19

Evelyn schrie bekümmert auf, als die Leine an ihr festgemacht wurde. Stolpernd drängte man sie neben Ginger und Max und Kyle Hobart.

»Hi!« rief der Sleen-Krieger, ein wichtiger Mann in der Abordnung dieses Stammes, und spornte seine Kaiila an. Schnaubend und wiehernd setzte sich das Tier in Bewegung und folgte den übrigen Sleen-Kriegern, die bereits abrückten; der Anführer voraus, gefolgt von dem Bannerträger mit dem krückenähnlichen gefiederten Stab, mit dem beim Kampf Anweisungen gegeben werden.

Mit geballten Fäusten blickte Grunt der Horde nach.

In seiner Nähe standen Corinne, Lois, Inez und Priscilla, die von einem Krieger der Gelben Messer aneinandergefesselt wurden.

Ich beobachtete das Abrücken der Kriegergruppe der Sleen. Sie waren mit ihrem Anteil der Beute sehr zufrieden. Die Sklavenkette mit den Halsbändern lag achtlos hingeworfen im Gras.

»Hopa«, sagte einer der Kaiilakrieger vom Rücken seines Tiers, ein großer, breitschultriger Bursche mit langen Zöpfen, die mit roten Bändern zusammengebunden waren. Sein Blick galt dem rothaarigen Mädchen. Mit seiner langen Lanze berührte er sie am linken Arm. Erschrocken schaute sie zu ihm auf, vermochte seinem Blick aber nicht standzuhalten und senkte schnell den Kopf. »Wihopawin«, bemerkte der Krieger.

Dicht neben dem Mädchen hockte ein Krieger der Gelben Messer. Als er seine Hand nach der Rothaarigen ausstreckte, spürte er plötzlich die bläuliche Steinspitze der Lanze am Hals. Zornig stand er auf, die Waffe zur Seite drückend, die Hand auf den Messergriff gelegt. Die Lanzenspitze kehrte in die bedrohliche Stellung zurück, leicht und elegant wie ein Ast, der, vom Wind bewegt, seine ursprüngliche Stellung wieder einnahm. Der Kaiilakrieger spannte die Beinmuskeln an. Ein Tritt mit den Fersen würde die Kaiila lossprinten lassen, womit dann die Lanze den Gelben Messer durchbohren mußte. Krieger der Gelben Messer und Kaiila, seit jeher verfeindet, erstarrten.

Corinne, Lois, Inez und Priscilla, Beutesklavinnen der Gelben Messer, wurden zur Seite gezogen.

Einer der Gelben Messer sagte etwas zu seinem Stammesgenossen, der von der Lanze bedroht wurde. Dieser trat zornig einen Schritt zurück. Er blickte auf die vier gefesselten Mädchen. Der Anführer der Gelben Messer sagte etwas zu dem Mann. Dieser wandte sich zornig ab und bestieg seine Kaiila. Die Gelben Messer hatten ihren Anteil der Beute erhalten. Außerdem herrschte in der Umgebung des Schlachtfelds zunächst Waffenstillstand.

Urt, auch Cuwignaka genannt, Frauenkleid, hatte die ganze Zeit im Gras gesessen, tief durchgeatmet und seine Hand- und Fußgelenke gerieben. Ihm fiel sichtlich jede Bewegung schwer. Jetzt erhob er sich mühsam und ging zu der Lanze, die im Gras steckte. Kurz hielt er sich am Schaft fest, bis er das Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Dann löste er das Kleid von der Lanze und zog es sich über den Kopf. Den unteren Teil des Kleides riß er ab, bis der Saum ein gutes Stück über den Knien endete. Auch an der linken Seite riß er den Stoff auf, um sich freier bewegen zu können. Schließlich zog er die Lanze aus dem Boden. Die Arbeit hatte ihn überfordert, und er mußte sich abstützen.

»Sleen-Tarsks, sie alle!« knurrte Grunt auf goreanisch und blickte den abziehenden Gelben Messern nach.

»Was hatten die gelben Lanzen an den Flanken der Sleen-Kaiila zu bedeuten?« fragte ich.

»Es handelte sich um Sonnenlanzer, eine Kriegergemeinschaft des Sleen-Stammes.«

»Und die Zeichen an den Kaiila der Gelben Messer?«

»Das Symbol der Urt-Soldaten, einer Gemeinschaft der Gelben Messer.«

Ich nickte. Es war üblich, daß die Kriegergemeinschaften zusammen auf den Kriegspfad zogen.

»Bei den Kaiila sind zwei Gemeinschaften vertreten«, fuhr Grunt fort. »Die meisten gehören den Kampfgefährten an, ein Mann den Reitern der Gelben Kaiila, und zwar der Krieger dort hinten mit dem Kampfschild. Er ist an der symbolischen Kaiila-Darstellung erkennbar, gelb mit roter Umrandung über roten waagerechten Streifen.«

Ich nickte. Waagerechte Streifen, soviel hatte ich schon mitbekommen, stellten in der Regel den Kaiila-Stamm dar, den Stamm der Halsabschneider. Die Kaiila des Mannes wies an Schnauze und Vorderbeinen zahlreiche Coupzeichen auf.

»Es ist eine sehr ruhmreiche Gemeinschaft«, sagte Grunt. »Nur erfahrene Krieger mit vielen Coups und großer Erfahrung auf dem Kriegspfad und beim Kaiilastehlen dürfen Mitglied werden.«

»Das Zeichen der Kampfgefährten ist das Herz mit der Lanze«, stellte ich fest.

»Ja«, bestätigte Grunt. »Nach dem Zeichen werden sie manchmal auch die Kämpfenden Herzen genannt. Komm, rühr dich nicht!« fügte er hastig hinzu und legte mir besänftigend die Hand auf den Arm. Zwei Kaiilakrieger hatten sich unseren Tauschwaren zugewandt.

»Schön«, sagte ich. »Der Reiter der Gelben Kaiila«, erklärte Grunt, »heißt Kahintokapa, Mann-der-vorausgeht, aus der Bande der Casmukrieger, was man mit Sandkrieger übersetzen kann.«

»Er ist der Anführer?« fragte ich.

»Das glaube ich nicht«, sagte er, »nicht bei einem Trupp von Kampfgefährten. Ich glaube, er ist eher als Beobachter dabei. Wahrscheinlich soll er jüngere Kämpfer beraten und unterrichten.«

Ich nickte.

»Wie du siehst, hält er sich im Hintergrund.«

»Dann ist der Anführer also der junge Mann, der sich für deine Rothaarige interessiert?« fragte ich.

»Ich nehme es an«, antwortete Grunt. »Ich kenne ihn nicht. Er kommt aus der Isbu-Bande, aus der Bande der Kleinen Steine.«

»Den anderen Mann kanntest du«, stellte ich fest.

»Ja«, sagte Grunt. »Bei meinem letzten Besuch im Territorium der Kaiila traf ich ihn bei einem Kriegsrat, zusammen mit Schwarzer Wolke, dem Friedenshäuptling der Isbu.«

»Du rechnest bei den Kaiila also nicht mit Problemen?«

»Im Grunde nicht«, erwiderte Grunt. »Denn ich habe das rothaarige Mädchen für Schwarze Wolke, für Mahpiyasapa, ins Ödland gebracht. Für eine solche Frau, wenn sie ihm gefiele, hat er mir fünf Felle des Gelben Kailiauk versprochen.«

»Ich hatte mich schon gefragt, welche Pläne du mit ihr hättest.«

»Nun weißt du Bescheid.«

»Sie soll an einen Häuptling verkauft werden.«

»Ja.«

»Hast du das unserem jungen Freund klargemacht?« wollte ich wissen.

»Ja.«

»Warum will er sie dann für sich?«

»Nein!« brüllte Grunt und eilte auf den jungen Berittenen und die ihn umstehenden Kaiilakrieger zu. Zwei, die seine Wut bemerkten, packten ihn. Vergeblich wehrte sich Grunt gegen ihren Griff. Verzweifelt starrte das Mädchen den Krieger an, der ihr im Auftrag des berittenen Anführers das Band der Sklaverei umbinden wollte.

Zwischen Grunt und dem Anführer der Wilden entbrannte ein hitziger Wortwechsel. Die Absicht meines Freundes, die Wilden durch ein friedliches Auftreten zu besänftigen, schien in der ersten Erregung vergessen. Im nächsten Moment wurde Grunt rücklings zu Boden gestoßen. Zwei Kaiila zogen ihre Messer. Ich spannte die Muskeln an. Grunt war aber noch so vernünftig, seine Lage richtig zu deuten. Trotz seiner Wut war ihm klar, daß er getötet werden konnte.

Während der Krieger den perlenbesetzten Gurt am Hals des rothaarigen Mädchens festmachte, holte Grunt tief Atem und redete in klaren, langsamen Kaiilaworten auf den berittenen Anführer ein.

Aber der junge Mann zeigte sich davon nicht im geringsten berührt. Hochmütig saß er auf seiner Kaiila, die Lanze locker in der Hand.

In diesem Moment ritt der erfahrene Krieger aus der Gemeinschaft der Gelben Kaiila-Reiter von hinten herbei. Auch er begann mit dem jungen Mann zu reden. Dieser aber schüttelte zornig den Kopf. Schließlich richtete der Gelbe Kaiila-Reiter ein Wort an Grunt und zog sein Tier wieder in den Hintergrund. Ich merkte ihm an, daß er nicht erfreut war, doch hatte er sich gut in der Gewalt. Anscheinend geziemte es sich für einen Mann seiner Position nicht, sich mit einem jüngeren Krieger, der zudem einer anderen Gemeinschaft angehörte und weniger Coups besaß, auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Außerdem war nicht er, sondern der andere Anführer dieser Kriegertrupps.

Der junge Krieger gab seinem neben dem Mädchen stehenden Gefolgsmann einen Befehl, und er vollendete das Werk: Der Sklavenkragen des jungen Kampfgefährten schloß sich fest um ihren Hals.

Grunt hatte die Fäuste geballt.

Die Sklavin blickte ehrfürchtig zu ihrem neuen Herrn auf. Er war groß und stark und auf ungezähmte Weise hübsch. Ihr ganzer Körper schien erstarrt vor Angst und Erregung. Sie erkannte natürlich, daß ihr Besitzübergang mit Spannungen verbunden gewesen war. Trotz erheblicher Gegenargumente hatte er daran festgehalten, sie besitzen zu wollen – er und kein anderer. Und sie erkannte, daß er sie sehr begehrte.

»Mir gefällt das nicht«, sagte Grunt. »Wir bekommen noch Ärger.«

»Mag sein«, sagte ich.

Der junge Mann musterte seine neue Sklavin wohlgefällig, und sie errötete unter seinem Blick. Zitternd senkte sie den Kopf. Ich sah, daß sie sich zu ihrem Herrn ebenso hingezogen fühlte wie er sich zu ihr.

»Steh nicht einfach so da, kleine Närrin!« sagte Pickel. »Knie nieder!«

Das Mädchen gehorchte.

Der Krieger senkte die Lanze und machte damit eine knappe Bewegung. »Winyela«, sagte er.

»Damit hast du deinen Namen erhalten«, sagte Pickel.

Das rothaarige Mädchen hob den Kopf.

»Winyela«, sagte er.

»Winyela«, wiederholte sie.

Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den beiden Kriegern zu, die unsere Tauschwaren durchwühlten. Beile, Spiegel, Messer, Stoffe und dergleichen lagen überall im Gras verstreut. Der Anführer ritt mit seiner Kaiila zu ihnen.

»Ich habe einen Namen!« sagte das rothaarige Mädchen. »Einen schönen Namen.«

»Er bedeutet ›weibliches Tier‹«, erklärte Pickel.

»Oh«, sagte die andere erstaunt.

»Ein recht hübscher Name, wenn man bedenkt, daß du eine Sklavin bist«, sagte Pickel.

Ich beneidete den jungen Krieger um seine prächtige rothaarige Sklavin Winyela.

»Schau dir die schamlos glückliche Sklavin an«, sagte ich zu Grunt. »Sie könnte für diesen Kragen geboren sein.«

»Möglich«, sagte Grunt.

»Vielleicht war es ganz gut, daß deine Einwände nutzlos geblieben sind.«

»Sie war für Mahpiyasapa bestimmt, für Dunkle Wolke«, sagte Grunt. »Dieser Junge und Mahpiyasapa gehören beide der Isbu-Bande an. Da gibt es bestimmt noch größeren Ärger. Außerdem bekomme ich nichts für sie.«

»Das ist richtig«, räumte ich ein. »Was sagte der Reiter der Gelben Kaiila zu dir, nachdem er mit dem Jüngling gesprochen hatte?«

»Daß der Jüngling durchaus ein Recht auf das Mädchen hätte«, antwortete Grunt. »Daß er sie unter den gegebenen Umständen beanspruchen könnte.«

»Was er tat.«

»Natürlich! Hättest du es nicht auch getan?«

»Vielleicht.«

»Jedenfalls ist es passiert. Sie trägt seinen Kragen.«

Plötzlich fiel mir auf, daß einer der beiden Krieger, die sich mit unseren Tauschwaren beschäftigten, nach einem bestimmten Bündel an meiner Kaiila griff. Es handelte sich um die gerollte Bildhaut und das Übersetzungsgerät.

»Nicht!« sagte Grunt zu mir.

Aber schon stand ich neben meiner Kaiila, löste entschlossen die Hand des Kriegers von dem Bündel und führte sie zur Seite. Verblüfft starrte er mich an.

Unsere Finger zuckten zu den Messergriffen.

Die Lanze des jungen Anführers schob sich zwischen uns, und wir traten auseinander.

Ich deutete auf die Habe auf meiner Pack-Kaiila. »Mein!« sagte ich auf goreanisch. Gleichzeitig deutete ich mit dem Daumen auf mich. In der Zwischensprache bedeutete dies: ›ich‹ oder ›mein‹, je nach Zusammenhang.

»Howo, Akihoka«, sagte der junge Anführer zu dem Krieger, der mich wütend anfunkelte. »Howo, Keglezela«, sagte er zu einem anderen Kämpfer. Langsam zog er seine Kaiila herum und ritt im Schritt zu Cuwignaka, der sich noch immer geschwächt auf die Kaiilalanze stützte. Er hatte in der Gegenwart der anderen Wilden noch nichts gegessen oder getrunken. Sicher waren seine Stammesgenossen sich dieser Geste bewußt. Zumindest in diesem Punkt wollte er sich als Kaiilakrieger erweisen, wenn er auch sonst keine Ehre mehr besaß. Die beiden Krieger Akihoka und Keglezela folgten dem jungen Anführer. Ich sicherte meine Habe auf dem Rücken der Kaiila. Die Reaktion des jungen Anführers interessierte mich. Irgendwie hatte er mich beschützt. Allerdings kannte ich ihn nicht; ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Seine Handlungsweise ergab für mich keinen Sinn.

Der junge Krieger zügelte seine Kaiila nun vor Cuwignaka, der in seinem zerlumpten Frauenkleid vor ihm stand. Seine Männer bauten sich links und rechts von ihm auf, beinahe als wären sie bereit, den Geschwächten anzugreifen. Cuwignaka zeigte nicht die geringste Angst. Ich begab mich langsam in seine Nähe, Grunt folgte mir. Winyela und Pickel hielten sich abseits.

Der junge Krieger begann zu sprechen. Für jeden, der die Sprache nicht kennt, scheint sie voller fremder Phoneme und Betonungen zu sein. Zahlreiche heisere und gutturale Laute durchsetzen schnarrend und zischen die Äußerungen. Gleichwohl ist es eine sehr fließende und ausdrucksvolle Sprache.

»›Wer hat dich befreit‹?« übersetzte Grunt. »›Ich bin frei. Da ist das nicht wichtig‹«

Der junge Krieger sprach energisch auf Frauenkleid ein, der beinahe hitzig antwortete. Es kam mir widersinnig vor, daß Frauenkleid, geschwächt wie er war, so energisch mit dem jungen Krieger stritt. Beide waren natürlich Kaiilakrieger. Ich fragte mich, ob sie sich in früherer Zeit gekannt hatten. Frauenkleid, das erkannte ich jetzt, war ein richtiger Mann.

»Was geht vor?« fragte ich Grunt.

»Der junge Bursche will wissen, wer den anderen befreit hat, und Frauenkleid beschützt dich.«

»Ich habe ihn befreit«, sagte ich zu dem jungen Krieger und trat vor. »Übersetz das!« forderte ich Grunt auf.

»Ich glaube nicht, daß das in deinem Interesse wäre«, sagte dieser.

»Übersetz!«

Widerstrebend kam Grunt der Aufforderung nach.

Der junge Krieger musterte mich.

»Er ist natürlich nicht überrascht«, sagte Grunt. »Etwas ähnliches hat er erwartet.«

Ich nickte. Zweifellos war ich in seinen Augen der Hauptverdächtige gewesen. Offenkundig kannte ich mich im Ödland nicht aus. Ich besaß nur Grundkenntnisse des Staubfuß- und Kaiila-Dialekts. So konnte nur ich es gewesen sein, der ahnungslos die Fesseln durchschnitt.

»Canka«, sagte der junge Krieger und schlug sich mit der Faust vor die Brust. »Akicita hemaca. Isbu hemaca. Kaiila hemaca!«

»›Ich bin Canka, Feuerstahl‹«, übersetzte Grunt. »›Ich bin Krieger. Ich gehöre den Kleinen Steinen an. Ich gehöre den Kaiila an.‹«

»Tal«, sagte ich. »Ich bin Tarl Cabot.«

»Wopeton«, sagte Grunt und deutete auf mich. »Hou. Hou, Kola.« Dann wandte er sich an mich. »Dein Name hätte diesen Kriegern nichts bedeutet. Ich habe dich deshalb ›Wopeton‹ genannt, das bedeutet ›Händler‹ oder ›Kaufmann‹. Ich habe dem Anführer außerdem deine Grüße übermittelt.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

Im folgenden gebe ich das Wesentliche des Gesprächs in freier Übersetzung als direkte Rede wieder.

»Wie ich schon vermutete«, sagte Canka zu mir, »hast du diesen gemeinen Gefangenen befreit.«

»Er hat überlebt und ist stark«, antwortete ich. »Er ist ein Kaiila wie du. Respektiere ihn.«

»Er war der Sklave weißer Männer.«

»Jetzt ist er frei.«

»Er wollte keine Waffen führen. Er wollte nicht mit auf den Kriegspfad.«

»Ich hatte keinen Zwist mit den Fliehern«, warf Cuwignaka ein.

»Wir steckten ihn in das Kleid einer Frau und nannten ihn Cuwignaka«, fuhr Canka fort. »Er machte den Isbu Schande.«

»Ich hatte keinen Zwist mit den Fliehern.«

»Die Kaiila haben Zwist mit den Fliehern, und du bist ein Kaiila-Krieger«, beharrte Canka.

»Die Flieher haben mir nichts getan.«

»Dein Großvater wurde von Fliehern getötet.«

»Dafür töteten wir andere Flieher.«

»Wie hast du nur wagen können, in das Ödland zurückzukehren?« fragte Canka.

»Er wurde hierhergeschleppt«, sagte ich. »Die weißen Soldaten brachten ihn gegen seinen Willen mit.«

»Sie brachten mich hierher«, sagte Cuwignaka. »Aber ich wäre auch so gekommen.«

»Warum?« fragte Canka.

»Weil ich ein Kaiila bin«, sagte Cuwignaka stolz. »Und das nicht weniger als du!«

»Hältst du dich für einen Mann?«

»Ich bin ein Mann!«

»Du trägst aber keinen Lendenschurz. Dir würden in unserem Lager die Aufgaben einer Frau zugewiesen.«

»Ich bin keine Frau.«

»Du trägst keinen Lendenschurz, ebensowenig wie die anderen.« Und sein Blick fiel auf Grunt und mich.

»Ein Meter Stoff entscheidet in meinem Land nicht über die Männlichkeit«, sagte ich. »Ganz im Gegenteil zum Ödland, wo sie allein davon abhängt, ob ein Krieger einen Lendenschurz trägt. Das finde ich billig, denn dann kostet sie nicht mehr als ein Streifen Tuch!«

»Das stimmt nicht!« sagte Canka zu mir.

»Vorsicht!« mahnte Grunt.

»Der Lendenschurz ist nicht identisch mit der Männlichkeit«, sagte der junge Krieger. »Sie ist nur ihr äußeres Zeichen.«

»Cuwignaka ist ein Mann«, sagte ich, »und ihr gestattet ihm nicht, das Tuch zu tragen!«

»Dein Glück, daß du kein Krieger bist«, sagte Canka.

»Akicita hemaca!« sagte ich zornig in seiner Sprache und schlug mir vor die Brust. »Ich bin Krieger!«

»Nimm dich in acht, laß dich nicht in das Coup-System ziehen!«

Canka lehnte sich auf dem Rücken seiner Kaiila zurück. »Ich weiß nicht, ob du Krieger bist oder nicht«, sagte er. »Aber vielleicht hast du recht. Du hast immerhin Cuwignaka befreit. Du mußt also ein mutiger Mann sein. Canka zollt dir seinen Respekt.«

Ich war verwirrt. Eine solche Einstellung hatte ich nicht erwartet.

»Habt ihr ihn angepflockt?« fragte ich den jungen Krieger.

»Es waren Kaiila«, antwortete Canka vorsichtig.

»Es war Hei mit seinen Genossen von den Sleensoldaten, aus der Isbu-Bande, der Sohn Mahpiyasapas, des Friedenshäuptlings der Isbu!« sagte Cuwignaka.

»Dann also nicht Canka und seine Kampfkameraden?« fragte ich.

»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Aber es waren Canka und Hei mit den Kampfkameraden und den Sleensoldaten, die mich in das Frauenkleid steckten und mich später als Sklave an die Staubfüße verkauften. Damit folgten sie einer Entscheidung des Rates der Isbu, unter dem Vorsitz Mahpiyasapas.«

»Canka«, sagte ich auf goreanisch zu Cuwignaka, »scheint wegen deiner Befreiung nicht gerade bekümmert zu sein.«

»Nein«, sagte Cuwignaka.

»Du trägst das Kleid einer Frau«, sagte Canka plötzlich aufbrausend zu dem anderen. »Und du stützt dich auf eine Lanze der Kaiila! Gib sie mir!«

»Du selbst hast sie neben mir in den Boden gesteckt, als du mich angepflockt fandest. Und zwar intakt und nicht zerbrochen. Und du warst es, der das Kleid, das Hei neben mir hingeworfen hatte, aufnahm und um den Schaft wickelte.«

Canka antwortete nicht sofort. Durch die Lanze hatte er auf auffällige Weise die Stelle gekennzeichnet, an der der Junge festgebunden lag, beinahe wie mit einer Flagge. Grunt und ich hatten das Signal sofort bemerkt, als wir diesen Teil des Schlachtfeldes erreichten. Vielleicht war es auch mehr als ein Signal.

»Gib mir die Lanze!« forderte Canka.

»Nein«, antwortete Cuwignaka. »Du hast sie neben mir in den Boden gesteckt, und sie ist nicht gebrochen. Wenn du sie haben willst, mußt du sie mir abnehmen.«

»Das werde ich nicht tun«, sagte Canka. »Du wurdest befreit. Jemand muß dafür bezahlen.« Sein Blick ruhte auf mir.

»Er ist mein Freund«, sagte Cuwignaka.

»Ich bin Anführer dieses Trupps«, sagte Canka. »Jemand muß mir büßen!«

»Ich werde dafür bezahlen«, sagte Cuwignaka.

»Was hier geschuldet wird«, sagte Canka, »kannst du nicht bezahlen.«

»Ich werde bezahlen«, beharrte Cuwignaka.

»Nicht du mußt bezahlen«, sagte Canka, »sondern ein anderer.«

»Ich bin Krieger«, sagte ich zu Canka, »und verlange mein Recht auf einen Kampf.«

»Ich will dich nicht töten«, sagte Canka.

Diese Antwort überraschte mich. Ich hatte den Eindruck, als brächte Canka mir eine ungewöhnliche Rücksicht entgegen. Wegen der Tauschwaren hatte er mich vor Akihoka und Keglezela beschützt. Jetzt wollte er offenbar vermeiden, sich mit mir auf einen Kampf einzulassen. Er hatte keine Angst vor mir, soviel war klar. Sicher vermeinte er mich töten zu können. Als roter Krieger hielt er sich jedem Weißen im Einzelkampf für überlegen. Weiße waren nicht einmal im Coupsystem berücksichtigt. Gleichwohl hatte er seinen Respekt vor mir zum Ausdruck gebracht; er sah mich also auch als nicht zu geringwertig an, überhaupt für einen Kampf in Frage zu kommen.

»Ich verstehe das nicht«, sagte Grunt auf goreanisch zu mir.

»Ich auch nicht«, gab ich zurück.

»Er scheint dir gar nicht zu grollen.«

»Nein.«

»Jemand muß dafür bezahlen«, sagte Canka.

»Dann müssen wir kämpfen«, sagte ich und trat zurück.

»Ich kann nicht gegen dich kämpfen«, sagte Canka, »aus einem Grund, den du nicht verstehen wirst. Für diese anderen aber, meine Freunde, die Kampfgefährten, gilt dieser Grund nicht.« Mehrere seiner Begleiter griffen daraufhin zu ihren Lanzen. Ihre Kaiila, die die Erregung spürten, begannen sich unruhig zu bewegen.

»Ernenne einen Champion gegen mich«, sagte ich. »Ich werde ihn bekämpfen, und dann auch jeden anderen, sollte ich Erfolg haben.«

»Ich bin Anführer«, sagte er. »Ich bringe meine Männer nicht leichtfertig in Gefahr.«

»Dann alle oder keiner«, sagte ich.

»Ja.«

Ich trat noch weiter zurück. »Ich bin bereit«, sagte ich.

»Kämpfe nicht«, sagte Grunt warnend. »Du hast es mit Isbu-Kaiila zu tun, Kampfgefährten. Es sind siebzehn. Jeder von ihnen ist ein erfahrener Krieger. Sie haben ausnahmslos schon Coups errungen. Du hättest keine Chance.«

»Du würdest kämpfen, nicht wahr?« fragte Canka.

»Ja«, erwiderte ich.

»Tatankasa«, sagte Canka.

»›Roter Bulle‹«, übersetzte Grunt.

»Mir würde das Herz schwer, müßte ich dich töten lassen«, sagte Canka.

»Ich bin zum Kämpfen bereit«, sagte ich.

»Sei kein Dummkopf!« rief Grunt.

»Ich bin bereit.«

»Es gibt eine Alternative«, sagte Grunt. »Verstehst du nicht? Er wartet.«

»Was?«

»Den Kragen.«

»Niemals!«

»Bitte, Tatankasa!« sagte Canka.

»Bitte!« bat auch Cuwignaka.

»Bitte!« sagte auch Grunt.

Bedrückt löste ich meinen Waffengurt. Ich wickelte den Gürtel um die Scheiden, um die Schwertscheide und die Messerscheide, und reichte beides Grunt. Ich war entwaffnet.

Worte fielen. Einer der Wilden, Akihoka, sprang von seiner Kaiila. Canka warf ihm einen Halsgurt zu, der mir umgebunden wurde.

Ich blickte zu Canka auf. Ich war sein Sklave.

Akihoka machte Anstalten, mir die Tunika vom Leib zu reißen.

»Nein!« sagte Canka und verhinderte im weiteren auch, daß ich gefesselt wurde.

Der Krieger ließ mich stehen und stieg wieder auf den Rücken seines Tiers.

Canka wendete sein Tier und blickte mich über die Schulter an. »Folge uns!« sagte er.

»Ja.«

»Howo, Winyela«, sagte Canka zu Winyela und deutete an eine Stelle neben der linken Flanke seiner Kaiila.

Hastig eilte Winyela an den angegebenen Ort.

Gutgelaunt bohrte Canka seiner Kaiila die Ferse in die Seite und entfernte sich im Schritt von diesem Ort unheilvoller Begegnungen. Das Mädchen folgte ihm gehorsam.

»Ich bin ruiniert«, sagte Grunt.

»Du bist ruiniert?« fragte ich. »Ich bin ein entwaffneter Sklave!«

»Irgend etwas daran ist seltsam«, sagte Grunt. »Du wurdest nicht entkleidet und auch nicht gefesselt. Ich verstehe das alles nicht.«

»Sei beruhigt, du hast noch den größten Teil deiner Tauschwaren«, sagte ich.

»Zu denen auch ich gehöre, Herr«, sagte Pickel. »Ich bin doch bestimmt etwas wert!«

»Das rothaarige Mädchen«, sagte Grunt und blickte den Kriegern nach, »war für Mahpiyasapa bestimmt, den Friedenshäuptling der Isbu. Bei meinem Besuch im letzten Jahr bestellte er sich eine solche Frau.«

»Canka wird sie sicher Mahpiyasapa überlassen, wenn er ins Lager zurückkehrt«, sagte ich.

»Glaubst du wirklich?«

»Nein.«

»Ich habe Durst«, sagte Cuwignaka und setzte sich ins Gras. »Und ich bin schwach vor Hunger.«

Es waren die ersten Zeichen von Schwäche, die er an den Tag legte. Wie töricht kam ich mir plötzlich vor! Wie wenig hatten wir an ihn gedacht!

Ich eilte zur Pack-Kaiila und holte die Wasserhaut. Aus seinen Vorräten brachte Grunt Trockenkekse, die in Kailiauk aus Sa-Tarna-Mehl gebacken worden waren. Dann sahen wir ihm beim Essen und Trinken zu. Wir nahmen an, daß sein Magen Kailiaukfleisch noch nicht vertragen konnte. Die Staubfüße hatten uns einen Vorrat mitgegeben: beinahe papierdünn geschnitten, in der Präriesonne getrocknet, eingewickelt in einen Parfleche, eine Lederumhüllung. Mit seinem Eingeständnis leiblicher Bedürfnisse tat uns Cuwignaka auf seine Weise eine große Ehre an. So etwas äußerte ein Kaiilakrieger zweifellos nur bei Menschen, die er für seine Freunde und Kameraden hielt.

»Fleisch«, sagte Cuwignaka.

Grunt und ich wechselten einen Blick, gaben ihm dann aber doch einige Streifen Trockenfleisch.

Mit untergeschlagenen Beinen saß er im Gras und aß. »Es ist genug«, sagte er schließlich und schob Grunt den Rest hin, der wieder im Parfleche verstaut wurde.

»Ich bin nun bereit, das Lager aufzusuchen«, sagte Cuwignaka.

»Du bist nicht fähig zu reisen«, sagte ich.

»Ich bin bereit.«

»Du wirst reiten.«

»Ich kann gehen«, sagte er und stand unsicher auf. Er packte die Lanze und stützte sich schwer darauf.

Ich begann meine Habe von der Kaiila abzuräumen, bis nur noch Zaumzeug, Sattel und Satteldecke übrig waren.

»Was machst du?« fragte Grunt.

»Ich bereite das Tier für Cuwignaka vor.«

»Sei kein Dummkopf!« sagte mein Freund. »Dies ist deine beste Fluchtchance! Reite nach Westen, schnell wie der Wind! Flieh!«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte ich.

»Verstehst du nicht, mein Freund?« fragte Cuwignaka. »Man hat dir die Chance zur Flucht gegeben.«

»Sie könnten mich ohne weiteres verfolgen, mit Ersatz-Kaiila, bis mein Tier erschöpft ist«, sagte ich.

»Sicher«, sagte Cuwignaka, »aber ich glaube nicht, daß sie das tun wollen.«

»Sie lassen dich frei«, sagte Grunt.

»Reite los«, sagte Cuwignaka, »denn später, im Hauptlager, bestimmen vielleicht andere über dich, die nicht so großmütig sind.«

»Reite los!« drängte Grunt. »Du hättest einen guten Vorsprung vor Kriegern aus dem Hauptlager, die dich vielleicht verfolgen wollten.«

»Warum sollte man mir diese Chance geben wollen?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht«, sagte Grunt.

»Man hat mich aufgefordert, dem Trupp zu folgen«, sagte ich, »und ich habe diesen Befehl bestätigt.«

»Dieser Befehl war nötig«, sagte Grunt. »Aber niemand erwartet, daß du ihn ausführst.«

»Ich habe aber gesagt, daß ich ihn ausführen würde.«

»Sie werden nicht damit rechnen, daß ein Weißer sein Wort hält«, sagte Grunt.

»Dein Wort gilt doch etwas im Ödland, nicht wahr?« fragte ich.

»Ich nehme es an«, sagte Grunt.

»Dann soll dasselbe auch für das meine gelten.«

»Flieh!« rief Grunt. »Sei kein Dummkopf!«

»Was hast du vor?« wollte ich wissen.

»Ich werde das Hauptlager der Kaiilakrieger aufsuchen«, antwortete er. »Ich bin in dieses gekommen, um zu tauschen.«

»Du hast hier Geschäfte?« fragte ich.

»Ja.«

»Ich ebenfalls.«

»Du bist ja verrückt!«

»Mag sein«, sagte ich. Aber ich war nicht so tief in das Ödland vorgedrungen, um jetzt noch umzukehren.

»Steh auf!« sagte Grunt und versetzte Pickel einen leichten Stoß mit dem Fuß. »Wir haben zu tun.«

»Ja, Herr«, sagte sie und glättete ihre kurze Sklaventunika.

»Bitte nimm dich der Sachen an, die einmal mir gehörten«, sagte ich zu Grunt.

»Ja«, sagte er.

»Ich glaube, es ist Zeit, Canka zu folgen«, wandte ich mich an Cuwignaka.

»Reite fort! Flieh!« wiederholte Grunt.

»Steig auf!« sagte ich zu Cuwignaka. Der junge Mann erhob sich unsicher, auf die Lanze gestützt.

»Ich werde zu Fuß gehen«, sagte er.

»Du bist schwach«, widersprach ich.

»Ich bin ein Kaiila!« sagte Cuwignaka. »Ich werde gehen.«

Er machte einige torkelnde Schritte, wobei er sich mit der Lanze abstützte. Aber plötzlich knickten ihm die Beine ein. Kurze Zeit hielt er sich noch mit der Lanze aufrecht, dann stürzte er haltlos um. Hand über Hand zog er sich mühsam am Lanzenschaft hoch und machte drei oder vier stockende Schritte in die Richtung, die Canka und die anderen genommen hatten, doch wieder stürzte er ins Gras. Ich wollte zu ihm gehen, aber Grunt hielt mich zurück. »Nein«, sagte. »Du darfst ihn nicht kränken. Er ist ein Kaiila.«

Mir fiel auf, daß auch Pickel keine Anstalten gemacht hatte, dem Mann zu helfen.

Cuwignaka mühte sich in eine sitzende Stellung hoch. Mit untergeschlagenen Beinen saß er da, die Lanze neben sich. Er war wütend.

»Ich habe beschlossen, mich auszuruhen«, verkündete er. »Ich werde ein Weilchen sitzenbleiben. Dann werde ich aufstehen und zu Fuß weitergehen.«

»Wie du willst«, sagte ich.

»Vielleicht dauert es Tage, bis er wieder gehen kann«, sagte Grunt.

»Einen oder zwei Tage«, sagte ich.

»Vielleicht.«

»Er ist ein Kaiila.«

»Das stimmt«, sagte Grunt lächelnd. Dann wandte er sich an Pickel. »Mach dich ans Werk, Mädchen. Pack unsere Vorräte ein. Der Weg erwartet uns.«

»Ja, Herr«, sagte sie.

Ich half Grunt und Pickel, und nach kurzer Zeit hatten wir die Waren auf Grunts Lastenschlepper und auf dem Rücken meiner Pack-Kaiila befestigt.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich zu Grunt.

»Ich dir auch«, antwortete er.

Ich blickte Grunt und Pickel nach, die mit den drei Kaiila – Grunts Reittier, dem Tier mit dem Lastenschlepper und meinem Packtier – durch das hohe Gras zogen. Sie drehten sich um und winkten, und ich erwiderte die Geste. Nach einiger Zeit waren sie kaum noch zu erkennen; sie folgten der Fährte Cankas und seiner Gruppe. In der Ferne machte ich den Rauch von Abendfeuern aus, vermutlich lag dort das Kaiila-Lager.

»Woran denkst du?« fragte Cuwignaka.

»An verschiedene Dinge«, gab ich zurück.

»Wenn du nicht fliehen willst, solltest du Canka vielleicht jetzt folgen.«

»Ich werde auf dich warten.«

»Ich muß vielleicht noch ein Weilchen sitzenbleiben.«

Ich lächelte. »Ich warte.«

»Ein Sklave hat bei den Kaiila kein leichtes Los«, sagte Cuwignaka.

»Das hatte ich auch nicht angenommen.«

»Wenigstens bist du keine Frau«, sagte Cuwignaka. »Die Kaiila, wie auch andere Völker des Ödlandes, behandeln ihre weißen Schönheiten nicht gerade sanft.«

Ich nickte. Etwas anderes hatte ich nicht erwartet.

»Canka hat Winyela nicht einmal gefesselt«, stellte ich fest.

»Sie braucht ihm nur mit einer Kleinigkeit zu mißfallen«, sagte Cuwignaka, »schon wird sie erkennen müssen, daß sie eine Sklavin und er ihr Herr ist.«

»Da hast du sicher recht«, antwortete ich und fand es angebracht, daß die frühere Miß Millicent Aubrey-Welles ein strenges Regiment kennenlernen würde.

»Ich verstehe allerdings nicht, warum ich nicht entkleidet und gefesselt wurde«, fuhr ich fort.

»Das ist nicht schwer zu verstehen«, meinte Cuwignaka.

»Warum behandelte man mich so nachsichtig«, fragte ich. »Warum wurde ich nicht angegriffen? Warum erhielt ich die Gelegenheit zur Flucht?«

»Kannst du es dir nicht denken?«

»Nein.«

»Canka«, sagte Cuwignaka, »ist mein Bruder.«


»Was tust du?« fragte Cuwignaka. Ich hatte meine Kaiila geholt. »Was tust du?« wiederholte er. Sanft hob ich ihn in den Sattel.

»Ich kann gehen«, behauptete er.

»Nein, kannst du nicht«, widersprach ich.

»Es wird nicht lange dauern, dann kann ich wieder gehen.«

»Du reitest!« befahl ich. Dann reichte ich ihm die Lanze, die im Gras gelegen hatte.

Cuwignaka schwankte im Sattel, und ich stützte ihn.

Dann blickte ich über die Prärie.

Irgendwo dort draußen, an einem unbekannten Ort, hielt sich Zarendargar auf. Ich war seinetwegen ins Ödland gekommen. Kog und Sardak und einige Genossen hatten den großen Angriff der roten Krieger überstanden, ebenso wie mindestens ein anderer Kur, der vor kurzem noch eine Gruppe Waniyanpi bedroht hatte. Ich war sicher, daß sie ihren üblen Auftrag weiterverfolgen würden. Die Kurii sind hartnäckig. Ich nahm nicht an, daß den Ungeheuern von den roten Wilden Gefahr drohte. Mehrere zottige Wesen hatten das Schlachtfeld unbehelligt verlassen. Sie waren den roten Wilden nicht bekannt und mochten für Bewohner der Medizinwelt gehalten werden. Wahrscheinlich würden die Krieger einen weiten Bogen um jeden Kur machen.

Eine solche Zurückhaltung konnte ein einsamer Weißer, der durch das Ödland wanderte, nicht erwarten; vielleicht würde man sogar aus Spaß Jagd auf ihn machen. Alfred, der Söldnerhauptmann aus Port Olni, war in diesem Moment mit seinen Männern auf dem Weg in die Zivilisation. Vermutlich würde ihnen die Flucht gelingen. Nur wenige Stämme würden es wagen, wenn überhaupt, sich gegen eine Streitmacht von drei- oder vierhundert Kämpfern zu stellen, die nun außerdem viel vorsichtiger sein würden. Törichte Arroganz hatte sie eine bittere Medizin schlucken lassen; die Überlebenden würden dafür sorgen, daß ähnliche Fehler nicht noch einmal gemacht wurden. Alfred oder seine Männer würde ich wohl nie wiedersehen.

Ich blickte in die flache Senke hinter mir. Dort unten waren Kürbis und seine Waniyanpi noch immer mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Hinter einem der halb verbrannten Wagen hockte die ehemals so stolze Lady Mira, Agentin der Kurii, ansässig in der Erholungsstadt Venna. Hier und jetzt war sie nichts anderes als eine nackte, anziehende Sklavin. Sie war den Waniyanpi überlassen worden, die sie respektvoll behandeln und ›Radieschen‹ nennen würden.

»Ich glaube, ich bin bereit«, sagte Cuwignaka.

»Kannst du reiten?« fragte ich.

»Ja.«

Noch einmal ließ ich den Blick über die Prärie wandern. Der Horizont war weit; das Land erstreckte sich ringsum ohne Hindernisse.

Dann führte ich die Kaiila, auf der Cuwignaka vorübergebeugt hockte, und folgte den Spuren der anderen, die uns vorausgeritten waren: Canka und seine Gruppe und Grunt und Pickel. So nahmen wir uns den Rauch der abendlichen Feuerstellen zum Ziel, das Lager der Isbu-Kaiila.

Kurze Zeit später richtete Cuwignaka sich auf. Es freute mich zu sehen, daß er den Kopf reckte. Er war stark. Er war ein Kaiila.

»Der Weg erwartet uns«, sagte Cuwignaka.

»Ja«, antwortete ich.

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