Anmerkungen für den Leser

1

Als ich acht Jahre alt war, schrieb ich Kurzgeschichten auf Notizblockpapier, malte bunte Einbände, heftete jede Geschichte an der linken Seite ordentlich zusammen, klebte Isolierband über die Heftklammern, damit es hübscher aussah, und ging mit diesen »Büchern« bei Verwandten und Nachbarn hausieren. Ich verkaufte jedes meiner Werke für fünf Cent, und das war zweifellos ein Preisschlager - jedenfalls hätte kaum jemand meine Preise unterbieten können, wenn es in der Nachbarschaft andere Schriftsteller im Grundschulalter gegeben hätte, die ihre Phantasien geradezu zwanghaft zu Papier bringen mußten. Die anderen Kinder hatten jedoch viel normalere und gesündere Interessen, die zudem der Charakterbildung förderlich waren: Sie spielten Baseball, Football und Basketball, rissen Fliegen die Flügel aus, terrorisierten und verprügelten kleinere Kinder oder führten gewagte Experimente durch, wie man aus Waschpulver und Spiritus Sprengstoff herstellen konnte. Ich verkaufte meine Geschichten mit solch unerbittlichem Enthusiasmus, daß ich eine kolossale Landplage gewesen sein muß - sozusagen ein Hare-Krishna-Jünger in Miniformat.

Für meine bescheidenen Einnahmen hatte ich keine besondere Verwendung. Ich träumte nicht von grenzenlosem Reichtum. Und ich hatte nicht mehr als zwei Dollar verdient, als die verständnislosen Verwandten und Nachbarn in einer geheimen und konspirativen Versammlung übereinkamen, den Vertrieb handgeschriebener Geschichten durch achtjährige Jungen zu unterbinden. Natürlich war das eine illegale Handelsbeschränkung, möglicherweise sogar ein ernsthafter Verstoß gegen die Menschenrechte. Sollte sich jemand im Justizministerium der USA dafür interessieren - ich glaube, daß einige der damaligen Verschwörer noch am Leben sind und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden könnten.

Obwohl ich nicht die Absicht hatte, mein sauer verdientes Geld in den Erwerb eines Spielplatzes zu investieren, um dann Wucherpreise für den Eintritt zu verlangen, und obwohl ich es auch nicht versaufen wollte, wußte ich instinktiv, daß ich für meine Geschichten etwas verlangen mußte, damit die Leute sie ernst nahmen. (Hätte Henry Ford seine Autos verschenkt, hätten die Leute sie mit Erde gefüllt und als überdimensionale Blumenkästen mißbraucht. Bis heute gäbe es keine Highways, keine Drive-in-Burger-Ketten, keine Hollywoodfilme mit wilden Verfolgungsjagden und keine ästhetisch ansprechenden Hunde mit Wackelköpfen, mit denen viele Autofahrer den Platz zwischen Rücksitz und Heckfenster schmücken.)

Doch nachdem das örtliche Literaturverbraucherkartell einen Achtjährigen zu boykottieren versuchte, produzierte ich weiterhin meine Geschichten und verteilte sie gratis.

Später, als Erwachsener (soweit ich überhaupt erwachsen geworden bin), begann ich Geschichten zu schreiben, die von New Yorker Verlegern veröffentlicht wurden. Sie verwendeten weder Heftklammern noch Isolierband, und es gab von jeder Geschichte mehr als nur ein einziges Exemplar. Ich erhielt auch mehr als fünf Cent Honorar - obwohl es anfangs nicht viel höher war. Jahrelang wollte ich nicht so recht glauben, daß man als Schriftsteller leben kann, ohne eine zweite Einnahmequelle zu haben. Weil ich wußte, daß Schriftsteller interessante Nebenbeschäftigungen brauchen, die in den biographischen Angaben etwas hermachen, überlegte ich, ob ich Bomben legen oder Flugzeuge entführen und dann Lösegeld fordern sollte. Glücklicherweise bewahrte mich die Sparsamkeit meiner wunderbaren Frau, ihr Talent zum Geldverdienen und ihr gesunder Menschenverstand davor, entweder als Gefängnisinsasse zu enden oder von einer Bombe zerfetzt zu werden.

Als meine Bücher schließlich auf die Bestsellerlisten kamen, hatte ich Fünf-Cent-Münzen in Hülle und Fülle, und eines Tages unterschrieb ich einen Vertrag für vier Bücher, der genauso lukrativ wie die erfolgreichste Flugzeugentführung der Geschichte war. Und obwohl es harte Arbeit war, diese vier Bücher zu schreiben, mußte ich wenigstens keine Panzerweste tragen, keine schweren Munitionsgurte herumschleppen und nicht mit Leuten namens Mad Dog zusammenarbeiten.

Als bekannt wurde, welches Glück mir widerfahren war, sagten manche Leute - darunter sogar einige Schriftsteller - zu mir: »Wow, wenn du diesen Vertrag erfüllt hast, brauchst du nie wieder etwas zu schreiben!« Ich wollte alle vier Romane vor meinem zweiundvierzigsten Geburtstag abliefern. Was sollte ich danach tun? Endlich in Bars verkehren, wo Wettbewerbe im Zwerge-Werfen stattfinden? Bekanntlich neigen Menschen wie ich zu abartigen Vergnügungen dieser Art, wenn wir nicht ausreichend beschäftigt sind.

Der springende Punkt war aber, daß ich fast mein ganzes Leben lang geschrieben hatte. Nichts hatte mich davon abhalten können, keine noch so schlechte Bezahlung; sogar Zeiten, in denen ich nicht einmal fünf Cent verdiente, hatten mich nicht abschrecken können. Warum sollte ich also ausgerechnet in dem Moment aufhören, wo ich Leser hatte, die meine Werke liebten? Es ist nicht das Geld, das mich zum Schreiben motiviert, es ist vielmehr der Schaffensprozeß, das Geschichtenerzählen, das Ersinnen von Charakteren, die leben und atmen, die Freude am Spiel und am Kampf mit Wörtern, aus denen eine Art Musik entsteht - so gut ich eben dazu in der Lage bin.

Die Schriftstellerei kann zermürbend und nervenaufreibend sein, beispielsweise, wenn ich eine Seite zum sechsundzwanzigsten Mal umarbeite (manchmal komme ich mit weniger als sechsundzwanzig Entwürfen aus, manchmal brauche ich noch mehr, das hängt von meiner jeweiligen Geistesverfassung ab). Wenn ich mich endlos mit Syntax und Wortwahl herumgeschlagen habe, bin ich nach zehn Stunden am Computer manchmal so weit, daß ich mir wünsche, in einem Supermarkt Waren einzuräumen oder in einer dunstigen Kantine Geschirr zu spülen - Jobs, die ich vorübergehend ausgeübt habe, wenn auch nie sehr lange. In besonders schlimmen Momenten würde ich sogar das Ausnehmen von Heilbutt auf einem stinkenden alaskischen Fischkutter dem Schreiben vorziehen. Ja, ich wäre dann sogar bereit - Gott steh mir bei! -, Außerirdischen bei den Untersuchungen zu helfen, die sie allem Anschein nach so gern an unglücklichen entführten Amerikanern durchführen.

Aber Sie müssen eines verstehen: Die Schriftstellerei ist in intellektueller und emotionaler Hinsicht auch sehr befriedigend - und sie macht viel Spaß. Wenn einem Schriftsteller seine Arbeit keinen Spaß macht, werden seine Geschichten auch dem Leser keine Freude bereiten. Niemand wird sie kaufen, und seine Karriere wird bald zu Ende sein.

Das ist für mich das Geheimnis einer erfolgreichen und fruchtbaren Schriftstellerkarriere: Hab Spaß an deiner Arbeit, amüsiere dich dabei, lache und weine über deine eigenen Geschichten, zittere vor Angst mit deinen Gestalten. Wenn du das kannst, wirst du höchstwahrscheinlich auch eine große Leserschaft haben; doch selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, wirst du ein glückliches Leben, führen. Ich messe Erfolg nicht an den Verkaufszahlen, sondern an der Freude, die meine Arbeit und das vollendete Werk mir bereiten.

O ja, hin und wieder mißt irgendein geistesgestörtes Individuum in aller Öffentlichkeit meinen Erfolg tatsächlich an dem, was ich verdiene - und regt sich maßlos darüber auf. Die Tatsache, daß Leute meine Geschichten mögen, ist für diesen Verrückten ein unerträglicher persönlicher Affront, und er (oder auch sie) publiziert in regelmäßigen Abständen lange, stilistisch grauenvolle Artikel des Inhalts, daß die Welt zugrunde geht, nur weil ich lebe und viel Geld verdiene. (Ich meine nicht die echten Kritiker; die sind eine andere Spezies, und neunzig Prozent von ihnen mögen meine Arbeit; die restlichen zehn Prozent beurteilen meine Geschichten zwar negativ, behaupten aber nicht, daß ich einen mörderischen Körpergeruch verströme oder aber insgeheim ein Massenmörder bin.) Obwohl die Forschungsergebnisse brillanter Mediziner in den Zeitungen bestenfalls auf Seite 23 kurz erwähnt werden, und obwohl Millionen mutiger und humaner Taten völlig unerwähnt bleiben, lassen sich die Schwätzer weitschweifig darüber aus, daß ich der literarische Antichrist bin.

Natürlich bin nicht nur ich davon betroffen. Jeder erfolgreiche Schriftsteller wird von diesen komischen Käuzen gelegentlich mit Schmutz beworfen. Meine Familie und ich, wir sind sehr nachsichtig und menschenliebend, und deshalb bezeichnen wir solche Leute nur als »verbitterte Unzufriedene« oder als »humorlosen Abschaum«. (In aufgeklärteren Jahrhunderten als dem unseren wurde erkannt, daß sie von Dämonen besessen sind, und entsprechend wurde mit ihnen verfahren.)

Ich stehe auf dem Standpunkt, daß das Schreiben aus reiner Liebe am Schreiben sogar gegen ungerechtfertigte Angriffe satanischer Kräfte Schutz bietet. Was diese Schmierfinken nie verstehen werden, ist folgendes: Selbst wenn ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung ginge und ich auf der ganzen weiten Welt keinen Verleger mehr fände, würde ich weiterhin schreiben, meine Büchlein notfalls selbst heften und mit Isolierband verzieren - und sie dann diesen Miesmachern überreichen, nur um sie zu ärgern. Man kann mir einfach nicht entrinnen. Es ist wirklich zum Fürchten!

2

Die meisten Literaturagenten raten jungen Autoren, keine Kurzgeschichten zu schreiben. Es gilt als töricht, unproduktiv und selbstzerstörerisch, seine Zeit mit Kurzgeschichten zu vergeuden; man wird als hoffnungsloser Amateur eingestuft und verdächtigt, das degenerierte Produkt einer Ehe zwischen Vetter und Kusine ersten Grades zu sein.

Dieses Vorurteil hängt mit der Tatsache zusammen, daß es kaum einen Markt für Kurzgeschichten gibt. Die meisten Zeitschriften drucken keine ab, und pro Jahr erscheint nur eine Handvoll Anthologien. Wenn Edgar Allan Poe heutzutage leben würde, würde sein Agent ihm seine brillanten Kurzgeschichten und Novellen ständig um die Ohren hauen und brüllen: »Romane, du Vollidiot! Kannst du denn nicht hören? Was ist los mit dir - bist du vielleicht heroinsüchtig? Schreib endlich für den Markt! Schluß mit diesem mittellangen Mist wie Der Untergang des Hauses Usher!«

Entsprechend schlecht werden Kurzgeschichten bezahlt, sogar wenn es einem gelingt, sie irgendwo unterzubringen. Im allgemeinen bringt eine Kurzgeschichte nur ein paar hundert Dollar ein. Wenn der Autor es schafft, sie dem Playboy zu verkaufen, bekommt er eventuell sogar ein paar tausend Dollar - und dann redet er sich ein, daß zumindest einer von den Millionen Fans dieses Magazins seine Geschichte auch wirklich lesen wird. Dabei braucht man manchmal zwei oder drei Wochen - oder zwei Monate! -, um eine Kurzgeschichte zu Papier zu bringen. Folglich wird jeder Autor, der sich auf Kurzgeschichten konzentriert - sogar wenn er gelegentlich etwas im Playboy unterbringt -, gezwungen sein, sehr viel Reis mit Bohnen zu essen, oder sogar etwas noch Preiswerteres, vielleicht Heu. Das Manuskript von Das verräterische Herz würde der Literaturagent dem armen verwirrten Edgar Allan Poe natürlich ebenfalls um die Ohren schlagen. »Romane! Romane, Romane, du Trottel!« bekäme er zu hören. »Mit Romanen läßt sich Geld machen, Eddie! Hör zu, nimm dir diese komische Maske des Roten Todes noch einmal vor, kürz den Titel - Roter Tod hört sich viel besser an -, bläh diese Geschichte auf mindestens hunderttausend Wörter auf, und dann hast du etwas! Vielleicht können wir sogar die Filmrechte verkaufen! Aber dazu müßtest du eine Rolle für Jim Carrey einbauen. Und könnte dieser Typ, dieser Rote Tod, nicht ein bißchen weniger ernst sein? Könntest du ihn nicht etwas dümmlich gestalten?«

Trotz des Risikos, von unseren Agenten verprügelt und von klügeren Schriftstellern, die ihre Zeit nicht mit Kurzgeschichten vergeuden, als Narren, Träumer und Amateure beschimpft zu werden, schaffen es manche von uns, gelegentlich eine Kurzgeschichte oder einen Kurzroman einzuschieben. Das liegt einfach daran, daß uns manchmal Ideen kommen, die sich einfach nicht auf hundertfünfzigtausend Wörter auswalzen lassen, die uns aber andererseits nicht loslassen, die uns verfolgen und niedergeschrieben zu werden verlangen. Und dann holen wir eben unsere Notizblöcke, Heftklammern und Isolierbänder hervor ...

Dieses Buch enthält dreizehn Geschichten, die kürzer als meine üblichen Romane sind. Vielen von Ihnen wäre ein neuer Roman wahrscheinlich lieber gewesen, und gegen Ende des Jahres wird es einen geben (denken Sie daran, man kann mir einfach nicht entrinnen!), aber in der Zwischenzeit werden Sie hoffentlich auch an dieser Sammlung von Kurzgeschichten Ihre Freude haben. Manche Leser hatten sogar darum gebeten. Mir haben diese Geschichten jedenfalls genauso viel Spaß gemacht wie ein Roman, und falls meine zuvor erwähnte Theorie stimmt, müßte Ihnen das Lesen eigentlich auch Spaß machen. Ich hoffe es sehr. Schließlich verdanke ich Ihnen meine Karriere, und wenn Sie schon Ihr Geld auf den Ladentisch legen, haben Sie ein Anrecht auf etwas Spaß. Hoffentlich wird niemand den Wunsch verspüren, mir dieses Buch um die Ohren zu hauen. Es wiegt bestimmt ein paar Pfund, und wenn ich zu oft damit geschlagen werde, schreibe ich in Zukunft vielleicht noch seltsamere Geschichten als bisher.

3

Die Titelgeschichte Strange Highways - Highway ins Dunkel -wird hier erstmals veröffentlicht; sie ist eigentlich ein Roman, wenn man die Definition zugrunde legt, daß alles, was aus mindestens fünfzigtausend Wörtern besteht, ein Roman ist. Ich wage mich nur selten auf das Gebiet des Übernatürlichen vor. Meine Romane mit übernatürlichen Elementen sind schnell aufgezählt: Wenn die Dunkelheit kommt, The Fun-house, Die Maske, Das Versteck und vielleicht noch Todesdämmerung. Obwohl ich solche Geschichten gern lese, liegt es mir nicht sehr, über Vampire, Werwölfe, Spukhäuser oder über Haustiere zu schreiben, die sterben und dann aus dem Jenseits zurückkehren, besessen von dem Wunsch, sich dafür zu rächen, daß sie jahrelang aus einem Napf auf dem Boden essen mußten, anstatt mit der ganzen Familie am Tisch zu sitzen. Die Idee zu Strange Highways ließ mich jedoch einfach nicht los, und ich muß gestehen, daß es unheimlich viel Spaß macht, solche übernatürlichen Geschichten zu schreiben, weil ihnen irgendeine besondere Kraft innewohnt.

Ich werde keine Anmerkungen zu jeder Geschichte in Strange Highways schreiben. Wenn Sie sich mit Literaturanalyse langweilen wollen, können Sie jederzeit einen Collegekurs belegen. Zu einigen Geschichten muß ich aber doch einige Worte sagen: Kittens - Kätzchen - war die erste Kurzgeschichte, die ich jemals verkauft habe. Im College geschrieben, gewann sie einen Preis beim jährlichen Schreibwettbewerb für Collegestudenten, der von Atlantic Monthly gesponsert wurde, und brachte mir anschließend fünfzig Dollar ein, als eine Zeitschrift namens Readers & Writers sie kaufte. Kurze Zeit später machte Readers & Writers Pleite. Im Laufe der Jahre gingen auch andere Verlage, die Bücher von mir veröffentlicht hatten, pleite: Atheneum, Dial Press, Bobbs-Merrill, J. P. Lippincott, Lancer und Paperback Library. Ich machte Warner Books auf diese bestürzende Tatsache aufmerksam, aber mutig, wie diese Leute nun einmal sind, nahmen sie Strange Highways dennoch begeistert an.

Bruno, eine Science Fiction-Parodie auf Privatdetektivgeschichten, soll einfach zum Lachen reizen. Ich habe den ursprünglichen Text überarbeitet und modernisiert und mich dabei köstlich amüsiert. Wie Sie wissen, gibt es in all meinen Romanen seit Brandzeichen komische Elemente. Da dieses komische Element in den meisten Geschichten dieses Buches jedoch fehlt, wollte ich diesen Mangel durch ein wenig ausgesprochenen Blödsinn ausgleichen, und dafür schien mir Bruno hervorragend geeignet.

Twilight of the Dawn - Dämmerung des Morgens - ist meine persönliche Lieblingsgeschichte; obwohl sie ursprünglich in einer relativ obskuren Anthologie erschien, löste sie besonders viele Leserzuschriften aus. Ich glaube, diese Geschichte gefällt den Menschen, weil es um Glaube und Hoffnung geht - aber ohne jede Sentimentalität. Der Erzähler ist sehr lange ein kalter Fisch, und wenn er gegen Ende der Geschichte durch eine persönliche Tragödie endlich menschlicher wird und widerwillig zugibt, daß das Leben doch einen Sinn haben könnte, so wirkt das besonders überzeugend. Jedenfalls hatte ich selbst beim Schreiben diesen Eindruck.

Trapped - Gehetzt - erschien ursprünglich in einer Anthologie mit dem Titel Stalkers, mit einer Einleitung, die manchen Lesern besonders gefallen hat. Deshalb will ich sie auch Ihnen jetzt nicht vorenthalten. Ich hatte damals folgendes geschrieben:

Eine große amerikanische Zeitschrift, deren Namen ich nicht preisgeben möchte, fragte meinen Agenten, ob ich bereit wäre, eine zweiteilige Novelle über genetische Experimente zu schreiben, spannend, aber nicht allzu blutig, mit einigen Elementen aus Watchers (meinem Roman zu diesem Thema). Die Leute wollten mich sehr gut bezahlen, und außerdem würde die Veröffentlichung in zwei aufeinanderfolgenden Nummern viele Millionen Leser erreichen und für beachtliche Publicity sorgen. Die Idee zu Trapped war mir schon vor langer Zeit gekommen, sogar vor Watchers, doch nachdem ich den Roman geschrieben hatte, glaubte ich, wegen der Ähnlichkeiten auf die Novelle verzichten zu müssen. Und nun waren gerade diese Ähnlichkeiten erwünscht.

Nun ja, Schicksal! Offenbar war es mir bestimmt, diese Geschichte zu schreiben. Es würde eine hübsche Abwechslung zwischen zwei Romanen sein. Nichts leichter als das ...

Jeder Schriftsteller ist im tiefsten Innern ein Optimist. Sogar wenn er Zynismus und Verzweiflung verkauft, selbst wenn er der Welt und der Kälte seiner eigenen Seele aufrichtig überdrüssig ist, wird ein Schriftsteller immer überzeugt sein, daß er mit Erscheinen seines nächsten Romans endlich das Ende des Regenbogens findet. »Das Leben ist sinnlos«, wird er sagen, und es wird ihm ernst damit sein - doch im nächsten Augenblick wird er sich bei Träumen ertappen, daß er demnächst von Kritikern ins Pantheon amerikanischer Schriftsteller aufgenommen wird und zugleich die Bestsellerliste der New York Times anführt.

Besagte Zeitschrift stellte gewisse Bedingungen: Die Novelle mußte eine Länge von zwei- bis dreiundzwanzigtausend Wörtern haben und aus zwei etwa gleich langen Teilen bestehen. Kein Problem. Ich machte mich an die Arbeit und erfüllte alle Bedingungen, ohne mich besonders anstrengen oder die Geschichte verstümmeln zu müssen.

Die Herausgeber liebten meine Geschichte. Sie konnten es kaum erwarten, sie zu veröffentlichen. Sie tätschelten mir vor Begeisterung die Wangen, so wie eine Großmutter es bei ihrem Enkel tut, der ein gutes Zeugnis bekommen hat und sich im Gegensatz zu anderen Achtjährigen nicht für satanischen Rock’n’Roll oder Menschenopfer interessiert.

Nach einigen Wochen meldeten sie sich wieder und sagten: »Hören Sie zu, die Geschichte gefällt uns so gut, daß wir sie nicht in zwei Folgen aufteilen wollen, weil die grandiose Wirkung darunter leiden könnte. Sie muß in einer Nummer erscheinen. Aber so viel Platz haben wir nicht, und deshalb werden Sie sie kürzen müssen.« Kürzen? Wie stark kürzen? »Um die Hälfte.«

Nachdem ich ursprünglich beauftragt worden war, einen Zweiteiler von bestimmter Länge zu schreiben, hätte man mir eigentlich nicht verübeln können, wenn ich wütend geworden wäre und den Vorschlag eigensinnig zurückgewiesen hätte. Statt dessen schlug ich mit dem Kopf gegen die Schreibtischplatte, so fest ich konnte . vielleicht eine halbe Stunde lang. Oder vierzig Minuten. Na ja, es könnten auch fünfundvierzig gewesen sein, aber länger bestimmt nicht. Dann rief ich, leicht benommen und mit Eichenholzsplittern in der Stirn, meinen Agenten an und schlug eine Alternative vor. Wenn ich noch etwa eine Woche Arbeit investierte, könnte ich die Geschichte mit großer Mühe auf achtzehn- bis neunzehntausend Wörter kürzen, aber das war das Äußerste, denn an der Substanz wollte ich nicht rühren.

Die Herausgeber überdachten meinen Vorschlag und entschieden, daß sie die Geschichte in dieser neuen Länge unterbringen könnten, wenn sie beim Abdruck eine etwas kleinere Schrift als sonst verwendeten. Ich setzte mich wieder an meinen Computer. Eine Woche später war die Arbeit vollbracht - aber ich hatte noch viel mehr Holzsplitter im Kopf, und meine Schreibtischplatte sah grauenvoll aus.

Als ich die neue Version gerade abschicken wollte, entschieden die Herausgeber, daß achtzehn- bis neunzehntausend Wörter immer noch zuviel seien, daß die kleinere Schrift viel zu problematisch wäre, daß weitere vier-bis fünftausend Wörter gestrichen werden müßten. »Aber machen Sie sich keine Sorgen«, wurde mir versichert. »Wir nehmen die nötigen Kürzungen selbst vor.«

Fünfzehn Minuten später brach mein Schreibtisch zusammen, weil ich mit dem Kopf zu heftig darauf herumgetrommelt hatte (und ich muß meine Stirn bis heute einmal wöchentlich mit einer Zitronenölpolitur einreiben, weil das Verhältnis Holz zu Fleisch so ungünstig ist, daß meine obere Gesichtshälfte jetzt nach dem Gesetz als Möbelstück einzustufen ist.)

Offenbar fummeln große Zeitschriften häufig an der Prosa von Autoren herum, und vielen Schriftstellern macht das nichts aus. Mir schon. Ich bin nicht bereit, die Kontrolle über meine Werke aufzugeben. Deshalb verlangte ich das Manuskript zurück, sagte den Leuten, sie sollten ihr Geld behalten, und legte Trapped in eine Schublade, wobei ich mir sagte, daß die wochenlange Arbeit nicht ganz umsonst gewesen war, denn immerhin hatte ich ja eine wertvolle Lektion gelernt: Schreibe nie etwas auf Bestellung einer großen Zeitschrift, es sei denn, du kannst das Lieblingskind des Verlegers entführen und bis zum Erscheinen deiner Geschichte als Geisel behalten.

Kurze Zeit später rief ein ausgezeichneter Verfasser spannender Unterhaltungsliteratur, Ed Gorman, bei mir an und erzählte, daß er eine Anthologie mit Geschichten über Jäger und Gejagte herausgeben wolle. Sofort fiel mir Trapped ein.

Schicksal .

Vielleicht ist es ja doch sinnvoll, ein ewiger Optimist zu sein.

Jedenfalls wissen Sie jetzt, wie Trapped geschrieben wurde, warum diese Geschichte Elemente enthält, die den Lesern von Watchers bekannt vorkommen werden, und warum meine Stirn - falls Sie mich eines Tages sehen sollten - einen so schönen Eichenholzglanz hat.

Aus dem Amerikanischen von Alexandra v. Reinhardt

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