»Das Ganze war nur ein Trick«, sagte Samos. »Man wollte dich ins Ödland locken, um dich dort ungehindert beseitigen zu können.«
Samos und ich waren in der gedrungenen, geschlossenen Barke unterwegs, mit der wir die Tarn-Anlage in den Sümpfen aufgesucht hatten. Die Morgendämmerung hatte eben eingesetzt. Unser Weg führte uns durch die Kanäle von Port Kar. Hier und dort waren bereits Männer an den Ufern unterwegs. Die meisten falteten Netze oder beluden kleine Boote oder machten sie zum Auslaufen fertig. Durch die schmalen Lamellenschlitze des Fensters sah ich eine Sklavin mit einem an einem Seil befestigten Eimer Wasser aus dem Kanal schöpfen.
»Ich glaubte nicht, daß eine so komplizierte Täuschung erforderlich gewesen wäre, wenn sie es nur auf unsere Vernichtung abgesehen hätten«, sagte ich.
»Da kannst du recht haben.«
»Die beiden hätten uns gleich bei unserem Erscheinen in der Tarn-Anlage angreifen und dann fliehen können.«
»Stimmt.« Kaum anzunehmen, daß wir uns auf so kurze Entfernung gegen den Überraschungsangriff solcher Gegner hätten wehren können.
Einige Meter entfernt saß ein Mann auf dem Kanalweg und flickte ein Netz. Buntbemalte ovale Schwimmer lagen neben ihm. Auf meinen Knien ruhte die zusammengerollte Haut, die Kog und Sardak uns gezeigt hatten. Wir hatten sie aus den brennenden Ruinen retten können. Außerdem stand zu unseren Füßen das kantige Übersetzungsgerät, das zwar einige Dellen aufwies, aber noch immer funktionierte. Die Ruinen hatten wir brennen lassen; die Rauchsäule zeichnete sich im grauen Licht des Morgens bereits deutlich über den Sümpfen ab. Den Schild und den Speer der Kurii hatten wir im Sumpf versenkt. Je weniger konkrete Beweise es gab, desto besser.
»Du meinst also, wir hätten sie begleiten sollen?« fragte Samos.
»Nein.«
»Natürlich hätte es zu ihrem Plan gehören können, dich gleich mit zu beseitigen, sobald Zarendargar vernichtet worden war.«
»Richtig«, sagte ich, »oder ich sie.«
»Auf diese Möglichkeit wären solche Kreaturen wohl kaum gekommen.«
»Nein.«
»Du meinst also nicht, du hättest sie begleiten sollen?«
»Nein.«
»Was tun sie jetzt?«
»Sie werden ins Ödland vorstoßen«, sagte ich.
»Um Zarendargar zu jagen.«
»Gewiß.«
»Glaubst du, sie werden sich der Hilfe von Menschen versichern wollen?« fragte Samos.
»Zweifellos.«
»Ich verstehe durchaus, warum sie zuerst zu uns kamen«, sagte Samos.
»Natürlich – wir hätten ihnen wertvolle Dienste leisten können«, sagte ich. »Außerdem rechneten sie damit, daß wir ebenso begierig darauf waren, Zarendargar zu vernichten. Das Unternehmen lag aus ihrer Sicht im beiderseitigen Interesse.«
»Außerdem«, warf Samos ein, »fiel es ihnen leicht, uns anzusprechen, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, denn nach unseren bisherigen Kämpfen sind Wesen ihrer Art uns nicht unbekannt.«
»Das stimmt.«
»Es wird ihnen schwerfallen, tüchtige Helfer anzuwerben, denn nur wenigen Weißen ist es gestattet, das Ödland zu betreten, und jene, die sich im Grenzbereich aufhalten dürfen, müssen ihre Daseinsberechtigung durch Handels- und Tauschgeschäfte nachweisen.«
»Ich glaube, man kann annehmen«, sagte ich, »daß die Kurii im Ödland keinen Agenten sitzen haben. Denn hätten sie einen, wäre es wohl kaum zu dem Gespräch heute früh gekommen. Außerdem wäre das Ödland kein sehr ergiebiges Gebiet für einen Agenten.«
»Sie müssen neue Leute anwerben.«
»Das erscheint mir wahrscheinlich.«
»Wir haben das Übersetzungsgerät.«
»Unwichtig«, sagte ich. »Zweifellos haben sie weitere Geräte in ihren Vorräten.«
»Was ist mit den roten Wilden?« wollte Samos wissen.
»Nur wenige Wilde leben außerhalb des Ödlands, und jene wenigen sind wahrscheinlich ebensowenig mit den Kurii vertraut, wie es jeder andere unter gleichen Umständen wäre.«
»Und was ist mit den roten Wilden im Ödland?«
»Die anzusprechen, geschähe auf eigenes Risiko«, erwiderte ich. »Das Leder ließ erkennen, daß die berittenen Jäger Anstalten machten, Zarendargar anzugreifen, daß sie durch den Angriff des Mannes aber daran gehindert wurden.«
»Aber das Übersetzungsgerät!« wandte Samos ein.
»Im Ödland gibt es eine verwirrende Vielzahl von Stammessprachen, die meisten sind den Angehörigen anderer Stämme fremd. Ich kann mir kaum vorstellen, daß das Übersetzungsgerät auch nur auf eine dieser Sprachen eingerichtet ist, geschweige denn mehrere.«
»Dann ist Zarendargar vielleicht in Sicherheit«, sagte Samos.
»Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Sie werden erst Ruhe geben, wenn sie ihr Opfer gefunden haben, mit oder ohne menschlicher Hilfe.«
»Dann hat Zarendargar also keine Chance«, sagte Samos.
»Vielleicht.«
Wieder blickte ich durch die Lamellenfenster der Barke. Auf einem sanft geneigten Zementufer hockte eine Sklavin und wusch Wäsche; das Kanalwasser umspielte ihre Knie. Sie trug einen Stahlkragen. Ihre Tunika war an den Oberschenkeln weit hochgeschoben. Ich lächelte vor mich hin. Es ist angenehm, eine Frau auf goreanische Weise zu besitzen.
»Du glaubst also, daß die Haut echt ist«, sagte Samos.
»Ja«, antwortete ich, »und wenn ich die roten Wilden richtig einschätze, ist es das Leder eben jenes Tiers, dessen Bild wir darauf sehen.«
»Ai!« rief Samos. »Vielleicht ist es das tatsächlich! Mir tut Zarendargar leid.«
»Dein Mitleid würde ihm nicht schmecken«, sagte ich.
Ich setzte mich auf eine der niedrigen Holzbänke, die im Innern des Bootes angebracht waren.
»Sehr unbequem«, sagte ich. Meine Beine waren eingeklemmt.
»Diese Boote sind für den Transport von Sklavinnen bestimmt«, antwortete Samos und warf einen Blick nach draußen. »Wir kommen gleich an einem Markt vorbei«, fuhr er fort. »Schließ lieber die Lamellen!«
Ich blickte hinaus. Ein starker Geruch nach Obst, Gemüse und Verrmilch machte sich bemerkbar. Außerdem hörte ich Frauenstimmen. Dutzende von Frauen breiteten ihre Decken und Waren auf dem Pflaster aus. Es gibt in Port Kar viele Märkte dieser Art. Männer und Frauen suchen ihn in kleinen Booten auf. Manchmal machen sie ihre Boote nur am Kanalufer fest, besonders wenn die eigentliche Marktfläche sehr klein ist. Auf diese Weise erweitern sich die Märkte in den Kanal hinaus. Der einzige ausschließlich schwimmende Markt findet in einer Art Hafenbecken dicht am Arsenal statt. Wegen des dort stehenden Denkmals wird der Bereich ›Platz des 25. Se’Kara‹ genannt. Am 25. Se’Kara im Ersten Jahr der Herrschaft des Kapitänsrates, im Jahr 10120 Contasta Ar, seit der Gründung Ars, fand eine Seeschlacht statt, in deren Verlauf die Flotte Port Kars die Flotten Cos’ und Tyros’ besiegte. Das Denkmal ist natürlich diesem Sieg gewidmet. Der schwimmende Markt bildet sich um dieses Denkmal. Übrigens war jenes Jahr noch in einer anderen Beziehung für Port Kars Geschichte bedeutsam, denn damals geschah es, daß sich, wie es hieß, ein Heimstein ›dazu herabließ‹, die Stadt anzunehmen.
»Bitte!« sagte Samos. »Ich möchte nicht, daß unser früher Ausflug bekannt wird.«
Ich nickte und schloß die Lamellen. Wir waren in Port Kar bestens bekannt. Es hatte keinen Sinn, die Bürger zu unnützen Spekulationen anzuregen.
»Ich sehe schon den nächsten Markt«, bemerkte ich.
»Verrmilch, ihr Herren!« rief eine Stimme. »Verrmilch, ihr Herren!«
Ich öffnete die Lamellen ein wenig, um mir das Mädchen anzuschauen. Sie war hübsch. In Tunika und Sklavenkragen hockte sie auf einer weißen Decke, neben sich den Messingbehälter Verrmilch und winzige Messingbecher. Sie hatte eine sehr helle Haut und karottenrotes Haar. »Verrmilch, ihr Herren!« rief sie. Sklaven können im Namen ihrer Herren kaufen und verkaufen, niemals aber auf eigene Rechnung.
»Wirst du die Ereignisse dieses Morgens in das Sardargebirge melden?« fragte ich.
»Kontakte dieser Art sind routinemäßig anzuzeigen«, antwortete Samos.
»Glaubst du, daß das Sardargebirge etwas unternehmen wird?«
»Nein.«
»Das Gefühl habe ich auch.«
»Es ist die Angelegenheit der Priesterkönige, solchen Dingen ihren Lauf zu lassen.«
»Stimmt«, sagte ich.
»Hast du Interesse?«
»Mich interessierte deine Meinung«, gab ich zurück. »Sie deckt sich mit meiner, wie ich schon vermutet hatte.«
»Warum fragst du dann?«
»Ich war eben neugierig.«
»Oh!«
Stumm setzten wir die Fahrt fort, die zu meinem Anwesen führte.
»Ich bin Zarendargar im Norden begegnet«, sagte ich schließlich.
»Das ist mir bekannt«, sagte Samos.
»Er schien mir ein ausgezeichneter Befehlshaber zu sein, und ein guter Soldat.«
»Er ist ein furchtbarer und gefährlicher Feind«, sagte Samos. »Menschen wie Priesterkönigen erginge es besser, würde er beseitigt. Wollen wir hoffen, daß die Ungeheuer, die uns heute früh gegenüberstanden, mit ihren Unternehmungen erfolgreich sind.«
Wieder blickte ich durch den dünnen Schlitz zwischen den Lamellen. Wir hatten beinahe die sechste Ahn. Kleine Boote waren auf dem Kanal unterwegs. Die meisten wurden durch die Hin- und Herbewegung von Steuerrudern angetrieben. Einige größere Boote und leichte Galeeren, wie sie auch im Tamber-Golf oder auf dem Thassa eingesetzt werden konnten, wurden von sitzenden Sklaven gerudert, entweder einreihig oder in doppelter Belegung übereinander. Während der Fahrt innerhalb Port Kars waren sämtliche Masten umgelegt; dies entsprach einer Vorschrift der Stadt.
»Der Kapitänsrat muß in zwei Tagen zusammentreffen«, sagte Samos. »Dabei geht es darum, den Sa-Tarna-Kai im südlichen Hafen zu verlängern. Welcher Teil der Kosten von der öffentlichen Hand übernommen werden soll – das ist der strittige Punkt. Und wird die Lizenz erteilt, könnte damit ein unangenehmer Präzedenzfall geschaffen werden. Schon gibt es unzufriedene Stimmen bei den Reptuch-, Holz- und Steinkaufleuten.«
Wir passierten einen offenen Sklavenmarkt, und ich betrachtete das Geschehen mit Interesse.
»Es handelt sich um wichtige und komplexe Fragen«, fuhr Samos fort. »Ich glaube, ich bin eher für die Gewährung der Lizenz, bei gleichzeitiger Beschränkung des Zuschusses auf einen Betrag, der die anderen merkantilen Kasten und Unterkasten Port Kars davon abschreckt, ebenfalls auf Zahlungen aus der Stadtkasse zu spekulieren. Das scheint mir das richtige Vorgehen zu sein. Die Kasten sollen sich lieber aus eigenen Kräften helfen. Zum Beispiel haben die Sklavenhändler niemals eine direkte Unterstützung durch den Rat beantragt.«
Meine Gedanken wandten sich dem Ödland zu. Dabei handelt es sich nicht um eine durch und durch öde Fläche, wie der Name vielleicht andeutet. Öde ist die Region nur im Vergleich, beispielsweise mit den Wäldern des Nordens oder dem fruchtbaren Land in den Flußtälern oder den Feldern und Wiesen der südlichen Regenzonen. Im wesentlichen besteht das Ödland aus riesigen Flächen leicht hügeligen Graslandes, das sich östlich der Thentis-Berge erstreckt. Mein Verdacht geht dahin, daß der Name Ödland nicht in erster Linie eine genaue geographische Beschreibung sein, sondern mehr verhindern soll, daß dieser Bereich betreten, erforscht und besiedelt wird. So sollte man den Namen vielleicht nicht als wissenschaftlich zutreffend ansehen, sondern als etwas anderes, vielleicht eine Warnung. Der Name ›Ödland‹ gibt den Menschen die Entschuldigung, sollten sie ihrer bedürfen, die Zone nicht zu betreten. Dabei ist der Name nicht völlig falsch. Das Territorium dürfte alles in allem weitaus weniger nutzbar sein als der größte Teil des übrigen bekannten Gor. Das Klima wird dort weitgehend von den Thentis-Bergen beeinflußt und vom Fehlen großer Wasserflächen. In der nördlichen Hemisphäre Gors kommen die Winde vorwiegend aus dem Norden und Westen. Dementsprechend wird ein erheblicher Prozentsatz feuchtigkeittragenden Luft von westlichen Winden in die Thentis-Berge und dort in kühlere, weniger erhitzte Lufthöhen gedrückt, wo sie abregnet, vorwiegend an den Osthängen des Gebirges und den westlichen Ausläufern des Ödlandes. Darüber hinaus reduziert das Fehlen großer Wasserflächen im Ödland die Regenfälle noch insoweit, als sie sich aus der Verdunstung großer Flächen und dem nachfolgenden Niederschlag der Feuchtigkeit über Land ergeben, ausgelöst durch damit einhergehende Luftbewegungen.
Der Mangel an großen Wasserflächen hat noch eine andere gravierende Auswirkung auf das Klima des Ödlandes, das ohne die mäßigende Einwirkung solcher Wasserflächen auf atmosphärische Temperaturen auskommen muß. Landmassen am Meer haben wegen der unterschiedlichen Erhitzung von Land und Wasser im allgemeinen wärmere Winter und kühlere Sommer als anders gelegene Zonen. So erlebt das Ödland große Temperaturunterschiede, die sich in bitterkalten Wintern und langen heißen, trockenen Sommern äußern.
»Eine andere Möglichkeit«, plauderte Samos weiter, »wäre ein Kredit an die Sa-Tarna-Kaufmannschaft, und zwar zu einem ermäßigten Zins. Damit wäre der Präzedenzfall einer direkten Subvention an einer Unterkaste vermieden. Gewiß, trotzdem könnte es Widerstand aus der Straße der Münzen geben. Vielleicht ließe sich auch eine Steuervergünstigung in Betracht ziehen.«
In den trockensten Zonen am Fuße der Thentis-Berge ist das Gras nur kurz. Reitet man weiter nach Osten, wächst es höher empor, bis zu achtzehn Zoll hoch; und kommt man noch weiter östlich, kann es Höhen von mehreren Fuß erreichen und berührt zuweilen die Knie eines Kaiilareiters. Zu Fuß kann man sich in solchem Gras leichter verlaufen als in den Wäldern des Nordens. Soweit ich weiß, war es noch keinem Weißen gelungen, bis an die Ostgrenze des Ödlandes vorzustoßen. Jedenfalls war aus jenem Gebiet noch niemand zurückgekehrt. Wie groß es also wirklich ist, weiß niemand.
»Das sind alles sehr komplizierte Entscheidungen«, jammerte Samos. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich stimmen soll.«
Typisch für das Ödland sind Tornados und krachende Donnerschläge. Im Winter kann es zu Schneestürmen kommen, die wohl zu den schlimmsten auf Gor zählen: Die Schneewehen erreichen die Höhe von Galeerenmasten. Im Sommer glüht die Sonne, die scheinbar endlose Dürreperioden auslöst und zahlreiche flache gewundene Flüsse dieser Gegend austrocknen läßt. Plötzliche Temperaturschwankungen sind nichts Ungewöhnliches. Ein Teich kann im En’Kara-Monat plötzlich zufrieren, während gegen Ende Se’Var eine zwölf Zoll dicke Schneedecke innerhalb von Stunden zu schmelzen vermag. Es wird auch von plötzlichen Stürmen berichtet, ebenso von Unwettern, die in weniger als einer Stunde das Wasser einen Fuß hoch steigen lassen. Solche Regengüsse versickern natürlich schnell wieder und schneiden Bachläufe und Vertiefungen in das Land. Auf diese Weise kann sich ein trockenes Flußbett innerhalb von Minuten in einen reißenden Strom verwandeln. Nicht selten kommt es auch zu Hagelschlag, mit Brocken, die oft größer sind als Vulo-Eier. Oft haben solche Unwetter ganze Zugvögelschwärme vernichtet.
»Was meinst du dazu?« fragte Samos.
»Es gab einen Moment, da habe ich mit Zarendargar Paga geteilt«, sagte ich.
»Das verstehe ich nicht.«
Wir spürten die Barke langsam im Kanal wenden. Dann hörten wir, wie auf der Steuerbordseite Ruder eingezogen wurden. Sanft prallte das Boot gegen eine Pier und knirschte an den Lederpolstern entlang.
»Wir sind an meinem Haus«, sagte ich.
Langsam erhob ich mich von der niedrigen Bank, ging zur Tür und öffnete sie, die zum Heck der Barke hinausführte. Zwei meiner Männer, der eine am Bug, der andere am Heck, hielten die Leinen. Ich stieg auf die Reling der Barke und sprang von dort auf den Anleger.
Samos trat unter mir an die Schwelle der Kabinentür.
»Ein interessanter Morgen«, sagte er.
»Ja.«
»Wir sehen uns dann übermorgen bei der Ratsversammlung.«
»Nein«, sagte ich.
»Ich verstehe das nicht.«
»Zarendargar ist in großer Gefahr«, sagte ich.
»Darüber können wir uns doch freuen.«
»Das Todeskommando ist bereits auf Gor.«
»Sieht so aus.«
»Wie viele sind es deiner Meinung nach?« fragte ich.
»Zwei«, sagte Samos.
»Gewiß mehr«, widersprach ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß nur zwei Kurii ausgesandt wurden, um ein Ungeheuer wie Zarendargar zu beseitigen.
»Mag sein«, sagte Samos.
»Ich habe mit Zarendargar Paga geteilt«, sagte ich.
Samos kam zum Heck der Barke. Erstaunt blickte er zu mir auf. Anscheinend sorgte er sich nicht mehr, daß unser morgendlicher Ausflug beobachtet werden könnte. »Welche Verrücktheit planst du?« flüsterte er.
»Zarendargar muß auf jeden Fall gewarnt werden«, sagte ich.
»Nein!« rief Samos. »Er muß so schnell wie möglich sterben!«
»Ich glaube nicht, daß es den Kurii in einem solchen Fall darum geht, schnell zu töten.«
»Die Sache geht dich nichts an.«
»Mich geht jede Sache etwas an, die ich zu der meinen mache«, sagte ich.
»Weiße Männer sind im Ödland nicht willkommen.«
»Da gibt es bestimmte Ausnahmen«, sagte ich. »Irgendwie muß der Handel doch blühen.«
»Du brauchst Zarendargar nicht zu warnen«, beschwor mich Samos. »Er weiß, daß man ihn verfolgen wird. Diese Bestätigung hat uns eines der Ungeheuer gegeben, mit denen wir heute früh sprachen.«
»Vielleicht weiß er aber noch nicht, daß seine Henker auf Gor gelandet sind«, widersprach ich. »Vielleicht hat er keine Ahnung, daß die Kurii seinen ungefähren Aufenthaltsort kennen. Er hat womöglich keine Ahnung, mit wem er es zu tun hat.«
»Das ist sein Problem«, sagte Samos, »nicht das deine.«
»Vielleicht hast du recht.«
»Es gab einen Moment, da er dich auf das Eis schickte, um von einem anderen Kur getötet zu werden.«
»Er tat seine Pflicht, wie er sie damals für richtig hielt.«
»Und du willst ihm das verzeihen?«
»Ja.«
»Aber vielleicht tötet er dich, sobald er dich sieht«, warnte Samos.
»Du hast recht, er ist mein Feind«, räumte ich ein. »Aber dieses Risiko muß ich eingehen.«
»Vielleicht erkennt er dich gar nicht«, sagte Samos.
»Möglich.« Vielleicht lag hier tatsächlich eine gewisse Gefahr. So wie Menschen oft Schwierigkeiten hatten, Kurii zu identifizieren, so hatten anscheinend die Kurii Mühe, einen Menschen vom anderen zu unterscheiden. Andererseits war ich zuversichtlich, daß Zarendargar mich erkennen würde. Ich jedenfalls würde ihn erkennen. Einen Kur wie Halb-Ohr vergißt man nicht so schnell, ein Wesen, das über den Ringen stand, ein Kriegsgeneral der Kurii.
»Ich verbiete dir diese Expedition«, sagte Samos.
»Das kannst du nicht!« rief ich.
»Im Namen der Priesterkönige verbiete ich es dir!«
»Über meine Kriege bestimme allein ich«, sagte ich, »und zwar nach eigenem Gutdünken.«
»Du spielst also ernsthaft mit dem Gedanken, in das Ödland vorzustoßen?« fragte Samos.
»Ja.«
»Du bist ein törichter, sturer Bursche!«
»Mag sein.« Ich hob das eingerollte Kailiaukfell, das ich unter dem Arm trug. »Dürfte ich das behalten?« fragte ich.
»Selbstverständlich«, sagte Samos.
Ich reichte die Haut einem meiner Männer. Sie konnte sich im Ödland als nützlich erweisen.
»Dein Entschluß steht fest?« wollte Samos wissen.
»Ja.«
»Warte!« Er wandte sich ab und kehrte in die Kabine zurück. Gleich darauf kam er wieder heraus und reichte mir das Übersetzungsgerät, das wir aus der Tarnanlage mitgebracht hatten. »Dies brauchst du vielleicht«, sagte er.
»Ich danke dir, Samos.«
»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er.
»Ich wünsche dir alles Gute«, erwiderte ich und wandte mich ab.
»Warte!«
Ich drehte mich noch einmal um.
»Nimm dich in acht!« sagte er.
»Das werde ich.«
»Tarl!« sagte er plötzlich.
Wieder schaute ich ihn an.
»Wie kommt es, daß du einen solchen Plan auch nur erwägst?« wollte er wissen.
»Zarendargar braucht vielleicht meine Hilfe«, sagte ich. »Und vielleicht kann ich ihm helfen.«
»Aber warum, warum?« fragte er.
Wie sollte ich Samos die seltsame Zuneigung erklären, die ich zu einem Wesen empfand, dem ich nur im Norden begegnet war, vor langer Zeit, mit einem Geschöpf, das nur ein Ungeheuer war? Ich erinnerte mich an den langen Abend, den ich mit Zarendargar verbracht hatte, und an unser langes angeregtes Gespräch, ein Gespräch unter Kriegern, unter Soldaten, die sich mit Waffen und Kampf und Kriegertugenden auskannten, unter Wesen, die die Erregung und Schrecknisse von Konflikten kannten, für die ein krasser Materialismus niemals etwas anderes sein konnte als der Weg zu würdevolleren Siegen, Männer, die die Einsamkeit des Kommandierenden kannten, die die Bedeutung von Worten wie Disziplin, Verantwortung, Mut und Ehre nicht vergessen hatten, die Gefahren und lange Ritte und Entbehrungen kannten, für die Bequemlichkeit und heimischer Herd weniger verlockend waren als Lager und ferne Horizonte.
»Warum? Warum?« fragte er.
Ich schaute an Samos vorbei auf den langen Kanal. Ein Urtjäger ruderte langsam vorbei; im Boot saß seine Sklavin.
»Warum?« fragte Samos.
Ich zuckte die Achseln. »Wir haben einmal Paga geteilt«, sagte ich.