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»Du weißt natürlich«, fragte ich Grunt, »daß wir verfolgt werden?«

»Ja«, antwortete er.

Wir schrieben etwa die Mittagsstunde unseres zweiten Tages im Ödland.

»Ich hoffe, daß die Leute friedliche Absichten haben«, meinte ich.

»Das ist nicht anzunehmen«, erwiderte er lächelnd.

»Befinden wir uns denn noch nicht im Revier der Staubfüße?« fragte ich. Dieser im Grenzbereich wohnende Stamm begegnete den Weißen im allgemeinen sehr wohlwollend. Der Handel lief praktisch ausschließlich über die Staubfüße; in der Tat erreichten die meisten Waren aus dem Landesinneren die Zivilisation nur über diesen Stamm, wobei die Staubfüße als Agenten und Zwischenhändler auftraten. Die meisten Stämme wollten mit den Weißen offenbar nicht direkt zu tun haben, was auf die Tradition der ›Erinnerung‹ zurückging, die Haß und Mißtrauen schwären ließ. Außerdem war es oft sehr schwierig, die jungen Wilden im Zaun zu halten. Kleine Gruppen von Händlern waren im Gebiet der Staubfüße zwar willkommen, doch drangen sie selten in die entlegeneren Stammesterritorien ein. Zu viele waren von solchen Vorstößen nicht zurückgekehrt. Grunt stellte insofern eine Ausnahme dar, als er bei seinen Handelstouren schon bis in die Länder der Flieher und Gelben Messer vorgedrungen war. Mindestens einmal war er sogar schon im Land der Sleen und der Kaiila gewesen. Einige dieser Gebiete waren seit den Tagen der ersten weißen Erforscher des Ödlandes, Männer wie Boswell, Diaz, Bento, Hastings und Hogarthe, kaum wieder erkundet worden.

»Doch«, sagte Grunt.

»Warum vermutest du dann, daß sie feindselig sind?« fragte ich.

»Es handelt sich nicht um Staubfüße?« erwiderte er.

Wir zogen unsere Kaiila herum, und die Sklavenkette blieb stehen. Dankbar setzten die Mädchen ihre Lasten ab. Wir beobachteten die Staubwolke, die einige Pasangs entfernt über der Prärie aufstieg.

»Dann muß es sich um Flieher oder Gelbe Messer handeln«, vermutete ich.

»Nein.«

»Dann weiß ich nicht weiter.«

»Schau dir doch den Staub an. Vorn ist er schmal und benimmt sich nicht so, als wäre er vom Wind emporgeschleudert worden.«

»Überdies würde die Windrichtung gar nicht stimmen!« rief ich.

»Und daraus schließt du«, sagte Grunt, »daß der Staub von den Pfoten galoppierender Kaiila aufgewirbelt wird.«

»Ja.«

»Damit hast du recht«, fuhr er fort. »Was fällt dir sonst noch auf?«

»Ich weiß nicht, was die Frage soll.« Allmählich wurde ich nervös. Es war noch früh am Tag. Ich bezweifelte nicht, daß die fernen Reiter uns vor Anbruch der Dunkelheit mühelos einholen konnten.

»Es ist so offensichtlich, daß es dir schon aufgefallen ist«, sagte Grunt, »ohne daß du aber die Bedeutung erkannt hast.«

»Was?«

»Du kannst den Staub deutlich sehen«, sagte er.

»Ja, natürlich.«

»Kommt dir das nicht merkwürdig vor?«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Um in diesem Gelände eine solche Staubwolke aufkommen zu lassen«, erklärte Grunt, »müßtest du durch Senken reiten, anstatt ihnen auszuweichen, und deinen Trupp dicht zusammenhalten, damit der Staub als Wolke aufsteigt, anstatt sich in einer schmalen Linie zu erheben und vom Wind schnell wieder auseinandergetrieben zu werden.«

»Was willst du damit sagen?«

»Jener Staub«, sagte er, »steigt nicht unter den Pfoten von Staubfuß-Kaiila auf, auch nicht von Tieren der Gelben Messer und Flieher. Da hinten kommen überhaupt keine Kaiila roter Krieger. Die Einheimischen würden nicht so offen anrücken, so unvorsichtig, so töricht. Sie würden graslose, trockene Stellen möglichst meiden, sie würden in Abständen reiten, einer hinter dem anderen. Auf diese Weise verschleierten sie nicht nur ihre wahre Zahl, sondern senkten und schmälerten zusätzlich die Staubwolke.«

»Also folgen uns Weiße«, sagte ich.

»Damit hatte ich gerechnet«, sagte Grunt.

»Es können keine Weißen sein«, widersprach ich. »Schau dir den vorderen Teil der Staubwolke an. Fünfzehn bis zwanzig Kaiila!«

»Eben!« sagte Grunt lächelnd. »Dummköpfe!«

Ich schluckte energisch. Hier war ein Gesetz der roten Wilden übertreten worden, das das Betreten des Ödlandes durch Weiße regelte.

»Was sind das für Leute?« fragte ich.

»Ich hatte schon öfter Ärger mit ihnen«, sagte Grunt lächelnd. »Diesmal habe ich auf sie gewartet.«

»Wer denn?«

»Sie haben es auf dich abgesehen«, erwiderte er. »Ich war ziemlich sicher, daß sie diesmal die Verfolgung aufnehmen würden. Du bist der Köder.«

»Ich?«

»Du begleitest mich doch aus freien Stücken, nicht wahr?« fragte er.

»Ja!« entgegnete ich gereizt.

»Folglich kannst du mir nicht die Schuld geben«, sagte er grinsend.

»Ich habe kein Interesse daran, irgend jemand Schuld zuzuweisen«, sagte ich. »Ich würde nur gern wissen, was hier eigentlich vorgeht!«

»Nach dir werden sich die Leute auch für das zweite und dritte Mädchen interessieren«, sagte er.

Mein Blick wanderte zu Ginger und Evelyn, die neben ihren Lasten erschöpft im Gras lagen.

»Die Hobarts!« rief ich. »Und die Männer von der Bar-Ina-Ranch!«

»Gewiß.«

»Du sagtest, es wären keine angenehmen Gegner.«

»O nein!«

»Mit den Mädchen können wir ihnen nicht davonlaufen«, sagte ich. »Wir müssen uns auf einen Kampf gefaßt machen.« Hastig sah ich mich nach einer Anhöhe oder Deckung um.

»Nein.«

»Was sollen wir sonst tun?«

»Wir wandern weiter wie bisher«, erwiderte Grunt. »Wir werden uns nicht einmal durch unser Verhalten anmerken lassen, daß wir die Verfolger bemerkt haben.«

»Das verstehe ich nicht.«

»In einem Punkt hast du allerdings recht: Wir sollten keine Zeit verlieren.« Grunt ritt peitschenschwingend einmal um die Mädchen herum. Einige Sklavinnen schrien angstvoll auf. Sie hatten durch das dünne Tuch ihrer Sklaventuniken oder auf der Rückseite ihrer Beine bereits Bekanntschaft geschlossen mit den schneidenden Lederriemen. »Hei! Hei!« brüllte Grunt. »Lasten auf! Ihr wonnigen Ungeheuer, glaubt ihr, wir haben den ganzen Tag Zeit? Nein! Sputet euch!«

Ich zügelte meine Kaiila neben Grunts Tier. »Ich glaube, wir müssen entweder fliehen und die Mädchen und Waren aufgeben oder anhalten und uns wehren.«

»Ich glaube nicht, daß wir kämpfen sollten«, sagte Grunt. »Wir könnten die Kaiila töten und sie als eine Art Festung benutzen, aber selbst dann wären wir zahlenmäßig entschieden unterlegen.«

Ich schwieg. Seine Einschätzung der Lage war nur zu richtig.

»Wenn wir rote Wilde wären«, sagte Grunt, »würden wir fliehen. Sobald sich dann die Verfolger über mehrere Pasangs auseinandergezogen hätten, würden wir umkehren und zu zweit angreifen, wobei der eine für Ablenkung sorgt und der andere aus dem Hinterhalt zuschlägt. Kommt diese Taktik nicht in Frage, könnten wir uns trennen und die Verfolgermacht damit spalten, um uns dann später an einem vereinbarten Platz zu treffen. Von dort ginge es dann im Schutz der Dunkelheit zurück, um das Verlorene noch zu retten, soweit es möglich ist.«

»Interessant«, sagte ich. »Das scheint mir wirklich ein realisierbarer Plan zu sein. Wir wollen ihn sofort in die Tat umsetzen.«

»Nein.«

»Warum sonst?«

»Sinnlos.«

»Warum sinnlos?«

»Weil wir nicht in Gefahr sind.«

Ich blickte auf den näherkommenden Staub. »Wir sind nicht in Gefahr?« fragte ich.

»Nein«, antwortete Grunt und schaute sich ebenfalls um. »Eher sind unsere Verfolger gefährdet, und zwar sehr gefährdet.«

»Ich finde, wir sind Dummköpfe!« sagte ich zornig.

»Nein, dumm sind allein unsere Verfolger!«

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