4

Mit der Schulter stemmte ich mich gegen das riesige Holzrad des Sklavenwagens.

Weiter vorn hörte ich die Rufe des Fahrers, das Knallen seiner langen Peitsche über dem Rücken der beiden Zug-Tharlarion. »Zieht, ihr lahmen Viecher!« brüllte er.

Bis zu den Knien im Schlamm stehend, ausrutschend, schob ich mit voller Kraft. Das Rad bewegte sich, und der Wagen ruckelte ächzend und knackend vorwärts.

Ich watete um das Fahrzeug herum, erreichte die kiesbedeckte Fläche, lief los und sprang, den Wagen einholend, vorn auf den Kutschbock, neben den Fahrer.

»Warum suchst du Grunt?« fragte dieser, ein junger Mann mit zottigem Haar, das im Nacken kurz geschnitten war.

»Ich suche etwas, das sich vielleicht im Ödland befindet«, gab ich Auskunft.

»Das Gebiet solltest du lieber nicht betreten«, sagte der junge Mann warnend. »Der Aufenthalt dort kann tödlich sein.«

»Wie ich gehört habe, kommt und geht Grunt dort nach Belieben.«

»Etliche Kaufleute und Tauschhändler haben von gewissen Stämmen die Erlaubnis dazu«, sagte der junge Mann.

»Er soll sie von allen haben«, sagte ich. »Ich habe erzählen hören, er sei im Ödland sehr willkommen und dringe von allen Fremden am tiefsten in diese Zone ein.«

»Das mag stimmen«, sagte der junge Mann.

»Ich frage mich, warum das so ist«, bemerkte ich.

»Er spricht ein wenig den Staubfuß-Dialekt und andere Stammessprachen. Außerdem kennt er sich mit den Zeichen aus.«

»Zeichen?«

»Handsprache«, erklärte der junge Mann. »So verständigen sich die roten Wilden aus verschiedenen Stämmen miteinander. Ihre Sprachen verstehen sie nicht.«

»Sicher nicht.«

Somit war vermutlich die Zeichensprache der Schlüssel zur Fähigkeit der Stämme, sich gegen Gefahren von außen zu verbünden, und auch für die ›Erinnerung‹.

»Gewiß kennen mehrere Händler die Handzeichen«, sagte ich.

»Gewiß«, erwiderte der junge Mann.

»Darüber hinaus kennt er aber mehrere Stammessprachen.«

»Aber nicht sehr gut«, schränkte der junge Mann ein. »Ein paar Worte und Sätze. Die Wilden kommen manchmal an die Umschlagplätze. Da lernt man ein wenig von der Sprache des anderen. Nicht sehr viel.«

»Dann läuft die Verständigung also weitgehend über die Zeichensprache.«

»Ja.« Der junge Mann stand auf und ließ erneut die Peitsche über den Tharlarion knallen, ehe er sich wieder setzte.

»Wenn etliche Kaufleute die Zeichen kennen und einige andere auch Dialektkenntnisse haben, was hebt Grunt dann so heraus? Warum darf er allein so tief in das Ödland vordringen?«

»Vielleicht meinen die Wilden, daß sie von Grunt nichts mehr zu gewinnen haben«, sagte der junge Mann lachend.

»Das verstehe ich nicht«, gab ich zurück.

»Du wirst es noch verstehen.«

»Können wir von hier die Grenze sehen?« fragte ich. Wir befanden uns gerade auf einem Hügelkamm.

»Nicht eindeutig, aber sie liegt dort draußen.« Er deutete nach rechts. »Siehst du die flachen grasbedeckten Hügel am Horizont?«

»Ja.«

»Sie liegen schon auf der anderen Seite der Grenze.«

»Wann sind wir in Fort Haskins?«

»Morgen früh«, antwortete er. »Heute abend schlagen wir ein Lager auf.«

»Herr«, sagte eine weiche Mädchenstimme hinter uns. »Darf eine niedere Sklavin etwas fragen?«

»Ja«, sagte der junge Mann.

Der Wagen beförderte zehn Mädchen, die auf der Ladefläche an den Füßen so angekettet waren, daß sie sich einigermaßen frei bewegen konnten.

»Unsere Fesseln sind schmerzhaft eng, ihr Herren«, sagte das Mädchen. »Wir bitten darum, sie zu lockern, nur ein wenig.«

Zornig drehte sich der junge Mann auf dem Kutschbock um und blickte das Mädchen stirnrunzelnd an. Sie wich zurück.

»Freu dich, daß ich nicht anhalte und euch bestrafe!«

»Ja, Herr«, sagte das Mädchen leise.

Ich lächelte. Die Männer der Grenzzone verziehen ihre Sklaven nicht.

»Ich finde es interessant«, sagte ich, »daß ihr keine bewaffnete Eskorte habt.«

»Du bist doch nicht etwa ein Räuber?« fragte er.

»Nein.«

»Hier an der Grenze sind Frauen im allgemeinen billig.«

»Und warum?« fragte ich überrascht.

»In unserer Grenzzone ist es seit über hundert Jahren sehr ruhig«, antwortete er. »Dementsprechend sind Frauen hier nicht rarer als anderswo.«

»Aber warum sind sie billig?«

»Die Wilden«, erklärte er. »Sie machen Beutezüge im Süden und verkaufen im Norden. Sie rauben im Norden und verkaufen im Süden.«

Die Grenzzone war viele tausend Pasangs lang. Es gab viele vereinzelt liegende Höfe, zahlreiche Siedlungen und Dörfer.

»Verkaufen sie alle Mädchen, die sie erbeuten?«

»Nein. Einige nehmen sie mit ins Ödland.«

»Und was tun sie mit ihnen?«

»Keine Ahnung!« rief der junge Mann lachend. »Zweifellos haben sie eine gute Verwendung dafür.«

»Zweifellos«, stimmte ich ihm zu. Die roten Wilden hatten bestimmt manche nützliche Arbeit für hilflose weiße Sklavinnen.

»Um welche Zeit treffen wir morgen in Fort Haskins ein?«

»Es ist vorgesehen, daß ich meine Fracht um eine halbe Ahn nach der zehnten Ahn beim Sklavenhändler Brint abliefere«, antwortete er, »Vielleicht willst du den Wagen ja schon vorher verlassen.«

Ich nickte. Es wäre sinnlos gewesen, länger als unbedingt notwendig bei dem Fahrzeug zu bleiben. Mir nützte das Mitfahren nur, wenn es mich auf meinem Weg nach Kailiauk weiterbrachte.

»Was soll mit diesen Sklavinnen geschehen?« fragte ich. »Kommen sie in Fort Haskins zum Verkauf?«

»Ich glaube, sie sind für den Weitertransport über den Boswell-Paß bestimmt, um von dort auf Märkte im Westen zu kommen.«

»Wenn es über den Paß geht, sollte man ihnen etwas anzuziehen geben«, sagte ich.

»Man wird sie in Felle einwickeln«, antwortete der junge Mann. »Wegen des lebhaften Handels sind Felle in Orten wie Fort Haskins und Kailiauk sehr billig. Übrigens gibt es noch einen zweiten Grund, warum Mädchen in dieser Gegend billig sind.«

»Und der wäre?«

»Barbarinnen.«

»Barbarinnen?«

»Ja, ungeübte, unausgebildete, rohe, leckere kleine Schönheiten, von denen viele so gut wie kein Goreanisch sprechen.«

»Woher kommen sie?«

»Keine Ahnung. Der Lieferpunkt scheint irgendwo in der Nähe Kailiauks zu liegen. Für die Märkte taugen sie allerdings wenig.«

Die Information interessierte mich. Die Lieferpunkte für Sklavenhändler, die mit den Kurii zusammenarbeiteten, waren auf Gor sehr veränderlich. Diese Praxis wurde zweifellos geübt, um der Entdeckung durch die Priesterkönige zu entgehen.

»Werden diese Barbaren in der Regel nach Westen über den Boswell-Paß gebracht?« fragte ich.

»Beinahe nie«, sagte der junge Mann. »Meistens transportiert man sie nach Süden, offenbar über die dortigen Pässe.«

Die neue Einzelheit bestärkte mich in meinem Verdacht, daß die Mädchen in der Tat von der Erde entführt worden waren. Wurden sie nämlich über den Boswell-Paß geschafft, hätten sie früher oder später Clark aus Thentis auffallen müssen, einem dortigen Sklavenhändler, der den Priesterkönigen schon manche Dienste geleistet hatte.

»Interessant«, sagte ich. Die Umgebung Kailiauks, das so dicht am Ödland lag, schien für die Anlieferung frischen Sklavenmaterials geeignet zu sein, weil sie so unzugänglich war. Außerdem ließ sich damit erklären, wie die Kurii auf die Haut mit den Bildern aufmerksam geworden waren. Möglicherweise hatten sie in oder bei Kailiauk einen Agenten sitzen.

»Es heißt, daß solche Barbaren ausgezeichnete Sklavinnen ergeben«, wenn sie erst einmal richtig gezähmt und ausgebildet sind«, sagte der junge Mann.

»Das höre ich gern.«

»Aber besitzen wollte ich trotzdem keine«, sagte er.

»Hast du denn schon einmal eine besessen?«

»Nein.«

»Dann solltest du dich nicht voreilig festlegen.«

»Du hast recht.« Er lachte.

Der junge Mann hatte keine Ahnung, was er versäumte. Erdenmädchen, die nach jahrelanger sexueller Entbehrung auf den Planeten Gor gebracht wurden und sich plötzlich der absoluten maskulinen Dominanz unterworfen sahen, ohne etwas anderes tun zu können, als ihre wunderbare, verborgene, bisher unterdrückte weibliche Natur hervorbrechen zu lassen, waren oft die dankbarsten, hingebungsvollsten, perfektesten Sklavinnen.

»Für den Markt taugen sie aber nichts«, meinte der junge Mann.

»Da magst du recht haben.« Durchaus vorstellbar, daß ein Überangebot an barbarischen Frauen einen negativen Einfluß auf die Preise hatte. Die mit den Kurii zusammenarbeitenden Sklavenhändler verteilten diese Mädchen natürlich auf verschiedene Märkte, was Nachforschungen erschwerte und im Durchschnitt die Preise verbesserte, die man erzielen konnte.

»Bald ist es Zeit, das Lager aufzuschlagen«, sagte der junge Mann.

»Bitte, Herr!« flehte das Mädchen, das schon vorhin zu uns gesprochen hatte. »Bitte binde mich im Lager los, ich möchte dir dienen.«

»Nein, ich!« rief ein anderes Mädchen.

Der junge Mann lachte. Die Mädchen wollten ihn gnädig stimmen. Dabei war er kein übel aussehender Bursche, und sie waren nur Sklavinnen. Die Beförderung solcher Frachten bringt nicht viel Lohn, doch gewisse Nebenvergünstigungen.

»Seht doch!« rief der Fahrer plötzlich und deutete nach rechts. »Rauch!« Sofort stand er auf und ließ die Peitsche ertönen. Grunzend erhöhten die Tharlarion das Tempo. Noch zweimal knallte die Peitsche. Die Mädchen auf der Ladefläche verstummten. Ich hielt mich am Rand des Kutschbocks fest. In einem weiten schrägen Tal rechts von uns, zwei oder drei Pasangs von der Straße entfernt, machte ich drei dünne Rauchsäulen aus.

»Schneller! Har-ta!« brüllte der junge Mann seinen Zugtieren zu.

»Wir sollten anhalten«, sagte ich. »Vielleicht können wir helfen.«

»Dazu ist es zu spät«, antwortete er. »Wenn man den Rauch sehen kann, ist es zu spät. Dort ist längst jeder tot oder gefangen.«

Hinten auf dem Wagen stieß eines der Mädchen einen Angstschrei aus. Als nackte, gefesselte Sklavinnen waren sie völlig hilflos.

»Dennoch muß ich mich dort umhören.«

»Dann tust du das allein.«

»Einverstanden, halt an!«

»Reiter!« rief der junge Mann. Weiter vorn auf der Straße wirbelte eine Staubwolke auf. Er brachte die Tharlarion zum Stehen. Ächzend scharrten sie mit den Hufen auf dem Kies und warfen die Köpfe hoch. Der junge Mann sah sich verzweifelt um. Auf der schmalen Straße konnte er den Wagen nicht wenden. Die Mädchen begannen zu kreischen und sich in ihren Fesseln zu winden.

»Soldaten!« sagte ich. Ich war auf dem Kutschbock aufgestanden.

»Dank sei den Priesterkönigen!« rief der junge Mann.

Gleich darauf zügelte eine Abteilung Soldaten ihre Kaiila vor dem Wagen, es waren Lanzenträger und Armbrustschützen. Sie trugen die Farben Thentis’. Von Kopf bis Fuß waren sie mit Staub bedeckt. Die Uniformen waren schwarz von Dreck und Schweiß. Die Flanken der tänzelnden Kaiila waren schaumbedeckt. Die Tiere schnaubten, warfen die Köpfe hoch und atmeten keuchend. Die dritten Lider, die durchsichtigen Sturmmembranen, waren heruntergezogen und ließen die herumrollenden Augen gelb erscheinen.

»Staubfüße«, sagte der Offizier, der die Männer anführte. »Die Straße ist geschlossen. Wohin wollt ihr?«

»Nach Fort Haskins«, sagte der junge Mann.

»Ihr könnt hier nicht bleiben, und umkehren wäre gefährlich«, meinte der Offizier. »Am besten wäre es wohl, wenn ihr so schnell wie möglich nach Fort Haskins weiterfahrt.«

»Das werde ich tun.«

»Es ist doch ungewöhnlich, nicht wahr, daß die Staubfüße auf dem Kriegspfad sind?« fragte ich. Soweit ich wußte, gehörten sie zu den friedlicheren Stämmen des Ödlandes. Sie traten oft sogar als Vermittler zwischen den Männern der Siedlungen und den wilderen Stämmen des Landesinneren auf, zum Beispiel den Gelben Messern, den Sleen und den Kaiila.

»Wer bist du?« fragte der Offizier.

»Ein Reisender«, gab ich zurück.

»Wir wissen nicht, was sie in Wut gebracht hat«, sagte der Offizier. »Sie haben niemanden getötet. Nur Höfe niedergebrannt und Kaiila mitgenommen.«

»Vielleicht handelt es sich um eine Warnung«, sagte ich.

»Sieht so aus«, erwiderte der Offizier. »Zum Beispiel haben sie nicht im ersten Licht des Morgens angegriffen. Sie kamen ganz offen, taten ohne Eile ihre Arbeit und zogen sich zurück.«

»Sehr rätselhaft«, sagte ich.

»Es ist ein friedliebender Stamm«, fuhr der Soldat fort, »aber ich muß schleunigst weiter. Vielleicht rücken nun gleich auch noch die Sleen oder Kaiila an.«

Ein Mädchen auf dem Wagen begann entsetzt zu wimmern.

Langsam ritt der Offizier um den Wagen herum und besah sich durch die hölzernen Gitterstäbe unsere Ladung.

»An eurer Stelle würde ich schleunigst weiterfahren. Nicht einmal Staubfüße könnten dieser Ladung widerstehen.«

»Jawohl, Hauptmann!« sagte der junge Mann. Der Offizier ritt wieder an die Spitze seiner Männer, während der junge Kutscher aufstand, mit einer Hand die Zügel schüttelte und mit der anderen die Peitsche schwang. »Los, los, ihr Viecher!« brüllte er. Behäbig setzten sich die Tharlarions in Bewegung, und knirschend fuhr der Wagen an. Die Mädchen waren stumm.

Nach wenigen Ehn hatten wir gut einen Pasang zurückgelegt. Wir waren wieder allein. Es war dunkel.

»Die Sklavinnen haben Angst«, sagte ich.

»Wir werden nicht lagern«, antwortete der junge Mann, »sondern die ganze Nacht durchfahren. Ich werde nur ab und zu halten, damit die Tharlarion sich ausruhen können.«

»Eine weise Entscheidung«, bemerkte ich.

»So etwas sieht den Staubfüßen gar nicht ähnlich«, sagte er.

»So sehe ich die Sache auch«, erwiderte ich.

Загрузка...