Dreizehn

Er hatte schon früher Orbitaleinrichtungen der Allianz betreten. Doch er hatte dabei bisher immer Gefechtsrüstung getragen und war an der Spitze seiner Soldaten vorgerückt, um gegen Verteidiger zu kämpfen, die mal kopflos, mal fest entschlossen, aber immer zäh gewesen waren. In Colonel Rogeros Geist ließ der Gedanke an Orbitaleinrichtungen der Allianz Bilder von zerfetztem Metall aufsteigen, Bilder von dichtem Rauch, der durch Korridore quoll, in denen oft das Vakuum herrschte, Bilder vom Tod rings um ihn herum, während Angreifer und Verteidiger gleichermaßen kämpften und verbluteten.

Es kam ihm unwirklich vor, als er nun das Shuttle verließ — ein Shuttle der Allianz! — und den sauberen, glatten Boden eines unbeschädigten Hangars betrat, von dem aus man zu einem offenen Durchgang gelangte.

Aber dort warteten auch Allianz-Marines, schwer bewaffnet und in gepanzerten Rüstungen, lediglich die Visiere waren hochgeklappt, was zumindest wie eine Friedensgeste wirkte. Es änderte aber nichts daran, dass ihre Waffen ganz so wirkten, als seien sie durchweg aktiviert und feuerbereit. Dieser Eindruck half ihm nicht, sich zu beruhigen, denn kampfbereite Allianz-Marines weckten sehr unangenehme Erinnerungen. Aber dann musste er daran denken, dass auch Honore Bradamont im Rahmen ihrer Pflichterfüllung auf ein vormals zum Syndikat gehörendes Kriegsschiff gekommen war, umgeben von einer vormals zum Syndikat gehörenden Crew. Was sie kann, kann ich auch.

Der befehlshabende Marine machte wortlos eine Geste in Rogeros Richtung, dann führte er ihn in einen weitläufigeren Bereich, wo zu beiden Seiten Zivilisten zu sehen waren, deren Zahl beständig wuchs, während sie von weiteren Marines zurückgehalten wurden. Offenbar hatte sich die Nachricht von seiner Ankunft schnell herumgesprochen, jedoch konnte das noch nicht lange her sein, da sich die Zuschauer sputeten, um das Spektakel nicht zu verpassen.

Admiral Timbale wartete inmitten der freien Fläche und stand reglos da wie ein Wachposten.

Als Rogero sich den Marines näherte, setzte in der Menschenmenge Gemurmel ein, da fast jeder zu reden begann, dabei aber so leise war, dass Rogero keine einzelne Stimme heraushören konnte. Aber auch wenn er nicht verstand, was gesprochen wurde, konnte er wahrnehmen, was diese Schaulustigen verspürten: Neugier. Er trug keine Uniform der Syndikatwelten, er war kein Gefangener. So lange Zeit hatte jeder Mensch das Universum zweigeteilt erlebt. Entweder man gehörte zur Allianz (oder zu den eher zweitrangigen Verbündeten wie der Callas-Republik oder der Rift-Föderation), oder man war Angehöriger des Syndikats. Rogero dagegen stellte etwas Anderes, etwas Neues dar. Nur … was?

Er wünschte, er hätte die Antwort darauf gewusst.

Rogero blieb vor dem Allianz-Admiral stehen und salutierte, wobei er mit der rechten Faust seine linke Brust berührte. Würden die Menschen hier diese Geste als einen Salut im Stil des Syndikats wahrnehmen? Mindestens fünfzig Jahre war es her, da war dem Syndikatpersonal untersagt worden, vor einem Offizier der Allianz zu salutieren. Es war einer der kleinlichen Tiefpunkte im gegenseitigen Miteinander gewesen, die den Krieg geprägt hatten, der kein Ende hatte nehmen wollen. Sehr wahrscheinlich hatte niemand außer Kriegsgefangenen je gesehen, wie Syndikatsarbeiter voreinander salutierten.

Admiral Timbale, der Rogero aufmerksam musterte, reagierte mit dem Allianz-Gruß, indem er mit der rechten Hand seine rechte Schläfe berührte. »Willkommen auf der Ambaru-Station, Colonel Rogero vom unabhängigen und freien Midway-Sternensystem.« Timbale sprach die Worte bedächtig und deutlich, damit die Zuschauer alles mitbekamen und auch der genaue Wortlaut Eingang in die offiziellen Aufzeichnungen fand.

Bradamont hatte ihm vorgegeben, was er sagen sollte, deshalb hielt Rogero einen Moment lang inne, um sich zu vergewissern, dass er sich seinen Text richtig eingeprägt hatte. »Als offizieller Vertreter des unabhängigen und freien Midway-Sternensystems spreche ich hiermit meinen Dank für Ihren Beistand bei dieser humanitären Mission aus, die man mir aufgetragen hat.« Es war anfangs nicht einfach für ihn gewesen, das Wort humanitär ohne jenen sarkastischen Unterton auszusprechen, der beim Syndikat immer mitgeschwungen hatte. Aber Bradamont hatte ihn so lange darauf gedrillt, bis es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. »Admiral Geary hat unser Sternensystem und alle von Menschen besiedelten Regionen gleich zweimal gegen Angriffe der Enigma-Rasse verteidigt. Für unsere Streitkräfte war es eine Ehre, beim letzten Gefecht an seiner Seite kämpfen zu dürfen.« Du musst unbedingt Admiral Geary erwähnen, hatte Bradamont ihn gedrängt. Lass sie wissen, dass er euch als Verbündete akzeptiert hat. Und nenne ihn nicht Black Jack. Die Leute in der Allianz mögen ihn selbst so bezeichnen, aber du musst respektvoller erscheinen. »Wir hoffen, wir stehen erst am Anfang eines neuen Kapitels unserer Beziehungen zu den Menschen der Allianz.«

Wieder war aus der Menge gedämpftes Stimmengewirr zu hören. Bedrohlich klang es nach wie vor nicht, allerdings auch nicht einladend, sondern eher … skeptisch. Na ja, er konnte diesen Leuten keinen Vorwurf machen, immerhin sah er eine Zusammenarbeit mit der Allianz auch mit einer gewissen Skepsis. Die unzähligen Toten in diesem sehr langen und erst vor Kurzem beendeten Krieg würden noch lange Zeit zwischen beiden Völkern stehen.

Ein Offizier, der dicht hinter Timbale postiert war, kam um ihn herum und reichte ihm ein Daten-Pad. Timbale nahm das Pad an sich, blickte auf den Monitor und hielt es dann Rogero hin.

Der las den Text auf dem Monitor sorgfältig, auch wenn er mit der Vereinbarung identisch zu sein schien, die man ihm zuletzt zugeschickt hatte. Schließlich berührte er die Aufnahmetaste und aktivierte das Pad. »Ich, Colonel Donal Hideki Rogero, akzeptiere als autorisierter und bestellter Repräsentant von Gwen Iceni, Präsidentin des Midway-Sternensystem, die Übernahme der ehemaligen Gefangenen aus den Streitkräften der Syndikatwelten, die sich derzeit im Gewahrsam der Allianz im Varandal-Sternensystem befinden, und bestätige, mich an die Bestimmungen dieser Vereinbarung zu halten.«

Timbale nahm das Datenpad an sich, gab es an seinen Adjutanten weiter, der gleich darauf zwei Schritte nach hinten machte, und sah dann wieder Rogero an. »Hundert Jahre Hass«, sagte der Admiral leise, »lassen sich nicht so leicht überwinden.«

»Und dennoch müssen wir ihn überwinden«, erwiderte Rogero, »damit die nächste Generation die Chance bekommt, ohne diesen Hass zu leben.«

»Wohl wahr, aber würden Sie immer noch die Uniform eines Syndiks tragen, dann hätte ich große Mühe, Ihren Worten zu glauben.« Timbale deutete mit einer Kopfbewegung auf die Menschenmenge. »Diesen Leuten wurde gesagt, dass Admiral Geary Ihre Regierung unterstützt. Daher sind sie bereit zuzuhören. Sagen Sie Ihren Führern, sie sollen diese Chance nicht vertun. Das Volk der Allianz wird vielleicht kein zweites Mal zuhören wollen, wenn es wieder verraten wird.«

»Ich verstehe.« Erneut salutierte Rogero und fügte hinzu: »Für das Volk.« Bradamonts Bemerkungen waren ihm im Gedächtnis geblieben, daher ließ er seine Worte so klingen, als ob sie tatsächlich etwas bedeuteten, was ihm einen skeptischen Blick von Timbale einbrachte.

»Auf die Ehre unserer Vorfahren«, erwiderte Timbale und salutierte ebenfalls. »Vielleicht …«, begann er.

Lärm und plötzliche Hektik lenkten beide ab. Rogero entdeckte eine größere Anzahl Allianz-Soldaten in Uniform, die ihm bekannt vorkamen. Elite-Kommandosoldaten. Sie waren auf dem Weg zu ihm und beeilten sich, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen.

Timbale drehte sich abrupt zu dem Marine-Offizier um. »Bringen Sie ihn zurück auf sein Shuttle. Sofort! Sorgen Sie dafür, dass er an Bord kommt und die Luke verschlossen wird. Versperren Sie jedem den Weg, der zu ihm will.«

Der Marine salutierte hastig, dann trieben er und seine Kameraden Rogero in aller Eile zurück zum Hangarzugang. Rogero verspürte einen sonderbaren Widerwillen, auf diese Weise den Rückzug anzutreten. Am liebsten wäre er stehengeblieben und hätte diesen Kommandosoldaten die Stirn geboten, so wie er es während des Krieges mehr als einmal gemacht hatte.

Aber das wäre nicht nur dumm, sondern sinnlos gewesen. Er konnte nicht gewinnen, und er würde seine Mission aufs Spiel setzen.

Und wenn er jetzt und hier von den Kommandosoldaten festgenommen wurde, würde Honore zweifellos ihr Versprechen wahrmachen und herkommen, um ihn zu befreien — ganz ohne Rücksicht darauf, welche Folgen das für sie bedeuten würde. Diese Erkenntnis gab für ihn den Ausschlag.

Die Marines bildeten eine massive Mauer im Durchgang hinter Rogero, während er den Hangar erreichte. Allein schon ihre Rüstungen bildeten eine beeindruckende Barriere, zumal die meisten Marines den Verfolgern zugewandt standen und dabei ihre Waffen zwar nicht unbedingt in drohender, aber jeden falls eindeutiger Pose hielten. Er hörte, wie Admiral Timbale den Kommandosoldaten wiederholt befahl stehenzubleiben, was nur bedeuten konnte, dass sie ihn ignorierten. Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit ihm blieb und was die Marines tun würden, wenn die Kommandos sie erreichten. Dennoch hielt er lange genug inne, um dem Marine-Offizier der Allianz in die Augen zu sehen, von Soldat zu Soldat, von Veteran zu Veteran. »Danke.«

Der Marine schaute ihn mit ausdrucksloser Miene an, aber in seinen Augen funkelte Feindseligkeit und Verwirrung. Als die Feindseligkeit ein klein wenig nachließ, nickte der Marine, um die Bemerkung zu bestätigen.

Mehr kam nicht von ihm, aber diese Reaktion war immerhin schon etwas.

Rogero lief die Rampe hinauf und betrat das Shuttle, gleich darauf hörte er, wie sich die Luken hinter ihm schlossen.

»Sofort anschnallen!«, rief der Pilot über Interkom. »Der Admiral hat mir den unmittelbaren Befehl erteilt, auf der Stelle von hier zu verschwinden!«

Rogero hatte gerade erst Platz genommen, da wurde er schon durch die Beschleunigung so in seinen Sitz gedrückt, dass ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Irgendwie gelang es ihm, den Gurt anzulegen, während das Shuttle in wildem Wechsel nach rechts und links und nach oben und unten flog, als wären sie auf einer Achterbahn im All unterwegs. Piloten! Diese Typen sind alle verrückt! Wahrscheinlich macht es ihm hier riesigen Spaß, wie ein Wahnsinniger zwischen all den anderen Schiffen hin und her zu rasen, auch wenn es mehr als lebensgefährlich ist.

Bradamont hatte recht gehabt. Die Bodenstreitkräfte hatten tatsächlich versucht sich einzumischen, zweifellos mit dem Ziel, ihn zu verhaften. Vielleicht war das ja auf Veranlassung des Geheimdienstes der Allianz geschehen, der Rogero spätestens in dem Moment wiedererkannt hatte, als er bei der Übergabezeremonie seinen vollen Namen genannt hatte. Aber Bradamonts Einschätzung der Situation war auch in der Hinsicht zutreffend gewesen, dass Timbale vertrauenswürdig war.

Ich wurde von Allianz-Marines beschützt, überlegte Rogero. Ich wurde von ihnen verteidigt. Das wird mir niemand glauben. Ich bin mir ja nicht mal sicher, ob ich selbst das glaube. Dabei war ich dabei!

Er sah auf das Display neben seinem Platz und fragte sich, ob es ihm wohl erlaubt war, es zu berühren. Es zeigte momentan nur eine Außenansicht — Sterne und andere helle Objekte, die sich funkelnd von der Schwärze des Alls abhoben. Die Lichtpunkte verwandelten sich in helle Streifen, da der Pilot sein Fahrzeug immer wieder auf neue Vektoren lenkte. Das Shuttle drehte sich einmal um seine Längsachse, sodass das Bild eines nicht allzu weit entfernten Planeten von unten nach oben über die Anzeige huschte und gleich darauf wieder verschwand.

»Da sind jede Menge Shuttles unterwegs«, sagte der Pilot so plötzlich, dass er Rogero aus seinen Gedanken riss. »Nach den Kennzeichnungen zu urteilen sind sie randvoll mit Passagieren. Das müssen Ihre Leute sein.«

Und wieder hält Admiral Timbale Wort. Er hat den Transport der Gefangenen schon angeordnet, als ich noch auf dem Weg zu meinem Treffen mit ihm war.

Was genau ist auf der Station vorgefallen? Warum weigert sich Allianz-Militär, auf die Befehle eines Senioroffiziers zu hören, selbst wenn er zur Flotte gehört und sie Bodenstreitkräfte sind? Kein Arbeiter des Syndikats hätte den Befehl eines CEO ignoriert, nur weil es sich bei ihm nicht um den ihnen zugeteilten Supervisor handelte.

Aber wenn die Anweisung für eine Aktion von einer CEO-Schlange gegeben worden war, dann hatten gewöhnliche CEOs allerdings Mühe gehabt, dieser Aktion ein Ende zu setzen.

Das Ganze stinkt nach politischem Taktieren. So was hätte ich bei der Allianz nicht erwartet. Trotz allem, was Honore mir erzählt hat, dachte ich, sie wären in ihrer Hingabe für rein militärische Angelegenheiten von fanatischer Reinheit. Nicht so wie bei uns früher, wo die Politik immer an erster Stelle kam. Die meisten offiziellen Vertreter des Syndikats — oder besser gesagt: des damaligen Syndikats —, die ich kenne, haben so gedacht wie ich. Wie seltsam, dass wir davon überzeugt waren, unsere Gegner seien uns ausgerechnet in diesem Punkt überlegen. Und was für eine eigenartige Enttäuschung, dass dem nicht so ist. Wenn wir schon verlieren mussten, warum konnte der siegreiche Feind dann nicht wenigstens übermenschlich sein?

»Vielen Dank«, sagte er zu dem Piloten. »Wie lange noch, bis wir mein Schiff erreichen?«

Er erhielt keine Antwort. Womöglich bereute der Pilot bereits, dass er von sich aus etwas gesagt hatte, da ihm mittlerweile eingefallen war, um wen es sich bei seinem Passagier handelte.

Jeglicher Nervenkitzel des wilden Flugs hatte sich in Luft aufgelöst, als das Shuttle auf ruppige Weise zum Bremsmanöver ansetzte. Zum Glück war die Achterbahnfahrt sanfter geworden, je weiter sie sich von Ambaru entfernten. Rogero hielt die Armlehnen umklammert, während der Bremsvorgang anhielt. Dann nahm der Flug ein genauso abruptes Ende, und einen Augenblick später spürte Rogero einen sanften Stoß, der vom Andocken an der Luftschleuse des Frachters kündete. Ein schneller Anflug, ein durchgehendes Bremsmanöver, gefolgt von einem Kontakt mit dem Ziel, ohne dass noch einmal in letzter Minute die Steuerdüsen Korrekturen durchführen mussten. Dieser Pilot wollte einfach nur angeben, sogar unter diesen ungewöhnlichen Umständen. Rogero grinste und war vor Erleichterung ein wenig berauscht. »Gut gemacht!«, rief er dem Piloten zu. »Sie sind ein Könner.«

Als er zur Luftschleuse ging, kam vom Piloten die knappe Erwiderung: »Danke.«

Kaum war Rogero von der Luftschleuse auf den Frachter übergewechselt, merkte er, wie das Shuttle schon wieder ablegte.

Lieutenant Foster, Kommandant von Rogeros Zug, stand mit etlichen seiner Leute bereit. »Uns wurde gesagt, dass die erste Ladung Gefangener innerhalb der nächsten Minuten eintreffen soll, Sir«, erklärte Foster.

»Wenn Sie sie an Bord holen, dann bringen Sie die Leute sofort möglichst weit von der Luftschleuse weg«, wies Rogero ihn an, der sich immer noch an den abrupten Wechsel zu gewöhnen versuchte, dass er jetzt wieder zwischen seinen eigenen Soldaten stand, nachdem er erst vor ein paar Minuten von Allianz-Marines umgeben gewesen war. »Schnell, zügig, ohne Aufenthalt. Noch Fragen?«

»Nein, Sir.«

Über fünftausend Passagiere, die auf sechs Frachter verteilt werden sollten. Sie würden sie in den spartanischen Quartieren und den Gängen stapeln müssen, aber ihnen blieb keine Zeit, um sie auch nur halbwegs ordentlich zu stapeln.

Die Luftschleuse öffnete sich erneut, Männer und Frauen kamen an Bord des Frachters. Sie alle trugen verschossene Syndikatsuniformen, die amateurhaft geflickt waren, die Risse, Löcher und Brandflecken aufwiesen. Sie machten einen durchweg gesunden Eindruck, einzig ihre Augen ließen jene Skepsis und Resignation von Menschen erkennen, die ein Leben lang nichts als Sorge und Ungewissheit gekannt hatten. Für Rogero war dieser Blick nichts Neues. Die meisten Arbeiter der Syndikatwelten trugen ihn zur Schau, auch wenn sich alle Mühe gaben, ihn zu überspielen.

»Willkommen«, sagte Rogero in autoritärem Tonfall. »Wir sind hergekommen, um Sie nach Midway zu bringen. Sie sind nicht länger Gefangene der Allianz.«

Eine Frau in der verschlissenen Uniform einer Senior-Managerin straffte die Schultern und wandte sich so an ihn, wie es das Syndikat ihr eingetrichtert hatte: »Geehrter CEO …«

»Ich bin kein CEO. Ich war ein Sub-CEO. Jetzt bin ich ein Colonel der Bodenstreitkräfte des unabhängigen Midway-Sternensystems. Sie kennen uns. Und jetzt befolgen Sie die Anweisungen. Wir müssen alle so schnell wie möglich an Bord holen.«

Die befreiten Gefangenen wirkten benommen und unterhielten sich leise, während sie einem der Soldaten durch den Korridor folgten.

Lieutenant Foster sah erstaunt zur Luftschleuse, durch die immer mehr Gefangene an Bord kamen. »Wie viele sind das?«

»So viele wie die Allianz im Rahmen der Sicherheitsvorschriften unterbringen konnte«, antwortete Rogero. »Außer der Kleidung, die sie am Leib tragen, besitzen sie kaum etwas. Kein Gepäck, keine auftragenden Kleidungsstücke, keine Schutzanzüge. Das heißt, keiner von ihnen beansprucht sonderlich viel Platz.«

In der folgenden Stunde kam ein Shuttle nach dem anderen an, entließ seine Passagiere an Bord, und legte gleich wieder ab, um dem nächsten Transport Platz zu machen. Das Gefühl der Eile war deutlich zu spüren, doch je mehr Leute an Bord eintrafen, umso mehr zog sich der Prozess in die Länge, da die Gänge verstopft waren.

Obwohl sie alle darauf gedrillt worden waren, unbedingten Gehorsam zu leisten, waren die Gefangenen desorientiert und verwirrt, und etliche von ihnen standen nur da und schauten sich um, als erwarteten sie, jeden Moment aus einem Traum aufzuwachen.

»Bewegung!«, fuhr Rogero eine Gruppe an, die aus einem unerfindlichen Grund angehalten hatte und dadurch eine Kreuzung zweier Korridore komplett blockierte. Gerade als die Arbeiter daraufhin wie aufgescheuchte Rehe davoneilten, hörte Rogero, wie jemand seinen Namen rief.

»Donal!«

Colonel Rogero drehte sich um und erkannte das sich ihm nähernde Paar, auch wenn er einen Moment lang seine Erinnerung durchforsten musste, um die beiden zuzuordnen. Er war Sub-CEO Garadun, sie hieß Executive Ito. Vom … von einem Schlachtkreuzer. Der Name wollte ihm nicht einfallen.

Sie waren sich bei offiziellen Treffen und damit verbundenen gesellschaftlichen Anlässen begegnet, die aber nie in zwangloser Atmosphäre stattgefunden hatten. Auch hatte er bei diesen Anlässen kaum etwas über die anderen Gäste erfahren, und das galt auch für diese zwei. Grund dafür war, dass jeder davon ausging, dass sich unter den Anwesenden auch heimliche Schlangen befanden, die — so wie die zweifellos überall versteckten Kameras und Mikrofone — nur darauf aus waren, irgendwen bei einer Äußerung zu ertappen, die gegen seine Loyalität gegenüber dem Syndikat sprach. Zwar wurden bei diesen Anlässen alkoholische Getränke kostenlos und in beliebigen Mengen angeboten, aber weil das nur dem Zweck diente, die Gäste geschwätzig werden zu lassen, achteten die sehr genau darauf, wovon sie wie viel tranken. Das machte jedes »zwanglose« Zusammentreffen zu einem extrem förmlichen Ereignis, da jeder sehr darauf bedacht war, nichts Falsches zu tun oder zu sagen, und man gleichzeitig sehr genau darauf hörte, was andere von sich gaben.

Garadun blieb vor Rogero stehen und grinste ihn breit an. »Dann stimmt es tatsächlich! Sie sind hergekommen, um uns hier rauszuholen! Zur Abwechslung befreien die Bodenstreitkräfte mal die mobilen Streitkräfte aus einer Klemme!«

»Wir sind vom BC-77D«, sagte Ito, die sich neben Garadun stellte. »Nur für den Fall, dass Sie sich nicht mehr daran erinnern. Viele von unserer Crew konnten sich retten, als unsere Einheit zerstört wurde, und sie sind jetzt alle bei uns.« Sie grinste fast so breit wie Garadun. »Dann stimmt es also? Die Syndikatsregierung existiert nicht mehr?«

»Sie existiert immer noch«, stellte Rogero richtig. »Aber im Wesentlichen nur noch auf Prime. Wir beispielsweise haben sie aus Midway vertrieben.«

»Die Schlangen?«

»Tot. Wir haben alle erwischt.« Rogero hörte, wie stolz er klang. Aber warum auch nicht? Es stimmte schließlich.

Garadun und Ito sahen sich kurz an. »Es ist nicht zu übersehen, dass Sie über Bodenstreitkräfte verfügen. Aber wie sieht es mit den mobilen Streitkräften aus?«, wollte er wissen.

»Was glauben Sie, wieso wir hier sind? Wir brauchen erfahrene Besatzungen.«

»Woher wussten Sie, dass Sie hierherkommen mussten?«, fragte Ito. »Woher wussten Sie, dass irgendeiner von uns überhaupt noch lebt?«

Rogero räusperte sich, um ein paar Sekunden für sich herauszuholen, ehe er fragte: »Wie viel wissen Sie? Über das, was passiert ist, nachdem …«

»… nachdem wir in Gefangenschaft geraten waren?«, führte Garadun seinen Satz zu Ende. »Nicht viel. Die Allianz-Wachen behaupteten immer, der Krieg sei zu Ende und sie hätten gewonnen. Mag sein, dass das stimmt. Geglaubt haben wir es ihnen nicht, aber wir wussten nicht, was wirklich los ist. Da Sie jetzt hier sind, haben wir ja vielleicht doch gewonnen.«

»Nein, die anderen haben gewonnen«, erwiderte Rogero. »Black Jack.«

Ito schüttelte den Kopf und schaute finster drein. »Er ist kein Mensch, sondern ein Dämon. Das kann gar nicht anders sein.«

»Er hat uns gerettet«, platzte Rogero raus und sah den Schock in den Gesichtern der anderen. »Nachdem er die Syndikatsregierung in die Knie gezwungen und dem Krieg ein Ende gesetzt hatte, kam er mit seiner Flotte nach Midway und vereitelte einen Versuch der Enigmas, das Sternensystem zu übernehmen.«

»Er hat die Enigmas geschlagen?« Garadun sah Rogero ungläubig an.

»Ein Dämon«, wiederholte Ito.

Das hier war nicht der geeignete Augenblick, um die komplizierten Ereignisse zu schildern, die dazu geführt hatten, dass der berüchtigte Black Jack zum Retter des Midway-Sternensystems wurde. »Letztlich hat also die Regierung des Syndikats aufgeben müssen«, sagte Rogero, um ein wenig von Black Jack abzulenken. »Das gesamte System ist gescheitert. Bei Midway haben jetzt Präsidentin Iceni und General Drakon das Sagen. Wir sind frei.« Er musste lächeln, als er die Reaktion der beiden auf das Wort »frei«, bemerkte. »Bei Atalia wartet eine Eskorte auf uns. Kreuzer und Zerstörer, die loyal zu uns stehen und die befehligt werden von Kommodor Marphissa …«

»Kommodor?«, warf Garadun ein. »Der Name Marphissa sagt mir gar nichts.«

»Sie war eine Executive auf einem Schweren Kreuzer. Nachdem alle Syndikat-Loyalisten ausgeschaltet waren, klafften in der Befehlskette große Lücken, was die Chancen auf schnelle Beförderung verbesserte. Hören Sie, wir haben hier kaum die Möglichkeiten, Sie alle zu untersuchen. Können Sie mir mehr über den Gesundheitszustand der Leute sagen? Die meisten von denen, die ich bislang gesehen habe, machten einen ganz guten Eindruck. Ich habe auch bei niemandem unbehandelte Verletzungen entdecken können.« Er musste nicht erst erklären, warum er überhaupt erst Ausschau danach gehalten hatte. In einem Arbeitslager des Syndikats wäre so etwas an der Tagesordnung gewesen.

Garadun sah wütend zur Seite.

Ito sah ihn mitfühlend an, dann wandte sie sich Rogero zu. »Der Allianz-Abschaum hat uns gut behandelt, auch wenn wir das nicht gern zugeben. Nichts Besonderes, fades Essen, aber in ausreichenden Mengen. Wir mussten putzen und sauber machen, aber wir wurden nicht gezwungen etwas körperlich Anstrengendes zu tun. Wir wurden medizinisch versorgt, wenn es notwendig war. Sie haben uns wie Gefangene behandelt, aber man hat uns nicht misshandelt.«

»Es war Black Jack«, knurrte Garadun. »Die Wachen redeten über ihn. Er hat unsere Flotte aufgerieben. Er hat so viele von unseren Freunden getötet, und trotzdem hatten wir ihm zu verdanken, dass wir anständig behandelt wurden. Es geht uns gut, Donal. Sie dürften niemanden finden, der ernste gesundheitliche Probleme hat.« Dann betrachtete er Rogero skeptisch. »Es gibt keine CEOs mehr? Aber Sie haben doch gesagt, dass Iceni und Drakon immer noch das Sagen haben.«

»Nicht mehr als CEOs.« Rogero deutete mit einer Kopfbewegung auf die anderen Gefangenen, die gerade an ihnen vorbeigingen. »Die beiden haben uns hergeschickt, damit wir Sie hier rausholen. Eine sehr riskante und sehr kostspielige Aktion, aber trotzdem wollten sie, dass wir Sie nach Hause bringen.«

Diese Äußerung saß. Die Kaltblütigkeit der Syndikatsführer gegenüber ihren Arbeitern und Junior-Executives wurde schlicht als Normalzustand angenommen. »Na, wenn sie das gemacht haben, dann sind sie wohl nicht bloß CEOs mit einem neuen Titel«, sagte Garadun.

»Was können wir für Sie tun?«, wollte Ito wissen.

»Helfen Sie mir, hier alles unter Kontrolle zu halten. Sorgen Sie dafür, dass die Leute sich von der Stelle bewegen. Wir müssen irgendwie zehn Kilo Arbeiter in einen Behälter pressen, der nur fünf Kilo fasst. Finden Sie raus, wer weiterhin den Syndikatwelten treu bleiben will. Die Leute setzen wir dann in einem vom Syndikat kontrollierten Sternensystem ab. Befinden sich in Ihren Reihen irgendwelche Schlangen?«

»Seltsamerweise«, antwortete Ito und lächelte auf eine sanfte Weise, die sich nicht in ihrem Tonfall widerspiegelte, »hat in unserer Flotte keine Schlange überlebt.«

»Gut.« Rogero verstummte, da um ihn herum alles ruhig geworden war. Ihm fiel auf, dass Garadun und Ito an ihm vorbeisahen. Er drehte sich um und entdeckte Bradamont. Sie hatte sich bislang im Komm-Abteil aufgehalten, wo niemand sie sehen konnte. Es musste irgendetwas Dringendes vorgefallen sein, dass sie jetzt nach draußen gekommen war.

»Admiral Timbale teilt mit, dass wir so bald wie möglich aufbrechen müssen«, meldete sie. »Ein Kurierschiff hat das Sternensystem verlassen, und er vermutet, wenn es zurückkehrt, wird man ihm das Kommando entziehen.«

»Wir schaffen die Leute schon so schnell wie möglich an Bord«, entgegnete Rogero. »Sub-CEO Garadun, Executive Ito, darf ich vorstellen? Captain Bradamont von der Allianz-Flotte. Sie ist die offizielle Verbindungsoffizierin der Allianz für Präsidentin Iceni und General Drakon.«

Garadun und Ito starrten Bradamont weiter mit versteinerter Miene an.

Bradamont wandte sich Rogero zu. »Benötigen Sie sonst noch etwas, Colonel Rogero? Falls nicht, werde ich weiter die Situation beobachten und Sie informieren, wenn es auffällige Entwicklungen gibt.«

Er hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Bradamont hatte es so klingen lassen, als sei sie eine Untergebene, die ihrem Vorgesetzten Bericht erstattete. Das war pure Absicht gewesen, um vor den beiden zu unterstreichen, dass er derjenige war, der hier das Kommando hatte. »Nein, Captain Bradamont, ich benötige sonst nichts. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

Kaum war Bradamont gegangen, drehte Rogero sich zu Garadun und Ito um. »Sie ist die einzige Allianz-Bürgerin auf diesem Schiff.«

»Sie untersteht Ihnen?«, fragte Garadun fassungslos.

»Ja, das ist richtig.« Rogero unterbrach sich und betätigte die nächstgelegene Komm-Einheit. »Executive Barchi«, rief er den Befehlshaber dieses Frachters auf der Brücke, »sagen Sie den anderen Schiffen, sie sollen die Leute so schnell wie möglich an Bord holen. Sobald wir den letzten Gefangenen haben, nehmen wir mit der maximalen Beschleunigung, die Sie aus den Frachtern herausholen können, Kurs auf den Sprungpunkt.«

Als er geendet hatte, kam Ito zu ihm, fasste ihn am Kinn und blickte ihm in die Augen. »Donal, ist das hier alles echt? Man hat Sie nicht umgepolt, oder? Das hier ist nicht nur ein kranker Trick der Allianz, um unsere Moral zu brechen? Nicht, dass wir kurz vor dem Sprungpunkt zurückgeholt werden, damit man uns erzählen kann, dass alles nur ein Spiel war. Ist das hier wirklich wahr, Donal? Tut diese Allianz-Offizierin tatsächlich, was Sie ihr sagen? Und sieht es in Midway wirklich so aus, wie Sie es uns schildern?«

Rogero sah ihr genauso tief in die Augen. »Es ist alles echt. Sie kehren heim. Wir werden nach Atalia springen, sobald wir den Sprungpunkt erreicht haben. Dort wartet dann die Flotte von Kommodor Marphissa auf uns.«

Ito nickte und ließ den Arm sinken. »Nicht mal ein CEO könnte so überzeugend lügen. Aber halten Sie dieses Allianz-Miststück von unseren Leuten fern. Niemand weiß, wozu die in der Lage sind.«

Unwillkürlich verkrampfte sich Rogero. Er hätte diese Worte auf sich beruhen lassen können, immerhin war es etwas, das auch jeder beliebige Bürger der Syndikatwelten gesagt hätte. Aber hier ging es um Bradamont. »Executive Ito, diese Offizierin, diese Allianz-Captain, ist der einzige Grund, wieso wir überhaupt hier sind. Sie war es, die uns von Ihnen erzählt hat. Sie hat unsere Führung davon überzeugen können, diese Mission überhaupt erst in Angriff zu nehmen. Ohne ihre Hilfe wären wir nicht hierher gekommen, und sie war es, die ihre eigenen Vorgesetzten überredet hat, Sie alle freizulassen. Ihre Flotte und ihre Leute haben Verluste erlitten bei der Verteidigung unserer Welt gegen die Enigmas. Während des Krieges ist sie in unsere Gefangenschaft geraten und saß in einem Arbeitslager des Syndikats. Und trotzdem hat sie für uns gekämpft.«

Keiner der beiden wollte etwas davon hören, aber schließlich antwortete Garadun schroff: »Im Arbeitslager? Okay. Solange sie jetzt Ihre Befehle ausführt.«

Ito beobachtete Rogero eindringlich. »Ja. Es scheint Ihnen wichtig zu sein.«

»Colonel Rogero?« Lieutenant Foster klang besorgt, als er sich durch die Menge hindurch seinen Weg zu ihm bahnte. »Sie müssen unbedingt mit den Piloten der Allianz-Shuttles reden. Es gibt Probleme bei der zeitlichen Abstimmung zwischen den Lieferungen. Außerdem, Sir, hat ein weiterer Allianz-Zerstörer Kurs auf uns genommen.«

Rogero nickte Garadun und Ito flüchtig zu, dann stürmte er mit Foster los, dankbar für diese Störung. Ito hatte auf Anhieb durchschaut, dass seine Meinung über Bradamont nicht ausschließlich etwas mit dem Dienst zu tun hatte, den sie verrichtete.

Er erreichte die beengte Brücke des Frachters, auf der er und Foster neben Executive Barchi nur mit Mühe Platz fanden. »Wo ist dieser Zerstörer?«

Barchi zeigte auf das Display. »Da, und das ist seine Flugbahn. Wenn ich die Daten richtig lese, wird er in ungefähr einer halben Stunde hier eintreffen.«

»Was ist mit den beiden anderen? Sai und … ähm …«

»Assagai. Die sind vor ein paar Stunden zum Sprungpunkt zurückgekehrt.«

»Geschwindigkeit?«, murmelte Rogero, während er die Anzeigen durchsuchte. Er kannte sich mit Displays für Bodenfahrzeuge aus, nicht mit denen für Raumfahrzeuge. »Da ist es. 0,03 Licht. Ist das schnell?«

Barchi reagierte mit einer wegwerfenden Geste. »Auf einem Planeten wäre das rasend schnell. Aber hier oben? Bei einer Einheit der mobilen Streitkräfte? Der trödelt vor sich hin.«

»Dann ist er nicht in Eile?«, hakte Rogero nach.

»Bei einem solchen Schiff ist alles unter 0,05 Licht oder sogar 0,1 Licht nicht weiter der Rede wert«, erklärte der Executive. »Er lässt sich Zeit. Allerdings weiß er ja auch, dass wir ihm nicht entkommen können. Warum soll er sich beeilen, wenn er uns auf dem Präsentierteller hat? Selbst wenn wir auf maximale Beschleunigung gehen, holt er uns innerhalb einer Stunde ein.«

Rogero schaute weiter auf das Display, da er nicht den Frachter-Executive ansehen wollte, der seine Hilflosigkeit einfach hinnahm. Rogero war immer ein Mann der Bodenstreitkräfte gewesen, er hatte stets gewusst, wann man kämpfte oder sich zurückzog oder beides gleichzeitig machte. Dabei konnte man leicht vergessen, wie es für die anderen war, die sich nicht auf Waffen oder Schnelligkeit verlassen konnten. Leute wie dieser Frachter-Executive hatten während des gesamten Kriegs gewusst, wenn der Feind auftaucht, dann hatten sie keine Chance zu entkommen, solange sie nicht weit genug vom Geschehen entfernt oder ihr Frachter zu klein war, sodass er für den Feind keine lohnenswerte Beute darstellte. Ohne sie und die Fracht, die sie zwischen den Sternen und den Planeten hin und her transportierten, hätte der Krieg gar nicht fortgeführt werden können, und dennoch waren sie diesem Krieg immer wieder zum Opfer gefallen. Es war eine seltsame und hässliche Ironie des Schicksals.

Rogero rief das winzige Komm-Abteil, in das sich Bradamont zurückgezogen hatte. »Captain, ein Allianz-Zerstörer ist auf Abfangkurs zu uns gegangen.«

»Ich werde sehen, was ich herausfinden kann«, antwortete sie. »Wie schnell ist er?«

»0,03 Licht.«

»Mehr nicht? Was machen denn die Allianz-Shuttles?«

»Die laden weiter ihre Fracht ab.«

»Das hätten sie längst unterbrochen, wenn mit einem Angriff zu rechnen wäre. Geben Sie mir Bescheid, falls Transporter anfangen sich zu entfernen, ohne die Gefangenen abgesetzt zu haben.«

Lieutenant Foster wirkte etwas entspannter, jetzt da sich Rogero um alles kümmerte. Ein Vorgesetzter war hier, der die Entscheidungen traf, und Rogero wusste, dass seine Soldaten vollstes Vertrauen in ihn hatten. Das Vertrauen habe ich mir auch hart erkämpft. Aber jetzt spiele ich dem Lieutenant und allen anderen etwas vor. Ruhe. Gelassenheit. Alles mag in Hektik ausgebrochen sein, aber davon abgesehen ist alles in bester Ordnung. Ausgenommen natürlich die Tatsache, dass da ein Allianz-Kriegsschiff auf uns zukommt. Wenn es das Feuer eröffnet, sind wir alle tot.

»Colonel Rogero?« Selten war er so froh darüber gewesen, Bradamonts Stimme zu hören.

»Hier.«

»Der Zerstörer Bandolier wird uns als Eskorte geschickt. Admiral Timbale ist in größter Sorge, dass irgendjemand versuchen könnte, die Übergabe der Gefangenen zu stören oder sogar an Bord der Frachter zu gelangen. Er wird uns auch noch den Leichten Kreuzer Coupe schicken. Beide haben den Befehl uns zu begleiten, bis wir zum Sprung nach Atalia ansetzen können.«

»Danke, Captain«, sagte Rogero und versuchte so sachlich wie möglich zu klingen, als sei diese Frau nur eine beliebige Offizierin. Jemand könnte uns stören wollen? Vielleicht die Bodenstreitkräfte der Allianz. Oder ihr Geheimdienst. Oder irgendeine Gruppe, von deren Existenz ich noch nie gehört habe. Ich hoffe, Admiral Timbale kann sie uns lange genug vom Hals halten. »Das ist also die Antwort«, sagte er zu Lieutenant Foster. »Wir erhalten eine Eskorte.«

»Eine Eskorte?«, wiederholte Foster verblüfft. »Die mobilen Streitkräfte der Allianz werden uns eskortieren?«

»Ich weiß, das ist ein seltsames Gefühl. Aber überlegen Sie mal, wie seltsam das erst für die anderen sein muss.«

»Die kommen wohl eher mit«, warf Executive Barchi missmutig ein, »um uns sofort in Stücke zu schießen, wenn wir nur eine falsche Bewegung machen.«

»Dann werden wir keine falschen Bewegungen machen. Und jetzt schaffen Sie all diese Leute an Bord unserer Schiffe, damit wir aus dem System verschwinden können.«

»Jawohl, Sir«, stimmte Foster ihm zu.

Es war nicht erforderlich, jeden Einzelnen zu motivieren, damit er zügig weiterarbeitete. Niemand wollte in einem System bleiben, in dem die Allianz das Sagen hatte und in dem man auf allen Seiten mit der tödlichen Militärmacht der Allianz konfrontiert wurde.

»Ähm … Colonel«, meldete sich der Frachter-Executive in einem Tonfall zu Wort, als hätte er schlechte Nachrichten zu überbringen. »Meine Manager sagen, dass es Probleme mit der internen Kommunikation gibt. Einige von den neuen Geräten, die Sie haben installieren lassen, scheinen zu stören. Solange wir das nicht gelöst haben, werden Sie wohl einen Boten losschicken müssen, wenn Sie mit irgendwem auf diesem Schiff reden wollen.«

Rogeros besorgte Miene machte den anderen Mann nur noch umso nervöser. »Betrifft das auch irgendwie die externe Kommunikation?«

Lieutenant Foster schüttelte bereits den Kopf, während der Executive antwortete: »Nein, nein, da gibt es kein Problem. Aber es ist Ihre Ausrüstung für die externe Kommunikation, die irgendwie unsere interne stört. Wir könnten das Problem mit der internen Kommunikation schnell lösen, wenn wir die externe abschalten. In ein paar …«

»Nein, wir können es uns nicht leisten, den Draht nach draußen abzuschalten«, fiel Rogero ihm ins Wort. »Nicht mal für ein paar Minuten.« Der vorübergehende Ausfall der internen Kommunikation war zwar ärgerlich, aber nicht gravierend. Ein viel größeres Problem wäre es, keinen Kontakt mehr zu den Allianz-Shuttles oder den anderen Frachtern zu haben. »Lassen Sie es mich wissen, wenn die interne Kommunikation wieder arbeitet.«

Der Executive nickte sichtlich erleichtert darüber, dass Rogeros Reaktion nicht schlimmer ausgefallen war.

»Lieutenant Foster, solange die interne Kommunikation nicht funktioniert, möchte ich, dass Sie sich persönlich von der Situation an Bord ein Bild machen und mir anschließend Bericht erstatten.«

Foster salutierte und eilte davon.

Ein weiteres Shuttle dockte an und legte kurz darauf schon wieder ab, um dem nächsten Platz zu machen.

»Wie sieht es aus, Lieutenant?«, fragte Rogero einige Zeit später, als Foster zu ihm zurückkehrte. Er war außer Atem, als hätte er ein Wettrennen hinter sich.

»Es wird eng, aber wir haben noch immer Platz und können weitere Gefangene an Bord nehmen. Keine Probleme mit der Disziplin.«

»Wir sind fast fertig«, warf Executive Barchi ein. »Noch zwei bis drei Shuttle-Ladungen pro Frachter, dann sind wir durch. Also noch etwa dreißig bis fünfundvierzig Minuten, dann können wir von hier verschwinden.«

Rogero hatte eben erst begonnen, die erfreuliche Nachricht zu begreifen, da kam Bradamont auf die Brücke gestürmt. »Was zum Teufel ist auf einmal mit der internen Kommunikation auf diesem Schiff los? Von Ambaru sind Kommandosoldaten in Shuttles gestartet und auf dem Weg hierher! Wir müssen sofort von hier weg!«

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