KAPITEL 13

Nach vier Stunden auf dem nächtlichen Pfad tauchte das unverwechselbare schwarz-weiße Pferd aus der Dunkelheit auf. Kly saß auf ihm wie ein Schatten, aber sein kräftiges Profil und sein zerbeulter Hut waren sofort zu erkennen.

»Bothari!«, schnaufte Kly. »Wir leben, Gott sei Dank!«

Botharis Stimme war ausdruckslos. »Was ist mit Ihnen passiert, Major?«

»Ich bin fast in eines von Vordarians Kommandos gelaufen, an einer Hütte, wo ich Post ablieferte. Sie versuchen wirklich, diese Hügel Haus um Haus abzusuchen. Sie verpassen jedem, den sie treffen, Schnell-Penta. Sie müssen die Droge fässerweise mitschleppen.«

»Wir hatten Sie gestern abend zurückerwartet«, sagte Cordelia. Sie versuchte, nicht zu vorwurfsvoll zu klingen.

Der Filzhut hüpfte, als Kly sie mit einem müden Nicken grüßte. »Wäre auch zurückgewesen, ohne Vordarians verdammtes Kommando. Ich habe es nicht gewagt, mich von ihnen ausfragen zu lassen. Ich habe einen Tag und eine Nacht damit verbracht, ihnen auszuweichen. Ich schickte den Mann meiner Nichte, euch abzuholen. Aber als er an diesem Morgen bei meiner Hütte ankam, da waren schon überall Vordarians Leute da. Ich dachte schon, alles wäre verloren. Aber als sie bei Anbruch der Nacht immer noch da waren, da faßte ich Mut. Sie würden nicht mehr nach euch suchen, wenn sie euch schon hätten. Da dachte ich, ich sollte besser meinen Arsch hochkriegen und selbst nach euch Ausschau halten. Das ist wider alle Hoffnung!«

Kly wendete sein Pferd wieder in die Richtung, aus der er gekommen war. »Hier, Sergeant, setzen Sie den Jungen rauf.«

»Ich kann den Jungen tragen. Ich glaube, Sie sollten lieber Mylady mitreiten lassen. Sie ist schon fast am Ende.«

Das war nur allzu wahr. Cordelia war so erschöpft, daß sie bereitwillig zu Klys Pferd trat. Bothari und Kly hoben sie mit vereinten Kräften hoch auf den warmen Rücken des Schecken. Dann setzten sie sich in Bewegung.

Cordelia hielt sich an der Jacke des Postboten fest.

»Was ist mit euch passiert?«, fragte Kly seinerseits.

Cordelia ließ Bothari antworten, in seinen kurzen Sätzen, die noch kürzer gerieten als gewöhnlich, da er Gregor huckepack auf dem Rücken trug. Als er von den Männern erzählte, die sie durch das Loch im Fels gehört hatten, lachte Kly brüllend los, dann schlug er sich mit der Hand auf den Mund. »Die werden Wochen brauchen, um da wieder rauszukommen. Gute Arbeit, Sergeant!«

»Es war Lady Vorkosigans Idee.«

»So?« Kly wandte sich um und warf einen Blick auf Cordelia, die sich matt an ihn klammerte.

»Aral und Piotr schienen beide zu meinen, Ablenkung sei der Mühe wert«, erklärte Cordelia. »Soviel ich verstanden habe, hat Vordarian nur begrenzte Reserven.«

»Sie denken wie ein Soldat, Mylady«, sagte Kly in einem Ton, der nach Anerkennung klang.

Cordelia runzelte bestürzt die Stirn. Was für ein erschreckendes Kompliment. Das war das letzte, was sie wollte: anfangen wie die Soldaten zu denken und deren Spiel nach deren Regeln zu spielen. Die halluzinatorische Weltsicht der Militärs war allerdings entsetzlich ansteckend, wenn man in sie so eingetaucht war wie jetzt Cordelia. Wie lange kann ich Wasser treten?

Kly führte sie weitere zwei Stunden durch die Nacht, wobei er ungewohnte Pfade einschlug. In der tiefen Dunkelheit vor der Morgendämmerung kamen sie zu einer Hütte oder einem Haus. Es schien ähnlich gebaut wie Klys Heim, aber ausgedehnter, mit angebauten Zimmern und daran wiederum anderen angebauten Räumen. Das Licht einer winzigen Flamme, von einer Art selbstgefertigter Talgkerze, leuchtete in einem der Fenster.

Eine alte Frau in einem Nachtgewand und einer Jacke, ihr graues Haar zu einem Zopf geflochten, kam zur Tür und winkte sie herein. Ein alter Mann — der allerdings jünger war als Kly — nahm das Pferd und führte es zu einem Stall. Kly schickte sich an, mit ihm zu gehen.

»Ist es hier sicher?«, fragte Cordelia benommen. Wo sind wir hier?

Kly hob die Schultern. »Das Haus hier wurde vorgestern durchsucht. Bevor ich nach meinem Schwiegerneffen schickte. Man hat es als sauber abgehakt.«

Die alte Frau schnaubte verächtlich, in ihren Augen standen düstere Erinnerungen.

»Mit den Höhlen und all den noch nicht überprüften Gehöften und dem See, da wird es eine Weile dauern, bis sie wieder hierher kommen, um ein zweites Mal zu prüfen. Sie suchen immer noch auf dem Grund des Sees, wie ich erfahren habe, sie haben alles mögliche Gerät eingeflogen. Hier ist es so sicher wie nur irgendwo.« Kly ging nach seinem Pferd zu schauen.

Das bedeutete, so unsicher wie überall. Bothari zog schon seine Stiefel aus. Seine Füße mußten übel dran sein. Ihre Füße sahen gräßlich aus, ihre Hausschuhe waren zerrissen, und von Gregors Lumpenschuhen war nicht mehr viel übrig. Sie hatte sich noch nie so nahe am Ende aller Kraft gefühlt, müde bis auf die Knochen, todmüde, obwohl sie früher schon viel längere Strecken zu Fuß gewandert war. Es war, als hätte ihre abgebrochene Schwangerschaft das Leben selbst aus ihr herausgesogen, um es an jemanden anderen weiterzugeben. Sie ließ sich ins Haus führen, mit Brot und Käse und Milch abfüttern und dann in einem kleinen Nebenraum zu Bett bringen, auf eine schmale Liege, nachdem sie Gregor auf einer anderen niedergelegt hatten. Sie würde heute Nacht an Sicherheit glauben, so wie die barrayaranischen Kinder an Väterchen Frost beim Winterfest glaubten: es war wahr, weil sie verzweifelt wünschte, es sollte wahr sein.

Am nächsten Tag tauchte ein zerlumpter Junge von etwa zehn Jahren aus den Wäldern auf, der auf Klys Fuchs ohne Sattel ritt, mit einem Seil als Halfter. Kly hieß Cordelia, Gregor und Bothari sich im Verborgenen halten, während er den Jungen mit ein paar Münzen belohnte und Sonia, Klys Nichte, packte ihm ein paar süße Kuchen ein und schickte ihn auf den Heimweg. Gregor spitzte sehnsüchtig an einer Gardine vorbei durchs Fenster, als das Kind wieder verschwand.

»Ich habe nicht gewagt, selber zu gehen«, erklärte Kly Cordelia.

»Vordarian hat jetzt schon drei Züge Soldaten dort oben.« Er stellte sich innerlich etwas vor und brach in prustendes Gekicher aus. »Aber der Junge weiß nichts, außer, daß der alte Postbote krank war und sein Ersatzpferd brauchte.«

»Die haben doch nicht etwa Schnell-Penta bei dem Kind angewendet, oder?«

»O doch.«

»Wie können die es nur wagen!«

Kly preßte seine schwarzgefleckten Lippen zusammen, aus Mitempfinden für ihre Empörung. »Wenn er Gregor nicht zu fassen bekommt, dann ist Vordarians Putsch wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Und das weiß er. Es gibt nur wenig, was er jetzt, bei diesem Stand der Dinge, nicht wagen würde.« Er hielt kurz inne. »Sie können froh sein, daß Schnell-Penta die Folter ersetzt hat, oder?«

Klys Schwiegerneffe half ihm, den Fuchs zu satteln und die Postsäcke festzuschnallen. Der Postbote schob seinen Hut zurecht und stieg auf das Pferd.

»Wenn ich meinen Zeitplan nicht einhalte, dann wird es für den General fast unmöglich sein, Kontakt mit mir aufzunehmen«, erklärte er. »Ich muß los, ich bin schon spät dran. Ich komme wieder zurück. Sie und der Junge sollen drinnen bleiben, außer Sicht, soviel Sie nur können, Mylady.« Er wendete sein Pferd in Richtung auf die Wälder, die ihr Laub schon abgeworfen hatten. Das Tier verschwand schnell im rotbraunen Gebüsch.

Cordelia fand Klys letzten Rat nur allzu leicht zu befolgen. Sie verbrachte den größten Teil der nächsten vier Tage auf ihrem Bett. Wie in einem Nebel vergingen die Stunden in stumpfem Schweigen, es war ein Rückfall in die erschreckende Müdigkeit, die sie nach der Operation zur Plazentaübertragung und deren fast lebensgefährlicher Komplikationen erlebt hatte. Gespräche gaben keine Ablenkung. Die Bergbewohner waren genauso wortkarg wie Bothari. Über ihnen lag die Drohung mit SchnellPenta, dachte Cordelia. Je weniger man wußte, desto weniger konnte man sagen. Die Augen der alten Sonia musterten Cordelia neugierig, aber sie fragte nie mehr als nur: »Haben Sie Hunger?« Cordelia wußte nicht einmal ihren Familiennamen.

Baden. Nach dem ersten Bad verzichtete Cordelia auf weitere. Das alte Ehepaar arbeitete den ganzen Nachmittag hindurch, um genügend Wasser für Cordelia und Gregor zu holen und zu erhitzen. Ihre einfachen Mahlzeiten erforderten fast ebensoviel Anstrengung. Hier oben gab es kein Lasche ziehen, um Inhalt zu erhitzen. Technologie, der beste Freund einer Frau. Hier erschien Technologie nur in der Form eines Nervendisruptors in der Hand eines zielsicheren Soldaten, der einen rücksichtslos jagte wie ein Tier.

Cordelia zählte nach, wieviele Tage seit dem Putsch vergangen waren, seit die ganze Hölle ausgebrochen war. Was geschah in der großen weiten Welt? Welche Reaktionen kamen von den Streitkräften im Weltraum, von den Botschaften anderer Planeten, vom eroberten Komarr? Würde Komarr das Chaos für eine Revolte ausnützen, oder hatte Vordarian die Komarraner auch überrumpelt? Aral, was tust du jetzt dort draußen?

Obwohl Sonia keine Fragen stellte, brachte sie dann und wann von draußen Fetzen lokaler Neuigkeiten mit. Vordarians Truppen, die ihr Hauptquartier in Piotrs Residenz hatten, waren nahe daran, die Suche auf dem Grund des Sees aufzugeben. Hassadar war abgeriegelt, aber immer wieder entkamen Flüchtlinge. Die Kinder von irgend jemand waren herausgeschmuggelt worden und hielten sich jetzt bei Verwandten in der Nähe auf. In Vorkosigan Surleau waren die meisten Familien von Piotrs Gefolgsleuten entkommen, ausgenommen die Frau und die sehr betagte Mutter von Gefolgsmann Vogti, die in einem Bodenwagen weggebracht worden waren, niemand wußte, wohin.

»Und, ach ja, sehr seltsam«, fügte Sonia hinzu, »sie haben Karla Hysopi mitgenommen. Das ergibt keinen Sinn. Sie war nur die Witwe eines ausgeschiedenen Armeesergeanten, was für einen Nutzen versprechen sie sich von ihr?«

Cordelia erstarrte. »Haben Sie auch das Baby mitgenommen?«

»Baby? Donnia hat nichts über ein Baby erzählt. War es ein Enkelkind?«

Bothari saß am Fenster und schärfte sein Messer an Sonias Küchenschleifstein. Er hielt mitten in der Bewegung inne und sah auf.

Seine Augen begegneten Cordelias erschrecktem Blick. Sein Gesichtsausdruck änderte sich fast nicht, nur seine Kinnbacken strafften sich, aber der plötzliche Anstieg der Spannung in seinem Körper ließ Cordelias Magen sich zusammenkrampfen. Er blickte wieder auf das hinab, was er tat und machte dann einen längeren, festeren Zug, der über den Schleifstein zischte wie Wasser auf glühenden Kohlen.

»Vielleicht … weiß Kly etwas mehr, wenn er zurückkommt«, sagte Cordelia mit zitteriger Stimme.

»Vielleicht«, sagte Sonia unsicher. Endlich ritt Kly, seinem Zeitplan entsprechend, am Abend des siebten Tages auf seinem Fuchs auf die Lichtung.

Wenige Minuten später kam hinter ihm Gefolgsmann Esterhazy geritten. Er war in die Kluft eines Bergbewohners gekleidet und ritt auf einem mageren Bergpferd mit dünnen Beinen, nicht auf einem von Piotrs großen, prächtigen Tieren. Sie brachten ihre Pferde weg und kamen dann zu einem Abendessen, das Sonia anscheinend schon seit achtzehn Jahren immer an diesem Abend von Klys Rundritt zubereitete.

Nach dem Essen schoben sie die Stühle an die steinerne Feuerstelle heran und Kly und Esterhazy informierten Cordelia und Bothari mit leisen Worten. Gregor saß zu Cordelias Füßen.

»Da Vordarian sein Suchgebiet sehr ausgeweitet hat«, begann Esterhazy, »haben Graf und Lord Vorkosigan entschieden, daß die Berge immer noch der beste Platz sind, um Gregor zu verstecken. In dem Maß, wie sich der Radius der Suche ausweitet, werden die feindlichen Kräfte durch die Ausdehnung immer dünner und dünner.«

»Hier in der Gegend durchsuchen Vordarians Truppen immer noch die Höhlen nach allen Richtungen«, warf Kly ein. »Es sind immer noch zweihundert Mann dort oben. Aber sobald sie es geschafft haben, einander wiederzufinden, werden sie meiner Einschätzung nach dort oben abziehen.

Wie ich erfahren habe, haben sie es aufgegeben, Sie dort drinnen zu finden, Mylady. Morgen, Majestät«, Kly blickte zu Gregor hinab und sprach ihn direkt an, »wird Gefolgsmann Esterhazy Sie an einen neuen Ort bringen, der ganz wie dieser hier aussieht. Sie werden für eine Weile einen neuen Namen haben, zum Schutz. Und Gefolgsmann Esterhazy wird so tun, als sei er Ihr Vater. Glauben Sie, daß Sie das mitmachen können?«

Gregors Hand griff nach Cordelias Rock. »Wird Lady Vorkosigan so tun, als sei sie meine Mama?«

»Wir werden Lady Vorkosigan wieder zu Lord Vorkosigan bringen, zum Raumhafen Basis Tanery.« Auf Gregors erschreckten Blick fügte Kly hinzu: »Dort, wo Sie hingehen, gibt es ein Pony. Und Ziegen. Die Dame dort kann Ihnen beibringen, wie man die Ziegen melkt.«

Gregor schaute unsicher drein, aber er machte keine weiteren Schwierigkeiten, allerdings schien er am nächsten Morgen, als er hinter Esterhazy auf das struppige Pferd gesetzt wurde, den Tränen sehr nahe zu sein.

Cordelia sagte besorgt: »Passen Sie gut auf ihn auf, Gefolgsmann!«

Esterhazy blickte sie eindringlich an. »Er ist mein Kaiser, Mylady. Ich bin durch meinen Eid an ihn gebunden.«

»Er ist auch ein kleiner Junge, Gefolgsmann. Kaiser — das ist ein Wahn, den ihr alle in euren Köpfen habt. Passen Sie für Piotr auf den Kaiser auf, ja, aber passen Sie für mich auf diesen Jungen auf, einverstanden?«

Esterhazy begegnete ihrem Blick. Seine Stimme wurde weicher. »Mein kleiner Sohn ist vier Jahre alt, Mylady.«

Er hatte also verstanden. Cordelia schluckte erleichtert und bekümmert zugleich. »Haben Sie … irgend etwas aus der Hauptstadt gehört? Über Ihre Familie?«

»Noch nicht«, sagte Esterhazy düster.

»Ich werde meine Ohren offenhalten. Ich tue, was ich kann.«

»Ich danke Ihnen.« Er nickte ihr zu, nicht wie ein Gefolgsmann seiner Herrin, sondern wie ein Vater einer anderen Mutter. Kein weiteres Wort schien notwendig.

Bothari war außer Hörweite, er war in die Hütte zurückgegangen, um ihre wenigen Sachen zusammenzupacken. Cordelia trat an Klys Steigbügel heran, als Kly gerade ansetzte, sein schwarzweißes Pferd zu wenden und Esterhazy und Gregor auf ihrem Weg voranzureiten. »Major, Sonia hat ein Gerücht mitgebracht, daß Vordarians Truppen Frau Hysopi mitgenommen haben. Bothari hatte sie dafür engagiert, seine kleine Tochter großzuziehen. Wissen Sie, ob sie auch Elena, das Baby, mitgenommen haben?«

Kly sagte leise: »Es war anders herum, soweit ich weiß. Sie kamen wegen dem Baby, Karla Hysopi schlug einen Mordskrach, also nahmen sie sie auch mit, obwohl sie nicht auf der Liste stand.«

»Wissen Sie, wohin?«

Er schüttelte den Kopf. »Irgendwohin in Vorbarr Sultana. Vielleicht weiß der Nachrichtendienst Ihres Mannes jetzt schon genaueres.«

»Haben Sie das schon dem Sergeanten gesagt?«

»Sein Kamerad hat es ihm gestern abend gesagt.«

»Aha.«

Als sie fortritten, blickte Gregor über seine Schulter zu ihr zurück, bis sie hinter den Baumstämmen verschwunden waren.

Drei Tage lang führte Klys Neffe sie durch die Berge, Bothari ging zu Fuß und führte Cordelia auf einem kleinen, knochigen Pferd aus den Bergen, dem man ein Schaffell auf den Rücken gegurtet hatte. Am dritten Nachmittag kamen sie zu einer Hütte, in der ein magerer Bursche hauste, der sie zu einem Schuppen führte, wo — Wunder über Wunder! — ein klappriger Leichtflieger versteckt war. Er lud Cordelia und sechs Krüge mit Ahornsirup auf den Rücksitz. Bothari schüttelte schweigend die Hand von Klys Neffen, der stieg dann auf das kleine Pferd und verschwand in die Wälder.

Unter Botharis aufmerksamem Blick brachte der magere Bursche sein Vehikel in die Luft. Sie streiften Baumwipfel und folgten den Schluchten und Bergkämmen hinauf über das schneebedeckte Rückgrat der Berge und dann auf der anderen Seite hinab, hinaus aus Vorkosigans Distrikt.

Um die Abenddämmerung kamen sie zu einem kleinen Marktflecken. Der junge Mann landete seinen Flieger in einer Seitenstraße. Cordelia und Bothari halfen ihm, sein gluckerndes Erzeugnis zu einem kleinen Lebensmittelladen zu bringen, wo er den Sirup gegen Kaffee, Mehl, Seife und Stromzellen eintauschte.

Als sie zu seinem Leichtflieger zurückkehrten, fanden sie einen zerbeulten Lastwagen, der neben dem Flieger geparkt war. Der junge Mann wechselte mit dem Fahrer nur ein Kopfnicken, worauf der aus dem Fahrzeug sprang und die Tür zum Frachtraum für Bothari und Cordelia aufzog. Der Frachtraum war zu einem Viertel mit Stoffsäcken voll Kohl gefüllt. Die Säcke bildeten keine guten Kissen, obwohl Bothari sein Bestes tat, um aus ihnen für Cordelia ein Nest herzurichten, während der Lastwagen auf den schrecklich holperigen Straßen entlangrumpelte. Bothari saß dann gegen die Seite des Frachtraumes gestemmt und wetzte wie unter Zwang die Schneide seines Messers an einem selbstgemachten Streichriemen, einem Stück Leder, das er sich von Sonia erbeten hatte. Das dauerte vier Stunden, und Cordelia war schon nahe daran, mit den Kohlköpfen zu reden.

Endlich kam der Lastwagen zum Stehen. Die Tür wurde aufgeschoben, zuerst stieg Bothari aus, dann Cordelia, und sie fanden sich mitten im Nirgendwo: auf einer Schotterpiste, die einen Bach überquerte, im Dunkeln, auf dem Land, in einem fremden Distrikt von unbekannter Loyalität.

»Man wird sie bei Kilometerstein 96 aufnehmen«, sagte der Lastwagenfahrer und deutete auf einen weißen Flecken in der Dunkelheit, der nur ein bemalter Felsblock zu sein schien.

»Wann?«, fragte Cordelia verzweifelt. Und übrigens, wer war man?

»Weiß nicht.« Der Mann kehrte zu seinem Lastwagen zurück und fuhr los, als würde er schon verfolgt, wobei der Schotter nach allen Seiten spritzte.

Cordelia hockte sich auf den bemalten Felsblock und fragte sich gequält, welche Seite zuerst aus der Nacht heraus auf sie zu springen würde und mit welcher Methode sie sie auseinanderhalten könnte. Die Zeit verging, und sie steigerte sich in die noch bedrückendere Vorstellung, daß überhaupt niemand sie auflesen würde.

Aber schließlich schwebte ein verdunkelter Leichtflieger aus dem Nachthimmel herab, seine Motoren waren auf unheimliche Weise fast lautlos. Er landete knirschend auf dem Schotter. Bothari kauerte neben ihr, das nutzlose Messer fest in der Hand. Aber der Mann, der sich linkisch aus dem Passagiersitz hob, war Leutnant Koudelka. »Mylady?«, rief er unsicher den beiden menschlichen Vogelscheuchen zu. »Sergeant?«

Cordelia atmete erleichtert auf, als sie in dem blonden Piloten Droushnakovi erkannte. Meine Heimat ist nicht ein Ort, Sir, es sind Menschen …

Mit Botharis Hand an ihrem Ellbogen ließ sich Cordelia auf Koudelkas besorgte Geste hin dankbar auf den gepolsterten Rücksitz des Fliegers fallen. Droushnakovi warf einen düsteren Blick über ihre Schulter auf Bothari, zog ihre Nase kraus und fragte: »Geht es Ihnen gut, Mylady?«

»Besser als ich erwartet hatte, wirklich. Los, los!«

Das Verdeck wurde geschlossen und sie stiegen in die Luft empor Die Ventilatoren begannen zu rotieren und sorgten für gefilterte Luft. Farbige Lichter vom Armaturenbrett beleuchteten die Gesichter von Kou und Drou. Eine Schutzhülle aus Technologie. Cordelia blickte über Droushnakovis Schulter auf die Systemanzeigen und dann nach oben durch das Verdeck: ja, dunkle Umrisse folgten ihnen, schützende Armeeflieger. Bothari sah sie auch, und seine Augen verengten sich anerkennend. Ein Teil der Spannung wich aus seinem Körper.

»Es ist gut, Sie zu sehen …«, irgendein subtiles Signal der Körpersprache der beiden, eine verborgene Reserve, hielt Cordelia davon ab, hinzuzufügen: wieder zusammen. »Ich nehme an, die Beschuldigung über die Sabotage an der Kommunikationskonsole wurde richtig klargestellt?«

»Sobald wir die Gelegenheit hatten, anzuhalten und diesen Wachkorporal mit Schnell-Penta zu behandeln, Mylady«, antwortete Droushnakovi. »Er hatte nicht den Mumm, vor der Befragung Selbstmord zu begehen.«

»War er der Saboteur?«

»Ja«, antwortete Koudelka. »Er hatte beabsichtigt, zu Vordarians Truppen zu entkommen, wenn sie einträfen, um uns zu schnappen. Vordarian hat ihn anscheinend schon Monate vorher angestiftet.«

»Das erklärt unsere Sicherheitsprobleme, nicht wahr?«

»Er gab Informationen über unsere Route weiter, an dem Tag des Attentats mit der Schallgranate.« Koudelka rieb sich an seinen Schläfen bei dieser Erinnerung.

»Also stand Vordarian dahinter!«

»Ja, das wurde bestätigt. Aber dieser Wächter scheint nichts über das Soltoxin gewußt zu haben. Wir haben ihn auf Herz und Nieren untersucht. Er war kein Verschwörer auf hoher Ebene, nur ein Werkzeug.«

Schlimme Gedanken kamen ihr, aber: »Hat sich Illyan schon gemeldet?«

»Noch nicht. Admiral Vorkosigan hofft, daß er sich in der Hauptstadt verbirgt, wenn er nicht bei den ersten Kämpfen getötet wurde.«

»Hm. Nun gut, es wird Sie sicher freuen zu hören, daß es Gregor gut geht …«

Koudelka unterbrach sie mit erhobener Hand: »Verzeihen Sie mir, Mylady. Der Admiral hat befohlen — Sie und der Sergeant sollen niemandem Informationen über Gregor geben außer dem Grafen und ihm selbst.«

»In Ordnung. Verdammtes Schnell-Penta. Wie geht es Aral?«

»Es geht ihm gut, Mylady. Er hat mir befohlen, Sie auf den neuesten Stand über die strategische Lage zu bringen …«

Zum Teufel mit der strategischen Lage, wie geht es meinem Baby? Leider schienen beide unauflösbar miteinander verwikkelt.

»… und alle Fragen zu beantworten, die Sie haben.«

Sehr gut. »Wie geht es unserem Baby? Pi… Miles?«

»Wir haben nichts Schlimmes gehört, Mylady.«

»Was bedeutet das?«

»Es bedeutet, daß wir nichts gehört haben«, warf Droushnakovi bedrückt ein.

Koudelka warf ihr einen zornigen Blick zu, den sie mit einem Achselzucken überging. »Keine Nachrichten, das kann gute Nachrichten bedeuten«, fuhr Koudelka fort. »Während es stimmt, daß Vordarian die Hauptstadt besetzt hält …«

»Und deshalb auch das Militärkrankenhaus, ja«, sagte Cordelia.

»Und er Namen von Geiseln veröffentlicht, die mit irgend jemandem in unserer Kommandostruktur verwandt sind, wurde Ihr … Ihr Kind in den Listen nicht erwähnt. Der Admiral meint, daß Vordarian einfach nicht erkennt, daß das, was in den Replikator übertragen wurde, lebensfähig ist. Er weiß nicht, was er hat.«

»Noch nicht«, fiel Cordelia ein.

»Noch nicht«, gestand Koudelka widerstrebend ein.

»Also gut. Fahren Sie fort.«

»Die Gesamtsituation ist nicht so schlecht, wie wir zuerst befürchtet hatten. Vordarian hält Vorbarr Sultana, seinen eigenen Distrikt und dessen Militärstützpunkte, und er hat Truppen in Vorkosigans Distrikt geschickt, aber er hat nur etwa fünf Distriktsgrafen als ergebene Verbündete.

Etwa dreißig der anderen Grafen wurden in der Hauptstadt gefangen, und wir können über ihre tatsächliche Loyalität nichts sagen, solange Vordarian Pistolen an ihre Köpfe hält. Die meisten der dreiundzwanzig übrigen Distrikte haben ihre Eide gegenüber dem Lordregenten wiederholt. Ein paar schwafeln allerdings herum, weil sie Verwandte in der Hauptstadt haben oder in prekären strategischen Positionen sind mit ihren Distrikten als potentiellen Kampfschauplätzen.«

»Und die Streitkräfte im Weltraum?«

»Ja, zu denen wollte ich gerade kommen, Mylady. Über die Hälfte ihres Nachschubs kommt aus den Shuttlehafen in Vordarians Distrikt hoch. Im Augenblick warten sie eher noch auf ein klares Ergebnis, anstatt sich einzumischen und es herbeizuführen. Aber sie haben es abgelehnt, sich offen Vordarian anzuschließen. Es herrscht ein Gleichgewicht, und wer immer es als erster zu seinen Gunsten verschieben kann, wird einen Erdrutsch auslösen. Admiral Vorkosigan ist schrecklich zuversichtlich.«

Cordelia konnte nicht sicher aus dem Ton des Leutnants schließen, ob er überhaupt diese Zuversicht teilte. »Aber er muß ja. Wegen der Moral. Er sagt, Vordarian habe den Krieg in der Stunde verloren, als Negri mit Gregor entkam, und der Rest ist nur Herummanövrieren, um die Verluste zu begrenzen. Aber Vordarian hält Prinzessin Kareen in seiner Gewalt.«

»Zweifellos einer der Verluste, den Aral begrenzen möchte. Geht es ihr gut? Haben Vordarians Schläger sie nicht mißhandelt?«

»Soweit wir wissen, nicht. Sie scheint in ihren eigenen Gemächern in der Kaiserlichen Residenz unter Hausarrest zu stehen. Etliche der wichtigeren Geiseln sind dort eingeschlossen.«

»Ich verstehe.« Sie blickte in der dunklen Kabine zur Seite, auf Bothari, dessen Gesichtsausdruck sich nicht veränderte. Sie wartete darauf, daß er nach Elena fragte, aber er sagte nichts. Droushnakovi blickte düster in die Nacht, seit Kareen erwähnt worden war.

Hatten sich Kou und Drou versöhnt? Sie erschienen kühl, höflich, ganz dienstlich und im Dienst. Aber welche Entschuldigungen auch immer an der Oberfläche ausgetauscht worden sein mochten, Cordelia spürte keine Versöhnung bei ihnen. Die geheime Verehrung und der Wunsch nach Vertrauen waren ganz aus den blauen Augen verschwunden, die ab und zu vom Armaturenbrett zu dem Mann auf dem Passagiersitz aufblickten.

Drous Blicke waren lediglich wachsam.

Lichter glühten voraus auf der Erde, das Lichtergesprenkel einer Stadt mittlerer Größe, und jenseits davon die wirre Geometrie eines ausgedehnten militärischen Raumfährenhafens. Drou absolvierte Code-Prüfung um Code-Prüfung, während sie näher kamen. Sie gingen in einer Spirale auf einen Landeplatz herunter, der für sie erleuchtet und von bewaffneten Wachen umgeben war. Ihre Begleitflieger flogen über ihnen weiter zu ihren eigenen Landezonen.

Die Wachen umringten sie, als sie den Flieger verließen, und eskortierten sie so schnell, wie Koudelkas Schritt es erlaubte, zu einer Liftröhre. Sie fuhren abwärts, nahmen einen Rollsteig und gingen durch Düsentüren wieder hinab. Basis Tanery besaß offensichtlich eine bestens abgesicherte unterirdische Kommandozentrale. Willkommen im Bunker! Und doch wurde Cordelia einen schrecklichen Moment der Verwirrung und des Verlustes lang von einem würgenden Gefühl der Vertrautheit geschüttelt.

Auf Kolonie Beta hatte man mehr Sinn für Innenarchitektur, als sich an diesen kahlen Korridoren hier zeigte, aber ihr war, als wäre sie jetzt auf die Versorgungsebene einer unterirdischen betanischen Stadt hinabgestiegen, wo es sicher und kühl war … Ich möchte nach Hause.

In einem Korridor unterhielten sich drei Offiziere in grünen Uniformen. Einer von ihnen war Aral. Er sah sie. »Danke, meine Herren, Sie sind entlassen«, sagte er mitten in den Satz eines seiner Gesprächspartner, dann bewußter: »Wir werden in Kürze darüber weitersprechen.« Aber die anderen blieben, um zu gukken.

Er schien nur müde zu sein, sonst sah er gut aus. Ihr tat es ums Herz weh, als sie ihn anschaute, und dennoch … Dir zu folgen hat mich hierher gebracht. Nicht auf das Barrayar meiner Hoffnungen, sondern auf das Barrayar meiner Ängste.

Mit einem stimmlosen »Ha!« umarmte er sie und zog sie fest an sich. Sie erwiderte seine Umarmung. Das tut gut. Geh weg, Welt! Aber als sie aufblickte, wartete die Welt immer noch, in der Gestalt von sieben Beobachtern, die alle dienstliche Anliegen hatten.

Er hielt sie etwas von sich weg und musterte sie besorgt von oben bis unten. »Du siehst schrecklich aus, lieber Captain.«

Wenigstens war er höflich genug, nicht zu sagen: Du riechst schrecklich.

»Nichts, das nicht ein Bad beheben könnte.«

»Das ist es nicht, was ich gemeint habe. Du mußt zu allererst auf die Krankenstation.« Er wandte sich um und sah Sergeant Bothari ihm am nächsten stehen.

»Sir, ich muß mich beim Herrn Grafen melden«, sagte Bothari.

»Mein Vater ist nicht hier. Er ist in meinem Auftrag auf einer diplomatischen Mission bei einigen seiner alten Freunde. Hier, Sie, Kou — nehmen Sie Bothari und versorgen Sie ihn mit Quartier, Essensgutscheinen, Ausweisen und Kleidern. Ich erwarte Ihren persönlichen Bericht sofort, wenn ich mich um Cordelia gekümmert habe, Sergeant.«

»Jawohl, Sir.« Koudelka ging mit Bothari weg.

»Bothari war erstaunlich«, vertraute Cordelia Aral an. »Nein — das ist ungerecht. Bothari war Bothari, und ich sollte überhaupt nicht erstaunt sein. Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft.«

Aral nickte und lächelte leicht: »Ich dachte, er würde zu dir passen.«

»Das tat er wirklich.«

Droushnakovi, die ihren alten Platz neben Cordelia in dem Moment wieder einnahm, wo Bothari ihn verließ, schüttelte zweifelnd den Kopf und folgte, als Aral Cordelia den Korridor hinabführte. Die anderen gingen etwas unsicher hinterher.

»Habt ihr schon mehr über Illyan gehört?«, fragte Cordelia.

»Noch nicht. Hat Kou dich informiert?«

»In groben Zügen, ausreichend für den Augenblick. Ich nehme an, ihr habt auch nicht mehr über Padma und Alys Vorpatril erfahren?«

Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber sie sind auch nicht auf der Liste von Vordarians bestätigten Gefangenen. Ich glaube, sie verstecken sich in der Stadt. Vordarians Seite läßt Informationen durchsickern wie ein Sieb: wir würden es wissen, wenn eine Verhaftung von solcher Bedeutung stattgefunden hätte. Ich kann mich nur fragen, ob unsere eigenen Einrichtungen auch so durchlässig sind. Das ist der Ärger mit diesen verdammten zivilen Raufhändeln, jedermann hat einen Bruder …«

Eine Stimme vom Ende des Korridors meldete sich laut: »Sir! O Sir!« Nur Cordelia fühlte, wie Aral zusammenzuckte, sein Arm machte einen Ruck unter ihrer Hand.

Ein Stabsangehöriger führte einen großen Mann in schwarzer Felduniform mit den Abzeichen eines Obersten am Kragen auf sie zu. »Hier sind Sie ja, Sir. Oberst Gerould ist hier aus Marigrad.«

»Oh, gut. Ich muß mich jetzt mit diesem Mann befassen …« Aral blickte schnell umher und sein Blick fiel auf Droushnakovi. »Drou, bitte bringen Sie statt meiner Cordelia zur Krankenstation. Sorgen Sie dafür, daß sie untersucht wird, sorgen Sie — sorgen Sie dafür, daß sie alles bekommt, was sie braucht.«

Der Oberst war kein Schreibtischpilot vom Hauptquartier. Er sah aus, als sei er tatsächlich soeben von irgendeiner Front eingeflogen, wo immer auch die Front in diesem Kampf um Loyalität war. Seine Kampfuniform war schmutzig und zerknittert und sah aus, als habe er darin geschlafen, ihr Gestank nach Rauch war stärker als Cordelias Gerüche aus den Bergen. Sein Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Aber er sah nur grimmig aus, nicht geschlagen. »Der Kampf in Marigrad wurde von Haus zu Haus geführt, Admiral«, berichtete er ohne lange Einleitung.

Vorkosigan verzog das Gesicht. »Dann möchte ich nichts davon hören. Kommen Sie mit mir ins Taktikzentrum — was ist das da an Ihrem Arm, Oberst?«

Ein breites Stück aus weißem Tuch und ein schmalerer Streifen Braun umgaben den linken oberen schwarzen Ärmel des Offiziers.

»Identifikation, Sir. Wir konnten nicht unterscheiden, auf wen wir im Nahkampf schossen. Vordarians Leute tragen Rot und Gelb, das ist vermutlich das ähnlichste, was sie für Kastanienbraun und Gold haben. Und das hier soll natürlich Braun und Silber für Vorkosigan sein.«

»Das ist es, was ich befürchtet habe.« Vorkosigan blickte äußerst streng drein. »Nehmen Sie es ab! Verbrennen Sie es! Und sagen Sie das auch allen Ihren Untergebenen. Sie haben schon eine Uniform, Oberst, die Ihnen vom Kaiser gegeben wurde. Dafür kämpfen Sie. Lassen Sie die Verräter ihre Uniformen ändern.«

Der Oberst war erschrocken über Vorkosigans Vehemenz, aber einen Herzschlag später hatte er es begriffen: er riß den Stoff hastig von seinem Arm und steckte ihn in die Tasche. »Ganz recht, Sir.«

Es fiel Aral spürbar schwer, Cordelias Hand loszulassen. »Ich besuche dich in deinem Quartier, Liebste. Später.«

Später in dieser Woche, wenn dies so weiterging. Cordelia schüttelte hilflos den Kopf, nahm seine stämmige Gestalt in einem letzten Blick in sich auf, als könnte sie mit ihrer Intensität ihn irgendwie digitalisieren und für erneute Projektion abspeichern, dann folgte sie Droushnakovi in das unterirdische Labyrinth von Basis Tanery. Wenigstens bei Drou konnte Cordelia Vorkosigans Durchlaufplan beiseiteschieben und zuerst auf einem Bad bestehen. Fast ebenso gut war, daß sie in einem Schrank in Arals Unterkunft ein halbes Dutzend neuer Kleidungsstücke in ihrer korrekten Größe fand, die etwas von Drous im Palast trainiertem guten Geschmack verrieten.

Der Standortarzt hatte keine Krankenkarte: Cordelias medizinische Unterlagen waren gegenwärtig natürlich alle hinter den feindlichen Linien in Vorbarr Sultana. Er schüttelte den Kopf und begann, die Daten für ein neues Formular an seinem Berichtsterminal einzutippen. »Es tut mir leid, Lady Vorkosigan. Wir müssen einfach am Punkt Null beginnen. Bitte haben Sie Nachsicht mit mir. Habe ich richtig verstanden, daß Sie ein Frauenleiden hatten?«

Nein, die meisten meiner Leiden kamen von Männern. Cordelia biß sich auf die Zunge. »Ich hatte eine Plazentaübertragung, lassen Sie mich mal überlegen, drei plus«, sie mußte es an ihren Fingern abzählen, »vor ungefähr fünf Wochen.«

»Verzeihen Sie, was hatten Sie?«

»Ich hatte eine Entbindung durch Kaiserschnitt. Es ging nicht sonderlich gut.«

»Ich verstehe. Fünf Wochen post partum.« Er machte sich eine Notiz.

»Und was sind Ihre gegenwärtigen Beschwerden?«

Ich mag Barrayar nicht. Ich möchte nach Hause, mein Schwiegervater will mein Baby umbringen, die Hälfte meiner Freunde rennen um ihr Leben, und ich kann keine zehn Minuten mit meinem Mann allein sein, den ihr vor meinen Augen aufbraucht, meine Füße tun weh, mein Kopf tut weh, meine Seele tut weh … es war alles zu kompliziert. Der arme Mann vor ihr wollte nur irgend etwas haben, das er in sein Formular eintragen konnte, er wollte keinen Aufsatz. »Erschöpfung«, brachte Cordelia schließlich heraus.

»Aha.« Sein Gesicht erhellte sich und er gab diese Aussage an seinem Gerät ein. »Erschöpfung post partum. Das ist normal.« Er blickte auf und sah sie ernsthaft an: »Haben Sie schon daran gedacht, mit einem Gymnastikprogramm zu beginnen, Lady Vorkosigan?«

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