PROLOG

Niemand hatte je ernsthaft die Frage gestellt, wozu sie eigentlich hier waren, und niemand hätte diese Frage ernsthaft beantworten können. Sie hatten dieses kleine Stück Dschungel zu bewachen – das wurde von ihnen erwartet. Es wurde nicht von ihnen erwartet, Fragen zu stellen.

Der Fremdenlegionär lehnte an einem der modrigen Pfosten des Holzgerüstes, das, nur mit einem Stück rostigen Wellblechs gedeckt, als Unterstand diente, und rauchte eine schlecht gedrehte Zigarette aus schlechtem guayanischem Tabak. Seine Kameraden nannten ihn Jean, aber das war natürlich nicht sein richtiger Name. Er warf einen abfälligen Blick auf den anderen Soldaten, der mit halb offenem Mund in einer der Hängematten lag und schnarchte. Zuviel Schnaps, zu lange bei den Mädchen herumgehangen auf dem Strich von Alt-Kourou. Und so verpaßte er den frühen Morgen, die beste Zeit des Tages. Die Luft war kühl und angenehm, das Licht klar und von einer geradezu tröstlichen Reinheit. Später am Tag, wenn die unerträgliche äquatoriale Hitze wieder auf allem lastete und man vor Insekten fast wahnsinnig wurde, würde er an diese Stunde zurückdenken und alles besser ertragen. Auch die stumpfsinnige Langeweile des Wartens auf den nächsten Raketenstart, irgendwann.

Über den buschigen Wipfeln der Urwaldbäume, von denen die Feuchtigkeit der Nacht empordampfte, erhob sich die kolossale Raketenabschußrampe wie der mißglückte Turm einer modernen Kirche. Vom Meer her wehte eine frische, salzig riechende Brise.

Sie brachte ein Geräusch mit sich, das fremd durch das morgendliche Zirpen der Zikaden und das Zetern aufgeregter fremder Dschungelvögel drang. Der Fremdenlegionär, der sich Jean nannte, horchte auf. Er überlegte eine Weile, aber das Geräusch wollte sich nicht einordnen lassen. Er knurrte unwillig, warf die Zigarette weg und griff nach seiner Maschinenpistole. Wahrscheinlich wieder ein paar Kreolen, die nicht kapieren wollten, daß sie an diesem Teil des Strandes nichts zu suchen hatten. Er mußte sie vertreiben, denn weiter hinten bei der alten Generatorstation schob André Wache, und das war ein scharfer Bursche. Wenn der sie erwischte, würde es Ärger geben.

Er verzichtete darauf, seinen Kameraden zu wecken. Der würde ohnehin keine große Hilfe sein, in seinem Zustand. Und es sollte nicht allzu lange dauern, bis er zurück war.

Er folgte einem schmalen Trampelpfad durch das Unterholz. Unter seinen derben Kampfstiefeln brachen trockene Zweige, und allerlei krabbeliges Kleingetier wuselte davon. Es war noch nicht hell genug, um Einzelheiten zu erkennen, und er legte auch keinen besonderen Wert darauf.

Da war es wieder, das Geräusch. Jean blieb stehen und lauschte. Ein eigenartiges, schabendes Geräusch, und Schritte auf Sand.

Manchmal nahmen einige der Soldaten, die keine Wache hatten, Mädchen mit zum Strand. Aber in der Regel waren sie alle am Morgen wieder fort. Jean schob unwillkürlich den rechten Zeigefinger unter den Abzugbügel seiner Waffe, während er sich mit der linken Hand den Weg bahnte.

Dann stand er am Strand, und sein Blick saugte sich sofort an den großen schwarzen Schlauchbooten fest, die an der Küste gelandet waren, und an den schwarzgekleideten Männern, die ihnen entstiegen. Sie trugen Waffen und schleppten Kisten, die wie Munitionskisten aussahen. Und draußen auf dem Meer ragte der schwarze Turm eines Unterseebootes aus den träge glitzernden Wellen…

Ein Überfall. Er mußte Alarm schlagen, sofort. Jean drehte sich um.

Doch da stand ein schwarzgekleideter Mann auf dem Pfad, den er gekommen war, das Gesicht vermummt, und Jean sah nur seine Augen, stahlharte, erbarmungslose Augen. Noch ehe der Fremdenlegionär eine Bewegung machen konnte, wirbelte eine gleißende Klinge in der Hand des anderen. Ein greller, betäubender Schmerz durchbohrte die Kehle des Mannes, den seine Kameraden Jean genannt harten, ein unglaublicher Schmerz, ein Schmerz wie das Aufflammen eines Blitzlichts. Jean sah an sich herab, an seiner zerknautschten, khakifarbenen Uniform, doch da war kein Khaki mehr, da war nur noch Blut, Blut, Blut.

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