KAPITEL 14

Jayakar ließ sich widerstandslos festnehmen, als Tanaka und Sakai ihn auf Moriyamas Wink hin an den Armen packten. Die nächste Frage war, wo er inhaftiert werden sollte. Tanaka schlug vor, ihn in seiner Kabine unter Arrest zu stellen, was der Kommandant jedoch kategorisch ablehnte.

»In den Kabinen gibt es zuviel Spielzeug«, erklärte er. »Und jede Kabine hat einen Computeranschluß – das ist zu gefährlich.«

»Wir könnten ihn fesseln«, meinte Tanaka. »Mir fällt kein anderer Raum an Bord ein, der sich als Gefängniszelle eignet.«

»Aber mir«, erwiderte Moriyama. »Der große Käfig im biologischen Labor.«

Jay verzog abfällig das Gesicht. »Das ist ausgesprochen geschmacklos.«

»Wenn Ihnen das nicht paßt, lasse ich Sie draußen im Knotentunnel an die Wand ketten«, knurrte Moriyama mißgelaunt. »Schafft ihn weg.«

Jay sagte nichts mehr. Er ließ sich von Sakai und Tanaka gehorsam zum Schott begleiten und fortbringen. Moriyama sah ihnen nach, bis sie die Brücke verlassen hatten. Dann wandte er sich wieder uns zu. »Yoshiko, Sie übernehmen die Wache am Empfangsgerät. Es kann nicht lange dauern, bis die Bodenstation merkt, daß wir nicht mehr senden, und dann werden sie Instruktionen durchgeben. Kim, für Sie habe ich eine Aufgabe, wenn Tanaka und Sakai zurück sind. Oba und Leonard, lassen Sie uns überlegen, wie wir mit dem Leichnam Iwabuchis verfahren.«

»Am besten wäre es, alles so zu lassen, wie es ist, bis die Kriminalbeamten eintreffen«, sagte ich. »Aber da es noch eine Woche oder länger dauern kann, bis der Shuttle startet, können wir das nicht machen.«

»O nein«, sagte Oba. »Bis dahin würde die Verwesung einsetzen.«

»Wenn wir die Klimaanlage in seiner Kabine so weit wie möglich herunterregeln, um das zu verhindern?« fragte Moriyama.

»Die niedrigste Temperatur, die man in den Kabinen einstellen kann, ist zwölf Grad Celsius«, gab Oba zu bedenken. »Das ist viel zu warm.«

»Wenn wir die Sicherung entfernen, können wir jede beliebige Temperatur erzeugen«, beharrte der Kommandant. »Auch dreißig Grad unter Null. Das ist nur eine Frage des Energieaufwandes, und wenn wir hier oben etwas im Überfluß haben, dann ist das Energie.«

»Bedenken Sie, daß Ihre Kabine nebenan liegt, Sir«, warf ich ein. »Und die Isolation der Zwischenwände ist minimal.«

»Was schlagen Sie vor?«

»Ich denke, wir sollten die wichtigsten Spuren sichern, Iwabuchis Leichnam herausholen und untersuchen, ihn gemäß den Vorschriften entsorgen und schließlich die Kabine bis zum Eintreffen der Polizisten versiegeln.«

»Trauen Sie sich das zu, ohne irgendwelche wichtigen Spuren zu verwischen?«

»Ich würde alles fotografieren und den Leichnam dann herausholen, weiter nichts. Außerdem«, fügte ich hinzu, »glaube ich nicht, daß dieser Mord die Kriminalpolizei vor unlösbare Rätsel stellen wird, selbst wenn ich versehentlich einen Fingerabdruck verwischen sollte, was ich wahrscheinlich sogar schon getan habe. Schließlich liegt es auf der Hand, daß ihn ein Mitglied der Crew begangen haben muß.«

Moriyama sah mich forschend an. »Sie glauben nicht, daß es Jayakar war?«

Ich hielt dem Blick stand. »Nein, Sir.«

»Und warum nicht?«

»Das kann ich nicht genau sagen. Bis jetzt ist es nur ein Gefühl.« Ich gestattete mir die Andeutung eines Lächelns. »Dai rokkan.«

Moriyama nickte bedächtig. Schließlich sagte er: »Handeln Sie so, wie Sie es für richtig halten, Leonard. Wo Sie die Siegel finden, wissen Sie ja.«

Unwillkürlich verbeugte ich mich, die japanische Geste des gehorsamen Befehlsempfängers. Dann machten Oba und ich uns an die Arbeit.

Unser Weg führte uns zuerst in das Büro des Kommandanten, und keinem von uns war nach fröhlicher Konversation zumute. Schweigend nahm ich aus einer Schublade einen Streifen mit zehn Siegeln, kreisrunden, durchnumerierten Aufklebern mit auffallendem Hologrammeffekt, die so beschaffen waren, daß man sie nur einmal anbringen konnte. Sie zerrissen unweigerlich, wenn man versuchte, sie wieder zu entfernen. Der Zoll verwendete sie, und wir klebten sie auf manche Proben aus dem Materiallabor, die einem Shuttletransport für weitere Untersuchungen in ausländischen Forschungsinstituten mitgegeben wurden und die einen größeren materiellen Wert darstellten, etwa weil sie Gold enthielten. Zum Versiegeln eines Tatorts würden sie sich ebenfalls eignen. Ich vermerkte die Nummern der Siegel in dem zugehörigen Buch und auch den vorgesehenen Verwendungszweck und unterschrieb.

Dann begaben wir uns hinunter ins Erdbeobachtungslabor und schraubten die Nikon-Kamera von einem der kleineren Teleskope ab, nahmen aus den Vorratsschränken im Bordversorgungsmodul einen der großen blauen Plastiksäcke und zwei Paar dünne Laborhandschuhe und gingen anschließend in das biologische Labor, um Obas Arztkoffer zu holen. Jayakar beachtete uns nicht. Er schwebte bereits hinter Gittern, hatte eine Meditationsstellung eingenommen und die Augen geschlossen. Der Käfig, eigentlich für Menschenaffen gedacht, war kaum so groß wie eine Telefonzelle.

Es war mehr als ein Gefühl, das mir sagte, daß Jayakar nicht der Mörder sein konnte. Mir war, als gäbe es einen handfesten Beweis dafür. Er wollte mir nur nicht einfallen.

Es war gespenstisch, in das Wohnmodul zurückzukehren und schon genau zu wissen, was einen erwartete.

Wir sprachen nicht viel. Ich fotografierte alles, was mir einfiel – den Anblick des Toten durch die geöffnete Tür, den Gang davor, jeden Winkel der Kabine, den Leichnam, die Einschußlöcher im Körper und die Durchschußlöcher im Schlafsack. Dann klebte ich das erste Siegel auf den Verschluß der Kamera und deponierte sie in der Kabine.

Die Leiche herauszuholen war die unangenehmste Aufgabe. Wir streiften die Handschuhe über, schlossen dem Toten die Augenlider und zogen ihn dann behutsam aus dem Schlafsack, bemüht, nirgends anzustoßen und nichts zu berühren. Als wir ihn aus der Kabine hatten, bugsierten wir ihn den Gang entlang in den Gemeinschaftsraum, wo Platz genug war, ihn auszustrecken. Während Oba ihren Arztkoffer öffnete, kehrte ich zurück zur Kabine, schloß die Tür und brachte insgesamt fünf Siegel auf dem Türspalt an.

»Das habe ich nie leiden können«, murmelte Oba, als ich wieder neben ihr war. Sie hatte den Leichnam herumgedreht, so daß er mit dem Rücken nach oben schwebte, zog die Schlafanzugshose herunter und führte ein Thermometer rektal ein. Während sie auf die Temperatur wartete, betastete sie die Haut des Toten und schüttelte dabei nachdenklich den Kopf.

Das Thermometer piepste. Sie zog es heraus und vermerkte den angezeigten Wert auf einem Notizblock, zusammen mit der Uhrzeit. »Die Polizei hat Tabellen, um daraus den Todeszeitpunkt abzulesen«, erklärte sie mir. »Ich denke, es war irgendwann zwischen drei und sechs Uhr.«

Sie streifte die Hose wieder hoch, drehte den Körper auf die andere Seite und leuchtete mit einer Taschenlampe in die Augen und in die Mundhöhle. Dann nickte sie mir zu, daß sie fertig sei. Während sie ihre Notizen machte, hüllte ich den Toten in den großen blauen Plastiksack. Es sah nicht sehr würdevoll aus. Als ich den Verschluß zuzurrte und meine Siegel darauf anbrachte, ähnelte das Ganze einer schrecklich mißglückten Mumie.

Das Reglement der Raumfahrtbehörde, das wir alle hatten lernen müssen, enthielt natürlich ausführliche Vorschriften für Todesfälle an Bord – schließlich galt die Arbeit im Weltraum bei Lebensversicherungen als ›hochgradig gefahrgeneigte Tätigkeit‹, und die Prämien fielen entsprechend deftig aus. Diese Vorschriften besagten im Kern, daß ein Toter in einem verschlossenen Plastiksack tiefgekühlt aufbewahrt werden muß, bis er zur Erde gebracht werden kann. Nur wenn dies nicht möglich oder nicht zumutbar war, erlaubten die Vorschriften eine Raumbestattung.

Als ich die Tür zu einem der beiden großen Tiefkühlschränke öffnete, die sich an der Wand gegenüber der Küche befanden, fragte Oba entsetzt: »Sie wollen ihn doch nicht etwa dort…?«

»Kennen Sie einen anderen Tiefkühlschrank an Bord, der groß genug wäre?« fragte ich.

»Nein.«

»Ich auch nicht.« Da der nächste Versorgungsflug eines Shuttle fällig war, neigten sich die Vorräte ohnehin dem Ende zu. Wir räumten also einen der beiden Schränke frei und verstauten den Leichnam darin. Die letzten Siegel brachte ich auf dem Türverschluß an, dann kehrten wir zurück auf die Brücke. Die Steuerzentrale lag still und verlassen. Yoshiko war da, die gedankenverloren auf die Kontrollen des Kommunikationspultes starrte und unablässig ihr langes, schwarzes Haar zwischen ihren Fingern hindurchzog, und Moriyama, der in einem dicken Buch las und auf dessen Stirn sorgenvolle Falten standen. Auf meine diesbezügliche Frage erklärte er mir, er habe Tanaka, Sakai und Kim in die Labors geschickt, um nach Bauteilen zu suchen, aus denen man einen behelfsmäßigen Sender herstellen könnte.

»Das kann schließlich nicht so schwer sein«, brummte er. »Iwabuchi hätte wahrscheinlich längst einen zusammengebastelt, aus zwei Gabeln und einem Stück Draht. Aber wir haben in die Computer-Datenbank geschaut; dort findet sich die komplette Geschichte der Telekommunikation, mit vollständigen Biographien aller wichtigen Erfinder und mit ausführlichen Schaltplänen, was natürlich im Moment viel interessanter ist.«

Dann fixierte er mich angriffslustig. »Und jetzt, Mister Carr, erklären Sie mir, warum Sie Jayakar für unschuldig halten.«

Ich zuckte die Schultern. »Er hatte keinen Grund, Iwabuchi zu töten.«

»Auch nicht, wenn Iwabuchi ihm auf der Spur war?«

»Ich glaube nicht, daß er das war. Iwabuchi suchte einfach nur den Fehler. Aber angenommen, Jay hätte die Software sabotiert: Software, das sind nur Programme, und Programme kann man ändern, ohne daß Spuren zurückbleiben. Jay hätte die Manipulationen entfernen können, die gesäuberten Programme mit Iwabuchi durchsehen und genau die gleichen Manipulationen wieder einbauen können, ohne daß irgend jemand Verdacht geschöpft hätte. Im Gegenteil – nach einer solchen Untersuchung hätte niemand mehr die Software verdächtigt.«

»Aber niemand sonst hatte einen Grund, Iwabuchi umzubringen.«

»Von niemand sonst wissen wir genug, um ihm einen Grund unterstellen zu können, Iwabuchi umzubringen.«

In diesem Moment erklang das leise, glockenartige Signal eines gezielten Anrufs an die Raumstation. Wir horchten beide auf und sahen zu Yoshiko hinüber, die eine Muschel des Kopfhörers ans Ohr führte.

»Es ist die ESA«, sagte sie.

»Die Europäer?« wunderte sich Moriyama. »Was wollen die denn?«

»Uns sprechen.«

»Da haben sie wohl Pech gehabt.«

Mein Blick wanderte in der Schaltzentrale umher, über die Bildschirme und Tastaturen und Anzeige-Instrumente, und ein Gedanke, der sich seit einiger Zeit unterhalb der Schwelle meiner bewußten Wahrnehmung bildete, nahm plötzlich klare Gestalt an.

»Das Überwachungssystem«, entfuhr es mir, und als mich der Kommandant verständnislos ansah, erklärte ich: »Jemand, der Nachtwache hat, wird doch von den Bewegungsmeldern hier auf der Brücke überwacht. Wenn er sich eine Zeitlang nicht bewegt, zum Beispiel weil er eingeschlafen ist oder einen Herzinfarkt hat oder warum auch immer, leuchtet zunächst an jedem Arbeitsplatz eine gelbe Leuchtfläche auf. Wenn der Wachhabende sie nicht innerhalb von fünfzehn Sekunden berührt, ertönt ein Signalton, und eine rote Leuchtfläche leuchtet auf. Er hat nun dreißig Sekunden Zeit, dieses Signal abzustellen, andernfalls wird in der ganzen Station Alarm ausgelöst.«

Moriyama nickte. »Ja.«

»Jeder von uns weiß, daß er sich deshalb beim System abmelden muß, wenn er oder sie die letzte Person ist, die die Brücke verlassen will«, fuhr ich fort, und allmählich dämmerte Moriyama, worauf ich hinauswollte.

»Und diese Abmeldungen bleiben im Computer gespeichert. Ich verstehe.« Er saß schon an der nächsten Tastatur und ging mit seiner Kommandanten-Berechtigung ins System. Gleich darauf sahen wir das Brückenprotokoll der letzten Tage. Rechts unten wurde angezeigt, wann sich das letzte Mal jemand für dieses Protokoll interessiert hatte: das war schon über anderthalb Jahre her.

»Keine einzige Abmeldung«, stellte Moriyama verblüfft fest. »Er ist nicht einmal aufs Klo gegangen.«

»Einmal, aber da war ich noch auf der Brücke«, mischte sich Yoshiko ein. Sie streifte mich dabei mit einem Blick aus ihren mandelförmigen Augen, als nähme sie mich zum ersten Mal seit unserem letzten Rendezvous wieder bewußt wahr. Vielleicht würde es nicht mehr lange dauern, bis sie wieder anfing, über ein nächstes Stelldichein nachzudenken.

»Wann haben Sie die Brücke verlassen?« fragte Moriyama.

»Etwa um halb eins. Jayakar kam kurz nach elf und arbeitete am Computer«, berichtete Yoshiko mit ihrer samtenen Altstimme. »Er war an dem Terminal, an dem Sie jetzt sitzen Moriyama-san.«

Moriyama sah für einen Moment wie angeekelt auf die Tastatur unter seinen Fingern hinunter. »Sie sagten, er verließ die Brücke einmal?«

»Kurz nach Mitternacht. Er war höchstens fünf Minuten weg. Ich hatte den Eindruck, daß das Problem, an dem er arbeitete, ihn ziemlich stark beschäftigte.« Wieder erklang der Rufton, und Yoshiko lauschte dem Funkspruch mit einer gelassenen Geste, die ich hingerissen beobachtete. »Es sind wieder die Europäer, Kommandant, das Raumkontrollzentrum von Kourou. Sie wollen uns dringend sprechen.«

»Wir haben jetzt wirklich andere Sorgen«, meinte Moriyama unwirsch. »Noch nie im Leben habe ich mit denen zu tun gehabt, und ausgerechnet heute fällt es ihnen ein…« Er sah wieder auf den Bildschirm, auf dem immer noch dasselbe Protokoll stand, und dann mich. »Kann Jayakar dieses Protokoll verändert haben? Er ist ein Computerprofi, kennt alle Tricks…«

Ich schüttelte den Kopf. »Ihm ist vorhin auch nicht eingefallen, daß es dieses Protokoll überhaupt gibt. Dabei entlastet es ihn völlig, denn es beweist, daß er die Brücke die ganze Nacht nicht verlassen hat. Er ist von uns allen der einzige, der Iwabuchi nicht umgebracht haben kann!«

Moriyama schüttelte fassungslos den Kopf. »Das heißt, ich habe den falschen Mann verhaftet.«

»Es sieht so aus.«

»Kommandant, das sollten Sie sich anhören«, unterbrach uns Yoshiko. »Entschuldigung. Es ist wieder Kourou mit einer längeren Durchsage.«

Moriyama nickte unwillig, und Yoshiko betätigte eine Taste, die die Aufzeichnung des Funkspruchs über die Lautsprecher abspielte. Es war eine Stimme, die Englisch mit einem französischen Akzent sprach.

»Hier ist das Centre Spatial Guyanais, Kourou. Wir rufen die Raumstation NIPPON. Dies ist ein Notfall. NIPPON, wir beobachten, daß Sie Funkstille bewahren, und werden diese Durchsage deshalb mehrmals wiederholen. Vor etwa acht Stunden haben wir eine Rakete des Typs ARIANE-5 gestartet, die den Satelliten TRANSGEO-1 in eine hohe Polarbahn bringen sollte. Die dritte Stufe dieser Rakete hatte außerplanmäßig frühen Brennschluß und befindet sich augenblicklich in Ihrer unmittelbaren Nähe. Möglicherweise bewegt sie sich sogar auf Sie zu. Da wir noch hoffen, eine Neuzündung der Stufe auslösen zu können, und da der Satellit TRANSGEO-1 einen ungewöhnlich hohen Wert darstellt, werden wir die Selbstzerstörungseinrichtung nur auslösen, falls die Stufe Sie gefährden sollte. Bitte orten Sie die Stufe und informieren Sie uns, falls sie sich Ihnen auf weniger als zwanzig Kilometer nähert. Ich wiederhole: orten Sie die Stufe mit Ihrem Bordradar und informieren Sie uns, falls sie sich Ihnen auf weniger als zwanzig Kilometer nähert. Wir lösen dann die Selbstzerstörung aus, was bis zu einer Entfernung von fünfzehn Kilometern keine Gefahr für Ihre Solarfläche durch Trümmerteile darstellen dürfte.«

Es gibt einfach schlechte Tage. Dies, das hatte ich inzwischen gemerkt, war so ein schlechter Tag.

»Die sind doch verrückt«, ärgerte sich Moriyama »Yoshiko, gehen Sie bitte ans Radar und schauen Sie nach, ob uns das betrifft.«

»Hai«, nickte Yoshiko, schnallte sich los und glitt an die Schalttafel neben ihrer gewohnten Erdbeobachtungseinheit. Wir ließen sie nicht aus den Augen, wenngleich sich die Motive gerade änderten. Und so sahen wir, wie sie blaß wurde und wie sich ihre schlanken Finger um die Kontrollen des Radarschirmes krampften.

»Ich orte die Raketenstufe, Kommandant. Sie kommt genau auf uns zu.«

»Das darf nicht wahr sein. Abstand?«

»Einundzwanzig Kilometer.«

»Sagen Sie diesen Idioten, sie sollen sofort…« Er unterbrach sich, als ihm wieder einfiel, daß wir ja nicht senden konnten, und zerquetschte einen derben japanischen Fluch zwischen den Zähnen. »Mit welcher Geschwindigkeit nähert sich die Stufe?«

»Relativgeschwindigkeit etwa sechzig Stundenkilometer.«

Ich war schon neben Yoshiko am Radar und schaute ihr über die Schulter. Da war die Stufe, ein heller Fleck, ein verdammt heller Fleck sogar. Der Computer hatte mit leidenschaftsloser Hilfsbereitschaft bereits die Bewegungsrichtung analysiert und die voraussichtliche Flugbahn eingezeichnet, und diese Flugbahn endete genau im Zentrum des Schirms. Ich überschlug die Wucht des Projektils. Die dritte Stufe einer ARIANE-Rakete hatte eine Masse, die zwischen zehn und fünfzehn Tonnen lag, und diese Masse kam genau auf uns zu, genau auf die Station. Diese Masse würde uns treffen, und sie würde mit der Wucht eines aufprallenden Panzers bei uns einschlagen.

Moriyama hieb auf eine Taste des Bordsprechgeräts. »Moriyama hier. Tanaka, wie kommen Sie voran?«

Einen Moment war Stille, dann drang Tanakas Stimme aus dem Lautsprecher. »Es ist nicht so einfach, wie wir dachten. Im Augenblick sind wir dabei…«

»Wann können wir senden?«

»Oh… Nicht vor heute abend.«

»Das ist zu spät. Brechen Sie ab und kommen Sie sofort auf die Brücke. Ein Riesenbrocken rast auf uns zu, und wie es gerade aussieht, wird er in etwa zwanzig Minuten Schrott aus uns machen.«

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