesige Schläger mit Knüppeln in einer dunklen Gasse?«

»Wie denn?«

»Kunstfehlerprozeß eines Vor-Lords.« Er hatte dabei gekichert. Vaagens Humor war ätzend und rabenschwarz. Cordelia hätte ihn dafür umarmen können. Er war der einzige gewesen, der in den letzten drei Tagen in ihrer Gegenwart Witze gemacht hatte, möglicherweise war er der vernünftigste und ehrlichste Mensch, dem sie seit dem Weggang von Kolonie Beta begegnet war. Sie war froh, daß er hier zugegen war.

Man rollte sie auf die Seite und berührte ihr Rückgrat mit dem medizinischen Betäuber. Ein Krabbeln, und ihre kalten Füße fühlten sich plötzlich warm an. Ihre Beine wurden abrupt schlaff, wie Beutel mit Schweineschmalz.

»Können Sie das spüren?«, fragte Dr. Ritter.

»Was spüren?«

»Gut.« Er nickte der Assistentin zu, und sie legten sie wieder in die Ausgangslage. Die Assistentin machte Cordelias Bauch frei und schaltete das Sterilisierfeld ein. Der Chirurg tastete sie ab und überprüfte mit Hilfe der Holovid-Monitore die genaue Lage des Kindes im Mutterleib.

»Sind Sie sicher, daß Sie während der ganzen Sache nicht lieber schlafen möchten?«, fragte Dr. Richter sie zum letztenmal.

»Nein. Ich möchte zusehen. Da wird mein erstes Kind geboren.«

Vielleicht wird mein einziges Kind geboren.

Er lächelte matt: »Tapferes Mädchen.«

Mädchen, zum Teufel, ich bin älter als Sie. Sie spürte, daß Dr. Ritter allerdings lieber unbeobachtet wäre.

Dr. Ritter hielt inne und blickte sich noch einmal in der Runde um, als ob er in Gedanken auf einer Prüfliste seine Geräte und Leute als bereit abhakte. Und seinen Willen und seine Nerven, vermutete Cordelia.

»Los, Ritter, guter Mann, bringen wir’s hinter uns«, sagte Vaagen und klopfte ungeduldig mit seinen Fingern. Sein Ton war eine eigenartige Mischung, ein leichter sarkastischer anstachelnder Klang über der zugrundeliegenden Wärme echter Ermutigung. »Meine Untersuchungen zeigen, daß die Auflösung der Knochen schon im Gange ist. Wenn sie zu weit fortschreitet, dann bleibt mir keine Gewebesubstanz mehr für den Neuaufbau übrig. Schneiden Sie jetzt und kauen Sie an Ihren Nägeln später.«

»Kauen Sie an Ihren eigenen Nägeln, Vaagen«, sagte der Chirurg freundlich. »Stupsen Sie noch einmal meinen Ellbogen, und ich lasse meine Assistentin Ihnen ein Spekulum in den Rachen stecken.«

Sehr alte Freunde, urteilte Cordelia. Aber der Chirurg hob seine Hände, holte Atem und griff nach seinem Vibra-Skalpell und dann schnitt er mit einer perfekt geführten Bewegung ihren Bauch auf. Die Assistentin folgte seiner Bewegung geschmeidig mit dem chirurgischen Handtraktor und klemmte die Blutgefäße ab, es entwich nur sehr wenig Blut. Cordelia fühlte Druck, aber keinen Schmerz. Weitere Schnitte legten ihre Gebärmutter frei.

Eine Plazentaübertragung war weitaus schwieriger als ein ganz normaler Kaiserschnitt. Die empfindliche Plazenta mußte chemisch und hormoneil dazu gebracht werden, sich aus der an Blutgefäßen reichen Gebärmutter zu lösen, ohne daß dabei zu viele ihrer zahlreichen winzigen Zotten beschädigt wurden, dann mußte sie von der Gebärmutterwand in einem laufenden Bad einer stark mit Sauerstoff angereicherten Nährlösung losgeschwemmt werden. Danach mußte der Replikatorschwamm zwischen die Plazenta und die Gebärmutterwand geschoben und die Plazentazotten zumindest teilweise dazu angeregt werden, sich mit ihrer neuen Matrix zu verbinden, bevor das Ganze aus dem lebendigen Körper der Mutter gehoben und in den Replikator gelegt werden konnte. Je weiter fortgeschritten die Schwangerschaft, desto schwieriger die Übertragung.

Die Nabelschnur zwischen Plazenta und Kind wurde überprüft und bei Bedarf wurde zusätzlicher Sauerstoff per Hypospray injiziert. Auf Kolonie Beta machte dies ein raffiniertes kleines Gerät, hier stand ein besorgter Medizintechniker bereit.

Der Techniker begann damit, das klare, hellgelbe Lösungsbad in Cordelias Gebärmutter einfließen zu lassen. Es füllte sie an und lief über, tröpfelte rosa gefärbt an ihren Seiten herab und in das Auffangbecken. Der Chirurg arbeitete nun tatsächlich unter Wasser. Keine Frage, eine Plazentaübertragung war eine glitschige Operation.

»Den Schwamm«, rief der Chirurg sacht, und Vaagen und Henri rollten den Uterusreplikator an ihre Seite und hoben den Matrixschwamm an seinen Versorgungsleitungen heraus. Der Chirurg fummelte endlos mit einem winzigen Handtraktor herum, seine Hände befanden sich außerhalb Cordelias Sichtbereich, als sie über ihre Brust zu ihrem gerundeten — so gerade noch gerundeten — Bauch hinunterschielte. Sie zitterte. Dr. Ritter schwitzte.

»Doktor …« Ein Techniker zeigte auf etwas auf einem VidMonitor.

»Mm«, sagte Ritter, blickte auf und fuhr dann mit dem Herumgefummel fort. Die Techniker murmelten, Vaagen und Henri murmelten, ruhig, professionell, beruhigend … ihr war so kalt …

Die Flüssigkeit, die über den weißen Damm ihrer Haut sickerte, änderte sich abrupt von rosagetönt zu hellrot, plätscherte und floß viel schneller als die zugeführte Nährlösung.

»Das hier abklemmen«, zischte der Chirurg.

Cordelia erhaschte gerade einen flüchtigen Blick von etwas, das unter einer Membran auf den behandschuhten Händen des Chirurgen zappelte, mit winzigen Armen, Beinen und einem nassen dunklen Kopf, nicht größer als ein halbertränktes Kätzchen.

»Vaagen! Nehmen Sie Ihr Ding jetzt, wenn Sie es wollen!« stieß Ritter hervor.

Vaagen tauchte seine behandschuhten Hände in ihren Bauch, als dunkle Wirbel Cordelias Sicht trübten, ihr Kopf schmerzte und barst in plötzlichen, Funken sprühenden Blitzen. Die Schwärze dehnte sich aus, überwältigte sie. Das letzte, was sie hörte, war die verzweifelte zischende Stimme des Chirurgen: »O Scheiße …«

Ihre Träume waren verschwommen vor Schmerz. Das Schlimmste war das Ersticken. Sie würgte und würgte und weinte vor Luftmangel. Ihre Kehle war ganz verstopft, und sie kratzte daran, bis ihre Hände gebunden wurden. Sie träumte dann von Vorrutyers Foltern, die vervielfacht und in wahnsinnige Komplikationen ausgedehnt waren und Stunden um Stunden dauerten. Ein verrückter Bothari kniete auf ihrer Brust, und sie konnte überhaupt keine Luft mehr bekommen.

Als sie endlich mit klarem Kopf aufwachte, war dies wie der Ausbruch aus einer unterirdischen Gefängnishölle in Gottes eigenes Licht. Ihre Erleichterung war so tief, daß sie wieder weinte, ein stummes Wimmern und Feuchtigkeit in ihren Augen. Sie konnte atmen, obwohl es wehtat, sie war wund, fühlte Schmerzen und konnte sich nicht bewegen. Aber sie konnte atmen. Das reichte.

»Pst, pst.« Ein kräftiger warmer Finger berührte ihre Augenlider und wischte die Feuchtigkeit hinweg. »Es ist alles in Ordnung.«

»Isses?« Sie blinzelte und schielte. Es war Nacht, künstliches Licht bildete warme Bereiche in dem Zimmer, Arals Gesicht schwankte über dem ihren.

»Isses … heute abend? Was is’ passiert?«

»Pst. Du bist sehr, sehr krank gewesen. Du hattest eine heftige Blutung während der Plazentaübertragung. Dein Herz blieb zweimal stehen.« Er befeuchtete seine Lippen und redete weiter: »Das Trauma der Vergiftung brach obendrein in eine SoltoxinLugenentzündung aus. Du hattest gestern einen sehr schlechten Tag, aber jetzt bist du über den Berg und nicht mehr am Atemgerät.«

»Wie … lange?«

»Drei Tage.«

»Aha. Das Baby, Aral. Hat’s geklappt? Einzelheiten!«

»Es ging alles gut. Vaagen sagt, daß die Übertragung erfolgreich war.

Etwa dreißig Prozent der Plazentafunktionen gingen verloren, aber Henri hat das mit einem verstärkten Zufluß an angereicherter Oxy-Lösung kompensiert, und alles schein gut zu sein, oder so gut, wie man es erwarten kann. Das Baby lebt auf jeden Fall noch. Vaagen hat seinen ersten Versuch mit der KalziumBehandlung begonnen und verspricht uns einen baldigen grundsätzlichen Bericht.« Er liebkoste ihre Stirn. »Vaagen hat vorrangigen Zugriff auf alle Geräte, alles Material oder alle Techniker, die er in Anspruch nehmen möchte, einschließlich außenstehender Berater. Er hat einen beratenden zivilen Kinderarzt und Henri, Vaagen selbst weiß mehr über unsere militärischen Gifte als jeder andere Mann auf Barrayar und darüber hinaus. Wir können jetzt nicht mehr tun. Also ruh dich aus, meine Liebe.«

»Das Baby — wo?«

»Ah — du kannst sehen, wo, wenn du willst.« Er half ihr, den Kopf zu heben, und zeigte durch das Fenster. »Siehst du das zweite Gebäude, mit den roten Lichtern auf dem Dach? Das ist das biochemische Forschungsinstitut. Vaagens und Henris Labor ist im zweiten Stock.«

»Oh, ich erkenne es jetzt wieder. Ich sah es von der anderen Seite, an dem Tag, als wir Elena holten.«

»Das stimmt.« Sein Gesicht wurde weich. »Es ist gut, dich wiederzuhaben, lieber Captain. Als ich dich so krank sah … ich habe mich nicht mehr so hilflos und nutzlos gefühlt, seit ich elf Jahre alt war.«

Das war das Jahr, als das Todeskommando Yuri des Wahnsinnigen seine Mutter und seinen Bruder ermordete. »Pst«, sagte sie ihrerseits. »Nein, nein … alles in Ordnung jetzt.«

Am nächsten Morgen nahm man alle restlichen Schläuche von ihrem Körper ab, außer dem für Sauerstoff. Tage ruhiger Routine folgten. Ihre Genesung wurde weniger unterbrochen als die Arals. Zu allen Stunden kamen anscheinend Scharen von Männern, um ihn zu besuchen, angeführt von Minister Vortala. Trotz ärztlicher Proteste ließ er sich eine gesicherte Kommunikationskonsole in seinem Zimmer installieren. Koudelka leistete ihm acht Stunden am Tag Gesellschaft in dem provisorischen Büro.

Koudelka erschien sehr still, so deprimiert wie jeder andere in den Nachwehen der Katastrophe. Allerdings nicht so morbid wie die anderen, die mit dem Versagen des Sicherheitsdienstes zu tun hatten. Selbst Illyan wurde kleiner, wenn er sie sah.

Aral führte sie ein paarmal jeden Tag behutsam den Korridor hinauf und hinab. Das Vibra-Skalpell hatte einen saubereren Schnitt durch ihren Unterleib gemacht als etwa ein durchschnittlicher Säbelhieb, aber der Schnitt war nicht weniger tief. Jedoch schmerzte die heilende Narbe weniger als ihre Lungen. Oder ihr Herz. Ihr Bauch war nicht so sehr flach als schlaff, aber zweifellos nicht mehr besetzt. Sie war allein, unbewohnt, sie war wieder sie selbst, nach fünf Monaten dieser seltsamen verdoppelten Existenz.

Dr. Henri kam eines Tages mit einem Schwebestuhl und nahm sie zu einem kurzen Ausflug hinüber in sein Labor, damit sie sehen konnte, wo der Replikator sicher installiert war. Sie beobachtete, wie sich ihr Baby in den Vid-Aufnahmen bewegte und studierte die technischen Datensammlungen und Berichte des Teams. Nerven, Haut und Augen ihres Patienten lieferten ermutigende Testergebnisse, jedoch war sich Henri nicht so sicher über die Ohren, wegen der winzigen Knochen im Ohr. Henri und Vaagen waren richtig ausgebildete Wissenschaftler, fast betanisch in ihrer Einstellung, und sie segnete sie schweigend und dankte ihnen laut, und als sie dann in ihr Zimmer zurückkehrte, fühlte sie sich bedeutend besser.

Als Hauptmann Vaagen am nächsten Nachmittag in ihr Zimmer platzte, sank jedoch ihr Herz. Sein Gesicht war gewittrig dunkel, seine Lippen waren schroff aufeinandergepreßt.

»Was ist los, Hauptmann?«, fragte sie heftig. »Der zweite Versuch mit Kalzium — ist er fehlgeschlagen?«

»Es ist noch zu früh, um das zu sagen. Nein, Ihrem Baby geht es wie immer, Mylady. Unsere Schwierigkeiten betreffen Ihren Schwiegervater.«

»Wie bitte?«

»General Graf Vorkosigan kam heute vormittag uns zu besuchen.«

»Oh! Er kam, um das Baby zu sehen? Oh, das ist gut. Er ist so verwirrt durch all die neue Lebenstechnologie. Vielleicht beginnt er endlich, diese emotionalen Blockierungen abzubauen. Die neuen Todestechnologien akzeptiert er ja auch ziemlich bereitwillig, als der alte Vor-Krieger, der er ist.«

»Ich an Ihrer Stelle würde über ihn nicht zu optimistisch werden, Mylady.« Er holte tief Atem und nahm Zuflucht zu einer formellen Haltung. »Dr. Henri hatte die gleiche Idee wie Sie. Wir führten den General im ganzen Labor umher, zeigten die Ausrüstung, erläuterten unsere therapeutischen Theorien. Wir waren absolut ehrlich, so wie wir es mit Ihnen gewesen sind. Vielleicht zu ehrlich. Er wollte wissen, welche Resultate wir bekommen würden. Zum Teufel, wir wissen es nicht. Und das sagten wir ihm.

Nachdem er ein wenig auf den Busch geklopft hatte, Andeutungen gemacht hatte … nun ja, um es kurz zu machen, zuerst bat der General, dann befahl er, dann versuchte er Dr. Henri zu bestechen, den Absperrhahn zu öffnen. Den Fötus zu vernichten. Die Mutation, wie er sagt. Wir warfen ihn schließlich hinaus. Er schwor, daß er wiederkommen werde.«

Sie zitterte, drunten in ihrem Bauch, obgleich sie ihr Gesicht ausdruckslos hielt. »Ich verstehe.«

»Ich möchte, daß dieser alte Mann aus meinem Labor draußen bleibt, Mylady. Und mir ist es gleich, wie Sie das schaffen. Ich kann es nicht brauchen, daß solcher Mist auf uns herunterkommt. Nicht von so hoch oben.«

»Ich werde mal schauen … warten Sie hier.« Sie wickelte ihren Bademantel enger um ihren eigenen grünen Pyjama, paßte ihren Sauerstoffschlauch fester an und schritt vorsichtig über den Korridor.

Aral, leger in Uniformhosen und ein Hemd gekleidet, saß an einem kleinen Tisch neben seinem Fenster. Das einzige Zeichen seines fortdauernden Patientenstandes war der Sauerstoffschlauch in seiner Nase, Behandlung seiner eigenen abklingenden Soltoxin-Pneumonie. Er konferierte mit einem Mann, während Koudelka Notizen machte. Der Mann war, Gott sei Dank, nicht Piotr, sondern nur einer von Vortalas Ministerialsekretären.

»Aral. Ich brauche dich.«

»Kann es warten?«

»Nein.«

Er stand von seinem Stuhl mit einem kurzen »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren!« auf und folgte ihr über den Korridor.

Cordelia schloß die Tür hinter ihnen.

»Hauptmann Vaagen, bitte erzählen Sie Aral, was Sie gerade mir erzählt haben.«

Vaagen, der um ein Grad nervöser ausschaute, wiederholte seinen Bericht. Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß er die Details nicht abschwächte.

Während Aral zuhörte, schien sich ein Gewicht auf seinen Schultern niederzulassen, er machte sie rund und zog sie hoch.

»Danke sehr, Hauptmann. Es war korrekt von Ihnen, dies zu berichten. Ich werde mich augenblicklich darum kümmern.«

»Ist das alles?« Vaagen blickte Cordelia zweifelnd an.

Sie machte ihm eine Geste mit der offenen Hand. »Sie haben gehört, was er gesagt hat.«

Vaagen zuckte die Achseln, salutierte und verließ den Raum.

»Du zweifelst doch nicht an seiner Geschichte?«, fragte Cordelia.

»Ich habe die Gedanken meines Vaters, des Grafen, über dieses Thema schon eine Woche lang gehört, meine Liebe.«

»Habt ihr euch gestritten?«

»Er hat gestritten. Ich habe nur zugehört.«

Aral kehrte in sein eigenes Zimmer zurück und bat Koudelka und den Sekretär, auf dem Korridor zu warten. Cordelia saß auf seinem Bett und sah zu, wie er die Codes an seiner Kommunikationskonsole eintippte.

»Hier spricht Lord Vorkosigan. Ich möchte simultan mit dem Sicherheitschef im Kaiserlichen Militärkrankenhaus und mit Oberstleutnant Simon Illyan sprechen. Bringen Sie bitte beide auf die Leitung.«

Er mußte kurz warten, bis die beiden Männer ausfindig gemacht waren.

Aus dem verschwommenen Hintergrund auf dem Vid-Monitor zu schließen, war der Mann vom Militärkrankenhaus in seinem Büro irgendwo im Krankenhauskomplex. Illyan wurde in einem forensischen Labor im Hauptquartier des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes aufgespürt.

»Meine Herren!« Arals Gesicht war völlig ausdruckslos. »Ich möchte eine Sicherheitserlaubnis widerrufen.« Beide Männer bereiteten sich aufmerksam vor, sich an ihren jeweiligen Konsolen Notizen zu machen.

»General Graf Piotr Vorkosigan wird der Zutritt zu Gebäude 6, Biochemische Forschung, im Kaiserlichen Militärkrankenhaus bis auf weiteres verweigert. Anweisung von mir persönlich.«

Illyan zögerte. »Sir — General Vorkosigan hat absolute Erlaubnis, auf kaiserlichen Befehl. Und zwar schon seit Jahren. Ich brauche einen kaiserlichen Befehl, um diese Erlaubnis zu widerrufen.«

»Genau darum handelt es sich hier, Illyan.« Eine Spur von Ungeduld klang in Vorkosigans Stimme an. »Auf meinen Befehl, Aral Vorkosigan, Regent Seiner Kaiserlichen Majestät Gregor Vorbarra. Ist das offiziell genug?«

Illyan pfiff leise, aber als Vorkosigan die Stirn runzelte, wurde sein Gesicht ausdruckslos. »Jawohl, Sir. Verstanden. Gibt es noch etwas anderes?«

»Das ist alles. Nur dieses eine Gebäude.«

»Sir …«, sagte der Sicherheitskommandant des Krankenhauses, »was ist, wenn … General Vorkosigan sich weigert, auf Befehl anzuhalten?«

Cordelia konnte es sich gerade vorstellen: ein paar junge Wachen, die geradezu niedergemäht wurden von all der Historie …

»Wenn Ihre Sicherheitsleute wirklich von einem einzigen alten Mann so überwältigt werden, dann können sie Gewalt anwenden bis einschließlich Betäuberschüsse«, sagte Aral müde. »Das war’s. Ich danke Ihnen.«

Der Mann vom Militärhospital nickte vorsichtig und schaltete die Verbindung ab.

Illyan blieb noch einen Augenblick dran, voller Zweifel. »Ist das eine gute Idee, bei seinem Alter? Betäubung kann schlecht für das Herz sein. Und er wird es ganz und gar nicht mögen, wenn wir ihm sagen, daß es da einen Ort gibt, wo er nicht hingehen darf. Übrigens, warum …?« Aral blickte ihn nur kalt an, bis er schluckte: »Jawohl, Sir«, salutierte und abschaltete.

Aral lehnte sich zurück und schaute nachdenklich auf die leere Stelle, wo die Vid-Bilder geleuchtet hatten. Er blickte zu Cordelia auf und seine Lippen verzogen sich in einer Mischung von Ironie und Schmerz. »Er ist ein alter Mann«, sagte er schließlich.

»Der alte Mann hat gerade versucht, deinen Sohn umzubringen. Das, was von deinem Sohn übrig ist.«

»Ich verstehe seine Sichtweise. Ich verstehe seine Ängste.«

»Verstehst du meine auch?«

»Ja, beide.«

»Wenn es hart auf hart kommt — wenn er versucht, wieder dort hinzugehen …«

»Er ist meine Vergangenheit.« Er begegnete ihrem Blick. »Du bist meine Zukunft. Der Rest meines Lebens gehört der Zukunft. Das schwöre ich bei meinem Ehrenwort als Vorkosigan.«

Cordelia seufzte und rieb ihren schmerzenden Hals, ihre schmerzenden Augen.

Koudelka klopfte an der Tür und streckte verstohlen seinen Kopf herein, »Sir? Der Sekretär des Ministers möchte gerne wissen …«

»In einer Minute, Leutnant.« Vorkosigan schickte ihn wieder hinaus.

»Hauen wir doch von hier ab«, sagte Cordelia plötzlich.

»Mylady?«

»Kaiserliches Militärkrankenhaus und Kaiserlicher Sicherheitsdienst und Kaiserliches Dies und Das, ich bekomme bald einen schlimmen Anfall von Kaiserlicher Klaustrophobie. Gehen wir doch ein paar Tage hinaus nach Vorkosigan Surleau. Du selbst wirst dich dort besser erholen, es wird für alle deine eifrigen Chargen«, sie ruckte mit ihrem Kopf in Richtung auf den Korridor, »dort schwieriger sein, an dich heranzukommen. Nur du und ich, mein Freund.« Würde das funktionieren? Angenommen, sie zogen sich in die Szenerie ihres sommerlichen Glücks zurück, und es gab sie nicht mehr? Versunken in den herbstlichen Regenfällen … Sie konnte die Verzweiflung in sich selbst spüren, auf der Suche nach ihrer beider verlorenem Gleichgewicht, nach einer festen Mitte.

Seine Augenbrauen hoben sich zustimmend. »Ausgezeichnete Idee, lieber Captain. Wir nehmen den alten Herrn mit.«

»Oh, müssen wir — ach. Ja, ich verstehe. Völlig. Unbedingt.«

Загрузка...