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Auf das hüfthohe Geländer gestützt, blickte ich in die breite, runde Senke, in der neunzehn angekettete Mädchen zur Schau gestellt waren.

»Barbaren«, sagte der Mann neben mir.

»Das sieht man«, äußerte ich.

»Nebenan gibt’s noch zwei Gruben«, sagte der andere. »Hast du sie dir angeschaut?«

Eine Nacht hatte ich auf der Straße verbracht und war gestern hungrig und verdreckt nach der zehnten Ahn, der goreanischen Mittagsstunde, in Kailiauk eingetroffen. Als ich mich den Ausläufern der Stadt näherte, hatte ich den Ton der Zeitglocke vernommen, die auf dem Dach des Ladens angeschlagen wurde, der dem Administrator gehört. In Kailiauk wie auch in anderen Städten der Grenzzone stammt der Administrator aus der Kaufmannskaste. Der Handel in dieser Stadt konzentrierte sich vorwiegend auf Felle und Kaiila. Die Ortschaft Kailiauk hatte darüber hinaus auch eine Funktion als gesellschaftliches und geschäftliches Zentrum für viele einsam liegende Höfe. Obwohl ein lebhaftes Treiben in den Straßen herrscht, ist die Bevölkerung nicht sehr seßhaft. Ich schätzte, daß es nicht mehr als vier- oder fünfhundert ständige Einwohner gab. Wie zu erwarten war, gab es mehrere Schänken und Tavernen, die an der Hauptstraße lagen.

Das auffälligste Merkmal Kailiauks waren wohl die Fellschuppen. Unter den Dächern dieser offenen Bauwerke liegen auf Plattformen Tausende von Fellen, die zu Bündeln gebunden sind. An anderen Stellen erheben sich große Haufen Knochen und Hornreste, oft dreißig oder mehr Fuß hoch. Diese Ablagerungen sind das Ergebnis der Ausdünnung von Kailiaukherden durch rote Wilde. Zum täglichen Bild der Stadt gehört das Kommen und Gehen von Fellwagen und Fahrzeugen für den Transport von Horn und Knochen. Im Ödland gibt es unzählige Kailiauk, denn sie finden hier geradezu ideale Lebensbedingungen, ohne natürliche Feinde. Die meisten Kailiauk haben gewiß nie einen Menschen oder Sleen zu Gesicht bekommen.

Zahlreiche Herden ziehen durch das Ödland. Die vier oder fünf bekanntesten Herden (zum Beispiel die Boswell-Herde, benannt nach dem Mann, dessen Name sich auch im Boswell-Paß wiederfindet, und die Bento-Herde und die Hogarthe-Herde, benannt nach den ersten weißen Männern, die sie erblickten), diese Herden umfassen zwischen zwei und drei Millionen Tiere. Die Bodenerschütterungen, die eine solche Tiermasse hervorruft, sind über Entfernungen von fünfzig Pasangs zu spüren. Eine Herde braucht zwei bis drei Tage, um einen Fluß zu überqueren. Gelegentlich kommt es vor, daß verfeindete Stämme an verschiedenen Punkten über eine Herde herfallen und erst hinterher zu ihrer Bekümmerung und Belustigung merken, wie nahe sie sich gewesen sind. Neben diesen Hauptherden gibt es etliche kleinere, identifizierbare Herden, die Hunderttausende von Tieren umfassen. Außerdem existieren natürlich, wie man nicht anders erwarten durfte, sehr viele kleinere Herden, deren Zahl nicht einmal von den roten Wilden geschätzt wird, Herden, die wenigen hundert bis etlichen tausend Kailiauk eine Heimat bieten.

Es wird berichtet, daß manche dieser kleineren Herden Unterherden größerer Herden sind, zu gewissen Jahreszeiten, je nach Futter und Wasser, von der großen Herde getrennt. Wenn das zutrifft, ist die Zahl der Kailiauk vielleicht nicht ganz so groß, wie manchmal angenommen wird. Jedenfalls gibt es Kailiauk im Überfluß. Interessanterweise haben solche Herden ein bestimmtes Futterverhalten: Beim Grasen bewegen sie sich im Verlauf eines Jahres meistens in einem gigantischen Oval, das jahreszeitlich beeinflußt ist und viele tausend Pasangs umfaßt. Diese Wanderungen führen die Herden natürlich in die Einflußgebiete verschiedener Stämme. So kann im Lauf eines Jahres dieselbe Herde von verschiedenen Stämmen gejagt werden, ohne daß die Krieger sich auf gefährliche Ausflüge außerhalb der eigenen Gebiete einlassen müssen.

Der Kailiauk ist ein Wandertier, doch nur in einem ganz bestimmten Sinne. So bewegt er sich nicht etwa wie ein Zugvogel auf mehr oder weniger geraden Wegen von Norden nach Süden und wieder zurück. Der Kailiauk muß beim Wandern fressen und ist für solche Wanderungen einfach zu langsam. Er könnte in der zur Verfügung stehenden Zeit die nötigen Entfernungen nicht zurücklegen. Dementsprechend weichen die Kailiauk den Jahreszeiten nicht aus, sondern bewegen sich eher mit ihnen, wobei das ovale Muster im Sommer nach Norden führt und im Winter nach Süden. Der Geruch der Fellschuppen verleiht der Stadt Kailiauk übrigens eine ganz spezielle Atmosphäre. Ist man aber erst einige Stunden in der Stadt, erweist sich der Geruch als vertraut und allesdurchdringend und verschwindet aus dem Bewußtsein.

»Einige sind ganz hübsch«, sagte der Mann neben mir und schaute in die Grube hinunter.

»Ja«, antwortete ich. Wir standen auf dem Gelände Ram Seibars, eines Sklavenhändlers. Er besitzt eine ziemlich große Anlage, denn er handelt auch mit Kaiila. Ich schätzte die Größe auf etwa hundert Meter im Quadrat. Auf dem Gelände befanden sich mehrere Sklavengruben, von denen aber nur drei besetzt waren, wie auch mehrere größere und kleinere Holzgebäude, Baracken für die Männer und verschiedene andere Bauten. Die gesamte Anlage ist von einem Palisadenzaun umschlossen. Auf dem größten Bauwerk, der Haupt-Verkaufshalle, etwa siebzig Fuß breit und hundertundzwanzig Fuß lang, weht das Banner Seibars, ein gelber Wimpel, auf dem schwarze Fußfesseln und eine Peitsche abgebildet sind.

»Kennst du den Händler Grunt?« fragte ich meinen Nachbarn.

»Ja.«

»Hält er sich in der Gegend auf?«

»Weiß ich nicht.«

Ich hatte den Mann schon in den verschiedenen Schänken und Tavernen Kailiauks gesucht. Dabei begegnete mir niemand, der seinen Aufenthaltsort kannte. Meine Hoffnungen, ihn zu finden, schwanden allmählich. Heute früh hatte ich im Fünf-Horn-Stall zwei Kaiila erstanden, dazu Geschirr, einen Sattel, verschiedene Ausrüstungsgegenstände und Vorräte und Tauschwaren. Diese Einkäufe hatte ich in der Stadt erledigt, im Laden des Publius Crassus, Mitglied der Kaufmannskaste, zugleich Kailiauks Administrator. Zu meinen Erwerbungen zählte auch ein Kurzbogen, ähnlich konstruiert wie die Waffen, die von den Wilden benutzt werden, geeignet für den Gebrauch im Sattel. Mit dem Bogen erstand ich einen Köcher und zwanzig federbesetzte Pfeile.

Für mich gehörte es zu den großen Fehlern weißer Kavalleristen in der Grenzzone, daß sie sich zu sehr auf ihre Armbrust verließen, die vorwiegend eine Infanteriewaffe ist. Natürlich besitzt sie auch Vorteile, zum Beispiel eine erhebliche Durchschlagskraft, die Möglichkeit, sie sehr lange schußbereit zu halten, außerdem können manche Kämpfer aus dem Sattel damit besser schießen als mit dem einfachen Bogen. Auf kurze Entfernung durchschlägt ein Armbrustbolzen außerdem die meisten Schilde der roten Wilden.

Der wesentliche Nachteil liegt darin, daß man eine Armbrust nur in sehr langsamer Folge abschießen kann. Die Kavalleriearmbrust hat einen eisernen Steigbügel, in den der Reiter seinen Fuß stecken kann, ohne absteigen zu müssen, und somit die Hebelwirkung gewinnt, um das Kabal mit beiden Händen wieder zurückzuziehen. Somit kann der Reiter zwar neu laden, ohne abzusteigen, und die Schlußfolge seiner Armbrust beschleunigen, wenn das auch ein wenig zu Lasten der Durchschlagskraft geht, doch liegt hier für mich kein Ausgleich. Ich halte es für nicht unmöglich, daß ein roter Krieger drei bis fünf Pfeile abschießt, während die behäbigere Waffe einmal neu geladen wird. Hätte sich die leichtere, schneller zu ladende Armbrust bei den typischen Kampfsituationen des Ödlands als überlegen erwiesen, wären die Wilden sicher schon auf die eine oder andere Weise darauf zurückgekommen. Sie haben es aber nicht getan.

Dementsprechend beschloß ich, sie mir in dieser Sache zum Vorbild zu nehmen, und wählte eine Waffe, die der ihren ähnlich war. Denn da ich Grunt nicht zu finden vermochte, fürchtete ich, allein ins Ödland vordringen zu müssen. Lady Mira aus Venna und Alfred aus Port Olni hatten Kailiauk bereits heute früh mitsamt ihren Söldnern verlassen.

Der Mann neben mir am Geländer wandte sich um. »Warum suchst du Grunt?«

»Ich muß ins Ödland.«

»Das ist Wahnsinn.«

Ich zuckte die Achseln.

»Nur schade, daß du nicht vor einem Monat nach Kailiauk gekommen bist«, sagte er.

»Warum?«

»Damals überquerten zahlreiche Siedler die Ihanke, bewaffnet, mit zweihundert Wagen, Männer, Frauen und Kinder. Es müssen sieben bis achthundert gewesen sein. Du hättest sie begleiten können. In einer solchen Menge ist man vielleicht sicher.«

»Möglich«, sagte ich. Ein solcher Treck kam andererseits nur langsam voran. Außerdem konnte man seine Spuren und seinen jeweiligen Standort nicht vertuschen.

»Du bist ein großer Bursche«, fuhr der andere fort, »und scheinst fix und kräftig zu sein. Warum hast du dich nicht von der Truppe anwerben lassen, die vorhin aufgebrochen ist?«

Ich antwortete nicht.

»Es war die größte Söldnertruppe, die jemals Kailiauk verlassen hat«, informierte mich der Mann. »Du hättest sie begleiten sollen.«

»Vielleicht.«

»Ich bin angekettet!« schluchzte ein Mädchen in der Grube unter uns. Sie kniete im Schlamm. Mit schmalen Händen zerrte sie an ihren Ketten. »Wo bin ich?« fragte sie ungläubig. »Was ist aus mir geworden? Wo sind meine Sachen? Was sind das für Männer?«

»Sie können nicht mal goreanisch sprechen«, sagte der Mann.

»Barbaren«, bestätigte ich.

»Ja.« Das Mädchen hatte Englisch gesprochen, was meine Vermutung über die Herkunft der Mädchen bestätigte. Aus reiner Neugier war ich auf Seibars Markt gekommen. Angeblich war er in Kailiauk der wichtigste Händler für barbarische Sklavinnen. Genau wußte ich es natürlich nicht, doch ich vermutete, daß nicht er selbst mit den Kurii verbündet war, sondern Mädchen lediglich in Großhandelsmengen von einem oder mehreren ihrer Agenten erwarb. Solche Mädchen, das hatte ich von dem Sklavenkutscher erfahren, den ich bis Fort Haskins begleitet hatte, wurden in der Grenzzone an verschiedenen Punkten verkauft. Vor einigen Ahn hatte ich auf dem Rücken einer meiner neuerworbenen Kaiila das Terrain nördlich und südlich Kailiauks erkundet. Dabei war ich an einer entlegenen Stelle zwischen einigen Hügeln an eine Stelle gekommen, wo das Gras verkohlt war und sich im Boden mehrere runde, sechs Zoll durchmessende Vertiefungen abzeichneten. Hier, so vermutete ich, war eines der Stahlschiffe der Kurii gelandet. In der Nähe stieß ich auf Wagenspuren, die aus dem Gebiet fortführten, in Richtung Kailiauk. Weniger Glück hatte ich bei meinen Erkundigungen nach einem gewissen Grunt in den kleinen einsamen Lagern und Höfen. Der Ihanke näherte ich mich nicht; dies entsprach nicht meinem Wunsch. Zunächst mußte ich besser Bescheid wissen. Im Moment war mir nicht einmal bekannt, ob die Grenze bewacht wurde oder nicht.

»Selbst wenn solche Mädchen das Goreanische verstünden«, fuhr der Mann neben mir amüsiert fort, »könnten sie wahrscheinlich nicht begreifen, was von ihnen verlangt wird.«

»Man könnte es ihnen beibringen«, sagte ich.

»Da hast du sicher recht.«

Ich wandte mich ab und ging. Es ärgerte mich, daß ich den Händler Grunt nicht finden konnte. Am nächsten Morgen, mit oder ohne ihn, wollte ich in die Einöde vordringen.

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