5

Ich machte Platz, indem ich an den Rand der Straße trat. Früh am Morgen hatte es geregnet, und der Boden war schlammig. Die Männer, einige zu Fuß, einige auf Kaiila, überholten mich waffenklirrend. Ich schaute einigen in die Augen. Es waren Söldner. Sie gehörten allerdings keiner Söldnerkompanie an, die ich kannte. Zweifellos waren sie hier und dort angeworben worden. Sie trugen die unterschiedlichsten Uniformen und Uniformteile und ein Durcheinander von Waffen. Einige besaßen womöglich nicht einmal einen Heimstein. Die Truppe zog nach Norden, wie ich. Vermutlich lag ihr Ziel ebenfalls in Kailiauk. Ich schätzte die Stärke der Kolonne auf tausend Mann – eine ungewöhnliche Größe für eine goreanische Söldnerstreitmacht. Man mußte schon viel Geld aufwenden, um eine solchen Armee anzuwerben und bei Laune zu halten.

In der Mitte der Straße, zwischen den Söldnern, näherte sich ein von zwei Tharlarion gezogener, kostbar verzierter Karren. Ein Offizier, ein bärtiger Mann mit einem Federbüschel am Helm, vielleicht der Hauptmann der Söldnerarmee, ritt neben dem Fahrzeug. Auf einem Thronsessel, den man oben auf dem Karren festgemacht hatte, saß unter einem Seidenbaldachin eine Frau – stolz und anmutig anzuschauen, gekleidet in eine kostbare Verhüllungsrobe. Von einer Halskette mitgezerrt, lief ein junger Rothäutiger neben dem Wagen her.

»Halt!« sagte die Frau bei meinem Anblick und hob die kleine Hand, an dem ein weißer Handschuh steckte.

»Halt!« rief auch der Offizier, drehte die Kaiila herum und hob die Hand.

»Halt! Halt!« riefen andere Stimmen.

Die Reihen der Männer blieben stehen. Die Frau senkte die Hand.

Sie sah mich an. »Tal«, sagte sie.

»Tal, meine Dame«, antwortete ich.

Nonchalant löste sie mit einer Hand den äußeren Schleier. Ihre Gesichtszüge waren durch den zweiten Schleier nur noch unzureichend verhüllt, der kaum mehr als ein durchscheinender Seidenstreifen war. Anscheinend handelte sie so, um leichter mit mir sprechen zu können. Sie lächelte. Ich lächelte ebenfalls, aber nur innerlich. Ein Herr mochte seiner Sklavin einen solchen Schleier schenken, als Witz. Sie war eine eitle Frau. Ich sollte sehen, daß sie atemberaubend schön war. Ich erkannte, daß sie eine ganz akzeptable Sklavin abgeben würde.

»Wie ich sehe, trägst du ein Schwert«, sagte sie.

»Ja, meine Dame.«

»Wer bist du?«

»Ein reisender Schwertkämpfer.«

»Dies ist die Lady Mira aus Venna«, sagte der bärtige Offizier. »Ich bin Alfred, Hauptmann dieser Kompanie, Söldner aus Port Olni.« Venna ist ein Erholungsort westlich der Voltai-Berge, nördlich von Ar. Port Olni liegt am nördlichen Ufer des Olni-Flusses und gehört der Salerianischen Konföderation an.

»Anscheinend möchtest du uns deinen Namen nicht sagen«, bemerkte die Frau.

»Der Name eines unbedeutenden Burschen wie ich«, sagte ich, »kann für eine so vornehme Dame kaum von Interesse sein.«

»Bist du ein Räuber?« wollte sie wissen.

»Nein, meine Dame.«

»Kannst du mit der Klinge umgehen, die da an deiner Hüfte hängt?« fragte sie.

»In gewisser Weise schon, meine Dame«, sagte ich.

»Wir stellen Schwertkämpfer ein.«

»Vielen Dank, meine Dame, aber ich möchte mich nicht in fremde Dienste begeben.«

»Zieh deine Klinge!« rief der Offizier.

Mit schneller, eleganter Bewegung zog ich die Waffe und trat zurück. Wird man von einem Goreaner aufgefordert, die Klinge blank zu ziehen, ist es meistens nicht angebracht, noch lange über die Frage zu diskutieren. Er könnte etwas im Schilde führen.

»Greif ihn an!« sagte der Offizier zu einem der Männer, die in seiner Nähe standen.

Unsere Klingen hatten sich noch nicht einmal gekreuzt, als die Spitze meines Schwertes schon am Hals des Burschen lag.

»Töte ihn nicht!« sagte der Offizier hastig.

Ich steckte die Klinge wieder fort, und der bleich gewordene Söldner kehrte auf unsicheren Beinen ins Glied zurück.

»Einen Silber-Tarsk pro Monat«, sagte der Offizier. Dieser Sold konnte sich sehen lassen. Es war bestimmt mehr, als die meisten Männer ringsum bekamen.

»Wo liegt dein Ziel, Hauptmann?« fragte ich. »Und in welcher Angelegenheit seid ihr unterwegs?«

»Wir ziehen nach Kailiauk und von dort weiter ins Ödland. Es gilt, Wilden eine Lektion zu erteilen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Du hast gewiß von den Scheußlichkeiten gehört, die sich gestern ereignet haben?« fragte er.

»Deine Streitmacht ist bestimmt nicht erst seit gestern zusammengestellt worden«, sagte ich.

Er lachte. Gewiß konnten solche Heere in das Ödland eindringen und schweren Schaden anrichten, indem sie beispielsweise über Dörfer der Staubfüße herfielen. Zu oft werden dabei aber die Friedlichen und Unschuldigen hingeschlachtet. Darin mag die Lehre liegen, daß es ratsam ist, zu friedlich oder zu unschuldig zu sein. Im Schatten von Wölfen gibt es kein Überleben, indem man sich in ein Schaf verwandelt: Dieser Weg ist nichts anderes als eine Abkürzung ins Verderben.

»Im Ödland gibt es Tausende von Wilden«, gab ich zu bedenken.

»Diese Männer sind Berufskämpfer«, erwiderte er. »Ein solcher Söldner ist tausend halbnackte Krieger wert.«

Ringsum wurde gelacht.

»Schon wenn sie unsere Trommeln hören, werden sie die Flucht ergreifen«, fuhr er fort.

Ich schwieg.

»Die Grenzzone hält sich schon zu lange«, sagte er. »Wir werden sie weiter nach Osten vorschieben. Wir halten das Banner der Zivilisation in Händen.«

Ich lächelte und fragte mich, ob es sich bei den Barbaren stets um Angehörige solcher Zivilisationen handelte, die nicht die eigene waren.

»Willst du die Frau mit ins Ödland nehmen?« fragte ich weiter. »Du kannst dir sicher vorstellen, was die roten Wilden mit ihr anstellen würden.«

»Ich bin völlig sicher, das kann ich dir versichern«, sagte Lady Mira lachend. Ich überlegte, wie ihr zumute sein würde, wenn sie nackt und gefesselt vor gierigen Kriegern am Boden lag.

»Lady Mira gehört der Kaufmannskaste an«, fuhr der Offizier fort. »Sie besitzt die Vollmacht, mit den besiegten Stämmen über die Lieferung von Fellen zu verhandeln.«

»Wer ist das?« fragte ich und deutete auf den zerlumpten rothäutigen Jüngling, der am Wagen festgekettet war.

»Urt, ein Staubfuß, ein Sklave«, gab der Offizier Auskunft. »Wir haben ihn im Süden gekauft. Er spricht die Sprache des Staubfuß-Stammes und kennt die Zeichen.«

Haßerfüllt blickte der Junge mich an.

»Wie lange war er schon Sklave?« fragte ich.

»Zwei Jahre.«

»Von wem wurde er ursprünglich gekauft?«

»Von Staubfüßen«, sagte der Offizier.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Wilden einen Angehörigen des eigenen Stammes verkaufen würden«, meinte ich.

»Es sind Wilde«, bemerkte der Offizier.

»Du bist kein Staubfuß«, sagte ich zu dem Jungen.

Er antwortete nicht.

»Ihr wollt einem solchen Burschen bei Verhandlungen die Übersetzung anvertrauen?« fragte ich.

»Am deutlichsten werden wir mit dem Stahl sprechen«, sagte der Söldnerführer.

»Du hast viele Männer«, sagte ich. »Deine Expedition muß viel Geld kosten. Wäre sie von mehreren Städten vereinbart worden, hätte ich bestimmt davon gehört. Woher stammt das Gold für diese hohen Aufwendungen?«

Zornig blickte der Offizier mich an.

»Wir werden durch den Kaufmannsrat von Port Olni unterstützt«, sagte die Frau. »Unsere Papiere sind in Ordnung.«

»Ich verstehe«, bemerkte ich.

»Nur selten habe ich eine Klinge so raffiniert und schnell im Kampf erlebt wie die deine«, sagte der Offizier. »Mein Angebot gilt. Rationen und einen Silber-Tarsk für jeden Monat, den du bei uns im Dienst stehst.«

»Rationen und einen Gold-Tarsk«, fiel die Frau ein und blickte aus der Höhe des Karrens auf mich herab. Die Augen über dem Seidenschleier funkelten. Sie hatte das Angebot ausgesprochen, ohne den Offizier zu fragen. Offensichtlich war sie sehr mächtig. Ich fragte mich, wie sie als hilflos gefesselte Sklavin aussehen würde.

»Sei bedankt, meine Dame«, erwiderte ich. »Aber ich stehe in meinen eigenen Diensten.«

»Man könnte einen Posten für dich finden, sogar in meiner engsten Gefolgschaft«, sagte sie.

»Ich stehe in meinem eigenen Dienst«, sagte ich.

»Weiter!« rief sie, hob die behandschuhte Rechte und lehnte sich in ihrem Sessel aufgebracht zurück.

Ich trat an den Straßenrand.

»Vorwärts!« brüllte der Offizier und hob den Arm. Zornig blickte die Dame mich an; ihre Hände hatte sie um die Stuhllehnen gekrallt. Dann hob sie den Kopf und blickte starr geradeaus. »Ho!« rief der Offizier. Sein Arm fiel herab. Die Reihen der Söldner, die rings um das Fahrzeug angeordnet waren, setzten sich wieder in Bewegung, nordwärts ziehend, in Richtung Kailiauk. Ich setzte mich am Wegrand in den Schatten einiger Felsbrocken und beobachtete den Vorbeimarsch. Nachdem ich die Zahl der Männer geschätzt hatte, zählte ich sorgfältig die Vorratswagen. Meine Vermutung erwies sich als stichhaltig. Wenn man die Zahl der Felle bedachte, die im Ödland verfügbar waren, gab es in dem Zug etliche Wagen zuviel.

Als die Kolonnen und Wagen vorbei waren, kam ich zwischen den Felsen hervor und folgte der Prozession in einigem Abstand auf der Straße nach Kailiauk.

Die Kaufleute von Port Olni konnten sich eine dermaßen große Expedition auf keinen Fall leisten. Sie hatten keinen großen Anteil am Fellhandel, und selbst wenn sie stärker daran beteiligt gewesen wären, hätten sie als Kaufleute zunächst Verhandlungslösungen gesucht und keine militärischen. Im mindesten Falle hätten sie, wenigstens zu Anfang, durch Kaufleute am Ort zu arbeiten versucht oder etwa durch die Staubfuß-Wilden. Für mich bestand kein Zweifel, woher Motiv und Mittel für eine solche Expedition kamen. Ähnlich sicher glaubte ich zu wissen, wer in den geschlossenen Wagen hockte, die von der Expedition mitgeführt wurden.

Auf der Straße nach Kailiauk warf ich den Kopf in den Nacken und lachte herzlich. Ich, Tarl Cabot, hatte von Agenten der Kurii das Angebot erhalten, in ihre Dienste zu treten! Ich war überzeugt, daß Kog und Sardak und andere Artgenossen ungeduldig in den vor mir fahrenden Wagen saßen und sich unbequem hin und her wanden, begierig, endlich zur Sache zu kommen. Die selbstgewählte Enge mußte nahezu unerträglich sein. Ich bewunderte die Disziplin, die darin zum Ausdruck kam. Ich hoffte nur, daß sie sich halten würde. Und es tat gut zu wissen, wo die Kurii waren.

Ich bückte mich, nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn vor mich auf die Straße. Dann setzte ich meinen Weg nach Kailiauk fort.

Noch etwas war mir an der seltsamen Streitmacht aufgefallen. Sklavenwagen hatte es in der Kolonne nicht gegeben. Darin sah ich den Einfluß und die große Macht der Lady Mira aus Venna. Als freie Frau waren ihr Sklavinnen zweifellos verhaßt, jene lasziven, schamlosen Mädchen, die in den Männern unbezwingbare Begierden weckten. Auch schmeichelte es gewiß ihrer Eitelkeit, die einzige Frau unter so vielen Männern zu sein. Ich hatte ihr kaum verhülltes Gesicht gesehen und fragte mich unwillkürlich, wie sie in Tanzseide aussehen würde, geschmückt von einem Stahlkragen, vor mir kniend. Vermutlich würde sie nicht mehr ganz so stolz aussehen. Die Kurii, das mußte ich anerkennen, erwählten sich beinahe ausnahmslose sehr schöne Agentinnen; sicher nicht ohne Hintergedanken.

Ich warf einen weiteren Stein die Straße entlang, hinter der Kolonne her.

Vermutlich hätte ich nicht so offen zu erkennen geben dürfen, wie geschickt ich mit dem Schwert umgehen konnte. Ich war auch fest entschlossen gewesen, mich ungeschickt anzustellen. Doch sobald sich die beiden Klingen berührten, hatte ich mir dennoch größte Mühe gegeben, aus einem Reflex heraus. Der Stahl schien plötzlich für sich selbst zu denken, wie es bei solchen Gelegenheiten oft geschieht. Allerdings bedauerte ich nicht, was ich getan hatte. Ich lachte leise. Sollten sie ruhig das Können eines Mannes sehen, der in den Kriegskünsten Ko-ro-bas unterwiesen worden war. Ich lachte. Was die Agenten der Kurii wohl denken würden, wenn sie wüßten, daß Tarl Cabot unter ihnen gewesen war? Sie hatten keinen Anlaß zu der Vermutung, daß er sich in der Nähe des Ödlandes aufhielt. Sie wußten nur, daß man wegen eines Mannes gehalten hatte, der nicht ungeschickt war mit der Waffe.

Wieder dachte ich an Lady Mira aus Venna. Ja, überlegte ich. Sie würde sich gut machen als nackte Sklavin zu Füßen eines Mannes.

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